Schattenblick → INFOPOOL → MUSIK → REPORT


NACHLESE/026: 50 Jahre später ... Led Zeppelin - Led Zeppelin (SB)



Im Januar 1969 galt der gerade 25 Jahre alt gewordene James Patrick Page neben Jeff Beck und Eric Clapton als einer der wichtigsten britischen Rockgitarristen. Sein Ruf war zum einem der intensiven Arbeit als Sessiongitarrist geschuldet, als der er alles spielte, was ihm angetragen wurde. Erst als er Gefahr lief, als seelenloser Berufsmusiker zu enden, schmiß er den gutbezahlten Job hin, in dem er manchmal drei verschiedene Aufnahmesessions an sechs Tagen der Woche absolvieren mußte. So trug er 1964 mit seiner Gitarrenarbeit zum Erfolg so unterschiedlicher Titel wie Marianne Faithfulls As Tears Go By, Heart of Stone von den Rolling Stones, Here Comes the Night von Them oder Petula Clarks Downtown bei. Der Vorwurf, Muzak zu produzieren, war wohl eher den vielen Stücken geschuldet, an die sich der als Jimmy Page weltberühmt gewordene Musiker später nicht mehr erinnern konnte.

Zum andern gehörte er zum Dreigestirn jener Gitarristen, die bei den Yardbirds ihre Karriere als Rockstars begründeten - in der Reihenfolge ihres Auftreten als Leadgitarristen Clapton, Beck und Page. Tatsächlich war Jimmy Page bereits 1964 angeboten worden, Eric Clapton bei den Yardbirds zu ersetzen, doch war die Arbeit als Sessionmusiker einfach einträglicher und komfortabler als das anstrengende Leben eines durch die Lande tourenden Rockmusikers. Ohnehin kannten sich die drei gut, trafen sie doch bereits in den frühen 1960er Jahren immer wieder auf den angesagten Blues- und Rock-Bühnen Londons aufeinander.

Den Baßgitarristen und Keyboarder John Paul Jones hatte Page bei der Session zu Donovans Hurdy Gurdy Man kennengelernt. Für sein Vorhaben, eine Art neuer Yardbirds zu gründen, war Jones der richtige Mann, verfügte er doch über umfassende Erfahrungen nicht nur am Instrument, sondern auch als Arrangeur. Jones war für den Einsatz der Streicher auf She's A Rainbow von den Rolling Stones verantwortlich und hatte zum Erfolg diverser Stücke von Francoise Hardy, Cat Stevens, den Walker Brothers und Tom Jones beigetragen, um nur einige der damals erfolgreichen MusikerInnen zu nennen, für die er im Studio Tasteninstrumente spielte und Arrangements schrieb. Auch Jones hatte genug von der täglichen Auftragsarbeit und strebte nach mehr musikalischer Freiheit und eigenständiger Gestaltung.

Als Sänger für die neue Band hatten sie Terry Reid im Auge, doch der lehnte ab und empfahl stattdessen den 19jährigen Robert Plant, der schon einmal bei Alexis Korner gesungen hatte und Sänger der Birminghamer Band of Joy war. Wie dieser später berichtete, wurde er mit einem Telegramm davon in Kenntnis gesetzt, daß der Gitarrist der Yardbirds kommen wolle, um ihn zu sehen. Plant konnte es kaum glauben, als Jimmy Page und Manager Peter Grant tatsächlich einen Auftritt seiner Band besuchten. Anschließend fragten sie ihn, ob er sich vorstellen könne, Singen als Vollzeitjob zu machen, worauf Plant entgegnete, ob er denn den Eindruck mache, daß er irgend etwas anderes könne. Das Schlagzeug der Band of Joy bediente John Bonham, und so war die Besetzung, die Led Zeppelin bis zur Auflösung der Gruppe 1980 beibehielt, komplett.

Noch unter dem Namen The New Yardbirds erfüllten die vier Musiker die vertragliche Pflicht einer Tournee durch Skandinavien, bei der sie das erste Mal zusammen am 7. September 1968 im dänischen Gladsaxe auftraten. Auf Grundlage des Live-Sets entstand das Debütalbum, das laut Jimmy Page in nur 36 Stunden Studiozeit, allerdings verteilt über mehrere Wochen, eingespielt wurde. Die am 12. Januar 1969 veröffentlichte LP enthielt zwei Bluesnummern von Willie Dixon und den von Joan Baez bekanntgemachten Titel Baby I'm Gonna Leave You, der schon zu Beginn des Jahrzehnts von der kalifornischen Folksängerin Anne Bredon verfaßt worden war. Alle anderen Titel waren Eigenkompositionen und wiesen die typischen Elemente des Led Zeppelin-Sounds auf - balladenhafte Passagen zur akustischen Gitarre wurden von druckvollen Rockriffs abgelöst, die von stark akzentuierten Basslinien getragen und einem wuchtigen Schlagzeugeinsatz angetrieben wurden.

Insbesondere im Dixon-Titel You Shook Me wurde ein regelrechtes Feuerwerk an ausgefallenen Gitarrensounds abgebrannt, die das Luftschiff im Zusammenspiel mit Plants emotional weit ausholenden Gesangseskapaden durch einige emotionale Abgründe segeln ließen, bevor es so abrupt endete, wie auf dem Cover der LP anhand des Absturzes des Passagierzeppelins Hindenburg nach erfolgreicher Atlantiküberquerung in New Jersey an der Ostküste der USA 1937 ins Bild gesetzt. Das mit über 8 Minuten längste Stück des Albums How Many More Times war eine musikalische Verbeugung vor Howlin Wolf, der mit How Many More Years einen Bluestitel verfaßt hatte, dessen schroffer und roher Sound dem Rock 'n' Roll bereits 1951 Beine gemacht hatte.

Nicht zuletzt aufgrund des guten Rufes von Page und Jones als Profimusiker und des Vermächtnisses der Yardbirds war Led Zeppelin von der US-Plattenfirma Atlantic Records unter Vertrag genommen worden, ohne daß dort jemand die Gruppe zuvor live gesehen hatte. Die für damalige Verhältnisse äußerst lukrative Bezahlung und die große Freizügigkeit, die die legendäre, von Herb Abramson und Ahmet Ertegün gegründete Plattenfirma der britischen Band zugestand, zeigte, daß Led Zeppelin von Anfang an in einer anderen Klasse popmusikalischer Attraktionen unterwegs war. Weder gingen sie unter wie ein bleierner Zeppelin, so das Wortspiel im Namen der Band, noch mußten sie große Rückschläge in ihrer über die Jahre immer weiter anwachsenden Popularität hinnehmen.

Von der erste Langspielplatte wurden bereits mehrere Millionen Exemplare verkauft, und das Folgealbum Led Zeppelin II sollte sich sogar drei Jahre in den Charts halten. Allein 1968 absolvierte die Band vier Konzerttourneen durch die USA und vier durch das Vereinigte Königreich. Die damals sehr populären Iron Butterfly und Vanilla Fudge, mit denen sie auf der ersten US-Tour in einem Programm auftraten, verkamen angesichts des krachenden Proto-Hardrocks der vier Briten bald zum bedeutungslosen Beiprogramm. Hatten die Yardbirds in ihren besten Zeiten vor einem Publikum von 10.000 Personen gespielt, wobei sie nicht einmal über eine PA zur Beschallung großer Säle verfügten, sondern mit ihren Bühnenverstärkern auskamen, brachten es Led Zeppelin bald auf Zuhörerschaften von 50.000 und mehr Personen und einen Troß von mehreren Sattelschleppern, die ihre riesige Anlage von Auftritt zu Auftritt transportierten.

Dabei waren Led Zeppelin keineswegs versessen auf Publicity und zogen sich in den ersten Jahren, wo immer sie konnten, vor der Öffentlichkeit zurück. So dauerte es dreieinhalb Jahre, bis sie ihre erste Pressenotiz herausgaben, sie verteilten keine Fotos, hatten keinen Werbemanager, veröffentlichten keine Singles bis auf zwei, die die Plattenfirma gegen ihren Willen durchsetzte, und traten nicht im Fernsehen auf. Allerdings hatten sie derartige PR-Strategien auch nicht nötig. Led Zeppelin verkauften sich fast wie von selbst, obwohl nicht wenige KritikerInnen ihre unambitionierten Texte monierten, Probleme mit Plants sexistischem Geprotze hatten und Pages technische Perfektion als zu kalt und kalkuliert abtaten.

Selbst das damals in den Augen der Musikkritik nur mäßig gut bewertete Debütalbum wird heute aufgrund seines vitalen, in der Soloarbeit einfallsreichen und im Gesamteindruck ungeschliffenen Sounds in höchsten Tönen gelobt. Als Rockgitarrist ist Jimmy Page stets auf den ersten Plätzen der vielen die Popgeschichte sortierenden Rangfolgen anzutreffen, und auch kommerziell war Led Zeppelin mit einer Zahl von weltweit zwischen 200 und 300 Millionen verkauften Alben höchst erfolgreich. Stilistisch gilt die Band als frühe Begründerin des Heavy Metal, ein Genre, das sich bis heute vieler Millionen ergebener Fans erfreut.

Der demonstrative Habitus ausgesprochener Machos weist die vier Musiker heute als Fossile einer patriarchalen Musikkultur aus, die in ihrer bräsigen Bürgerlichkeit zu Recht als Teil einer Kulturindustrie verstanden wird, der im gesellschaftlichen Sinne nichts Progressives oder Emanzipatorisches nachzusagen ist. So stilprägend die langen Haare und bunten Klamotten der vier Rockidole für die Ikonografie der Rockmusk sind, so lächerlich wirken mitunter ihre Nachfahren, wenn sie mit ondulierter Lockenpracht, die nacktbehaarte Brust von Rüschen umsäumt und den Unterleib in enge Schlaghosen gepreßt Eindruck schinden und dabei den heterosexistischen Normalzustand mit maskuliner Aggressivität verteidigen. Musikalisch allerdings waren Led Zeppelin höchst innovativ und versiert, mithin verdiente Träger einer Kulturgeschichte des Pop, deren Frühzeit immer auch der Charme und die Unverbrauchtheit des Beginns anhaftet.

30. Januar 2019


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang