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GALAXIS/255: Die Archäologie der Milchstraße (MaxPlanckForschung)


MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftsmagazin der Max-Planck-Gesellschaft 3/2015

Die Archäologie der Milchstraße

von Thomas Bührke


Im Universum gibt es viele Milliarden Galaxien. Darunter ist nur eine, die wir Stern für Stern räumlich erforschen können: unsere Milchstraße. Sie lässt sich als "Modellorganismus" für die Entstehung und Entwicklung von Galaxien verstehen und ist damit ein zentrales Forschungsthema der Kosmologie, dem sich das Team um Hans-Walter Rix, Direktor am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg, widmet. Die Forscher haben jüngst Hinweise darauf gefunden, dass viele der bisherigen Vorstellungen überdacht werden müssen.


Ehe man das Institut auf dem Heidelberger Königstuhl betritt, erkennt man auf dem Boden mit Kreide gemalte Sechsecke, wie zu einer überdimensionalen Bienenhonigwabe zusammengefügt. Sie sind ein Überbleibsel vom letzten Tag der offenen Tür und symbolisieren Segmente des 39 Meter durchmessenden Hauptspiegels, der ab dem nächsten Jahrzehnt im European Extremely Large Telescope in Chile das Licht ferner Sterne und Galaxien sammeln soll. Astronomen des Instituts sind an der Entwicklung von zwei Kameras des zukünftig größten Teleskops der Erde beteiligt.

Bis es aber so weit ist, müssen die Himmelsforscher noch mit den derzeit verfügbaren Fernrohren vorliebnehmen. Und das muss nicht einmal ein Nachteil sein. Die vergangenen Jahre haben nämlich bewiesen, dass sich sogar mit verhältnismäßig kleinen Instrumenten Forschung von Weltrang betreiben lässt. Entscheidend ist dabei, dass die Astronomen mit ihnen den gesamten Himmel über Jahre hinweg unablässig kartieren.


Data Mining mit 800 Millionen Sternen

Dieser Datenschatz birgt mehr Informationen, als derzeit auswertbar sind. "In der jüngsten Vergangenheit hat sich die Menge und Qualität der Daten alle ein bis zwei Jahre verdoppelt", sagt denn auch Hans-Walter Rix. "Vor zehn Jahren hatten wir von etwa 8000 Sternen gute Spektren, heute sind es vier Millionen." Für eine Studie über die räumliche Staubverteilung in der Milchstraße analysierte ein internationales Team mit Heidelberger Beteiligung jetzt sogar die Messdaten von sage und schreibe 800 Millionen Sternen. Auch hier sind die Astronomen also in das Geschäft des Big Data Mining eingestiegen. Doch wozu das alles?

"Wenn man die Entwicklung von Galaxien wie der Milchstraße erforschen möchte, hat man zwei Möglichkeiten", sagt Rix. "Die eine besteht darin, Galaxien zu beobachten, die sich in unterschiedlichen Entfernungen von uns befinden." Wegen der Laufzeit des Lichts ist ein Blick in große Dis tanzen zugleich immer auch ein Blick in die Vergangenheit des Universums. Mittlerweile lassen sich Galaxien beobachten, die eine Milliarde Jahre nach dem Urknall entstanden sind.

Verschieden weit entfernte Sternsysteme befinden sich demnach in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Allerdings sieht man natürlich nie ein und dieselbe Galaxie zu verschiedenen Zeiten. Außerdem sind diese Milchstraßen so weit entfernt, dass man im Allgemeinen nur Aussagen über das Gesamtsystem treffen kann, weil sich einzelne Sterne nicht erkennen lassen.

Rix hat vor Jahren einen anderen Weg eingeschlagen. Er untersucht die Galaxie, die uns am nächsten ist: unsere Milchstraße. "Nur in unserer eigenen Heimatgalaxie sind wir in der Lage, die Eigenschaften individueller Sterne detailliert, in großer Zahl und in drei Dimensionen zu beobachten", sagt er. Das ist auch deshalb sinnvoll, weil die Milchstraße eine typische Vertreterin ihrer Art ist.

Etwa die Hälfte der Sterne im heutigen Universum befinden sich in Galaxien, die unserer Milchstraße hinsichtlich Größe, Masse und chemischer Zusammensetzung ähneln. "Sie ist so etwas wie der Rosettastein der Galaxienforschung", sagt der Max-Planck-Direktor. Doch wie lässt sich die Entwicklungsgeschichte unserer kosmischen Heimatinsel rekonstruieren, wenn wir sie doch nur im heutigen Zustand sehen?

Die Milchstraße ist ein dynamisches System: Sterne entstehen und vergehen, sie bewegen sich auf unterschiedlichen Bahnen um das galaktische Zentrum und besitzen verschiedene chemische Zusammensetzungen. Die Idee ist nun, die Eigenschaften möglichst vieler Sterne zu bestimmen und mithilfe von Computermodellen ihre Vergangenheit zu ermitteln.

Dieses Verfahren ähnelt demjenigen von Wissenschaftlern, die aus der Analyse von Genmaterial die Wanderbewegungen einer Bevölkerungsgruppe über Jahrtausende hinweg nachvollziehen wollen. Insider sprechen daher von galaktischer Archäologie. Und die kommt heute zu ganz neuen Erkenntnissen.


In der Galaxis steckt ein Massemonster

Die Milchstraße ist eine Spiralgalaxie mit einem Durchmesser von etwa 100 000 Lichtjahren. Sie wird in drei Bereiche eingeteilt. In der sehr flachen, nur etwa 2000 Lichtjahre dünnen Scheibe befinden sich rund 80 Prozent aller Sterne mit einer Gesamtmasse von etwa 50 Milliarden Sonnenmassen sowie Wolken aus Gas und Staub. Auch unsere Sonne - sie ist nur etwa 80 Lichtjahre von der Mittelebene entfernt - gehört zu dieser größten Population.

Etwa 15 Prozent der Sterne halten sich im zentralen Wulst, Bulge genannt, auf. Das ist ein kugelförmiger Bereich rund um das Zentrum mit einem Durchmesser von rund 16 000 Lichtjahren. Der Zentralkörper selbst ist unsichtbar. Sehr wahrscheinlich handelt es sich um ein rund vier Millionen Sonnenmassen schweres schwarzes Loch. Die restlichen fünf Prozent der Sterne bewegen sich weit ober- und unterhalb der Scheibe im sogenannten Halo um das Zentralgebiet.

Zum Lehrbuchwissen entwickelt hat sich zudem die Ansicht, die Scheibe besitze zwei Komponenten: eine dünne aus Sternen mit geringem Abstand von der Mittelebene der Galaxis und eine dickere. Letztere enthalte etwa zehn Prozent aller Sterne - davon alle alten Sterne - und erstrecke sich weiter in die Außenbereiche hinein.

Die Entstehung der dicken Scheibe blieb indes ein Rätsel. Die favorisierte Theorie ging davon aus, dass die Milchstraße vor langer Zeit mit einer anderen großen Galaxie zusammenstieß, wobei alle damals schon existierenden Sterne aufgewirbelt wurden und nachfolgend die dicke Scheibenkomponente bildeten. Alle Sterne, die nach diesem postulierten galaktischen Kataklysmus geboren wurden, befinden sich heute in derzeit

dünnen Scheibe. Dazu zählt auch unsere Sonne. Die neuen Messungen deuten nun aber darauf hin, dass die Existenz einer so klar definierten dicken Scheibe wohl eine Fehlinterpretation aufgrund sehr beschränkten Datenmaterials war.

Hans-Walter Rix und seine Kollegen hatten spektroskopische Daten des sogenannten Sloan Digital Sky Survey (SDSS) ausgewertet. Diese Himmelsdurchmusterung läuft an einem 2,5-Meter-Teleskop des Apache Point Observatory in New Mexico (USA), an dem das Heidelberger Max-Planck-Institut zu 25 Prozent beteiligt ist.

Die Spektren ermöglichten es, von knapp 15 000 Sternen die chemische Zusammensetzung zu bestimmen und in Populationen mit gleicher Häufigkeit zu gruppieren. Die messbaren Häufigkeiten von Elementen bilden einen lebenslangen Fingerabdruck an der Sternoberfläche und erlauben es - wie in der Archäologie -, das Alter der Sterne abzuschätzen.

Ein wesentliches Ergebnis des SDS-Surveys ist, dass sich eine strikte Unterteilung in die zwei Gruppen der dünnen und dicken Scheibe nicht erkennen lässt. Daher muss die alte Lehrmeinung eines Zusammenstoßes mit einer anderen großen Galaxie, der die dicke Scheibe erzeugt haben soll, wohl aufgegeben werden. Es scheint inzwischen am plausibelsten, dass Sterne in der turbulenten Frühphase der Galaxis einfach in einer weniger flachen Scheibe geboren wurden.

Doch auch nach etlichen Jahren werden Rix und seine Kollegen auf Tagungen für ihre neuen Erkenntnisse angegriffen: Viele Forscher werfen Lehrmeinungen eben nicht gern über Bord - insbesondere jene nicht, die sie selbst entwickelt haben ...

Der Datenschatz offenbarte jedoch noch weit mehr Erkenntnisse. Wesentlich hieran beteiligt ist Maria Bergemann, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München promoviert hat und seit Kurzem am Max-Planck-Institut für Astronomie die Arbeitsgruppe Stellare Spektroskopie und Populationen leitet. Bergemann konnte Sternalter bestimmen und zeigen, dass die Sterne mit zunehmendem Abstand vom Zentrum der Milchstraße immer jünger werden.

"Das unterstützt ein Szenario zur Entstehung der Milchstraße, wonach die Sternengeburt im Laufe der Jahrmilliarden von innen nach außen fortgeschritten ist", sagt die junge Forscherin. Galaxien wie die Milchstraße wachsen also, von einem alten Zentrum ausgehend, sukzessive nach außen - "ähnlich wie Städte", ergänzt Rix. Insofern hat die galaktische Archäologie also bereits viele Früchte getragen.


Wandern im Wechselspiel der Spiralarme

Allerdings wartet die Natur mit einer Tatsache auf, die den Forschern die Rekonstruktion der Vergangenheit erschwert: In allen Abstandsbereichen vom Zentrum der Milchstraße finden sich Sterne, die nicht den zu erwartenden Zusammenhang zwischen Alter und chemischer Häufigkeit aufweisen. "Dieser Befund lässt sich damit erklären, dass manche Sterne nicht auf ihrer angestammten Bahn um das Zentrum bleiben, sondern nach innen und außen wandern können", sagt Rix. Neue Computersimulationen stützen dieses Szenario zum Prozess der Sternmigration.

Die Milchstraße ist eine Spiralgalaxie, in der die Spiralen Verdichtungen von Gas und Sternen darstellen. Gerät ein Stern in die Nähe eines Spiralarms, so wird er von der stärkeren Schwerkraft angezogen und beschleunigt - ähnlich wie ein Surfer auf einer großen Wasserwelle. Nach einem schon von Johannes Kepler im 17. Jahrhundert entdeckten Gesetz hat dies notgedrungen zur Folge, dass der Stern sich gleichzeitig vom Zentrum der Milchstraße entfernt: Er gerät auf eine größere Umlaufbahn.

Nach einigen Hundert Millionen Jahren kann dieser Stern in den Einflussbereich eines anderen Spiralarms geraten und nun nochmals beschleunigt oder, wenn sich ihm der Arm von hinten nähert, abgebremst werden. Im Laufe von Jahrmilliarden wandert der Stern dadurch eben nicht auf einer schönen Kreisbahn ums Zentrum, sondern wechselt von einer Bahn zur anderen - und verwischt so seinen Ursprungsort.

"Wir wollen versuchen, diese Bahnstörungen zu rekonstruieren, indem wir Sterne an verschiedenen Orten in der Milchstraße suchen, die eine identische chemische Zusammensetzung aufweisen", erklärt Rix. Dann kann man nämlich davon ausgehen, dass sie in derselben Staubwolke entstanden und anschließend durch Einflüsse wie die Schwerkraft von Spiralarmen voneinander fortgedriftet sind.

Wie es aussieht, müssen die Astronomen wohl nicht nur ihre Vorstellungen von der Entwicklung der Milchstraße revidieren, sondern auch die von ihrer Entstehung. Hierfür muss man sich gedanklich an den Beginn des Universums begeben.


Dunkle Teilchen ohne elektrische Kräfte

Nach dem Urknall vor 13,8 Milliarden Jahren bildeten das überwiegend aus Wasserstoff und Helium bestehende Urgas einerseits sowie die Dunkle Materie andererseits einen ziemlich gleichmäßig verteilten Nebel. Zwar wissen die Forscher nach wie vor nicht, worum es sich bei der Dunklen Materie handelt; gegenwärtig deutet aber alles darauf hin, dass dahinter eine unbekannte Form von Elementarteilchen steckt, die sich derzeit ausschließlich über ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar macht. Insbesondere üben die Teilchen untereinander keine abstoßenden elektrischen Kräfte aus. Das war am Beginn des Universums entscheidend.

Die Schwerkraft versuchte nämlich, diese Materie zu großen Klumpen zu verdichten. Doch die Wasserstoff- und Helium-Atomkerne waren elektrisch geladen und stießen sich gegenseitig ab. Das verhinderte die Komprimierung des heißen Gases. Die Dunkle-Materie-Teilchen üben dagegen keine elektrischen Kräfte aus und ballten sich zu riesigen Wolken und langen Filamenten zusammen.

Mit ihrer Schwerkraft zogen sie die normalen Gasteilchen an. Die sammelten sich wie Murmeln in einer Mulde, und das Gas verdichtete sich zu den ersten Sternen und Galaxien. Ohne die Geburtshilfe der Dunklen Materie gäbe es vermutlich keine Galaxien und Sterne.

Nach klassischer Lehrmeinung entstanden die großen Galaxien wie unsere Milchstraße jedoch nicht in voller Größe. Vielmehr gab es zunächst viele kleine Sternansammlungen, die zusammenstießen, verschmolzen und langsam wuchsen. In diesem sogenannten hierarchischen Entstehungsszenario kann es große Galaxien erst in einer späteren Phase des Universums geben.

Doch in den vergangenen Jahren haben Astronomen immer mehr große Galaxien im jungen Universum gefunden. "Die Vorstellung, nach der kleine Galaxien die wichtigsten Bausteine der großen Galaxien gewesen sind, ist ein Mythos", sagt Rix. So etwa haben sich zwei Drittel aller Sterne der Milchstraße erst in den vergangenen sechs bis sieben Milliarden Jahren gebildet, können also nicht von frühen Verschmelzungen herrühren. Wahrscheinlich stammen nur etwa zehn Prozent der Sterne in der Milchstraße aus ehemals kleinen Bausteingalaxien. Entstanden ist die Milchstraße wohl fast "am Stück" in einer dieser Schwerkraftfallen der Dunklen Materie.

Computersimulationen, wie sie beispielsweise der Theoretiker Greg Stinson am Max-Planck-Institut für Astronomie rechnet, zeigen, dass Gas aus den Außenbereichen anfänglich in die Gravitationstöpfe der Dunklen Materie hineinströmt und sich in einer herumwirbelnden Scheibe sammelt. Die damalige Turbulenz hat sich bis heute nicht ganz gelegt und spiegelt sich in der dicken Scheibe wider, die damit eine einfache Erklärung findet.

Das bedeutet jedoch nicht, dass das Verschlucken von kleinen Galaxien in der Entwicklung der Milchstraße gar keine Rolle gespielt hat. Im Gegenteil: Diese Vorgänge lassen sich bis heute erkennen.

Vor gut zehn Jahren erforschten Heidelberger Astronomen einen kleinen, 75 000 Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen namens Palomar 5. Sie entdeckten, dass er die Milchstraße umkreist und dabei immer wieder deren Scheibe durchquert. Dabei wurden Sterne aus ihm herausgerissen, die sich heute in zwei etwa 15 000 Lichtjahre langen Schweifen, auch Sternströme genannt, befinden. Computermodelle sagen vorher, dass Palomar 5 in 100 Millionen Jahren erneut in die Milchstraße eintauchen und sich vermutlich vollständig auflösen wird.

Solche Sternströme zu finden ist äußerst schwierig. Denn auf den ersten Blick unterscheiden sich deren Mitglieder nicht von den anderen Sternen in der Milchstraße. Man findet sie nur, indem man von möglichst vielen Sternen die chemische Zusammensetzung und vor allem die räumliche Bewegung ermittelt. Dann machen sich die abgestreiften Überbleibsel der ehemaligen Begleitgalaxie bemerkbar, ähnlich wie ein Fischschwarm im Meer. Auffindbar werden sie nur in den Daten der modernen Himmelsdurchmusterungen.

Derzeit kennen die Wissenschaftler etwa ein halbes Dutzend Sternströme. Jüngste Mitglieder sind der Ophiuchus-Strom, benannt nach dem Sternbild Schlangenträger, in welchem er entdeckt wurde, und der Sagittarius-Strom im Sternbild Schütze. Letzterer bildet den Schweif einer Zwerggalaxie, welche die Milchstraße auf einer Bahn umkreist, die nahezu senkrecht auf der Mittelebene steht.

Diesen Sternenstrom konnten die Max-Planck-Astronomen jüngst in bisher unerreichtem Detail mit ihrer Pan-STARRS-Himmelsdurchmusterung aufzeichnen. PanSTARRS läuft seit fünf Jahren auf dem hawaiianischen Berg Haleakalā. Ein 1,8-Meter-Teleskop, bestückt mit der weltgrößten Digitalkamera von 1,4 Milliarden Pixel, nimmt alle vier Monate drei Viertel der von Hawaii aus sichtbaren Himmelssphäre auf.

Solche Analysen ermöglichen es einerseits, das Verschmelzen und dessen Auswirkungen auf die Milchstraße im Detail zu studieren. Es gibt jedoch einen zweiten Aspekt, der die Sternströme für Kosmologen interessant macht: Ihre Mitglieder bewegen sich auf weiten Bahnen außerhalb der Milchstraße durch deren Halo und unterliegen dort auch der von der Dunklen Materie ausgeübten Schwerkraft.

Mithilfe von Computersimulationen lässt sich aus der Bewegung der Sterne die Verteilung dieser unsichtbaren Masse errechnen. "Wenn wir dies für mehrere Sternströme machen, die unterschiedliche Bahnen beschreiben, können wir sogar die räumliche Verteilung der Dunklen Materie ermitteln", sagt Hans-Walter Rix.

In diese zukunftsweisende Forschung ist das Team um Rix durch die Beteiligung an der PanSTARRS-Himmelsdurchmusterung bestens eingebunden. Einen riesigen Sprung erhoffen sich die Astronomen zudem von den Daten des Ende 2013 gestarteten Weltraumteleskops Gaia der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Gaia erfasst derzeit die Positionen, Bewegungen, Helligkeiten und Farben von einer Milliarde Gestirnen in der Milchstraße. Max-Planck-Astronomen kümmern sich um die Klassifikation der Sterne. In ein bis zwei Jahren werden sie die ersten Datensätze der Mission analysieren können. "Wir erhoffen uns davon die Entdeckung von fünf bis zehn neuen Sternströmen", sagt Rix. Und wer weiß, was dieser Datenschatz noch an Überraschungen birgt.


Auf den Punkt gebracht

• Unsere Milchstraße dient den Astronomen um Hans-Walter Rix als eine Art Rosettastein, anhand dessen sie die Entwicklung von Galaxien studieren.

• Indem sie die Eigenschaften von möglichst vielen Sternen bestimmen und Computermodelle einsetzen, erschließen Forscher die Vergangenheit der Galaxis.

• Die Lehrbuchmeinung, wonach sich die Sterne der Galaxis auf eine dünne und eine dicke Scheibe verteilen, ist nicht länger zu halten. Ebenso aufgegeben werden muss wohl die Theorie, die besagt, dass unsere Milchstraße einst mit einer anderen großen Galaxie zusammengestoßen ist, wodurch die beobachtete dicke Scheibe entstanden sei.

• Als Mythos entlarvt das Team um Rix auch den Glauben, dass große Galaxien durch Kollisionen mit vielen kleinen Sternansammlungen allmählich heranwuchsen. So etwa haben sich zwei Drittel aller Sterne der Milchstraße erst in den vergangenen sechs bis sieben Milliarden Jahren gebildet, können also nicht von frühen Verschmelzungen herrühren.


Glossar

European Extremely Large Telescope: Dieses Projekt der Europäischen Südsternwarte (ESO) entsteht derzeit auf dem etwa 3000 Meter hohen Berg Cerro Armazones in den chilenischen Anden. Das E-ELT soll einen aus 798 sechseckigen Elementen aufgebauten Hauptspiegel mit 39 Metern Durchmesser besitzen und wird bei seiner für das Jahr 2024 geplanten Fertigstellung das größte Teleskop der Erde sein.

Sloan Digital Sky Survey: Der SDSS ist eine Durchmusterung, die ein Viertel des Firmaments erfassen soll. Ziel ist es, mehr als 100 Millionen Himmelsobjekte bei fünf Wellenlängen hinsichtlich ihrer Positionen und Helligkeiten aufzuzeichnen. Zudem sollen einzelne Objekte spektroskopiert werden.


Der Artikel kann mit Abbildungen im PDF-Format heruntergeladen werden unter:
http://www.mpg.de/9688310/W003_Physik_Astronomie_054-061.pdf

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Quelle:
MaxPlanckForschung - Das Wissenschaftmagazin der Max-Planck-Gesellschaft
Ausgabe 3/2015, Seite 54-61
Herausgeber: Wissenschafts- und Unternehmenskommunikation der
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2016

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