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KOMET/107: Rosetta/Philae - Landung auf einem Kometen (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 11/14 - November 2014
Zeitschrift für Astronomie

Rosetta/Philae: Landung auf einem Kometen

Von Harald Krüger



Am 12. November dieses Jahres soll der von der europäischen Sonde Rosetta mitgeführte Landesonde Philae auf dem Kern des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko aufsetzen. Einen geeigneten Landeplatz zu finden, erforderte gründliche Untersuchungen aus nächster Nähe. Schon jetzt bildet die Mission einen Meilenstein in der Kometenforschung.


Mitte Juli dieses Jahres befand sich die Raumsonde Rosetta noch im Anflug auf den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko. Die von der Sonde aus einigen 10.000 Kilometer Abstand vom Kometenkern zur Erde übertragenen Bilder sorgten für eine große Überraschung unter den beteiligten Wissenschaftlern: Man hatte einen nahezu kugelförmigen Kern mit einigen wenigen Ausbuchtungen erwartet (siehe SuW 4/2014, S. 32 ff.). Stattdessen erwies sich 67P als sehr unregelmäßig geformt und scheint aus zwei Einzelkörpern zusammengesetzt zu sein, verbunden durch eine tiefe Einschnürung. Einen geeigneten Landeplatz für das mitgeführte Landegerät Philae auf einem derart unregelmäßig geformten Himmelskörper zu finden, war daher schwieriger als erwartet.

Bei Redaktionsschluss sollte die Landung von Philae auf dem Kern von 67P am 12. November dieses Jahres erfolgen - bereits bei der Planung von Rosetta vor mehr als zehn Jahren war eine Landung bei drei Astronomischen Einheiten Abstand von der Sonne vorgesehen, was diesen Landetermin vorgab. Ein wesentlich späterer Termin schied von vornherein aus, da der Kern bei seiner Annäherung an die Sonne aktiver wird und der dadurch ansteigende Gasdruck eine zunehmende Gefahr für den Erfolg der Landung hätte darstellen können.

Landen - aber wo?

Mitte August dieses Jahres lagen bereits genügend Informationen über den Kern vor, so dass fünf geeignete Landeplatzkandidaten ausgewählt werden konnten (siehe SuW 10/2014, S. 28 ff.). Die in Frage kommenden Landegebiete mussten eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen.

Mit den Kameras an Bord von Rosetta wurde die Kernoberfläche kartiert und nach möglichst ebenen Gebieten mit wenigen größeren Hindernissen gesucht. Die Bilder zeigen sehr zerklüftete Regionen mit zum Teil viel Geröll, einzelne Schuttkegel sowie von Steilwänden und Abbruchkanten begrenzte Plateaus. Der von den Ingenieuren angegebene Unsicherheitsbereich beim Treffen des vorgesehenen Landeplatzes beträgt fast einen Quadratkilometer. Derart große, möglichst flache Gebiete sind auf dem Kern jedoch rar. Auch sollte das Terrain nicht zu steil sein, damit Philae bei der Landung nicht umkippt und sich fest im Boden verankern kann.

Eine weitere wichtige Bedingung betrifft den Tag-Nacht-Zyklus am Landeplatz, da Philae einige Monate auf der Oberfläche betrieben werden soll. Die Tageslänge sollte mindestens eine halbe Kometenrotation betragen (6,2 Stunden), damit Philaes Solarzellen genügend Strom zum Aufladen der Bordbatterie liefern können.

Der durch das abströmende Kometengas auf Philae ausgeübte Druck war ebenfalls eine wichtige Größe für die Landung. Wäre er zu hoch, könnte Philae wegen der sehr geringen Schwerkraft des Kometen beträchtlich abgebremst werden, so dass die Flugbahn verändert und der Landepunkt auf der Oberfläche verschoben würde. An den in Frage kommenden Landeplätzen sollte der Gasdruck daher möglichst gering sein und musste bei der Berechnung der Flugbahn von Philae dennoch berücksichtigt werden. Zu deren Berechnung war es erforderlich, die räumliche Struktur des Kerns zu kennen. Bereits die im Juli übertragenen Bilder enthielten genug Informationen für ein erstes 3-D-Modell. Es wurde ständig verbessert und erreichte im August eine Genauigkeit von rund 20 Metern.

Auch der Temperaturverlauf auf der Oberfläche war von Bedeutung. Die Sonneneinstrahlung am Landeplatz darf nicht zu hoch sein, damit Philaes Bordelektronik bei der Annäherung des Kometen an die Sonne nicht zu warm wird. Andererseits soll Philae bei Nacht nicht zu stark auskühlen. Rosetta maß deshalb die Oberflächentemperatur, woraus sich auch Informationen über die Zusammensetzung der Oberfläche gewinnen ließen.

Unter all diesen Voraussetzungen wurden Landeszenarien entwickelt und mögliche Flugbahnen für Philae für das Herabsinken zur Oberfläche berechnet. Diese hatten weitere Bedingungen zu erfüllen: Die Landung musste bei Tag erfolgen, damit Philaes Kameras bereits während des Anflugs Bilder des Landegebiets aufnehmen können. Es muss für mehrere Stunden Funkkontakt mit Rosetta bestehen, damit die ersten wissenschaftlichen Daten möglichst schnell über Rosetta zur Erde übertragen werden können. Hierfür, und um Philae auf die gewünschte Flugbahn zu bringen, musste Rosetta vor und nach dem Abtrennen von Philae eine Reihe von Bahnmanövern fliegen.

Neben all diesen technischen Randbedingungen wirken die wissenschaftlichen Kriterien für die Auswahl geeigneter Landeplätze schon fast nebensächlich. So sollte neben einem optimalen Tag-Nacht-Verhältnis die Kometenoberfläche in der Nähe des Landeplatzes aktiv sein. Die sich mit der Annäherung an die Sonne entwickelnde Kometenaktivität ist eine Besonderheit dieser Kleinkörper. Daher ist es eines der Hauptziele der Rosetta-Mission, die Mechanismen, die zur Aktivität führen, besser zu verstehen. Weiterhin spielten die Zusammensetzung der Oberfläche und geologische Aspekte bei der Auswahl der Landeregion eine Rolle.

Das Zielgebiet

Mitte September wurde die Zahl der Kandidaten auf zwei reduziert und einer dieser Kandidaten als Ziellandeplatz ausgewählt. Er erwies sich unter Abwägung aller Aspekte am geeignetsten für eine sichere Landung und für einen möglichst langen und erfolgreichen Betrieb von Philae auf der Kometenoberfläche. Es gibt Anzeichen für Aktivität in der Nähe, die Neigungen von Steilwänden im Landegebiet sind meist geringer als 30 Grad, und es sind vergleichsweise wenige große Felsbrocken vorhanden. Die Tageslänge beträgt dort etwa sieben bis neun Stunden.

Als Reserve dient der zweite ausgewählte Landeplatz, falls sich Kandidat eins im Verlauf der Untersuchungen als ungeeignet erweisen sollte.

Schwierigster Teil: Die Landung

Für den Anflug stoßen vorgespannte Federn Philae am 12. November etwa 20 Kilometer über der Kometenoberfläche vom Orbiter ab. Die Federn bringen Philae dabei auf eine Geschwindigkeit von 19 Zentimetern pro Sekunde. Philae soll dann im freien Fall - durch die Anziehungskraft des Kometenkerns beschleunigt und nur geringfügig durch das entgegenströmende Kometengas gebremst - innerhalb von sieben Stunden auf die Kernoberfläche herabsinken und mit einer Geschwindigkeit von 0,95 Metern pro Sekunde auftreffen. Eine Kaltgasdüse auf der Oberseite von Philae zündet beim ersten Bodenkontakt für einige Sekunden, um die Sonde an den Boden zu drücken. So kann sie nicht von der Oberfläche abprallen. Gleichzeitig bohren sich drei in den Landefüßen befindliche Schrauben in den Boden und zwei Harpunen an Philaes Unterseite werden zur festgen Verankerung abgefeuert.

Alle Schritte erfolgen autonom: Nach dem Abtrennen von Philae ist ein Eingreifen von der Erde aus nicht mehr möglich. Dies ist schon rein technisch ausgeschlossen, da Funksignale von der Erde zur Raumsonde fast eine halbe Stunde benötigen.

Philae bei der Arbeit

Hauptziel der Philae-Mission sind die Untersuchungen auf der Kometenoberfläche, die nur wenige Minuten nach dem Aufsetzen beginnen sollen. Für etwa 60 Stunden (rund fünf Kernrotationen) sind Messungen mit allen Instrumenten an Bord geplant. Wie lange diese Messphase wirklich dauert, hängt allerdings vom Ladezustand der Hauptbatterie an Bord ab. Sie wurde vor dem Start im Jahr 2004 voll geladen, ihr Ladezustand ließ sich während des Flugs jedoch nicht überprüfen. Sie ist nicht wieder aufladbar und war nur zur Stromversorgung während des Herabsinkens zur Oberfläche und der 60 Stunden Messdauer vorgesehen. Philaes zweite Batterie lässt sich über die Solarzellen wieder aufladen. Sie hat jedoch eine wesentlich geringere Kapazität und dient danach gemeinsam mit den Solarzellen zur alleinigen Stromversorgung.

Auch die wissenschaftlichen Messungen müssen autonom ablaufen. Die Kommandos zum Betrieb von Philae und seiner Instrumente werden - nach ausführlichen Test an einem Zwillingsmodell beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Köln Porz-Wahn - in den Speicher des Zentralrechners von Philae geladen und anschließend abgearbeitet. Kurzfristige Änderungen im Ablauf sind nur in Ausnahmefällen geplant.

Die Landung und den Betrieb auf der Kometenoberfläche steuert das Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt (ESOC) gemeinsam mit den Kontrollzentren des DLR in Köln und der französischen Weltraumbehörde CNES in Toulouse. Die Wissenschaftler werden am 12. November beim DLR in Köln die Landung verfolgen und dort mit Spannung auf das Eintreffen der ersten Daten warten.

Im August 2015 wird 67P das Perihel seiner Bahn passieren. Ob Philae bis dahin funktionsfähig bleibt, ist unklar, da mit zunehmender Temperatur Fehler und Ausfälle in der Bordelektronik auftreten können. Doch bereits vor der Landung von Philae stellt die Rosetta-Mission einen Meilenstein in der Kometenforschung dar.


Harald Krüger erforscht am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen Kometen und kosmischen Staub.


Literaturhinweise

Krüger, H., Agarwal, J.: Rosetta: Rendezvous mit einem Kometen. In: Sterne und Weltraum 4/2014, S. 32-42

Althaus, T.: Ein Komet wird entschleiert - Raumsonde Rosetta nimmt die Arbeit auf. In: Sterne und Weltraum 10/2014, S. 28-35

Weblinks zu diesem Thema finden Sie unter:
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1310854

Landesequenz von Philae im Video: http://goo.gl/IULVMa

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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WiS in Sterne und Weltraum

»Die Rosetta-Mission« eignet sich für den Artikel »Rosetta/Philae: Landung auf einem Kometen«: Kometen beeindrucken die Menschheit seit jeher. Wurden sie früher eher als Unglücksboten angesehen, soll ihre Erforschung heute die Entstehung des Sonnensystems erklären helfen. Europas Kometensonde Rosetta hat nun ihr Zielobjekt 67P/Tschurjumow-Gerasimenko erreicht. Sie kartiert dessen Kern und unterzieht ihn einer stofflichen Analyse. Die mitgeführte Tochtersonde Philae wird im November 2014 erstmals auf einem Kometenkern weich landen.
(ID-Nummer: 1051430)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 28 oben links:
Die Aufnahme mit der Kamera OSIRIS an Bord von Rosetta vom 20. August 2014 (links) zeigt den ausgewählten Ziellandeplatz »J« aus einer Entfernung von 67 Kilometern. Die Auflösung des Bildes beträgt 1,2 Meter pro Pixel.

Abb. S. 28 oben rechts:
Der Reservelandeplatz für Philae trug bei der Vorauswahl die Bezeichnung »C«.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2014-11-s028-pdf/1312322

© 2014 Harald Krüger, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 11/14 - November 2014, Seite 28 - 29
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2014-11-s028-pdf/1312322
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2014