Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → ASTRONOMIE

GESCHICHTE/078: Kepler und der Stern von Bethlehem (SuW)


Sterne und Weltraum 1/10 - Januar 2010
Zeitschrift für Astronomie

Kepler und der Stern von Bethlehem

Von Rahlf Hansen


Seit Jahrhunderten spekulieren Astronomen, ob der biblische Stern der Weisen auf ein reales Himmelsereignis zurückzuführen ist. Auch Johannes Kepler, dessen Weltbild teils in der antiken Mystik gefangen war und teils die Traditionen auf revolutionäre Weise durchbrach, suchte nach einer Erklärung. Ein »neuer Stern«, eine Supernova, lieferte ihm entscheidende Hinweise.


Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein war es für Astronomen allgemein schwierig, eine Arbeit mit geregeltem Einkommen zu finden, und für viele begabte Nachwuchsforscher ist das auch heute leider noch so. Oft musste eine pragmatische Lösung herhalten: Man übernahm eine bezahlte Arbeit zur Existenzsicherung und betrieb die astronomische Forschung nebenher.

Auch Johannes Kepler (1571-1630) musste in seiner Laufbahn solche Kompromisse eingehen. Kurz vor Abschluss seines Theologiestudiums verließ er 1594 die Tübinger Universität und wurde in Graz »steirischer Landschaftsmathematiker«. Zu seinen dortigen Pflichten gehörte es, Jahreskalender mit Horoskopen zu erstellen, die sowohl das Wetter als auch das politische Geschehen vorhersagen sollten. Damit war er unverhofft erfolgreich: So prognostizierte er für 1595 treffsicher einen Konflikt mit dem Osmanischen Reich - aber wir wissen nicht, ob er die Eingebung den Sternen verdankte oder seiner Einschätzung der allgemeinen Nachrichtenlage.

Aus heutiger Sicht mag es befremdlich erscheinen, dass einer der bekanntesten Astronomen, der die Gesetze der Planetenbewegung erkannte und den modernen Naturwissenschaften den Weg ebnete, sich mit Astrologie beschäftigte. Kepler stand jedoch inmitten des Spannungsfelds zwischen Mittelalter und Neuzeit, und neben seiner zutiefst religiösen Grundeinstellung war sein Weltbild durch die mystisch-okkulten Traditionen der Antike geprägt (vergleiche SuW 10/2009, S. 42, und SuW 12/2009, S. 42).

So war es für Kepler durchaus nicht unlogisch, einen Einfluss der Planeten auf das irdische Geschehen für möglich zu halten. Hinter dieser Fernwirkung vermutete er letztlich einen physikalischen Hintergrund. Er lehnte aber weite Teile der damals populären Astrologie ab, wie etwa den Einfluss der Tierkreiszeichen auf den Charakter eines Menschen.

Kepler glaubte an eine Fernwirkung der Planeten und vermutete dahinter eine physikalische Ursache.

Im Jahre 1604 weilte Kepler bereits in Prag, wo er als Hofmathematiker für Kaiser Rudolf II. für dessen Horoskope zuständig und überdies mit der Erstellung der Rudolfinischen Tafeln beschäftigt war. Im Oktober jenes Jahres beobachtete er eine stella nova, einen »neuen Stern« am Himmel, der einige Wochen lang so hell wie der Planet Jupiter erschien. Heute wissen wir, dass er eine 20.000 Lichtjahre entfernte Supernova sah, bei der ein kompakter Stern, ein Weißer Zwerg, in einer thermonuklearen Explosion zerstört wurde. (Es gehört zu den Eigenwilligkeiten der Natur, dass diese Supernova vier Jahre vor der Erfindung des Teleskops aufleuchtete - seither wurden zwar viele Supernovae in fernen Galaxien, aber keine mehr in unserem Milchstraßensystem beobachtet.)

Zeitgleich mit dem Erscheinen des »neuen Sterns« am Himmel und unweit davon war eine nahe Begegnung der Planeten Jupiter und Mars zu beobachten (siehe Bild rechts). Bereits wenige Monate zuvor hatten sich Jupiter und Saturn ein enges Stelldichein gegeben. Kepler vermutete, das Auftreten »neuer Sterne« könnte von solchen seltenen Planetenkonjunktionen angekündigt werden. Könnte dann, so seine Idee, nicht auch der Stern von Bethlehem ein »neuer Stern« gewesen sein, der sich durch eine Planetenkonjunktion ankündigte? Er rechnete nach, und kam auf die Jahre 6 und 7 v. Chr., in denen eine spektakuläre dreifache Konjunktion der Planeten Jupiter und Saturn stattfand.


Mögliche Szenarien

Bevor wir uns Keplers Argumentation zuwenden, betrachten wir die konkurrierenden Hypothesen für den Stern von Bethlehem und die historischen Indizien. Einerseits gibt es mehrere astronomische Erklärungsversuche; andererseits zweifeln Historiker, ob überhaupt eine astronomische Erklärung vonnöten ist, und betrachten die Überlieferung als Legende. Die wichtigsten Hypothesen sind:

 • Der Halleysche Komet im Jahre 12 v. Chr.: Diese Interpretation erscheint aber zu abwegig, da die zeitliche Einordnung den allgemein akzeptierten Rahmen deutlich zu sprengen scheint. Sie beruht auf der Deutung einer angeblichen Mikroschrift auf Münzen, die aber nur in Zeichnungen wiedergegeben und unzuverlässig ist.

 • Ein anderer Komet im Jahre 5 v. Chr., der aus
fernöstlichen Quellen abgeleitet wird.

 • Die dreifache Konjunktion der Planeten Jupiter und Saturn in den Jahren 6/7 v. Chr.: Das ist die am weitesten verbreitete, aber nicht unbedingt glaubwürdigste Deutung.

 • Eine sehr enge Begegnung von Jupiter und Venus am 17. Juni 2 v. Chr., wobei die beiden Planeten optisch zum hellsten Gestirn nach dem Mond verschmolzen, und der eine dreifache Begegnung von Jupiter mit Regulus, dem Hauptstern im Löwen, vorausging. Der Eindruck, den diese Konstellation hinterlassen haben muss, stellt alles andere in den Schatten.

 • Der Stern war keine reale Himmelserscheinung, sondern eher die astrologische Deutung einer doppelten Bedeckung der Planeten Jupiter und Saturn durch den Mond im Jahre 6 v. Chr.

In den maßgeblichen Bibeltexten finden wir gleich mehrere Hinweise, die zunächst als hilfreich für die historische Einordnung erscheinen. Die Evangelisten Matthäus (2, 1-16) und Lukas (2, 1-4; 3, 1-3, 23) liefern mit der bekannten Weihnachtsgeschichte und chronologischen Angaben den ersten Schlüssel. Die Erscheinung des Sterns, der den Weisen aus dem Morgenland den Weg zur Geburtsstätte Christi weist, ist zudem die Erfüllung einer Prophezeiung aus dem Alten Testament (4. Mose 24, 17).

Historisch betrachtet erscheinen aber zwei Aspekte der Bibeltexte falsch. Erstens: Die Aussage im Matthäusevangelium, wonach König Herodes alle Kinder ermorden ließ, »die zweijährig und darunter waren«, wird unter Historikern und Theologen als Legende angesehen. Ansonsten hätte der jüdische Schriftsteller Flavius Josephus (um 37-100), ein Herodesverächter, der ausführlich dessen Regierungszeit schildert, den Kindermord nicht ausgelassen. Zweitens: Die Steuerschätzung, nach Lukas »zur Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war«, kann nicht zu Lebzeiten des Herodes stattgefunden haben, da sie nur im direkten römischen Herrschaftsbereich möglich war. Herodes' Reich war aber formal selbstständig, wenn auch nur durch römische Duldung. Mit der Steuerschätzung bei Lukas ist vermutlich eine solche im Jahre 6 n. Chr. gemeint, als eine römische Provinz in Judäa eingerichtet wurde.

Damit bleibt als wichtigstes Hilfsmittel die zeitliche Einordnung von König Herodes, zu dessen Lebzeiten die Sterngeschichte spielt. Verwertbare Nachrichten zu Herodes liefert aber weiterhin nur Flavius Josephus.

Das Werk »Jüdische Altertümer« von Josephus enthält eine ausführliche Schilderung der letzten Monate des Königs. Als Datierungshilfe eignen sich eine dort erwähnte Mondfinsternis und ein darauf folgendes Passahfest, das etwa zu Herodes' Tod stattfindet. Allerdings fehlen eindeutige Verbindungen zur bekannten römischen Geschichte, so dass allein aus der Mondfinsternis auf das Todesjahr von Herodes geschlossen werden muss. Historiker geben sein Todesjahr allgemein mit 4 v. Chr. an, wobei sie sich auf eine partielle Mondfinsternis vom 13. März jenes Jahres berufen.

Der Historiker Ernest L. Martin untersuchte in seinem Werk »The birth of Christ recalculated« von 1980 die zeitliche Zuordnung ausführlich, und er verwarf die bis dahin vorherrschende Lehrmeinung. Er argumentierte, dass der Zeitraum zwischen der Mondfinsternis (13. März) und dem Passahfest (11. April) im Jahr 4 v. Chr. zu kurz gewesen sei, um alle bei Josephus geschilderten Geschehnisse unterzubringen. Die totale Mondfinsternis vom 10. Januar 1 v. Chr. scheint dagegen besser zu passen: Mit ihr wäre der Zeitraum bis zum Passahfest (8. April) nicht nur hinreichend lang für die historische Handlung, sondern sie war in Palästina auch viel besser zu sehen als andere Mondfinsternisse jener Jahre. Diese Neufestlegung des Todesjahres von Herodes ist zentral für Martins Deutung des Sterns von Bethlehem, den er nun in der optischen Verschmelzung von Venus und Jupiter am 17. Juni 2 v. Chr. sieht.


Thesen zu Keplers Zeiten

Zu Keplers Zeiten waren das Kalenderwesen und die Chronologie beliebte Arbeitsfelder - was sich zum Beispiel in der Kalenderreform des Jahres 1582 manifestierte, durch die der julianische auf den gregorianischen Kalender umgestellt wurde. Kepler widmete sich ihnen besonders im Hinblick auf die zeitliche Einordnung des Lebens Jesu.

Damals war es bereits gängige Lehrmeinung, dass die Jahreszählung der christlichen Zeitrechnung, die der Mönch Dionysius Exiguus 525 n. Chr. eingeführt hatte, nicht exakt auf Jesu Geburt zurückführt. Die meisten Kirchenväter gaben das Geburtsjahr Jesu mit 2 oder 3 v. Chr. an. Dabei stützten sie sich auf die Angabe von Lukas (3, 1-3, 23), dass Jesus im Alter von etwa dreißig Jahren seine Lehrtätigkeit aufgenommen habe, und dies im 15. Regierungsjahr des römischen Kaisers Tiberius geschah, also 28/29 n. Chr. Eine simple Rückrechnung ergab dann den Zeitpunkt seiner Geburt.

Diese Angaben stimmen auch mit der Analyse eines Zeitgenossen Keplers überein: Joseph Justus Scaliger (1540-1609) war als wichtiger Herausgeber antiker Schriften und großer Kenner der alten Geschichte bekannt. Er gab das Todesjahr von Herodes nach Prüfung der Angaben bei Flavius Josephus mit 1 v. Chr. an und verwies auf die totale Mondfinsternis in jenem Jahr. Er kam also schon damals zu den gleichen Schlüssen wie rund 400 Jahre später Ernest L. Martin.


Keplers neuer Ansatz

Kepler indes verwarf die Mondfinsternis, auf die Scaliger sich stützte, und bevorzugte statt dessen die Finsternis des Jahres 4 v. Chr. - worin ihm die Historiker bis heute folgen. Erst diese Verschiebung des Todesjahres von Herodes von 1 v. Chr. auf 4 v. Chr. erlaubte Kepler eine neue Deutung des Sterns von Bethlehem nach seiner astrologischen Logik. Zu Keplers Zeit wurden biblische Angaben noch nicht so kritisch betrachtet wie heutzutage, und Kepler zog noch den Kindermord des Herodes heran. Aus der biblischen Angabe, wonach Herodes alle Kinder unter zwei Jahren töten lies und kurz darauf starb, schloss Kepler auf ein Geburtsjahr Jesu zwei Jahre vor dem Tod des Herodes. Dies führte ihn vom Herodestod im Jahr 4 v. Chr. auf Jesu Geburt im Jahr 6 v. Chr. und somit zu der von ihm bevorzugten Planetenkonjunktion.

Keplers Ideen gründeten sich auf die stella nova, die 1604 aufleuchtete, und die er ausführlich beschrieb. Er sah eine astrologische Verbindung zwischen diesem »neuen Stern« und dem Lauf der Planeten. Diese Haltung beruhte auf seinem Verständnis der Physik im Sonnensystem. Als Anhänger des heliozentrischen Weltsystems vermutete er eine Art Kraft, die von der Sonne ausgeht und mit einer entsprechenden Kraft der Planeten in Wechselwirkung tritt. Die Planeten sollten aber auch untereinander solche »Kräfte« austauschen.

Kepler war die Schwerkraft noch unbekannt, deren Konzept Isaac Newton erst gut sechzig Jahre später entwickelte. Statt dessen stellte er sich »Planetengeister« vor, welche die Winkel zu den anderen Planeten wahrnehmen können und auf bestimmte Winkelbeziehungen reagieren. Diese Aspektenlehre der Astrologie verknüpfte er mit der magnetischen Kraft, die erst kurz zuvor, in dem 1600 erschienenen Werk »De Magnete« von William Gilbert (1544-1603) beschrieben worden war. Ein Einfluss der Planeten auf die Erde und eine Planetenastrologie erschien Kepler somit physikalisch plausibel.

Eine Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn, wie sie 1603/4 stattfand, ereignet sich nur rund alle zwanzig Jahre. Ihre Position am Himmel folgt dabei einem regelmäßigen Muster, nach dem sie die Tierkreissternbilder durchläuft (siehe Infokasten links). Kepler wies der Konjunktion von 1603/4 eine besondere Bedeutung zu, weil sie erstmals nach 800 Jahren wieder in einem so genannten »feurigen« Tierkreiszeichen stattfand. Anschließend trat noch Mars hinzu. Nach diesem Planetenreigen flammte unweit davon am Himmel der neue Stern auf. Die Planeten und die stella nova bildeten ein flaches Dreieck (siehe Bild S. 43). Ein feuriges Dreieck am Himmel in einem feurigen Zeichen! Kepler folgerte, dass die Nova und die Planetenkonstellation zusammenhängen mussten.

Durch Zurückrechnen fand Kepler, dass in den Jahren 6/7 v. Chr. eine ähnliche Konjunktion zwischen Jupiter und Saturn stattfand. Und auch in diesem Falle gesellte sich Mars später hinzu. Damit glich der Ablauf jenem, den Kepler 1603/4 selbst beobachtet hatte. Er postulierte nun, dass auch das Planetentreffen im Jahre 6 v. Chr. von einer hellen Nova begleitet wurde - und eben diese sollte der Stern von Bethlehem sein. Keplers astronomische Rückrechnungen, gepaart mit seiner astrologischen Interpretation, bestärkten ihn in seiner chronologischen Einordnung der Geburt Jesu.


Die Großen Konjunktionen von Jupiter und Saturn

Astrologen übernahmen die Vier-Elemente-Theorie der griechischen Naturphilosophen und teilten die zwölf Tierkreiszeichen nach den klassischen Elementen (Erde, Wasser, Feuer, Luft) in vier Gruppen zu je drei Zeichen ein: Als feuriges Zeichen galt das erste (Widder), das fünfte (Löwe) und das neunte (Schütze). Ein Versatz um vier Zeichen führt somit in ein Zeichen der gleichen Qualität.

Die Konjunktionen zwischen Jupiter und Saturn wiederholen sich im Mittel alle zwanzig Jahre, allerdings im Tierkreis um acht Zeichen und drei Grad verschoben. Diese Regelmäßigkeit der »Großen Konjunktionen« von Jupiter und Saturn faszinierten Kepler. Drei aufeinanderfolgende Konjunktionen verband er zueinem »Trigon«. Aus Keplers Zeichnung ist ersichtlich, dass jede dritte Konjunktion wieder im gleichen Tierkreiszeichen stattfindet, aber um neun Grad versetzt (Bild). Die Konjunktionen finden solange in Zeichen der gleichen Qualität statt, bis sich nach 200 Jahren die Verschiebungen zu einem weiteren Zeichen addieren. Nun haben die Konjunktionen 80 Zeichen plus 30 Grad (= ein Zeichen) durchwandert, womit die Konjunktion in eine neue Qualität wechselt. Nach 800 Jahren ist der Zyklus komplett, und die Konjunktion tritt wieder in ein Zeichen der anfänglichen Qualität ein. Nach drei solcher Zyklen hat ein Eckpunkt des Trigons den kompletten Tierkreis durchlaufen.


Die These »6/7 v. Chr.« im Wandel

Kepler war nicht der Erste, der diese Zeitrechnung zum Stern von Bethlehem favorisierte. Unseres Wissens gab erstmals der persisch-jüdische Astrologe Masha'allah ibn Athari (um 740-815) die dreifache Konjunktion von Jupiter und Saturn als möglichen Stern von Bethlehem an. Auch in den Annalen des Münsters von Worcester im Jahr 1285 wird diese zur Geburt Christi in Bezug gesetzt. Kepler entwickelte dann seine These auf die Nova 1604 hin: Die ähnliche Planetenkonstellation 6/7 v. Chr. sollte ebenfalls von einer Nova begleitet gewesen sein, die er für den Stern von Bethlehem hielt.

Im Jahr 1821 deutete Friedrich Münter (1761-1830), Bischof von Seeland, dann nur noch die Planetenkonstellation als Stern von Bethlehem. Auch der Astronom Ludwig Ideler (1766-1846) hielt die dreifache Große Konjunktion von Saturn und Jupiter für bedeutend genug, um auch ohne Nova die Aufmerksamkeit der Weisen aus dem Morgenland zu erregen. Da Idelers 1825/26 erschienenes »Handbuch der Chronologie« viel häufiger gelesen wurde als Keplers Schrift, setzte sich diese Meinung durch.

Unterstützung erhielt Münters und Idelers These, wonach die Konjunktion der Planeten Saturn und Jupiter mit dem biblischen Stern der Weisen gleichzusetzen sei, durch das 1922 erschienene Buch »Der Stern des Messias« des Theologen Oswald Gerhardt. Und 1968 lieferte der österreichische Astronom Konradin Ferrari d'Occhieppo mit »Der Stern der Weisen« (in neueren Auflagen unter dem Titel »Der Stern von Bethlehem aus astronomischer Sicht« erschienen) eine Art Drehbuch der These für Präsentationen in Planetarien.

Die Deutung war also im Laufe der Zeit diversen Änderungen unterworfen. Als wichtiges Element tritt bei Kepler auf, dass die Jupiter-Saturn-Konjunktion, die er 1603/4 beobachtete, gerade in ein »feuriges Zeichen«, den Schützen, hineingewandert war. Kepler erkannte, dass knapp 1600 Jahre vor »seiner« Konjunktion eine entsprechende Konjunktion erstmals im feurigen Widder stattfand. Die Konjunktion 6/7 v. Chr. ereignete sich aber noch, letztmalig im 200-jährigen Zyklus, in dem wässrigen Zeichen der Fische. Doch die Jupiter-Mars-Konjunktion, die im Anschluss daran schon im feurigen Widder eintrat, hatte für Kepler ebenfalls große Bedeutung.

Die späteren Autoren ersetzten die Bedeutung der »elementaren Qualitäten« durch die Besonderheit, dass die Konjunktion der Jahre 6/7 v. Chr. in dreifacher Folge im Zeichen der Fische auftrat. Dies hatte Kepler zwar bemerkt, aber nicht als astrologisch bedeutsam betrachtet.


Was motivierte Kepler?

Heute wissen wir, dass Keplers Vermutung über Zusammenhänge von Planetenkonjunktion und »neuen Sternen« keinerlei Grundlage hat. Aus fernöstlichen Quellen ist uns aber bekannt, dass es in den Jahren 4 und 5 v. Chr. tatsächlich zwei »neue Sterne« gegeben hat. Allerdings ist für denjenigen im Jahre 4 v. Chr. die zeitliche Zuordnung unzuverlässig. Und da für das zweite Objekt eine Bewegung angegeben wird, muss es sich um einen Kometen gehandelt haben. Immerhin liegen mit diesen beiden »neuen Sternen« zwei weitere Kandidaten für den Stern von Bethlehem vor.

Interessant ist die Frage, was die Motivation für Kepler war, nach dem Stern von Bethlehem zu suchen. Die Chronologie war ein beliebtes Betätigungsfeld für Gelehrte, in dem besonders die zeitliche Einordnung der Bibel in den profanen Geschichtsablauf ausführlich diskutiert wurde. Papst Gregors Neuregelung des Kalenders von 1582 wurde von den protestantischen Ländern noch abgelehnt und verlieh dem Arbeitsgebiet eine religiöse Aufladung. Nur vor diesem Hintergrund lassen sich manche Kontroversen verstehen. Auch Scaliger und Kepler waren religiös motiviert und konnten den Standpunkt des jeweiligen Kontrahenten schon aus Glaubensgründen nicht unwidersprochen hinnehmen. Vielleicht erwuchs hieraus der Widerstand, mit dem Kepler der landläufigen Chronologie entgegen trat, die Scaliger vorlegte.

Musste die Deutung des Sterns von Bethlehem, wie sie Kepler vorlegte, nur herhalten, um auch astrologische Argumente gegen Scaliger vorzubringen, denen dieser nicht gewachsen war? Oder war die Überzeugung von Kepler, dass eine Beobachtung wie die sein es »neuen Sterns« auch die Weisen geleitet haben könnte, so groß, dass er die Chronologie entsprechend gestaltete? Vielleicht kamen beide Begründungen zusammen, und Kepler sah in ihnen eine wechselseitige Bestätigung für seine Argumentation.


Der Stern von Bethlehem aus Sicht der Historiker

Heute sehen Theologen und Historiker den Stern von Bethlehem als Legende an. Er hat wichtige theologische Funktionen, die aber unabhängig von seiner historischen Belegbarkeit sind. Eine wichtige Anregung, das Motiv eines Sterns über Bethlehem einzuführen, könnte von dem hellen Kometen des Jahres 44 v. Chr. ausgegangen sein. Er tauchte über den Festspielen auf, die der junge Oktavian zu Ehren des ermordeten Julius Cäsar veranstaltete, dessen Adoptivsohn er war. Oktavian propagierte ihn als himmlisches Zeichen, wonach die Götter die Taten Cäsars gutheißen würden und so auch ihm als Adoptivsohn wohl gesonnen seien. Der Komet wurde in einem Tempel verehrt und auf Münzen geprägt (siehe Bild links und SuW 5/2006, S. 34). Oktavian - der spätere Kaiser Augustus - wurde als Garant des römischen Friedens verehrt. Könnte dies eine Motivation gewesen sein, für Jesus Christus ein ähnliches Zeichen einzuführen?

Als direkte Vorlage für die Gestaltung des Sterns von Bethlehem könnte die Reise des armenischen Königs Tiridates zum römischen Kaiser Nero 66 n. Chr. gedient haben, dem er sich als seinem Gott zu Füßen warf. Der Halleysche Komet zierte währenddessen den Himmel. Ein östlicher König unterwirft sich dem westlichen Herrn der Welt, begleitet von einem himmlischen Zeichen: Dieses Geschehen verursachte in der damaligen Welt großes Aufsehen. Auch die Verfasser der Evangelien, die wenige Jahre später schrieben, dürften davon Kenntnis gehabt haben. Außerdem war das Motiv eines verfolgten und dann geretteten Königskinds damals sehr beliebt, besonders in Verbindung mit einem astralen Zeichen.

Eine ähnliche Verehrungsgeschichte mit einem himmlischen Zeichen gibt es im Mithraskult, der sich in frühchristlicher Zeit im Römischen Reich ausbreitete. Hier könnte eine Übernahme des Motivs oder gar der Handlung der Legende vorliegen. Diese Erklärung für den Stern von Bethlehem setzt sich aber nur mühsam durch. Zum einen wirkt die Autorität Keplers bis auf unsere Zeit - auch wenn sich nicht mehr sein postulierter »neuer Stern« als Deutung hält, sondern nur noch die zugrunde liegende Konjunktion der Planeten. Zum andern liefern Bücher wie das von d'Occhieppo eine schöne Vorlage für Planetariumsvorträge, und popularisieren die Legende weiter. Ob, wie damals, auch hier religiöse Motive zugrunde liegen?

Die Astronomen in den Planetarien jedenfalls nehmen diese Geschichte gerne auf. Die Ansicht der Historiker in einem Planetarium zu erzählen, erschiene wie die Zerstörung eines schönen Mythos bei erwartungsvollen Besuchern. Schon 1923 hat der Althistoriker Eduard Mayer in seiner »Urgeschichte des Christentums« gegen die Astronomen polemisiert: »Zu den wunderlichsten Verirrungen die der Pseudowissenschaft, unausrottbar immer wiederkehrt und auf Dilettanten eine magische Anziehungskraft ausübt, gehören die immer neuen Versuche, diesen wandelnden Stern astronomisch nachzuweisen und in eine Konstellation der Planeten umzusetzen.«


Rahlf Hansen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Planetarium Hamburg. An der dortigen Universität forschte er über Kepler. Schwerpunkt seiner historischen Interessen ist die Astronomie ab der Bronzezeit bis zur Erfindung des Fernrohrs und die Kalenderentwicklung.


*


WIS - "Wissenschaft in die Schulen"

Damit Schüler aktiv mit den Inhalten dieses Beitrags arbeiten können, stehen auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Darin wird gezeigt, wie das Thema im Rahmen des Physikunterrichts in der gymnasialen Oberstufe behandelt werden kann. Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad und dem Haus der Astronomie in Heidelberg durch.


Literaturhinweise

Josephus, F.: Jüdische Altertümer. Marix Verlag, Wiesbaden 2004.

Ideler, L.: Handbuch der mathematischen und technischen Chronologie, Band 2. August Rücker, Berlin 1826.

Kepler, J.: Gesammelte Werke. Beck, München 1936ff.

Kepler, J.: Warnung an die Gegner der Astrologie. Hrsg. von Fritz Krafft, Kindler, München 1971.

Kepler, J.: Astronomia Nova. Neue, ursächlich begründete Astronomie. Marix Verlag, Wiesbaden 2005.

Martin, E.L.: The birth of Christ recalculated. Foundation for Biblical Research, Pasadena 1980.

Meyer, E.: Urgeschichte des Christentums. Phaidon, Stuttgart 1923.

Ferrari d'Occhieppo, K.: Der Stern von Bethlehem in astronomischer Sicht. Legende oder Tatsache? 4. Auflage. Brunnen-Verlag, Gießen 2003.


*


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 43: Am frühen Abend des 17. Oktober 1604 bot sich Johannes Kepler dieser ungewohnte Anblick: Zwischen den Planeten Mars, Jupiter und Saturn leuchtete ein heller »neuer Stern«. Kepler mutmaßte, dass die seltene Planetenkonstellation und das Auftauchen des Sterns ursächlich zusammenhingen. Könnte, so seine Überlegung, nicht auch der Stern von Bethlehem durch eine ähnliche Planetenkonstellation hervorgerufen worden sein?

Abb. S. 45: Dreimal in den Jahren 6/7 v. Chr. begegneten sich der »Königsplanet« Jupiter und der »Schicksalsplanet« Saturn (der Schutzstern Israels) im Sternbild Fische, das die Astrologen der Antike dem Land Palästina zuordneten.

Abb. S. 46: Ein römischer Denar aus dem Jahr 36 v. Chr. zeigt den Tempel des Julius Cäsar auf dem Forum Romanum. Der Stern am Giebel symbolisiert den Kometen, der nach Cäsars Ermordung 44 v. Chr. erschien.


© 2010 Rahlf Hansen, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


*


Quelle:
Sterne und Weltraum 1/10 - Januar 2010, Seite 42 - 47
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/52 80, Fax: 06221/52 82 46
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
Tel.: 06221/912 66 00, Fax: 06221/912 67 51
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010