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KOMET/076: Komet Tempel 1 unter der Lupe (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012
Zeitschrift für Astronomie

Komet Tempel 1 unter der Lupe

Von Harald Krüger



Der Vorbeiflug der Raumsonde Stardust-NExT im Februar 2011 erbrachte eine Vielzahl neuer Ergebnisse über den Aufbau und die Aktivität des Kometen Tempel 1. Neben dem Einschlagkrater, den die Vorgängersonde Deep Impact rund sechs Jahre zuvor hinterlassen hatte, kartierte sie weitere bisher unbekannte Gebiete der Kernoberfläche und vermaß den Staub in der Nähe des Kometenkerns.


Zum ersten Mal in der Geschichte der Kometenforschung wurde im Frühjahr 2011 ein Schweifstern zum zweiten Mal von einer Raumsonde aus der Nähe inspiziert. Stardust-NExT passierte den Kern des Kometen Tempel 1 am 15. Februar in geringem Abstand, rund sechs Jahre nach dem Vorbeiflug der Sonde Deep Impact. Im Juli 2005 erreichte diese seinen Kern und beschoss ihn mit einem 372 Kilogramm schweren Impaktor von der Größe eines Kühlschranks (siehe SuW 9/2005, S. 20). Die damals zur Erde übertragenen Bilder zeigen eine Wolke aus Auswurfmaterial, die darauf schließen ließ, dass durch den Einschlag ein etwa 100 Meter großer künstlicher Krater entstanden sein musste (siehe SuW 5/2006, S. 24). Den Blick auf den Krater selbst verbarg jedoch die Auswurffontäne, die sich so lange hielt, bis sich die Hauptsonde bereits wieder weit vom Kometenkern entfernt hatte.

Daher beschloss die NASA eine zweite Mission zum Kometen Tempel 1 zu schicken, um unter anderem den künstlichen Einschlagkrater zu untersuchen. Hierfür wurde die Sonde Stardust ausgewählt, die schon im Jahr 2004 erfolgreich am Kometen Wild 2 vorbeigeflogen war (siehe SuW 4/2004, S. 19). Sie hatte noch genügend Treibstoff an Bord, so dass sie, nun umbenannt in Stardust-NExT (Next Exploration of Tempel 1), zum Kometen Tempel 1 umgelenkt werden konnte.

Die aus dem Kometenkern austretenden Gase wirken wie schwache Raketentriebwerke und verändern seine Rotation.

Stardust-NExT näherte sich dem sechs Kilometer großen Kometenkern bis auf 178 Kilometer an, dies ist die geringste jemals bei einem derartigen Vorbeiflug erreichte Entfernung. Die Geschwindigkeit betrug 10,9 Kilometer pro Sekunde relativ zum Schweifstern. Während der dichtes ten Annäherung nahm die Navigationskamera der Sonde insgesamt 72 detaillierte Bilder des Kometenkerns auf.

Bis zum Anflug von Stardust-NExT blieb allerdings unklar, ob die Bilder überhaupt die Region auf der Kernoberfläche zeigen würden, in der sich der künstliche Krater befinden musste. Die Rotationsperiode des Kometenkerns ändert sich nämlich mit jedem Umlauf um die Sonne. Dies liegt daran, dass die aus seinem Inneren austretenden Gase wie schwache Raketentriebwerke auf den Kern einwirken und somit sein Rotationsverhalten beeinflussen. Deshalb ließ sich seine Ausrichtung für den Zeitpunkt des Vorbeiflugs nur mit einer gewissen Unsicherheit vorhersagen (siehe SuW 2/2011, S. 32).

Der künstliche Krater kommt in Sicht
Die ersten, von Stardust-NExT zur Erde übertragenen Bilder zeigten den Missionskontrolleuren der NASA jedoch, dass die Ausrichtung des Kerns richtig vorausberechnet war und der Krater somit zu sehen sein würde. Auf den Aufnahmen zeigt sich tatsächlich ein Krater mit etwa 150 Meter Durchmesser, die höchste Auflösung der von Stardust-NExT übertragenen Bilder beträgt elf Meter pro Bildpunkt (siehe Bilder auf S. 44 und rechts oben in der Druckausgabe). Der künstliche Krater erscheint auf den Bildern nicht besonders tief, was vermutlich daran liegt, dass ein großer Teil des seinerzeit ausgeworfenen Materials wieder ins Kraterinnere zurückgefallen ist. Zudem findet sich eine Andeutung eines zentralen Hügels, der ebenfalls durch zurückgefallenes Auswurfmaterial entstanden sein könnte. Das Oberflächenmaterial scheint ähnliche Eigenschaften aufzuweisen wie trockener lockerer Schnee.

Die Kernoberfäche von Tempel 1 besteht grundsätzlich aus zwei Geländetypen: Einerseits gibt es sehr glatte Gebiete, andererseits Regionen mit einer rauen Oberfläche, in denen sich viele kraterähnliche Strukturen befinden (siehe Bilder auf S. 44 der Druckausgabe). Bei diesem zweiten Vorbeiflug ließ sich ein wesentlicher Teil der Kometenoberfläche kartieren, der den Kameras von Deep Impact verborgen geblieben war. Die Bilder der beiden Missionen zusammen decken rund 60 Prozent der gesamten Kernoberfläche ab, die wiederum zu etwa einem Drittel aus den glatten Regionen besteht. Jene befin den sich offenbar in lokalen Minima des Schwerefelds des Kometen.

Interessanterweise häufen sich in den Grenzgebieten von glattem zu rauem Terrain die Aktivitätsgebiete. Hier nehmen Gasstrahlen, die Jets, ihren Ursprung. Mindestens sieben von zehn beobachteten Jets brechen an solchen Geländegrenzen aus dem Kerninneren hervor. Sie bestehen vor allem aus Wasserdampf und Kohlendioxid, die sich bei der Erwärmung des Kometenkerns in Sonnennähe verflüchtigen. Sie bilden dann zusammen mit mitgerissenem Staub die Hülle (Koma) und den Schweif des Kometen.

Ein geschichteter Kern
Die Bilder bestätigen weiterhin die bereits nach dem Vorbeiflug von Deep Impact bekannten Anzeichen für einen schichtartigen Aufbau des Kerns. Allerdings ist noch unklar, wie diese Schichtung entstanden ist. Manche Kometenforscher favorisieren Eisvulkanismus wie auf dem Saturnmond Enceladus. Anderen Wissenschaftlern zufolge könnte diese Schichtung auch mit Einschlägen von kleineren Himmelskörpern verbunden sein. Dadurch schmolz möglicherweise das Kometenmaterial auf, wahrscheinlich schon bei der Entstehung des Kometen vor rund 4,6 Milliarden Jahren. Auf der Kernoberfläche findet sich eine Vielzahl kraterähnlicher Strukturen, deren Ursprung sich aus den Daten des ersten Vorbeiflugs nicht klären ließ. Eine wesentliche Frage war daher, ob es sich hierbei um echte Einschlagkrater oder um Gebilde handelt, die im Zusammenhang mit Aktivitätsgebieten entstanden sind, an denen die Gase aus dem Kometenkern hervorbrechen.

Durch die vollständigere Kartierung der Kernoberfläche ließ sich die Verteilung dieser Strukturen besser untersuchen: Insgesamt fanden sich etwa 380 Vertiefungen mit mehr als 50 Meter Durchmesser. Hochgerechnet auf die gesamte Kernoberfläche bedeutet dies, dass es mehr als 500 dieser Vertiefungen gibt. Die Forscher gehen bisher davon aus, dass nur ein sehr geringer Anteil von vielleicht zwei Prozent durch Einschläge verursacht wurde und somit echte Krater sind. Die allermeisten dieser Vertiefungen müssen demnach durch die interne Aktivität des Kerns verursacht sein.

Kometen verlieren bei jedem Umlauf um die Sonne einen Teil ihrer Masse durch die direkte Verdampfung (Sublimation) ihrer leichtflüchtigen Bestandteile in den umgebenden Weltraum, was letztlich zu ihrer Auflösung führt. Ein weiteres Ziel dieses zweiten Vorbeiflugs war daher die Suche nach Veränderungen auf der Kernoberfläche. In den rund sechs Jahren zwischen den beiden Besuchen umrundete Tempel 1 ziemlich genau einmal die Sonne. Die Bilder zeigen tatsächlich Veränderungen auf der Oberfläche, die allerdings sehr lokal sind. Im Bild rechts oben ist eine Klippe zu sehen, bei der das Oberflächenmaterial auf einer Höhe von etwa 20 Metern teilweise wegerodiert zu sein scheint. Abschätzungen auf Grund aller derartigen Oberflächenveränderungen ergeben eine Lebensdauer des Kerns von etwa 100 Umläufen um die Sonne. Dies entspricht einer recht geringen Lebenserwartung im inneren Sonnensystem von nur etwa 600 Jahren.

Neben der Navigationskamera hat Stardust-NExT zwei Staubmessinstrumente an Bord, die während des Vorbeiflugs erfolgreich Daten sammelten. Der Staubflussmonitor, das Dust Flux Monitor Instrument (DFMI), maß mehrere tausend Einschläge von Staubteilchen, die überwiegend wesentlich kleiner als ein Zehntel Millimeter waren. Die höchste Staubeinschlagrate trat wie erwartet zur Zeit der größten Annäherung an den Kometenkern auf. Starke, sehr kurzzeitige Schwankungen der Staubflussrate deuten auf Fragmentation der Teilchen hin.

Somit ergibt sich ein ähnliches Bild wie beim Kometen Wild 2; auch dort konzentrierte sich die höchste Einschlagrate der Teilchen auf die größte Annäherung an den Kometenkern und es gab ebenfalls eine starke Fragmentation. Außerdem durchlief die Sonde ein zweites Maximum in der Einschlagrate in etwa 4000 Kilometer Abstand vom Kern. Dieses wurde vermutlich durch einen Jet aus Staubteilchen verursacht, den die Sonde durchflog. Solch ein zweites Maximum fehlt bei Tempel 1. Die Größenverteilung der Teilchen ist dagegen bei beiden Kometen sehr ähnlich.

Das Staubanalysegerät, der Cometary and Interstellar Dust Analyzer (CIDA), registrierte etwa 30 Einschläge von Staubteilchen. Die Messdaten deuten wie bei Wild 2 unter anderem auf organisch-chemische Bestandteile hin. Bemerkenswerterweise fing CIDA auch wieder wesentlich weniger Teilchen auf als DFMI, was wegen der Empfindlichkeiten beider Instrumente jedoch gerade umgekehrt sein sollte. Beim Kometen Wild 2 wurden seinerzeit hierfür Abschattungen durch Teile der Raumsonde verantwortlich gemacht (siehe SuW 2/2011, S. 32). Inwieweit dies auch beim Vorbeiflug an Tempel 1 der Fall war, bleibt abzuwarten.

Alles in allem war dieser zweite Vorbeiflug am Kometen Tempel 1 wissenschaftlich ein großer Erfolg und die weitere Auswertung der Daten wird noch für manche Überraschung gut sein. Der nächste spannende Höhepunkt in der Kometenforschung steht im Jahr 2014 bevor, wenn die europäische Sonde Rosetta den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko erreicht und das Landegerät Philae auf seinem Kern absetzt. Die Vielzahl der dann zu erwartenden neuen Erkenntnisse dürfte dazu führen, dass ein ganz neues Kapitel in der Kometenforschung aufgeschlagen werden muss.


Harald Krüger
arbeitet am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Seine Hauptarbeitsgebiete sind die Erforschung der Kometen und von kosmischem Staub. Er ist an der Rosetta-Mission beteiligt, die ab 2014 den Kometen Tschurjumow-Gerasimenko untersuchen soll.


Literaturhinweise

Küppers, M. und Krüger, H.: Boten aus der Frühzeit des Sonnensystems - Neues über Kometen. In: Sterne und Weltraum 5/2006, S. 24-32

Krüger, H.: Stardust-NExT - Der zweite Besuch beim Kometen Tempel 1. In: Sterne und Weltraum 2/2011, S. 32-38

Althaus, T.: Komet Tempel 1: Das zweite Rendezvous. In: Sterne und Weltraum 4/2011, S. 20-21

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w i s - wissenschaft in die schulen

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Um diese Brücke von der Wissenschaft in die Schulen zu schlagen, stellt WIS didaktische Materialien als PDF-Dokumente zur Verfügung (kostenloser Download von der Internetseite www.wissenschaft-schulen.de).

WiS in Sterne und Weltraum
Das WIS-Material »Tempel 1 - Wir landen auf einem Kometenkern« nimmt Bezug auf den Beitrag »Komet Tempel 1 unter der Lupe«. Ein Arbeitsblatt führt Schüler der gymnasialen Oberstufe ab Klassenstufe 9 als fiktive Astronauten auf die Oberfläche eines Kometenkerns, wo sie ihr eigenes Gewicht ermitteln, Experimente durchführen und Aufgaben lösen. (ID-Nummer: 1063516)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 43:
Der Kern des Kometen Tempel 1 weist eine rundliche Form auf. Diese vier Ansichten lichtete die US-Raumsonde Stardust-NExT bei ihrem Vorbeiflug im Februar 2011 ab. Die runden Vertiefungen sind nur zu einem geringen Teil Einschlagkrater, sie entstehen vorwiegend durch die Aktivität des Kometenkerns.

Abb. S. 44 oben:
Bereits im Juli 2005 flog die Raumsonde Deep Impact am Kometen Tempel 1 vorbei. Sie setzte einen Impaktor aus, der einen künstlichen Einschlagkrater erzeugte (siehe Detailbild oben).

Abb. S. 44 unten:
Das Einschlaggebiet auf Tempel 1 wurde im Abstand von sechs Jahren vor und nach dem Einschlag des Impaktors von Deep Impact aufgenommen. Die Aufnahme links von Deep Impact ist detailreicher als das rechte Teilbild von Stardust-NExT, da sie mit einer besseren Optik abgelichtet wurde. Der mit einem gelben Ring umfasste künstliche Krater hat einen Durchmesser von 150 Metern und ist sehr flach.

Abb. S. 45:
Durch den Besuch von zwei Sonden ließen sich Veränderungen auf der Oberfläche von Tempel 1 nachweisen. Oben ist ein Vergleichsbild von Deep Impact im Jahr 2005 zu sehen, unten eine Aufnahme derselben Region aus dem Jahr 2011 von Stardust-NExT. Die glatten Regionen befinden sich in einer größeren Höhe auf der Kernoberfläche. Regionen mit starken Veränderungen seit 2005 sind in Gelb markiert. Die gelben Linien verdeutlichen Klippen von rund 20 Metern Höhe, die innerhalb von sechs Jahren zum Teil wegerodiert sind. Im gelben Rechteck sind kraterähnliche Vertiefungen sichtbar, die sich seit dem ersten Vorbeiflug stark verändert haben.

© 2012 Harald Krüger, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 7/12 - Juli 2012, Seite 42 - 45
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2012