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INSTRUMENTE/229: Teleskope - Die Zukunft ist licht, aber teuer (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 10/08 - Oktober 2008
Zeitschrift für Astronomie

Die Zukunft ist licht - aber teuer

Von Dietrich Lemke



Alle zwei Jahre treffen sich auf der Tagung »Astronomische Teleskope und Instrumente« der internationalen 'Society of Photographic Instrumentation Engineers' (SPIE) mehr als zweitausend Astrophysiker aus aller Welt zum Wettkampf um die besten Instrumente und Ideen für die Zukunft. Wir berichten über Highlights des neuesten Treffens.


In Kürze

Die ersten Teleskope der neuen Generation (mehr als zehn Meter Öffnung) sind bereits im Bau.
Die Planung für deren Nachfolger (25 bis 42 Meter und mehr) ist voll im Gange. Europa mischt dabei ganz vorne mit.
Dank der Gemeinschaftsorganisationen ESO, ESA und EU können die Europäer verlässlich planen. Bei vielen neuen Technologien liegen sie gleichauf mit den USA.
Auch im Weltraum geht es schnell voran: Die großen europäischen Missionen Herschel und Planck stehen kurz vor dem Start, Europäer und Amerikaner bauen ihr neues »Flaggschiff« JWST.
Astronomie wird zur »Very Big Science«, kann aber die Kosten durch fundamentale Entdeckungen und Anstoß zu vielfältigen neuen Technologien rechtfertigen.

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In diesem heißen Juni 2008 in Marseille im Kongresszentrum Parc Chanot: Innerhalb einer Woche werden in zwölf parallel laufenden Konferenzen fast 1900 Vorträge und Poster-Präsentationen geboten. Auch der unermüdlichste Teilnehmer kann kaum ein Zehntel des Angebotenen aufnehmen. Und so ist dieser kurze Bericht eine Splittersammlung, unvollständig und persönlich gefärbt.


Giganten am Boden

Der Bau extrem großer bodengebundener Teleskope war ein beherrschendes Thema. Nach der Fertigstellung von mittlerweile 17 Teleskopen mit Hauptspiegeln zwischen sechseinhalb und elf Metern Durchmesser wird jetzt der Schritt zu 25 Metern und mehr gegangen. In den USA rivalisieren das Giant Magellan Telescope (GMT) mit 25 Metern Öffnung und das Thirty Meter Telescope (TMT) miteinander.

Das GMT wird aus sieben kreisrunden Spiegeln von je 8,3 Metern Durchmesser zusammengesetzt, wobei sechs stark asphärische Spiegel wie Blütenblätter den zentralen Spiegel umgeben. Sie sollen in einer »Fließband-Herstellung« innerhalb von sieben Jahren im Spiegellabor der Universität von Arizona in Tucson entstehen. An diesem Projekt sind auch Australien und Süd-Korea beteiligt. Als Standort ist das Observatorium Las Campanas in Chile vorgesehen.

Anders das TMT: Sein Hauptspiegel ist aus 492 Segmenten von je 1,45 Metern Durchmesser zusammengesetzt. Allein diesem Vorhaben waren auf der Tagung 48 Beiträge gewidmet, von der Justierung der Spiegelsegmente bis zur neuartigen, vergleichsweise kleinen Kalottenkuppel: Der untere Teil rotiert um eine senkrechte Achse, der obere Teil um eine schrägliegende Achse. So kann jeder Teil des Himmels vom Zenit bis zur Zenitdistanz von 65 Grad erreicht werden. Über seinen Standort - Nordchile oder Hawaii - soll in zwei Jahren nach Sichtkampagnen und Klärung der rechtlichen und Umweltfragen entschieden werden. Beide Teleskopvorhaben sind »anfinanziert«, zum Teil aus privaten Stiftungen. Die Kosten werden beim TMT mit etwa einer Milliarde Dollar angegeben. Ob wirklich beide Großteleskope bis zum Zieldatum 2017 gebaut werden können, hängt vom Finden weiterer finanzstarker Partner ab.

Da sind die Europäer in einer wesentlich angenehmeren Lage. Die aus Mitgliedsbeiträgen von zwölf Ländern solide finanzierte ESO wird die geschätzten 900 Millionen Euro für das 42 Meter große European Extremely Large Telescope (E-ELT) zur Verfügung haben. Zum Teleskoppreis sind aber noch erhebliche Mittel für die aufwändige Instrumentierung hinzuzurechnen, die weitgehend von Instituten der ESO-Mitgliedsländer getragen werden. Gegenwärtig wird von der ESO für 62 Millionen Euro die Detailkonstruktion in der europäischen Industrie und bei Forschungsinstituten ausgeführt, so dass nach 2010 mit den Bauvorbereitungen begonnen werden kann. Es ist anzunehmen, dass unter der professionellen Leitung der ESO das E-ELT zu einer ähnlichen Erfolgsgeschichte wird wie das VLT. Das zehnjährige Jubiläum dieser einzigartigen Gruppe von Großteleskopen wurde jetzt gefeiert. Mehrere Versuche, Großteleskope billig zu errichten, haben mit technischen und finanziellen Problemen zu kämpfen und müssen erhebliche Verzögerungen hinnehmen. SALT beispielsweise, das südafrikanische 11-Meter-Teleskop, zeigt einen starken Fokusgradienten, Astigmatismus und Doppelbilder. Seit zwei Jahren wird an der Fehlersuche gearbeitet, bisher ohne durchschlagenden Erfolg.


Europa auf Augenhöhe

Um nicht nur von der Sammelfläche der künftigen Teleskopgiganten zu profitieren, sondern auch ihr hohes Auflösungsvermögen zu nutzen, müssen sie alle mit Adaptiver Optik (AO) und künstlichen Laser-Leitsternen ausgerüstet werden. Diese vielversprechende Technik ist aber noch nicht hinreichend entwickelt, so basieren bisher nur etwa drei Prozent der wissenschaftlichen Veröffentlichungen in führenden astronomischen Fachzeitschriften auf mit AO gewonnenen Ergebnissen. Beunruhigt sind die amerikanischen Kollegen: Gegenwärtig haben sie nur die Hälfte der Mittel zur Verfügung, die allein ESO in diese anspruchsvolle Technologie steckt, und im Jahre 2009 könnte der Anteil auf ein Viertel sinken. Um den amerikanischen Anspruch auf »Leadership« aufrecht zu erhalten, wurde der National Science Foundation in einer »Roadmap« ein umfangreicher Entwicklungsplan vorgeschlagen: zwanzig Millionen Dollar für Laser und Wellenfrontsensoren, zehn Millionen Dollar für große deformierbare Spiegel. Auch hier macht das laufende und künftige Programm der ESO einen ebenbürtigen Eindruck. Die extrem hochauflösenden Instrumente GRAVITY am VLT-Interferometer (VLTI) oder SPHERE am VLT sind für ihre Millibogensekunden-Auflösung auf AO-Technik angewiesen. Die Europäische Union fördert die AO-Technologie mit beträchtlichen Mitteln. Dazu kommen hier nationale Mittel, wie die für die beiden fast einen Meter großen, mit rund 700 Aktuatoren deformierbaren Sekundärspiegel des LBT, die in Italien entwickelt werden.

Auch in der Interferometrie mit großen Teleskopen am Boden gibt es ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den beiden astronomischen Supermächten. In Europa ist das VLTI der Brennpunkt aller Unternehmungen. Hier gibt es die allen Astronomen zugänglichen Instrumente AMBER und MIDI. Sie haben in Europa eine große Interferometrie-Gemeinde geschaffen, die dringend auf die Interferometer der zweiten Generation wartet (MATISSE, GRAVITY, VSI,...). In den USA sind das Keck-Interferometer auf Hawaii und CHARA auf dem Mount Wilson sehr erfolgreich, auch durch ihre Öffnung zu weiteren Nutzern, die kleineren Universitäts-Unternehmen fehlt. Wie auf vielen vorausgegangenen Tagungen berichtete Nobelpreisträger Charles Townes, mit 92 Jahren immer noch aktiv, auch auf dieser Konferenz über seine Infrarot-Interferometrie an den Staubhüllen von Sternen, die er mit drei interferometrisch gekoppelten 1,5-Meter-Teleskopen mit Heterodyn-Empfänger betreibt.

Ein Schwerpunkt der Tagung lag bei den Fokalebenen-Instrumenten für die gegenwärtigen Großteleskope und die künftigen Giganten. Ziele sind die Steigerung des räumlichen Auflösungsvermögens, die Spektroskopie lichtschwacher Objekte im Optischen und Infraroten, die Multiobjekt-Spektroskopie und die spektral sehr hochauflösende Spektroskopie. Aus der großen Zahl der vorgestellten Instrumente sei ein Beispiel ausgewählt: das gekühlte Infrarot-Spektrometer CRIRES für das VLT. Mit seiner Auflösung von λ/Δλ ≈ 30 000 erlaubt es empfindliche Messungen auch in den bisher als zu schlecht eingeschätzten atmosphärischen L- und M-Fenstern (bei drei und fünf Mikrometer Wellenlänge), die voller Absorptions- und OH-Airglow-Emissionslinien sind. Bei der Entwicklung von Sensoren für das nahe und mittlere Infrarote (Wellenlängen bis zu 28 Mikrometer) sind die Europäer vollständig von amerikanischen Herstellern abhängig. Diese ursprünglich vom Militär stark geförderten Entwicklungen werden jetzt sehr erfolgreich für hochempfindliche, rauscharme, großflächige Detektoren für den astronomischen Einsatz am Boden und im Weltraum weiterentwickelt. In Europa, insbesondere in Frankreich, ist der Bau von Bolometer-Kameras für das ferne Infrarot ein Lichtblick.

Weiterverfolgt werden die Pläne für Astronomie in der Antarktis. Neben Frankreich, Italien und Australien sind jetzt auch die Chinesen mit ehrgeizigen Plänen dabei. Sie wollen ein Teleskop auf dem Dome A aufstellen, der mit 4100 Metern höchsten Erhebung des sechsten Kontinents. Das entspricht einer barometrischen Höhe von 4900 Metern, und damit liegt der Gehalt an niederschlagbarem Wasserdampf der Atmosphäre oft bei 0,1 Millimetern, bei Temperaturen von bis zu minus 80 Grad Celsius. Damit öffnen sich weitere »Fenster« in der Atmosphäre, vor allem im fernen Infraroten.

Chinesische Raupenschlepper haben die Geräte einer chinesisch-australisch-amerikanischen Sichtexpedition nach Dome A gebracht. Die automatisch arbeitende Station misst neben allen meteorologischen Bedingungen auch das astronomisch wichtige Seeing. Es ist auf dem antarktischen Hochplateau wegen der stabilen Luftschichtung bereits in Höhen von etwa 30 Metern über dem Boden sehr gering. Es ist gut möglich, dass im Windschatten einer politisch-wissenschaftlich motivierten Schaffung von Infrastrukturen in den nächsten Jahren auch Teleskope in die Antarktis folgen. Sie werden Bedingungen wie in den Höhen eines Flugzeugteleskops vorfinden, aber ungestört über lange Zeit.


Der beste Standort: L2

Bei den Weltraumobservatorien galt das Hauptinteresse dem James Webb Space Telescope (JWST), dessen Entwicklung für den vorgesehenen Start in fünf Jahren weit fortgeschritten ist. Zu der Begeisterung über diese große »Entdeckungsmaschine« gesellt sich jetzt auch Nüchternheit. Der 6,5 Meter große Hauptspiegel ist aus 18 sechseckigen Spiegelsegmenten zusammengesetzt, deren asphärische Oberflächen ihre Sollform mit einer Toleranz von ± 20 Nanometern einhalten müssen. Die Flächendichte musste beim JWST gegenüber Hubble stark verringert werden, um ein so großes Teleskop starten zu können. Dazu wurde der JWST-Spiegel segmentiert. Jedes der 18 Segmente hat einen Durchmesser von 1,3 Metern. Als Material wurde Beryllium gewählt: es vereint hohe Festigkeit bei geringem Gewicht und guter Wärmeleitfähigkeit. Bereits bei den gekühlten Infrarotsatelliten IRAS und Spitzer wurden gute Erfahrungen mit monolithischen Beryllium-Hauptspiegeln gewonnen. Beim JWST werden die auf der Rückseite mit vielen Aktuatoren und Sensoren ausgerüsteten Segmente über Datenschleifen mit der Bodenstation zu einem scharfen Bild des gesamten Spiegels justiert, voraussichtlich mehrmals während der zehnjährigen Mission.

Da allein jedes Spiegelsegment in sechs Freiheitsgraden beweglich ist, und der große Spiegel kaum je thermisches Gleichgewicht erreicht, ergeben sich zahllose verschiedene »Punkt-Verbreiterungsfunktionen«. Das kann die Suche nach lichtschwachen Exoplaneten erschweren. Sehr ernst wird die Gefahr genommen, die Fehler des Vorgängers Hubble zu wiederholen, denn JWST wird auf seiner Bahn im Lagrange-Punkt L2 nicht erreichbar sein. Deshalb werden alle Komponenten vielfach getestet - beim Hersteller, nach Einbau in ein Untersystem und schließlich im End-zu-End-Test des gesamten Observatoriums. Dabei müssen vorher festgelegte Zielwerte erreicht werden. Schlechte Ergebnisse, die früher unter Zeit- und Kostendruck auf unterer Management-Ebene behandelt wurden, müssen jetzt bis ganz »nach oben« gemeldet werden.

Einen sehr guten Eindruck machten die vier wissenschaftlichen Instrumente für das JWST, die in einem Dutzend Vorträgen detailliert dargestellt wurden. Der JWST-Projektwissenschaftler und Nobelpreisträger John Mather lobte in seinem Plenarvortrag ausdrücklich die europäischen Instrumente NIRSpec und MIRI, die von großen Konsortien der Industrie und wissenschaftlicher Institute (bei MIRI sind es 26 Beteiligte!) entwickelt werden und bereits 2010 an die NASA abgeliefert werden sollen.

Ein faszinierendes wissenschaftliches Ziel bleibt die Suche nach erdähnlichen Planeten. Dafür werden bei der NASA unter dem Titel »Terrestrial Planet Finder« (TPF) zwei Gruppen von Weltraumteleskopen studiert: Interferometer und Koronografen. Bei ersteren könnten mehrere Teleskope der Zwei-Meter-Klasse auf einem etwa 40 Meter langen Balken angeordnet werden, der im Weltraum entfaltet wird. Damit sind die genauen Abstände der »Subaperturen« gesichert, während das ganze Interferometer sich zum Füllen der 40-Meter-Apertur leicht drehen und auf neue Objekte ausgerichten lässt.

Die zweite Gruppe der Vorschläge zielt auf einen neuartigen Koronografen. Dieser besteht aus zwei Satelliten - einem Zwei-Meter-Teleskop und einem davor in etwa 70 000 Kilometern Entfernung fliegenden »Occulter-Schirm«. Beide umkreisen den Lagrange-Punkt L2. Der Occulter mit einem Durchmesser von etwa 20 Metern deckt das gegenüber dem Planeten millionenfach hellere Sternlicht ab. Dabei ist die Form der Occulterscheibe wichtig. Ihr Schattenriss gleicht einer Sonnenblume mit »hypergaussisch« geformten Blütenblättern und führt zu einer interferometrischen Auslöschung (»Null«) des Sterns und zur Abbildung seiner millionenfach lichtschwächeren Planeten. Diese beiden Projekte, TPF-Interferometer und -Koronograf, und mehrere andere der vorgestellten großen Weltraumteleskope, sind nicht unter einer Milliarde Dollar/ Euro zu haben. Für keines von ihnen ist mit kurzfristigem Baubeginn zu rechnen, weder in Amerika noch in Europa.

Es ist bewundernswert, wie im Zweijahres-Rhythmus der großen SPIE-Konferenz Astrophysiker und Ingenieure ihre zahlreichen Projekte weiterentwickeln, jeweils unter Einbeziehung der neuesten Technologien und wissenschaftlichen Ziele. Einige tüchtige Glückspilze kommen dann doch zum Fluge.

Die beiden gegenwärtig fliegenden Infrarot-Weltraumteleskope Spitzer (USA) und Akari (Japan) werden nach dem Verdampfen ihres Helium-Kühlmittels die Beobachtungen noch um Jahre fortsetzen - dann beschränkt auf das nahe Infrarot, was bei den etwas höheren Temperaturen möglich ist, die durch Strahlungskühlung (Spitzer) oder durch mechanische Kühler (Akari) erreicht werden. Auf Spitzer wird der letzte Tropfen Helium am 14. April 2009 (± 10 Tage) verdampft sein. Dann wird mit dem IRAC-Instrument bei den Wellenlängen 3,5 und 4,5 Mikrometer mindestens bis 2011 weiter beobachtet. Dieses erstmals beim europäischen Infrarotsatelliten ISO erprobte Verfahren liefert sehr kostengünstig wissenschaftliche Daten, da einfach ein gut geeichter Satellit abgespeckt weiterbetrieben wird.


Materialfragen

Der Wettlauf um das beste Spiegelmaterial ist seit Jahrzehnten ein Thema der SPIE-Konferenzen: Geringste Flächendichte, höchste Festigkeit, gute Bearbeitbarkeit, gute Wärmeleitung und anderes mehr gehören zu den wichtigsten Anforderungen. Bei Hubble betrug die Flächendichte noch 75 kg/m², beim JWST sollen es 15 kg/m² werden, für die künftigen großen Weltraumteleskope werden 1,5 kg/m² angesetzt. Siliziumkarbid (SiC) ist ein Schritt in diese Richtung: Ein verrippter 3,5-Meter-Spiegel aus diesem Material fliegt ab nächstem Jahr auf HERSCHEL. Schaumgefüllte und kohlefaserverstärkte SiC-Schichtspiegel sollen bei gleicher Festigkeit noch leichter werden. Die aktiv geregelten Spiegel, wie beispielsweise die 18 Beryllium-Segmente des JWST, sind nicht viel weiter zu erleichtern, da sie eine steife Rückwand zur Abstützung benötigen.

Obwohl von manchen als Auslaufmodell angesehen, sind auch Zerodur-Spiegel nach wie vor beliebt. Das Material ist bestens zu polieren, durch seine Durchsichtigkeit leicht zu prüfen (beides im Gegensatz zu SiC) und es hat den geringsten thermischen Ausdehnungskoeffizienten. Durch kluge Ausfräsungen auf der Rückseite kann ein Spiegel bei guter Festigkeit um 70 Prozent des Vollscheibengewichts erleichtert werden. Die Firma Schott feierte neulich das 40-jährige Jubiläum der Keramik Zerodur, deren Entwicklung ohne den Großauftrag des Max-Planck-Instituts für Astronomie für die Calar-Alto-Teleskope im Jahre 1968 nicht zustande gekommen wäre. Auch wenn damals kaum daran verdient wurde, waren die anschließenden rund 60 Millionen Ceran-Kochfelder und zahllose industrielle Anwendungen eine reiche Ernte dieses folgenreichen Anstoßes aus der Astronomie. Maschinen zur Herstellung hochintegrierter Halbleiterschaltkreise für Mobiltelefone verdanken ihre Genauigkeit dem Einsatz von Zerodur. Wenn man in einigen Jahren zu noch kleineren Schaltkreis-Strukturen übergehen wird, werden zusätzlich Erfahrungen mit astronomischer Röntgenoptik eine Rolle spielen. Es ist möglich, dass auch für die segmentierten Hauptspiegel der geplanten Großteleskope der neuen Generation (E-ELT...) Zerodur zum Einsatz kommen wird, wie zuvor schon für die Großteleskope KECK, GRANTECAN und HET. In der Serienfertigung der Segmente wurde schon immer hohe Gleichmäßigkeit erreicht, wichtig für die anschließende optische Bearbeitung.

Auch an Membranspiegeln aus metallisierten Folien wird weiter gearbeitet. An der Universität von Hawaii wird eine photonische Muskelmembran entwickelt. In eine Polymerfolie eingelagerte Moleküle einer Benzolverbindung bewegen sich je nach Einstrahlung mit polarisiertem ultraviolettem Licht auf und ab. So kann durch geeignete Bestrahlung der Rückseite die Spiegelfigur wie bei einem adaptiven (deformierbaren) Spiegel schnell verändert werden. Und die Folie ist nur 50 Mikrometer dick!

Neben den atemberaubenden Fortschritten der Sensortechnologie stehen ähnliche Erfolge in der Mikromechanik mit Siliziumplättchen. Für die Multiobjektspektroskopie wurden Matrizen mit Tausenden winzig kleiner Fenster oder Spiegel geschaffen. Sie lassen sich elektronisch angesteuert auf- und zuklappen, um das Licht von bis zu hundert fernen, lichtschwachen Galaxien zur gleichzeitigen Messung in den Spektrografen eintreten zu lassen und alles andere Licht abzuschirmen. Damit solche 0,1 Millimeter großen Klapptüren im spröden gekühlten Silizium überhaupt funktionieren, werden aus dem Silizium lange dünne Torsionsstäbe als Scharnier herausgeätzt, die sich pro Längeneinheit nur um kleinere Winkel biegen.

Ein weiteres Beispiel: Für die Kühlung der Ferninfrarot-Detektoren wurden Metall-Isolator-Supraleiter-Kühler (NIS) vorgestellt. Sie sind nur noch einige Mikrometer groß, so dass jedes Detektorpixel seinen privaten Kühler bekommen kann. Durch den quantenmechanischen Tunneleffekt werden die »wärmsten« Elektronen aus dem Detektor abgeleitet, wobei er sich von 0,3 Kelvin auf 0,1 Kelvin abkühlt; damit ergibt sich eine starke Empfindlichkeitssteigerung der Kamera.


Die großen Forschungsthemen

Nach annähernd 900 meist zwanzigminütigen Vorträgen und Postern gab es zur Halbzeit der Tagung eine halbtägige Plenar-Vortragsserie für alle 2200 Teilnehmer zum Thema »Das frühe Universum«, bevor die nächsten fast tausend technischphysikalisch ausgerichteten Kurzvorträge und Poster bis Samstagabend folgten. Führende Kosmologen stellten das Standardmodel der Kosmologie vor (Simon White, MPI für Astrophysik, Garching), deuteten die Ergebnisse des Satelliten WMAP zur kosmischen Hintergrundstrahlung (David Spergel, Princeton University), erklärten ferne Supernovae, beschleunigte Expansion und Dunkle Energie (Pierre Astier, Universität Paris), die Epoche der Reionisation des Kosmos (Piero Madau, Lick Observatory), Galaxiendurchmusterungen bei hohen Rotverschiebungen (Iye Masanori, National Observatory Japan), Galaxien-Archäologie (Rosie Wyse, Johns Hopkins University). Der letzte, temperamentvolle Vortrag war der Kosmologie mit künftigen Boden- und Weltraumobservatorien gewidmet (Malcolm Longair, University of Cambridge).

Bemerkenswert war, wie vorsichtig diese Experten unser Verständnis von der Entwicklung der Welt sehen. Aus der Vielzahl kosmologischer Präzisionsbeobachtungen ist ein schlüssiges Modell gebaut worden. Es fehlt aber das physikalische Verständnis für die Dunkle Energie, die Dunkle Materie, die Inflationsphase nach dem Urknall. Um da weiterzukommen, werden auf beiden Seiten des Atlantiks neue Weltraummissionen geplant. Sie sollen unter anderem verfolgen, wie die Winkelausdehnung der etwa ein Grad großen (als Messlatte dienenden) Strukturen im kosmischen Hintergrund (etwa 400 000 Jahre nach dem Urknall) bei einer Rotverschiebung z ≈ 1000 mit der Zeit wächst. Dazu müssen dreidimensionale Bilder der heutigen Galaxienverteilung geschaffen werden. Das ist teilweise mit Durchmusterungen vom Boden aus (wie dem Sloan Digital Sky Survey) möglich - in größeren Entfernungen aber nur mit Satelliten, die im nahen Infraroten einige hundert Millionen Galaxien spektroskopieren sollen. Solche Missionen lassen sich aber kaum für weniger als eine halbe Milliarde Euro/Dollar durchführen.


Geld spielt eine Rolle

Die Astronomie ist zu einer teuren Wissenschaft geworden. Viele der geplanten Instrumente erfordern Entwicklungskosten von bis zu einer Milliarde Euro/ Dollar. Dazu kommen beträchtliche Betriebskosten, die oft jährlich zehn Prozent der Baukosten betragen und bei einem Observatorium die ursprünglich genannten Kosten mehr als verdoppeln können. Malcolm Longair stellte eine ernüchternde Gesamtkostenformel für astronomische Großprojekte auf. Sollen so große Summen an Steuermitteln eingesetzt werden, um kosmologische Modellvorstellungen zu verfolgen? Kann man überhaupt Entdeckungen planen? Wichtige Entdeckungen erfolgten ungeplant: Pulsare, Quasare, Ausdehnung des Kosmos, Dunkle Materie, die extrasolaren Planeten auf engen Umlaufbahnen und viele andere. Einigkeit herrschte darüber, dass mit allen geplanten Teleskopen und Instrumenten die Fähigkeiten für Entdeckungen durch gesteigerte Empfindlichkeit, bessere räumliche und spektrale Auflösung, erweiterten Spektralbereich, Multiobjekt-Fähigkeit, größere Himmelsüberdeckung und so fort weiterentwickelt werden müssen - dann wird es mit Sicherheit überraschende wissenschaftliche Neuigkeiten geben.

Bei vielen der vorgestellten Großprojekte liegen die Fertigstellungstermine um das Jahr 2020. Sie sollen aus der Synergie des parallelen Beobachtens mit Großteleskopen am Boden (ALMA, ELTs.) und im Weltraum (JWST, Interferometer/Occulter.) gesteigerten wissenschaftlichen Nutzen ziehen. Aber es wird nicht alles gleichzeitig gehen. Selbst wenn reichlich Geld vorhanden wäre, dauert die Entwicklung neuer, nur im Labor getesteter oder im Rechner simulierter Technologien bis zum praktischen Einsatz nach allen Erfahrungen meist viel länger als in der anfänglichen Begeisterung geplant. Während die neuen bodengebundenen Riesenteleskope noch im Wettbewerb zwischen Amerika und Europa vorangetrieben werden, ist bei noch größeren Unternehmungen, wie etwa dem JWST mit Gesamtkosten von mehr als drei Milliarden Dollar, die interkontinentale Zusammenarbeit zwingend.

Die Astronomie ist ihr Geld wert, sie treibt auf zahlreichen Gebieten durch neue und extreme Anforderungen die Technologie vorwärts. Das hat viele Industrien in die Lage versetzt, neue Produkte herzustellen und es der Wissenschaft ermöglicht, Forschungsergebnisse auf anderen lebenswichtigen Feldern zu erzielen. Und die Astronomie findet ein breites Interesse bei den Menschen. Sie begeistert die Jugend für ein Studium der Naturwissenschaften und Technik: Die zahlreichen Studenten, die an diesen großen Tagungen teilnehmen, stimmen optimistisch. Es ist faszinierend, den Fortschritt im Großen und bei den Details im zweijährigen Rhythmus der SPIE-Konferenzen zu verfolgen. Ebenso den anregenden technologischen Wettkampf zwischen Europa und Amerika, mit Verfolgern aus Japan und demnächst aus China... Wir sind auf den Sommer 2010 in San Diego gespannt.


Dietrich Lemke war am MPI für Astronomie in Heidelberg lange Zeit für die Weltraumprojekte des Instituts verantwortlich. Dazu gehören die Beteiligungen des Instituts an den Infrarotobservatorien ISO, HERSCHEL und JWST, an denen er als Principal- oder Co-Investigator teilnahm. Er war einer der beiden Chairmen einer Technologie-Konferenz des SPIE-Symposiums in Marseille, von dem er hier berichtet.


Literaturhinweise

Bührke, T.: Aufbruch zu fremden Erden (TPF),
SuW 7/2003, S. 24 - 29.

Glindemann, A.: Das VLT-Interferometer,
SuW 3/2003, S. 24 - 32

Hechler, M.: Die Bahnen der Weltraumteleskope Herschel und Planck (L2),
SuW 1/2008, S. 48 - 55

Lemke, D.: Hubbles Nachfolger: Das James Webb Space Telescope,
SuW 8/2006, S. 26 - 34

Lemke, D.: Das Weltraumteleskop HERSCHEL vor dem Start,
SuW 1/2008, S. 36 - 46


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Die sieben 8,3-Meter-Spiegel des geplanten amerikanischen Giant Magellan Telescope werden von einer gemeinsamen Montierung getragen. Gemeinsam werden sie das Auflösevermögen und nahezu auch die Lichtstärke eines 24-Meter-Teleskops erreichen.
Das amerikanische Thirty Meter Telescope (TMT) wird in einer neuartigen Kalottenkuppel aufgestellt.
Das größte Teleskop der Welt planen zur Zeit die Europäer mit einem wabenförmigen Hauptspiegel und 42 Metern Öffnung.
Das europäische VLT mit seinen vier 8-Meter-Teleskopen gehört seit zehn Jahren zu den wissenschaftlich und technologisch erfolgreichsten Wissenschaftsmaschinen. Eine zweite Generation leistungsfähiger Fokalinstrumente für die Multiobjektspektroskopie, die Planetensuche und Bilder höchster räumlicher Auflösung von Galaxienkernen wird in den nächsten Jahren am VLT und am VLT-Interferometer in Betrieb gehen.
Astronomen der Chinesischen Akademie der Wissenschaften posieren auf Dome A, der höchsten Erhebung der Antarktis.
Der Vergleich des 2,4-m-Hauptspiegels des Weltraumteleskops HUBBLE mit dem 6,5-m-Spiegel seines Nachfolgers, dem James-Webb-Space-Telescope.
Nach einer der laufenden Studien könnte das TPF-Interferometer aus vier Teleskopen der Zwei-Meter-Klasse bestehen, die auf einem gemeinsamen Balken montiert sind.
Links: Der TPF-Koronograph besteht aus einem Zwei-Meter-Weltraumteleskop, vor dem in 70 000 Kilometern Entfernung ein wie eine Sonnenblume geformter, 30 Meter großer Schirm (Occulter) fliegt. Damit wird nach der Fresnelschen Theorie das Licht des Zentralsterns so weit unterdrückt, dass gleich daneben erdähnliche Planeten als schwache Sternchen im Gesichtsfeld sichtbar werden. Von einem 20 Lichtjahre entfernten, dem Unseren ähnlichen Planetensystem (Mitte) würde der TPF-Koronograf nur die Planeten als schwache Lichtpunkte abbilden (rechts); das Licht des Zentralsterns würde fast vollständig unterdrückt.
Der Sekundärspiegel des Magellan-Teleskops (Bild auf Seite 29) ist eine leichtgewichtige Zerodur-Scheibe. Durch rückseitige Ausfräsungen kann das Gewicht um bis zu 70 Prozent verringert werden. Mit zusätzlichem Ätzen wird eine Gewichtsreduzierung von bis zu 85 Prozent erreicht. Solche leichten Spiegel erlauben Kosteneinsparungen bei der Teleskopmontierung am Boden und bei den Starts für Weltraumteleskope.
Die links gezeigte Silizium-Matrix besitzt 62 000 nur 100 3 200 Mikrometer große Fenster. Wenn geöffnet (rechts), können bis zu hundert von ihnen gleichzeitig das Licht je einer fernen Galaxie in den Multiobjektspektrografen NIRSpec des Weltraumteleskops JWST einlassen.

© 2008 Dietrich Lemke, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 10/08 - Oktober 2008, Seite 28-35
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528-0, Fax: 06221/528-246
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69126 Heidelberg
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Oktober 2008