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GESCHICHTE/066: Die Ursprünge des Teleskops (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 1/09 - Januar 2009
Zeitschrift für Astronomie

Welt der Wissenschaft: Galilei-Serie, Teil 3
Die Ursprünge des Teleskops
Von der Lesebrille bis zum astronomischen Fernrohr

Von Sven Dupré


Die Grundlagen der geometrischen Optik waren bereits in der Antike bekannt, und ein breites Spektrum der Anwendungen hatte sich früh entfaltet: Die ersten Lesebrillen erschienen im 13. Jahrhundert in Italien. Aber erst mehr als dreihundert Jahre später kam es unaufhaltsam zur Erfindung des Teleskops - warum hat es so lange gedauert?


In Kürze

Der Traum von einem bildvergrößernden optischen Gerät war bereits Jahrhunderte alt, als Anfang des 17. Jahrhunderts Hans Lipperhey aus Middelburg für sein Teleskop vergeblich ein Patent beantragte.
Das liegt vermutlich daran, dass zu jenem Zeitpunkt Brillengläser für Kurz- und Weitsichtige eine gute Qualität und einen hohen Verbreitungsgrad erreicht hatten. Damit konnte vielerorts erfolgreich experimentiert werden.
Ein theoretisches Verständnis der teleskopischen Optik stellte sich erst mit der experimentellen Weiterentwicklung der Fernrohre ein.

Am 25. September 1608 reiste der Brillenmacher Hans Lipperhey vom niederländischen Middelburg nach Den Haag, um ein Patent für »ein bestimmtes Instrument zum Weitsehen« anzumelden. (Das Wort Teleskop wurde erst nach Galileis Himmelsbeobachtungen auf einer Sitzung der Accademia dei Lincei in Rom geprägt.) Lipperhey durfte seine Erfindung dem Oberbefehlshaber der holländischen Truppen, Prinz Maurits, sowie den Räten der Provinzen in der damals im Entstehen begriffenen Republik Holland vorführen. Am 2. Oktober diskutierte der Generalstaat über Lipperheys Patentanmeldung und forderte ihn daraufhin auf, ein verbessertes »Spionageglas« anzufertigen, für das er Bergkristall anstelle von Glas verwenden sollte. Vielleicht ist dies ein Hinweis auf eine schlechte Qualität der Linsen. Außerdem sollte er ein Binokular bauen. Man gab ihm 300 Gulden und versprach noch mehr Geld, wenn er ein Instrument liefern könne, das den Ansprüchen des Generalstaats genügen würde. Das Patent verlieh man ihm jedoch nicht.

Der Grund für diese Ablehnung lag darin, dass innerhalb von drei Wochen zwei andere Männer auftraten und die Erfindung des Teleskops für sich in Anspruch nahmen: Zum einen führte Sacharias Jansen, der vermutlich ein Nachbar von Lipperhey in Middelburg war, dem Generalstaat sein Spionageglas vor; zum anderen beantragte Jacob Metius aus Alkmaar in einem Brief an den Generalstaat das Patent für ein Teleskop, das er nach seinen eigenen Worten in den zwei Jahren zuvor nach intensivem Experimentieren mit Linsen erfunden hatte. Dem Generalstaat wurde sofort klar, dass es unmöglich sein würde, diese Erfindung geheim zu halten, und dass ein solches Instrument sehr einfach zu kopieren sei. Ja, vielleicht kursierten sogar bereits andere Instrumente. Grund genug also für den Generalstaat, Lipperhey das Patent zu verweigern.

Archivstudien haben zu der Überzeugung geführt, dass Zacharias Jansens Prioritätsansprüche, die in jüngster Zeit immer noch Unterstützer gefunden haben, die Folge von Nationalismus und Lokalstolz im 19. Jahrhundert sind. Janssen wurde irrtümlich als in Middelburg gebürtig angesehen, einer Stadt in der Provinz Zeeland, in die der aus Wesel im heutigen Nordrhein-Westfalen stammende Lipperhey 1594 ausgewandert war. Jedenfalls ist das Empfehlungsschreiben der Generalstaaten, das Lipperhey bei seiner Demonstration am 25. September 1608 in Den Haag bei sich trug, der erste dokumentierte Beleg für die Existenz eines holländischen Fernrohrs. Aber macht das Lipperhey zum wirklichen Erfinder?

Wir wissen die Antwort auf diese Frage nicht und werden sie vielleicht nie erfahren. Diese Frage wurde im frühen 17. Jahrhundert ohnehin von den Bewerbern, die mit den damaligen Vorstellungen von Patenten und Privilegien vertraut waren, ganz anders aufgefasst als heute. Die Priorität ist zudem kaum der interessanteste Aspekt dieser Geschichte. Viel interessanter ist die Frage nach den theoretischen und praktischen Wissensquellen, die zur Geburt dieses Instruments führten.

Die Idee des Teleskops kam nicht im frühen 17. Jahrhundert in Middelburg auf. Schon im 13. Jahrhundert träumte der englische Philosoph Roger Bacon von einem teleskopischen Instrument, in dem »ein Kind wie ein Riese erscheint und ein Mann wie ein Berg«. Ein solches Instrument wäre nach Bacons Ansicht höchst praktisch, um eine heranziehende Armee beobachten zu können. Der erhoffte militärische Nutzen stand bereits im Mittelpunkt der weit verbreiteten Legende des Leuchtturms Pharos im alten Alexandria. An dessen Spitze soll König Ptolemaios angeblich einen Hohlspiegel montiert haben lassen, »um damit feindliche Schiffe sehen zu können, die das Land erobern und ausplündern wollen«. Das erzählte zumindest der Neapolitaner Giovanni Battista Della Porta (um 1535 - 1615) in seinem Buch »Magia Naturalis« (1589). Interessanterweise wurden in diesen Geschichten die teleskopischen Eigenschaften Hohlspiegeln zugeschrieben, nicht Linsen. Die Pharos-Legende ist vielleicht die bekannteste Verkörperung der teleskopischen Katoptrik, also jener Optik, die auf der Reflexion von Licht beruht. Schon lange vor ihrer Übersetzung ins Lateinische im Jahre 1575 gab es verschiedene mittelalterliche Versionen eines solchen Instruments. Dagegen bestanden die von Lipperhey und Metius vergeblich zum Patent angemeldeten Fernrohre (von der Art des im obigen Bild Gezeigten - siehe Bildunterschrift 1) aus einer Konvex- und einer Konkavlinse.

Wenn die teleskopische Vergrößerung ein uralter Traum der Menschheit war, was verhinderte dann für so lange Zeit seine Verwirklichung? Warum beantragte erst im September 1608 ein Brillenmacher aus Middelburg ein Patent für ein Fernrohr?

Wir können diese Verzögerung, wenn man so sagen darf, nicht gänzlich der Erwartung zuschreiben, dass ein Fernrohr mit Spiegeln funktionieren müsse. Diese Annahme könnte die Verbreitung des holländischen Linsenfernrohrs verzögert haben, und wahrscheinlich war es auch so. Aber, wie wir später noch sehen werden, hielt sie Mathematiker nicht davon ab, ein Instrument zu konstruieren, das zumindest im Prinzip eine Vergrößerung ermöglichte. Was aber waren dann die konzeptionellen und technischen Hindernisse bei der Entwicklung des Fernrohrs?

Die Antwort auf diese scheinbar einfache Frage ist komplex, vielleicht ist sie sogar zu komplex, um von der heutigen Geschichtsforschung angemessen beantwortet werden zu können. Es ist jedoch möglich, einige entscheidende Entwicklungen in der Theorie der Optik und im Handwerk der Linsenherstellung insbesondere während der zwei Jahrhunderte vor 1608 zu benennen.


Die »perspektivistische« Tradition

Im frühen 17. Jahrhundert war die Optik eine etablierte mathematische Disziplin, deren Tradition bis in die Antike zurückreichte. Die grundlegenden Werke stammen von Euklid (4. Jahrhundert v. Chr.) und von Claudius Ptolemäus (1. Jahrhundert n. Chr.). In der Antike bestand das Hauptanliegen der Optik darin, unsere Wahrnehmung der Welt zu erklären. Euklids Werk »Optik« war auf das Problem der direkten Wahrnehmung beschränkt. Ptolemäus behandelte zudem in einigen Kapiteln seiner »Optik« die Katoptrik (Reflexion an spiegelähnlichen Flächen) und die Dioptrik (Brechung an einer Fläche zwischen zwei transparenten Medien). Im Bereich der Reflexion bringt man das Gesetz gleicher Einfalls- und Ausfallswinkel mit Heron von Alexandria (1. Jahrhundert n. Chr.) in Verbindung. Ptolemäus maß außerdem die Brechung in unterschiedlichen Medien und erstellte Tafeln, in denen er Einfallswinkel mit Brechungswinkeln in Verbindung brachte.

Reflexions- und Brechungsgesetz gehen vermutlich auf Heron von Alexandria (1. Jahrhundert n. Chr.) zurück.

Das wohl bedeutendste Werk der vorklassischen Optik namens Kitab al-Manazir verfasste im 11. Jahrhundert der islamische Mathematiker Ibn al-Haytham, der später im Westen unter dem latinisierten Namen Alhazen bekannt wurde. Die lateinische Übersetzung von Ibn al-Haythams Werk wurde im Westen rasch zur Grundlage, auf der sich die perspektivistische Optik im 13. Jahrhundert etablierte. Im Mittelalter war die Optik als »Perspectiva« bekannt, weswegen Historiker häufig von der »perspektivistischen Tradition« sprechen. Der perspektivistische Kanon bestand aus den Werken von Roger Bacon (1214 - 1294), der »Perspectiva Communis« von John Peckham (1230 - 1292) und der »Perspectiva« von Witelo, einem polnischen Gelehrten aus jener Zeit.

Man muss sich hierbei vor Augen halten, dass im Gegensatz zur modernen geometrischen Optik das ursprüngliche Anliegen der Perspektivisten darin bestand, das Sehen und die visuelle Wahrnehmung zu verstehen. Vor diesem Hintergrund waren die Perspektivisten bei ihrer Diskussion über Reflexion und Brechung nur an der Wahrnehmung von Bildern in Spiegeln und Glaskugeln interessiert. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Vorgänge bei der Reflexion von Licht in Spiegeln oder bei der Brechung in Glaskugeln und Linsen, die ab dem späten 13. Jahrhundert als Brillen zum Einsatz kamen, völlig ignoriert wurden. Es gab in der Tat eine lange und ausufernde Tradition im Studium sphärischer und parabolischer Brennspiegel (siehe Bildunterschrift 2), die bis in die Antike zurückreicht. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts verlief die Untersuchung von Brennspiegeln und die Festlegung von deren Brennpunkt überraschenderweise völlig unabhängig von derjenigen des Auftretens der Bilder in Spiegeln und Glaskugeln.

Im Laufe des 16. Jahrhunderts wurden die Texte der Perspektivisten weitgehend in gedruckter Form zugänglich. So veröffentlichten beispielsweise Georg Tannstetter und Petrus Apianus die erste gedruckte Ausgabe von Witelos »Perspectiva« (Bildunterschrift 3). Im Jahre 1572 druckte Frederic Risner eine Ausgabe von Ibn al-Haythams und Witelos Werken in einem Buch. So konnten Querverweise zwischen den beiden Werken eingefügt werden.

In dieser Zeit lebte auch das Interesse an den optischen Arbeiten aus der Antike wieder auf. Als erste planten Johannes Regiomontanus und später Georg Hartmann eine Ausgabe der »Optik« von Ptolemäus. Das Vorhaben scheiterte allerdings an der Komplexität des nur in fragmentarischen Manuskripten vorliegenden Werks. Im Jahre 1542 gelang es Hartmann jedoch, Peckhams »Perspectiva Communis« herauszugeben. Diese Ausgabe wurde zur Grundlage für alle folgenden. Die Einführung der linearen Perspektive in die Malerei erneuerte das Interesse an Euklids »Optik«: Im Jahre 1557 veröffentlichte Jean Pena eine sehr einflussreiche Ausgabe dieses Werks zusammen mit der pseudo-euklidischen »Katoptrik«. Um die Mitte des 17. Jahrhunderts war die Optik nicht nur Bestandteil der universitären Lehrpläne - auch außerhalb der Universitäten, insbesondere in Italien, waren die kanonischen Texte der perspektivistischen Tradition allgemein zugänglich geworden.

Mitte des 16. Jahrhunderts rangen Mathematiker, die sich mit der Entwicklung optischer Instrumente beschäftigten, mit einer einheitlichen Darstellung der Eigenschaften von Spiegeln, Linsen und der »Camera obscura«. Einige waren mit der perspektivistischen Tradition sehr vertraut. Ihre Versuche, die optischen Gegenstände zu verstehen, ebneten den Weg für begriffliche Innovationen - und Konfusionen. Eine dieser begrifflichen Innovationen war die Beschreibung eines teleskopischen Instruments schon 1580. Die Konstruktion erwies sich jedoch sofort als Sackgasse, weil sie die Grenzen der damaligen Linsenherstellung nicht beachtete. Verbesserungen in der Technik des Linsenschleifens ermöglichten schließlich die Erfindung des holländischen, so genannten Galileischen Fernrohrs.


Praktische Kenntnis von Spiegeln und Linsen im 16. Jahrhundert

Mitte des 16. Jahrhunderts kam es in Italien zur Einführung neuer optischer Begriffe durch Mathematiker und Naturmagier. Sie waren in der perspektivistischen Tradition sehr bewandert, aber auch am Entwurf von Konkavspiegeln interessiert. Der für seine Spiegel berühmte venezianische Arzt und Mathematiker Ettore Ausonio (c. 1520 - c. 1570) unternahm als erster den Versuch, das Problem der Lokalisierung des Brennpunkts einerseits und der wahrnehmbaren Bilder in einem Konkavspiegel andererseits in einem Konzept zu vereinen. Diese beiden Phänomene waren, wie gesagt, zuvor völlig getrennt behandelt worden.

Kurz nachdem Della Porta 1558 die erste Ausgabe der »Magia Naturalis« herausgegeben hatte, schrieb und zeichnete Ausonio eine »Theorica Speculi Concavi Sphaerici«. Im Jahre 1602 publizierte der in Bologna lebende Astronom Giovanni Antonio Magini dieses Werk in veränderter Form. Ausonios Manuskript kursierte (ohne Maginis Änderungen) im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Wir haben heute davon Kenntnis in Form einer handgeschriebenen Kopie Galileis. In seiner »Theorica« führte Ausonio ein Konzept ein, das später in Della Portas »De Refractione « (1591) als »punctum inversionis« bekannt wurde. Ausonio identifizierte den Ort des Brennpunkts eines konkaven Spiegels mit dem »Inversionspunkt«. Das ist der Ort, in dem sich die Orientierung des Bildes umkehrt. Außerdem argumentiert Ausonio, dass das Auge an diesem Punkt ein maximal vergrößertes und maximal verschwommenes Bild wahrnimmt. Dies wird noch einmal wichtig werden, wenn wir auf die Vergrößerung von Teleskopen zu sprechen kommen. Fürs erste halten wir fest, dass die Einführung des »punctum inversionis« der erste Versuch war, die Untersuchung von Brennspiegeln und der Bildwahrnehmung in Spiegeln im Rahmen der perspektivistischen Tradition zu vereinen.

Nach der Erfindung von Augengläsern mit konvexen Linsen zur Korrektur der Weitsichtigkeit im späten 13. Jahrhundert wurde die Untersuchung von Linsen keineswegs ignoriert. Aber die Bilder, die man durch eine Brille wahrnahm, wurden unabhängig von den lichtsammelnden »Brenneigenschaften« der Konvexlinsen diskutiert. In einem Manuskript aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, das dem Arzt und Mathematiker Giovanni Fontana zugeschrieben wird, wurden Augengläser nach denselben Grundsätzen erklärt, mit denen Ptolemäus die Vergrößerung von Objekten unter Wasser beschrieben hatte (Bildunterschrift 4). Nach diesem Buch unterrichtete noch Ostilio Ricci, zu dessen Schülern Galilei gehörte. Della Portas Verdienst war es, das Konzept des »punctum inversionis « aus den Studien der konkaven auf die konvexen Linsen zu übertragen. In seinem Werk »De Refractione« (1591) identifizierte er den Brennpunkt mit dem Inversionspunkt einer konvexen Linse. Er fand zudem heraus, dass dies der Punkt ist, in dem das durch die Linse betrachtete Bild maximal vergrößert erscheint.

Das Konzept des »punctum inversionis « verletzte die Grenzen der optischen Erkenntnis im Rahmen der perspektivistischen Tradition. Es sollte als »praktisches optisches Wissen« angesehen werden, denn zum einen führten es Mathematiker und Naturmagier ein, die sich für das Entwerfen von Spiegeln interessierten, und zum anderen basierte es auf empirischer Vertrautheit mit den Brenn- und Abbildungseigenschaften konkaver Spiegel. Es war darüber hinaus sogar möglich, das Konzept des »punctum inversionis« mit den Brenn- und Abbildungseigenschaften konkaver Spiegel und konvexer Linsen zu kombinieren, ohne mit der perspektivistischen Tradition von Ausonio und Della Porta vertraut sein zu müssen. Es ist wichtig, dieses praktische Wissen von dem Materialwissen der Linsenmacher zu unterscheiden. Während das praktische optische Wissen das perspektivistische Wissen der optischen Theorie veränderte, führte das Materialwissen der Linsenherstellung zur Erfindung des holländischen Fernrohrs im frühen 17. Jahrhundert.


Bilder in einer »Camera obscura«

Es war empirisch bekannt, dass Brenn- und Inversionspunkt eines konkaven Spiegels und einer konvexen Linse ein und dasselbe waren. Der perspektivistischen Tradition war dies hingegen fremd, bis Ausonio und Della Porta den »punctum inversionis« einführten. In ähnlicher Hinsicht war das projizierte Bild im Innern einer »camera obscura« empirisch bekannt (siehe Bildunterschrift 5), der perspektivistischen Tradition aber begrifflich fremd. Die Tradition der perspektivistischen Optik interessierte sich ausschließlich für die Wahrnehmung von Bildern. Deshalb war es ganz natürlich, dass projizierte Bilder in der perspektivistischen Tradition keinen begrifflichen Platz hatten.

Im 15. und 16. Jahrhundert verglichen Mathematiker und Naturmagier manchmal empirisch erzeugte projizierte Bilder mit den Bildern in dem geometrischen (nicht physikalischen) Punkt außerhalb eines konvexen oder konkaven Spiegels (Bildunterschrift 6). Letzteres folgte aus einer korrekten Anwendung einer geometrischen Konstruktion, um Bilder zu lokalisieren, wie sie in der perspektivistischen Tradition der Optik verwendet wurde. Dieser Vergleich führte dazu, dass Mathematiker und Naturmagier auf dem Papier angeblich experimentell Bilder erzeugten, die auf seltsame Weise in der Luft schwebten. Ein schönes Beispiel dieser begrifflichen Konfusion findet sich in dem Manuskript »Bellicorum instrumentorum liber« von Giovanni Fontana, dem mutmaßlichen Autor von »Della prospettiva«. Fontana zeichnete eine Art magische Laterne, die angeblich das Bild eines Dämonen in die Luft projizierte, um angreifende Feinde abzuschrecken (Bildunterschrift 7).

Es war Johannes Keplers Verdienst, dieses begriffliche Durcheinander anhand eines Experiments zu klären, das er in der Dresdener Kunstkammer sah. Sein Erfolg bei der begrifflichen Integration projizierter Bilder war Teil seiner Lösung des Puzzles, das ihn zu seiner neuen Theorie der Wahrnehmung führte. Er veröffentlichte sie 1604 in seinem Buch »Paralipomena«, das noch heute die Grundlage unseres Verständnisses dieser Probleme bildet.

Es war kein Zufall, dass Keplers Experiment in der Kunstkammer stattfand: Im 16. Jahrhundert wurden die von optischen Geräten projizierten Bilder häufig Besuchern fürstlicher Sammlungen gezeigt. Keplers begriffliche Integration von projizierten Bildern in einer Camera obscura bildete zwar die Grundlage für eine neue, frühmoderne Ära in der Geschichte der Optik. Aber es waren Änderungen an diesem Instrument, die man vornahm, um Gönner und Besucher zu beeindrucken oder Maler bei der Herstellung topografischer Bilder zu unterstützen, die den Weg für Versuche zur Vergrößerung von Fernrohren ebneten.

In dem Buch »La Pratica della Perspettiva« (1563) beschreibt Daniele Barbaro die Effekte einer Konvexlinse in der Apertur einer Camera obscura. Er rät seinen Lesern, die besten Linsen zu wählen, und »wenn Sie wollen, dann decken Sie die Linse so weit ab, dass in der Mitte ein kleiner Umkreis frei bleibt, und wenn dieser Teil nicht abgedeckt ist, werden Sie einen noch lebhafteren Effekt sehen«. Barbaro beschreibt damit die Verwendung eines Diaphragmas. Diese Ringblende war ein wichtiges Konstruktionselement früher Teleskope, wie wir später noch sehen werden.

In der italienischen Übersetzung von Euklid »La Prospettiva« (1573) zeigt der Mathematiker Egnazio Danti, wie ein ebener Spiegel im Innern einer Camera obscura ein Bild wieder umkehren kann. In dieser Hinsicht am tüchtigsten aber war Della Porta, der in seinem Buch »Magia naturalis « (1589) mehrere Kombinationen von Linsen und Spiegeln beschrieb. Eine von Della Portas camerae obscurae bestand aus der Kombination einer Konvexlinse (in der Apertur) und eines konkaven Spiegels. Eines bemerkte Della Porta indes nicht: Seine Camera obscura war in Wirklichkeit ein Fernrohr.


Praktisches optisches Wissen und William Bournes Erfindung

Im Jahre 1571 schrieb der englische Mathematiker Thomas Digges die Erfindung des Fernrohrs seinem Vater Leonard zu. In seiner Ausgabe der »Pantometria« von seinem Vater Leonard Digges (1571) schrieb Thomas, dass sein Vater »bei seinen unablässig schmerzvollen Praktiken, begleitet von mathematischen Demonstrationen, nicht nur in der Lage war, aus bequemer Lage diverse Male mit Proportionalgläsern weit entfernte Dinge zu entdecken, Briefe zu lesen und Geldstücke zu zählen, sondern auch zu erkennen, was sich auf sieben Meilen entfernten privaten Plätzen zutrug.«

Diese Schilderung unterscheidet sich kaum von anderen legendären Geschichten über teleskopische Instrumente aus dieser Zeit. Aber 20 Jahre später trat der englische Mathematiker William Bourne mit einer unvergleichlich genaueren Beschreibung eines teleskopischen Instruments auf, das sich wahrscheinlich von dem Gerät unterschied, was Digges seinem Vater zuschrieb.

In einem Brief an Lord Burghley, um 1579/80 Staatssekretär und Lordschatzmeister von Königin Elisabeth I, schlug Bourne ein Teleskop vor, das dieselbe Kombination aus einer Konvexlinse und einem konkaven Spiegel enthielt, wie Della Portas camera obscura. In Bournes Entwurf läuft das Licht erst durch die Linse und wird anschließend von dem Spiegel reflektiert. Der Beobachter schaute in den Spiegel, während er die Linse im Rücken hatte. Der Spiegel musste relativ zur Linse leicht gekippt werden, damit der Kopf des Beobachters nicht das von der Linse kommende Licht abschattete (siehe Bildunterschrift 8).

Bourne argumentierte, dass die Konvexlinse und der Hohlspiegel so weit voneinander entfernt sein müssen, »dass jedes Glas seinen größten Strahl erzeugt.« Interessanterweise beschrieb Bourne die Eigenschaften von Linse und Spiegel mit Begriffen wie Brennstrahlen und Perspektivstrahlen. Der Brennstrahl zeigte den Brennpunkt an, während der Perspektivstrahl jenen Ort angab, in dem das Bild am größten war, wenn es die gesamte Linsenoberfläche ausfüllte. Dies geschah nahe am Brennpunkt, wie Bourne seinem potenziellen Förderer erklärte. Bourne beschrieb also die Eigenschaften der Konvexlinse und des konkaven Spiegels mit Begriffen, welche die Brenn- und Abbildungseigenschaften von Spiegeln und Linsen kombinierte. Anders gesagt: Er beschrieb sie mit Worten, die wir mit Ausonios und Della Portas punctum inversionis assoziieren. Und das, obwohl Bourne mit der optischen Theorie der perspektivistischen Tradition kaum oder gar nicht vertraut war.

Bournes Konzept der Vergrößerung ist höchst bedeutsam in Hinblick auf seine Abhängigkeit von einem praktischen optischen Wissen. In seinem Brief an Lord Burghley schlägt er vor, die Konvexlinse müsse »sehr groß sein, ungefähr einen Fuß oder 14 bis 16 Zoll breit«, also 30 bis 40 Zentimeter. Warum bestand Bourne auf einer so großen Linse, zumal kleinere Linsen genauso stark vergrößern? Basierend auf seinem praktischen optischen Wissen erschien es Bourne klar, dass das vergrößerte Bild die komplette Oberfläche der Linse ausfüllte, wenn sich das Auge im Brenn- oder Inversionspunkt befand. Es war deshalb durchaus vernünftig anzunehmen, dass die Vergrößerung nicht von der Brennweite, sondern von der Linsengröße abhängt. »Je größer, desto besser«, war deshalb Bournes Empfehlung für den Linsendurchmesser.

Sehr zu Bournes Bedauern war dieses Beharren auf dem Vergrößerungskonzept auch ein Grund, warum seine Erfindung in einer Sackgasse endete. Für die Linsenhersteller war es zur damaligen Zeit äußerst schwierig, Linsen mit so großem Durchmesser herzustellen. Von Bournes Entwurf hörte man nie wieder etwas. Ein Misserfolg wie dieser verdeutlicht, dass beim Bau von Teleskopen das Handwerk der Linsenherstellung eine entscheidende Rolle spielte.

Während der Regierungszeit von Elisabeth I., Königin von England und Irland von 1558 bis 1603, importierte England aus Deutschland, Flandern und der Normandie Brillenlinsen mit typischen Durchmessern von drei Zentimetern in großer Zahl. Die von Bourne geforderte Größe gehörte somit nicht zu dem auf dem englischen Markt verfügbaren Standardsortiment. Dennoch war das Problem der außergewöhnlichen Linsendurchmesser, mit dem Bourne die Linsenmacher konfrontierte, im Elisabethanischen England gar nicht so ungewöhnlich. Hätte er den Entwurf in Middelburg vorgeschlagen, so wäre er auf dieselben Probleme gestoßen. Dabei muss man bedenken, dass Middelburg nach Amsterdam die bedeutendste Handels- und Gelehrtenstadt der Holländischen Republik und auch ein bedeutendes Zentrum der Glasherstellung war.

Die für den Bau von Fernrohren nötige optische Qualität ließ sich zur damaligen Zeit nur erreichen, indem man die Linsen zu kleinen Durchmessern schnitt. Spuren dieses Verfahrens lassen sich noch heute an den unebenen Rändern von gut erhaltenen Teleskoplinsen aus dem frühen 17. Jahrhundert erkennen (siehe Bildunterschrift 9). Die Lösung des Problems bestand in kleineren Durchmessern und Aperturen; aber Bournes Begriff der Vergrößerung zielte genau in die entgegengesetzte Richtung: Seine Erfindung setzte sich nicht durch, weil das damalige praktische Wissen nicht in Rezepte umgesetzt werden konnte, welche sich mit der damaligen Linsentechnik realisieren ließen.

Dagegen verbreitete sich das holländische Fernrohr von Middelburg bis in die letzten Winkel Europas wie ein Lauffeuer: Der Erfolg des holländischen Fernrohrs und seine rasche Verbreitung basierte insbesondere darauf, dass die zwei hierfür notwendigen Linsen in jedem Brillenmacherladen zu finden waren.

Bournes Brief an Burghley weist uns auf einen Schatz innovativen, praktischen optischen Wissens hin, der sich vom überlieferten optischen Wissen unterscheidet. Aber dieses praktische optische Wissen lenkte Bourne in eine Richtung, die einem Erfolg genau zuwiderlief. Die Materialkenntnisse, welche die Glasindustrie und die Werkstätten der Linsenhersteller schon in den Jahrhunderten vor Lipperheys Patentantrag angesammelt hatten, waren beim Bau von Fernrohren eine wesentliche Ressource.


Das Handwerk der Linsenherstellung

Konvexe Augengläser zur Korrektur der Altersweitsichtigkeit wurden um 1285 in Italien erfunden. Brillen dieser Art gab es in unterschiedlichen Alterskategorien von 30 bis 70 Jahren. Ab Mitte des 15. Jahrhunderts waren dann auch konkave Linsen zur Korrektur von Kurzsichtigkeit weit verbreitet. Sie waren aber vermutlich nicht so gefragt und kamen nur in zwei Kategorien vor. Im 15. Jahrhundert war Florenz eines der Zentren für das Handwerk der Brillenherstellung. In den Archiven lassen sich dort zwischen dem frühen 15. und der Mitte des 16. Jahrhunderts 52 Brillenhersteller, einschließlich vier Mönche, nachweisen. Ihre Läden befanden sich in den Stadtteilen San Giovanni und Santa Croce. Mitte des 16. Jahrhunderts entstanden dann weitere Zentren der Brillenherstellung, beispielsweise in Venedig, der Heimat der aufblühenden Glasindustrie.

Doch im 15. Jahrhundert musste sich Florenz gegen Konkurrenz in Nürnberg und Regensburg behaupten. Die dort produzierten Augengläser wurden in ganz Europa gehandelt. Zu dieser Zeit waren Brillen keinesfalls Luxusgüter der Reichen mehr, sondern bereits für jedermann in den meisten europäischen Ländern erschwinglich.

Gegen Ende des 13. Jahrhunderts entwickelten die Venezianer eine neue Glassorte. Sie war viel klarer, besaß eine schwächere Färbung und enthielt weniger Blasen als das typische grünliche Waldglas der damaligen Zeit. (Waldglas, auch Pottascheglas genannt, wurde insbesondere für die Herstellung von Butzenscheiben verwendet.) Das venetianische Glas wurde als »cristallo« berühmt, weil es an Bergkristall erinnerte. In Venedig verwendete man cristallo für Luxusartikel, wie die berühmten venezianischen Spiegel. Als Glasmacher aus Italien in verschiedene europäische Länder auswanderten und dort neue Werkstätten gründeten, verbreiteten sie die Luxusglasprodukte »à la façon de Venise«. Antonio Neri besichtigte italienische Glasbetriebe in Antwerpen und veröffentlichte daraufhin in Florenz das erste Handbuch der Glasherstellung »L' Arte Vetraria« (1612). Allerdings schwiegen sich Handbücher dieser Art, auch Neris Handbuch, über die Herstellung von Spiegelglas oder Brillenlinsen aus. Dies änderte sich erst mit Girolamo Sirtoris »Telescopium« (1618).

Erst neuere Studien an Linsen aus dem 14. bis 16. Jahrhundert haben gezeigt, wie die Linsenherstellung verbessert werden konnte. Sie erklären auch, warum die Erfindung des Teleskops technisch erst gegen Ende dieser Epoche möglich wurde. Erste Augengläser wurden hergestellt, indem man aus geblasenen Glaskugeln Scheiben herausschnitt. Anschließend musste eine Seite einer solchen sphärisch gekrümmten Scheibe plan geschliffen werden: die innere konkave Oberfläche für eine Linse zur Korrektur der Altersweitsichtigkeit oder die äußere konvexe Oberfläche für kurzsichtige Augen. Vermutlich gegen Ende des 15. Jahrhunderts entwickelten Brillenmacher in Nürnberg eine andere Technik. Sie schnitten Scheiben aus ebenem Scheibenglas heraus - die eine Seite ließen sie eben, die andere schliffen sie in eine konkave oder konvexe Form. Diese Technik ermöglichte es den Handwerkern, die konvexe oder konkave Oberfläche besser sphärisch zu schleifen.

In Bezug auf die Linsentechnik war der entscheidende Punkt bei der Erfindung des holländischen Fernrohrs nicht die Verfügbarkeit von konvexen und konkaven Linsen mit ihren unterschiedlichen Stärken, die in Kombination eine Vergrößerung ermöglichen. Der entscheidende Faktor war die Qualitätsverbesserung der Linsen, die mit einer veränderten Herstellungstechnik im späten 15. Jahrhundert einherging.

Dieser technische Fortschritt ermöglichte prinzipiell ab etwa 1500 die Erfindung des holländischen Teleskops, insbesondere durch Brillenmacher, die daran dachten, mit einer Kombination aus konvexen und konkaven Linsen eine Auflösung zu erzielen, welche diejenige des bloßen Auges übertraf. Dass die richtige Anordnung dieser beiden Linsenarten einem Beobachter ein vergrößertes Bild liefert, hätten sie mit ihrem praktischen Wissen von Konkav- und Konvexlinsen leicht herausfinden können. Sie kannten die richtige Entfernung von der konvexen Linse, bei der man ein maximal vergrößertes (und maximal verschwommenes) Bild sieht, und sie wussten, dass eine konkave Linse eine »schärfere Sicht« ermöglicht. Die Kombination eines konvexen Objektivs mit einem konkaven Okular ist die natürlichste, weil das konkave Okular dem Beobachter unabhängig vom gegenseitigen Abstand der beiden Linsen eine scharfe Sicht auf die konvexe Linse bietet. Weniger natürlich erscheint dagegen die Kombination zweier konvexer Linsen im astronomischen oder keplerschen Fernrohr.

Die Entwicklung einer neuen Technik ermöglichte zwar die Herstellung von Linsen mit höherer optischer Qualität, das bedeutete aber noch lange nicht, dass im 16. Jahrhundert Linsen grundsätzlich eine bessere Qualität besaßen, als die aus früheren Jahrhunderten. In Handelszentren, wo das Lesen und Schreiben für die Bevölkerung zunehmend an Bedeutung gewann, waren Linsen weithin verfügbar.

Wegen der steigenden Nachfrage wurden sie aber auch in Massenproduktion hergestellt, was sich negativ auf die Qualität auswirkte. Eine Begutachtung vieler Linsen aus der damaligen Zeit ergab, dass nicht einmal zehn Prozent eine optische Qualität besaßen, wie sie für Fernrohre benötigt wurde, um dem Beobachter nicht nur eine Vergrößerung, sondern auch eine erhöhte Auflösung im Vergleich zum bloßen Auge zu bieten. Deshalb darf es uns nicht verwundern, wenn es ein Brillenmacher war, der als Erster ein Patent für ein Fernrohr einreichte. In den Geschäften gab es eine Fülle von Linsen unterschiedlicher Qualität, unter denen sich ein Brillenmacher (oder auch ein Teleskopbauer) die Besten aussuchen konnte. Fernrohrlinsen wurden nicht auf Bestellung gefertigt, sondern aus einem breiten Angebot ausgewählt. Das galt auch für Galileis Fernrohr.


Der Weg des holländischen Fernrohrs von Middelburg zu Galilei

Im Gegensatz zu Bournes unglücklicher Erfindung verbreitete sich das holländische Fernrohr in Europa wie ein Lauffeuer. Das betraf sowohl das Instrument selbst als auch die Nachrichten darüber. Förderlich war hierbei, dass just zu der Zeit, als Hans Lipperhey in Den Haag eintraf, um Prinz Maurits seine Erfindung vorzuführen, dort die bedeutendste Friedenskonferenz seit einem halben Jahrhundert abgehalten wurde. Maurits zeigte es Ambrogio Spinola, dem Kommandanten der Truppen in den Spanischen Niederlanden, der sofort die militärischen Vorteile dieses Instruments erkannte. Mit einem Teleskop kehrte Spinola nach Brüssel zurück, wo er es Erzherzog Albert (dem Gatten von Isabella, Tochter des Königs von Spanien, Philip II.) zeigte. Im März 1609 war Albert im Besitz eines Fernrohrs. Dank der Dienste Guido Bentivoglios, des päpstlichen Nuntius in Brüssel, wurde dasselbe Instrument im Juli nach Rom geschickt, wo es bald in die Hände des jesuitischen Mathematikers im Collegio Romano geriet.

Das holländische Fernrohr verbreitete sich rasch auch in anderen Ländern. So erwarb Pierre Jeannin, der Kopf der französischen Delegation in Den Haag, von Hans Lipperhey zwei Instrumente für den König von Frankreich. Schon im November 1608 erreichte die Nachricht von Lipperheys Fernrohr Paris. Ein Holländer bot im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse ein Instrument zum Kauf an; ab April 1609 verkaufte ein Brillenmacher in dieser Stadt Fernrohre. Vermutlich reiste im Mai 1609 jener Soldat, der dafür gesorgt hatte, dass Jeannins Brief dem französischen König überbracht wurde, nach Mailand, wo er das Instrument einem lokalen spanischen Kommandanten verkaufte. In dieser Zeit durchlief das Fernrohr also diverse diplomatische Kanäle.

Im Oktober 1608 erschien eine Nachricht mit dem Titel: »Ambassade du Roy de Siam envoyé à l'Excellence du Prince Maurice, arrivé à la Haye le 10 septemb(re) 1608«. Sie enthielt einen Bericht über eine diplomatische Mission von Siam (heute Thailand) in die Niederlande. Doch ein Teil des Berichts widmete sich Lipperheys Demonstration des Fernrohrs vor Prinz Maurits in Den Haag.

Paolo Sarpi, venezianischer Theologe und damaliger enger Freund Galileis, las diesen Bericht nach eigenem Bekunden im November 1608. Doch erst das Eintreffen eines »Fremden« in Padua im Juli 1609 - vermutlich des Franzosen, der im Mai mit einem Fernrohr in Mailand eingetroffen war - spornte Sarpi und Galilei an, etwas zu unternehmen. Warum ließ Galilei so viel Zeit ungenutzt vergehen?

Eileen Reeves schlägt als Erklärung vor, dass Galilei allen Grund hatte, die angeblich neue Geschichte für einen alten Hut zu halten. Das optische Design des holländischen Fernrohrs erschloss sich jedem Kundigen, der die Gelegenheit hatte, es zu sehen. Das galt aber nicht für Galilei und seinen Kreis, deren Wissen noch Monate, nachdem sie von der Erfindung gehört hatten, allein auf Gerüchten basierte. Ohne Kenntnis der technischen Details konnte Galilei nicht zwischen den aktuellen Neuigkeiten aus Holland und den Geschichten über reflektierende Optiken, wie die des Pharos, unterscheiden.

Doch einmal angespornt, handelte Galilei schnell. Im August 1609, also weniger als elf Monate nach Lipperheys Demonstration des Fernrohrs in Den Haag, konnte Galilei ein verbessertes Instrument vorführen. Die auf dem Markt verfügbaren holländischen Fernrohre besaßen drei- bis vierfache Vergrößerung, während Galileis erstes Fernrohr eine neunfache Vergrößerung aufwies. Wie war es ihm gelungen, die Vergrößerung so zu steigern?

Obwohl er sich mit den Schwierigkeiten der perspektivischen Optik wenig auskannte, war er mit der praktischen Optik sehr vertraut, beispielsweise durch das Lesen und Kopieren von Ausonios Werk. Wie das Beispiel von Bournes Erfindung zeigt, hätte dieses Wissen Galilei auch dazu verleiten können, eine stärkere Vergrößerung durch größere Linsen anstatt durch eine größere Brennweite zu erzielen. Aber Galilei fand einen anderen Weg. Er gründete auf seiner Erfahrung mit einer Methode zur Messung der Krümmung konvexer Linsen, die von Brillenmachern verwendet wurde, und die er später im »Sidereus Nuncius« (1610) als Verfahren zur Messung der Vergrößerung von Fernrohren beschrieb.

Um die Krümmung von Linsen zu messen, wurden zwei Kreise mit unterschiedlichem Durchmesser auf ein Blatt Papier gezeichnet. Zwischen diesen beiden Kreisen zeichnete man dann eine Skala ein. Anschließend wurde eine Konvexlinse so auf dieser Skala verschoben, dass die beiden Kreise gleich groß erschienen, wenn man den kleineren Kreis durch die Linse und den größeren Kreis mit bloßem Auge betrachtete (Bildunterschrift 12). Dieses Verfahren setzte eine Verbindung zwischen Linsenkrümmung und Vergrößerung voraus - Galilei griff es für die Vergrößerung bei Fernrohren auf.

Ein anderer für die Qualität von Galileis Fernrohren wichtiger Faktor war der Einsatz von Diaphragmen (Blendringen) auf den Objektivlinsen. Das Diaphragma war allerdings nicht Galileis Erfindung: Daniele Barbaro erwähnt es bereits 1567 im Zusammenhang mit einer camera obscura. Außerdem sah Giovanni Battista Della Porta im August 1609 in Neapel ein Fernrohr. Auf seiner Zeichnung für Federico Cesi (Bildunterschrift 13) ist das Diaphragma deutlich zu erkennen. Offenbar waren zu dieser Zeit bereits andere Fernrohre mit solchen Blendringen ausgestattet.

Hatten auch Lipperheys erste Fernrohre solche Diaphragmen? Wir wissen es nicht. Auf jeden Fall hatte Galilei bereits bevor das Fernrohr bei ihm ankam, mit Diaphragmen experimentiert. Noch Jahre nach seinen astronomischen Entdeckungen im Jahre 1609 befasste er sich mit ihnen und wurde mit ihrer Wirkungsweise sowie mit dem Konzept der Strahlung, das in seinem Verständnis eine zentrale Rolle spielte, immer vertrauter.

Am 21. August 1609 bestieg er in Venedig den Turm von San Marco, um einigen Edlen Herren der Signoria die Wirkungsweise und die militärischen Vorteile seines verbesserten Fernrohrs vorzuführen - es waren die ersten Stufen auf dem Wege zum Ruhm des Galileo Galilei.


Sven Dupré erforscht die Geschichte der Optik und die praktischen Anfänge der modernen Wissenschaft als Fellow der Flämischen Forschungsgemeinschaft in Belgien. Er ist Gründungsmitglied des Zentrums für Wissenschaftsgeschichte der Universität Gent.

Deutsche Fassung: Thomas Bührke


Literaturhinweise

Claus, R.: Was leisteten Galileis Fernrohre wirklich? In: Sterne und Weltraum 12/1993, S. 843-845.

Dupré, S., Van Helden, A., Zuidervaart, H. (Eds.): The Origins of the Telescope. Amsterdam, KNAW Press (erscheint 2009).

Dupré, S.: Ausonio's Mirrors and Galileo's Lenses: The Telescope and Sixteenth-century Practical Optical Knowledge, In: Galilaeana, Journal of Galilean Studies 2, S. 145 - 180, 2005.

Ilardi, V.: Renaissance Vision from Spectacles to Telescopes. Philadelphia, American Philosophical Society, 2007.

Jäger, W.: Die Begründung der physiologischen Optik im 17. Jahrhundert. In: Sterne und Weltraum 3/1990, S. 42 - 156.

Reeves, E.: Galileo's Glassworks: The Telescope and the Mirror. Harvard University Press, Cambridge (Mass.) und London 2008.

Van Helden, A.: The Invention of the Telescope. The American Philosophical Society, Philadelphia, 2008.

Willach, R.: Der lange Weg zur Erfindung des Fernrohrs. In: Hamel, J., Keil, I. (Hrsg.): Der Meister und die Fernrohre, Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main 2007, S. 34 - 126.


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Dieses galileische Fernrohr (wie das von Hans Lipperhey mit einer Konvex- und einer Konkavlinse bestückt) ist 69 Zentimeter lang und vergrößert achtfach. Es wurde wahrscheinlich von dem Uhrmacher Heinrich Stolle aus dem Prager Kreis um Jost Bürgi und Johannes Kepler gebaut. Das seltene Exemplar früher galileischer oder holländischer Teleskope wurde leider 1945 in Dresden zerstört.

Bildunterschrift 2:
Der Brennspiegel des Archimedes zerstört die feindlichen Schiffe vor Syrakus. Dieses Fresko von Giulio Parigi (ca. 1600) schmückt die »Stanza delle Matematiche« in den Uffizien in Florenz.

Bildunterschrift 3:
Das Frontispiz der von Georg Tannstetter und Petrus Apianus herausgegebenen »Perspectiva« von Witelo zeigt Probleme und Gegenstände der Optik im 16. Jahrhundert, etwa den ringförmigen Brennspiegel. Diese Ausgabe erschien erstmals 1535 bei dem berühmten Verleger Johannes Petreius in Nürnberg.

Bildunterschrift 4:
In seinem Werk »Della Prospettiva« erklärt Giovanni Fontana die Funktion der Brille mit einer Analogie zur Vergrößerung eines im Wasser liegenden Gegenstands. Dieses Manuskript gehörte vorübergehend Giovanni de' Medici, der wie Galilei bei Ostilio Ricci Mathematikunterricht erhielt.

Bildunterschrift 5:
In seinem Werk »De Radio Astronomico et Geometrico« (1545) erläutert Reiner Gemma Frisius, Professor der Mathematik an der Universität Löwen, die Projektion der Sonne in einer »Camera obscura« während einer Finsternis im Jahr 1544.

Bildunterschrift 6:
In seinem Werk »Della prospettiva« demonstriert Giovanni Fontana (1400 - 1450), an welchem Ort außerhalb eines konvexen Spiegels ein Bild entsteht.

Bildunterschrift 7:
Eine Laterna magica projiziert im Raum schwebende Dämonenbilder, um den Feind zu erschrecken. Darstellung aus »Bellicorum instrumentorum liber« von Giovanni Fontana. Cod. I con. 242

Bildunterschrift 8:
In einem Brief an seinen Patron Lord Burghley beschrieb der englische praktische Mathematiker William Bourne um 1579/80 ein Teleskop, bestehend aus einer konvexen Linse (dem Objektiv) und einem konkaven Spiegel (dem Okular). In der hier abgebildeten modernen Darstellung ist f (l) die Brennweite der konvexen Linse und f (m) die Brennweite des konkaven Spiegels.

Bildunterschrift 9:
Die unregelmäßigen Ränder von Teleskoplinsen des frühen 17. Jahrhunderts zeigen, dass sie im Nachhinein verkleinert wurden - deutlich sichtbar in dieser Objektivlinse aus einem der beiden erhaltenen Teleskope Galileis im Istituto e Museo della Storia delle Scienze in Florenz. Gezeigt ist auch die angebrachte Blende.

Bildunterschrift 10:
Dieser Ausschnitt aus einem Madonnenbild von Jan Van Eyck (1436) zeigt den Stifter Van der Paele mit seiner Lesebrille.

Bildunterschrift 11:
Im August 1609 führte Galilei einer Gruppe hochrangiger Personen in Venedig die Funktionsweise und die militärischen Vorzüge seines verbesserten Teleskops vor.

Bildunterschrift 12:
In seinem Werk »Uso de los antojos para todo genero de vistas« (Spanien, 1623) beschreibt Benito Daza de Valdés anhand dieses Bilds ein Verfahren zum Test der Krümmung von Linsen. Es scheint aber bereits gegen Ende des 16. Jahrhunderts bei italienischen Brillenmachern bekannt gewesen zu sein.

Bildunterschrift 13:
In einem Brief vom 28. August 1609 an den Prinzen Federico Cesi, einen der Gründer der Accademia dei Lincei, zeichnete der Gelehrte Giovanni Battista Della Porta dieses Teleskop, das er in Neapel gesehen hatte. Der Kringel am rechten Ende ist kein Buchstabe (a, b, c, d) wie die anderen, sondern die kleine Apertur des Teleskops.


© 2009 Sven Dupré, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 und 2 der Serie finden Sie im Schattenblick unter:
www.schattenblick.de -> Infopool -> Naturwissenschaften -> Astronomie ->
GESCHICHTE/064: Galileis Revolution und die Transformation des Wissens (Sterne und Weltraum)
GESCHICHTE/065: Wie entstehen neue Weltbilder? (Sterne und Weltraum)


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Quelle:
Sterne und Weltraum 1/09 - Januar 2009, Seite 44 - 54
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
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Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. März 2009