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BERICHT/035: Die Erde wappnet sich gegen Asteroiden (research*eu)


research*eu Nr. 57 - Juli 2008
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Die Erde wappnet sich gegen Asteroiden

Von Delphine d'Hoop


Nein, hierbei handelt es sich nicht um ein Science-Fiction-Drehbuch. Es ist vielmehr das Szenario für die Erde, die sich mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 29,79 km/s auf ihrer Umlaufbahn bewegt. Superhelden kommen nur im Film vor, die Bedrohung unseres Planeten durch ein Objekt aus dem Weltraum ist aber sehr reell. Um uns gegen diese zu wappnen, hat die Europäische Weltraumorganisation ESA die Mission Don Quijote ins Leben gerufen, die ein ganzes Schutzarsenal für den großen Tag testen soll...


99942 Apophis. Über diesen im Jahr 2004 entdeckten Meteoriten wurde in den Medien bereits viel berichtet, und auch die Forscher kamen ins Schwitzen, als sie die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes mit der Erde für das Jahr 2029 vorhersagten. Seitdem haben neue Beobachtungen die Gemüter wieder beruhigt, auch wenn dieses Objekt in einer Entfernung von 32.000 km, der kleinsten jemals aufgezeichneten Distanz, an uns vorüberfliegen wird. Auf seinem Weg müsste es auch die geosynchrone Umlaufbahn durchkreuzen, auf der die meisten Wetter- und Telekommunikationssatelliten fliegen.


"Ein großes und konkretes Risiko"

Die Bedrohung ist folglich reell. "Das Risiko, dass ein Asteroid die Umlaufbahn der Erde kreuzt, ist konkret", bestätigt Willy Benz, Astrophysiker an der Universität Bern und Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses der ESA. "Die sich daraus ableitenden Fragen betreffen die Häufigkeit von derartigen Begegnungen und die Größe des Objekts." Jeden Tag tritt Staub in die Atmosphäre ein, aber er löst sich durch die Luftreibung auf. "Also folgenlos. Das Gleiche gilt für Objekte mit einem Durchmesser von bis zu 50 cm, die sich alljährlich bei Eintritt in die Erdatmosphäre auflösen."(1)

Große Festkörper können jedoch riesige Schäden verursachen. Aber sie kommen sehr selten vor und wir hoffen, dass wir sie frühzeitig orten können. "Vergessen wir nicht, dass noch kein Zusammenstoß passiert ist, seitdem es Leben auf der Erde gibt, also seit rund 3,8 Milliarden Jahren. Wir könnten also glauben, dass das Leben an sich nicht in Gefahr ist."

Aber manche Individuen sind empfindlicher als andere. "Je höher entwickelt die Spezies, desto empfindlicher ist sie, und die Menschen sind wegen ihrer heutigen Abhängigkeit von Energie, Lebensmitteln und der Gesellschaft besonders bedroht." Einigen Berechnungen zufolge würde ein Asteroid mit 10 km Durchmesser ausreichen, um die Menschheit auszulöschen. Statistisch gesehen passiert eine solche Katastrophe ungefähr alle 100 Millionen Jahre.

Die letzte Katastrophe, an der ein Objekt ähnlicher Größe beteiligt war, ist zugleich auch der bekannteste Meteoriten-Einschlag - er soll zur Auslöschung der größten Dinosaurier vor 65 Millinnen Jahren geführt haben... Selbst ein kleinerer Einschlag, bei dem nur ein Teil unseres Planeten zerstört würde, könnte sich als ebenso katastrophal erweisen. Mit einer Größe von mehreren hundert Metern bedrohen die mittelgroßen Asteroiden das Leben auf der Erde. "Diese Objekte sind groß genug, um erheblichen Schaden anzurichten, und sie werden immer zahlreicher. Problematisch ist allerdings, dass sie dennoch zu klein sind, um leicht geortet zu werden." Hier ein Beispiel für die Veranschaulichung der Wahrscheinlichkeit: Ein Objekt mit einem Durchmesser von 200 m, das ein ganzes Land auslöschen könnte, kann uns alle 50.000 Jahre treffen; ein Objekt von 500 m Durchmesser, das einen ganzen Kontinent auslöschen könnte, würde unsere Umlaufbahn alle 200.000 Jahre durchkreuzen,


Beobachtung

Um uns schützen zu können, müssen wir diese Objekte zunächst einmal entdecken. Dieses Vorgehen ist im Vergleich zu aktiven Verteidigungsausgaben nur mit geringen Kosten verbunden, weil die Beobachtungen vom Erdboden aus erfolgen - selbst wenn man einen Satelliten einsetzen würde, um bestimmte von der Erde aus nicht feststellbare Objekte zu beobachten. Dazu gehören vor allem jene, die aus Richtung der Sonne kommen. Mithilfe von Programmen werden heutzutage Listen mit den gefährlichsten Objekten geführt. Die Liste der NASA mit dem Namen LINEAR (Lincoln Near Earth Asteroid Research) hat im vergangenen Jahrzehnt einen großen Beitrag zur Erweiterung des Wissens in der Himmelsbeobachtung geleistet.

Je eher man einen erdnahen Asteroiden vor dem möglichen Zusammenstoß entdeckt, desto mehr Zeit bleibt, sich zu schützen. Während man bereits jetzt weiß, dass Apophis sich 2029 in der Zielgeraden befinden wird, wurde der Asteroid 2002MN, der vor nicht allzu langer Zeit in einer Entfernung von 120.000 km an der Erde vorbeisauste, erst drei Tage nach dem Durchflug der Erdumlaufbahn entdeckt! Der Entfernungsrekord eines erdnahen Objekts liegt bei 105.000 km. Deshalb scheint es in diesem Bereich keine zuverlässige Lösung zu gehen. "Die Entdeckung hängt vor allem davon ab, inwiefern es uns gelingt, die Umlaufbahnen zu bestimmen. Diese entwickeln sich langfristig auf der Grundlage zahlreicher Parameter, die nur sehr schwer zu integrieren sind, wie zum Beispiel der Sonnenstrahlung."


Angriff ist die beste Verteidigung

"Die Vorlaufzeit bestimmt auch die Wahl der Verteidigung, weil uns eine große Palette an Mitteln zur Verfügung steht, um das Objekt von seiner Bahn abzulenken. Aber keines ist bisher getestet worden, d. h., dass derzeit alle nur als Konzept vorliegen." An diesem Punkt setzt das Programm Don Quijote an. Das Szenario sieht zwei Weltraumfahrzeuge vor. Wie bei der literarischen Vorlage des Don Quijote soll das Fahrzeug "Hidalgo" ein Objekt angreifen, das sehr viel größer als es selbst ist - allerdings mit der Hoffnung auf einen besseren Ausgang. Das zweite Fahrzeug "Sancho" soll, wie sein Namensvetter bei Cervantes, die Nachhut bilden. Es soll als Erstes an der Stelle des Zusammenstoßes eintreffen und sich in einer Umlaufbahn um den Asteroiden einrichten, um diesen vor, während und nach der Kollision mit "Hidalgo" zu beobachten. "Auf diese Weise hoffen wir, die Veränderung des Orbits - die Deflektion - sowie eine mögliche Veränderung des Rotationszustands des Asteroiden berechnen zu können. Das sind zwei bislang noch nicht getestete Maßnahmen."

"Dieses Unterfangen hat 2004 mit einem Ideenwettbewerb für die Industrie begonnen. Die Wahl des Expertenausschusses NEOMAP (Near Earth Objects Mission Advisory Panel) der ESA fiel auf das Projekt Don Quijote, das als Einziges eine Ablenkung testen konnte und damit über die Möglichkeiten einer einfachen Studie oder eines Erkundungsprojekts hinausging."

"Aber bis heute existiert die Mission nur auf dem Papier", erklärt Andrés Gálves, Vertreter des Advanced Concepts Teams der ESA, das die Mission im Detail untersucht. "Auch können wir im Moment noch nicht von einer Mission sprechen, eher von einer Studie. Das Konzept steht zwar, genauso wie die abschließenden Tests, aber wie so oft ist für die Umsetzung einer so langwierigen Arbeit viel Zeit erforderlich. Die Idee ist durchführbar und das Interesse besteht; jetzt warten wir darauf, dass sich auch der politische Wille herausbildet."

Bevor wir in den Weltraum fliegen, müssen auch wichtige technologische Herausforderungen geklärt werden. Denn das für die ersten Versuche ausgesuchte Ziel befindet sich sehr weit von der Erdumlaufbahn entfernt, um nicht die Gefahren zu schaffen, die man ja eigentlich zu vermeiden lernen möchte. Diese Entfernung schafft Probleme für die Manövrierbarkeit des Beobachtungsschiffes, weil die Übertragung von Befehlen von der Erde aus über diese Strecke zu langsam ist. Das Raumschiff muss folglich vollautomatisch mit hoher Geschwindigkeit auf ein kleines und dunkles Objekt zufliegen. Dazu gehören das Orten des Asteroiden, die Kurskorrektur des Schiffes und der Zusammenprall mit dem Asteroiden möglichst im Zentrum, um eine maximale Wirkung zu erzielen.

Diese lange und äußerst gründliche Vorbereitung könnte angesichts der Größe des Universums und seiner nicht vorhersehbaren Gefahren gering erscheinen. Aber das von Don Quijote getestete Schild könnte bereits 2029 wie angekündigt zum Einsatz kommen. Oder auch 2036, einem weiteren möglichen Zeitpunkt der Begegnung zwischen der Erde und Apophis. schaut man auf die Vorhersagen für die nächsten 100 Jahre, auch wenn sieh die Wahrscheinlichkeiten angesichts künftiger Beobachtungen zweifellos noch ändern werden.


Anmerkung
(1) Alle Zitate stammen - wenn nicht anders vermerkt - von Willy Benz.


Asteroiden, Kometen und Meteoriten

Im Grunde genommen ergibt sich die Unterscheidung zwischen Himmelskörpern nicht von selbst. Zur Erinnerung: Ein Asteroid ist ein Objekt, das sich auf einer Umlaufbahn um die Sonne bewegt. Seine Größe schwankt zwischen einem Meter und mehreren Kilometern. Ceres, der größte Asteroid, hat einen Durchmesser von 1000 km. Asteroiden, die hauptsächlich aus Steinen und/oder Metallen bestehen, stammen aus den inneren Regionen des Sonnensystems, zwischen den Umlaufbahnen des Mars und des Jupiters.

Kometen bestehen aus Eis und festen Elementen. Man kann sie sich als "schmutzigen Schneeball" vorstellen. Im Gegensatz zu den Asteroiden stammen sie aus der äußeren Region des Sonnensystems. Durch eine Störung wird ihre Bahn abgelenkt. Dann dringen sie in die internen Regionen ein und können von der Erde aus beobachtet werden.

Als Meteorit wird jedes Objekt bezeichnet, das in die Erdatmosphäre eintritt und auf dem Erdboden einschlägt.

Info
Don Quichotte
www.esa.int/SPECIALS/NEO/


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 34: Im Rahmen des in Vorbereitung befindlichen Programms Don Quijote, ortet das Raumschiff "Hidalgo" einen Asteroiden, mit dem es zusammenstoßen wird. Dieser Zusammenstoß soll vom Raumschiff "Sancho" aus beobachtet werden. Damit soll es möglich sein, Laufbahnveränderungen des Asteroiden zu berücksichtigen.

Abb. S. 35: Der in regelmäßigen Abständen sichtbare Komet Churyumov-Gerasimenko, der 1969 entdeckt wurde, trifft 2014 auf die Sonde Rosetta. Rosetta wurde im Jahr 2004 von der ESA auf die Reise geschickt. Nach zehn Jahren Flug durch das Weltall soll sie 18 Monate lang "ihren" Kometen untersuchen.


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Quelle:
research*eu Nr. 57 - Juni 2008, Seite 34 - 35
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Januar 2009