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STERN/307: Ein himmlischer Schmetterling schlüpft aus seinem staubigen Kokon (idw)


Max-Planck-Institut für Astronomie, ESO Science Outreach Network - 10.06.2015

Ein himmlischer Schmetterling schlüpft aus seinem staubigen Kokon


Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching) - Neue Aufnahmen vom Very Large Telescope der ESO haben zum ersten Mal gezeigt, wie ein Objekt, bei dem es sich vermutlich um einen alternden Stern handelt, einen schmetterlingsförmigen planetarischen Nebel hervorbringt. Die Beobachtungen des roten Riesensterns L2 Puppis, die im ZIMPOL-Modus des neu installierten Instruments SPHERE durchgeführt wurden, zeigen auch einen nahen Begleitstern des Roten Riesen. Die letzten Lebensstadien von Sternen, und ganz besonders der Ursprung solcher bipolarer Nebel mit ihrem komplexen und faszinierenden, sanduhrartigem Erscheinungsbild, geben Astronomen auch heute noch Rätsel auf.


Bild: ESO/P. Kervella

VLT/SPHERE-Aufnahme des Sterns L2 Puppis und seiner Umgebung.
Bild: ESO/P. Kervella

Mit einer Entfernung von etwa 200 Lichtjahren ist L2 Puppis einer der nächstgelegenen Roten Riesensterne, von denen bekannt ist, dass sie am Beginn ihrer letzten Lebensphasen stehen. Die neuen Beobachtungen im ZIMPOL-Modus von SPHERE wurden im sichtbaren Licht und unter Verwendung von extremer adaptiver Optik durchgeführt. Diese Methode korrigiert die Abbildung in viel größerem Ausmaß als normale adaptive Optik und ermöglicht eine genauere Untersuchung von lichtschwachen Objekten und Strukturen in der Nachbarschaft heller Quellen. Die hier vorgestellten Ergebnisse sind die ersten publizierten Resultate aus diesem Beobachtungsmodus, und außerdem die detailliertesten für einen derartigen Stern.

ZIMPOL kann Abbildungen erzeugen, die drei Mal schärfer sind als die des NASA/ESA Hubble Space Telescope, und so zeigen auch die neuen Beobachtungen feinste Details in der Staubwolke um L2 Puppis[1]. Sie bestätigen frühere Resultate, die mit NACO gewonnen wurden und nahegelegt hatten, dass der Staub in einer Scheibe angeordnet ist, die wir von der Erde aus beinahe genau von der Kante sehen. Die aktuellen Beobachtungen erlauben eine viel genauere Untersuchung, und die vom ZIMPOL-Modus gelieferten Informationen zur Polarisation des Lichts haben es dem Team ermöglicht, ein dreidimensionales Modell der Staubstrukturen zu erstellen [2].

Die Astronomen haben herausgefunden, dass die Staubscheibe etwa 900 Millionen Kilometer - also etwas mehr als die Distanz von Jupiter zu unserer Sonne - vom Stern entfernt beginnt. Die Scheibe weitet sich dann auf und bildet eine symmetrische, trichterartige Struktur um den Stern. Das Team entdeckte auch eine zweite Lichtquelle etwa 300 Millionen Kilometer entfernt - also der zweifachen Entfernung Erde-Sonne - von L2 Puppis. Es handelt sich bei diesem Begleitstern vermutlich um einen roten Riesen mit vergleichbarer Masse, aber in einem früheren Entwicklungsstadium.

Die Kombination aus der großen Menge Staub, die den sterbenden Stern umgibt, und der Anwesenheit des Begleitsterns bedeutet, dass wir hier genau die Art von System beobachten, bei der wir die Entstehung eines bipolaren Planetarischen Nebels erwarten. Es handelt sich dabei um notwendige Bedingungen, aber vermutlich spielt auch der Zufall eine gewisse Rolle bei der Frage, ob dann aus dem staubigen Kokon auch tatsächlich ein himmlischer Schmetterling schlüpft.

Pierre Kervella, Erstautor der Veröffentlichung, erklärt: "Der Ursprung von bipolaren Planetarischen Nebeln ist eines der großen klassischen Probleme der modernen Astrophysik. Dabei geht es insbesondere um die Frage, wie Sterne ihr Inventar an Metallen zurück ins Weltall befördern. Das ist ein sehr wichtiger Prozess, denn aus diesem Material werden spätere Generationen von Planetensystemen entstehen."

Zusätzlich zur aufgeweiteten Scheibe von L2 Puppis fand das Team zwei konische Strukturen, die senkrecht aus der Scheibe hervortreten. Innerhalb dieser Strukturen wurden zwei lange, leicht gekrümmte Materiewolken entdeckt. Anhand des Ursprungsorts einer dieser Wolken konnte das Team schlussfolgern, dass es sich bei ihr vermutlich um ein Resultat von Wechselwirkungen zwischen Materie aus der Scheibe von L2 Puppis und dem Sternwind und dem Strahlungsdruck des Begleitsterns handelt. Die andere Wolke ist vermutlich das Ergebnis des Aufeinandertreffens der Winde der beiden Sterne oder das Produkt einer Akkretionsscheibe um den Begleitstern.

Obwohl viele Fragen noch ungeklärt sind, gibt es zurzeit zwei führende Theorien zur Entstehung bipolarer Planetarischer Nebel. Beide setzen ein Doppelsternsystem voraus [3]. Die neuen Beobachtungen legen nahe, dass bei L2 Puppis beide vorgeschlagenen Prozesse eine Rolle spielen. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass dieses System in der Zukunft einen kosmischen Schmetterling hervorbringen wird.

Pierre Kervella schließt: "Da der Begleitstern wenige Jahre für einen Umlauf braucht, erwarten wir beobachten zu können, wie er die Scheibe des Roten Riesen in ihrer Form beeinflusst. Wir werden die Entwicklung der Staubstrukturen in diesem System in Echtzeit verfolgen können. Eine extrem seltene und aufregende Gelegenheit."


Endnoten

[1] SPHERE/ZIMPOL verwendet extreme adaptive Optik um beugungsbegrenzte Abbildungen zu erzeugen. Die Ergebnisse liegen wesentlich näher am theoretischen Auflösungsvermögen, das ein Teleskop erreichen könnte, wenn es die Erdatmosphäre nicht gäbe, als bei früheren Versionen der adaptiven Optik. Extreme adaptive Optik ermöglicht auch den Nachweis viel schwächerer Objekte nahe an einem hellen Stern. Die Beobachtungen werden im sichtbaren Licht durchgeführt, also bei kürzeren Wellenlängen als dem bei früheren adaptiven Optiken meistens verwendeten nahinfraroten Licht. Diese beiden Faktoren führen zu wesentlich schärferen Bildern als bisher vom VLT geliefert werden konnten. Das VLTI ermöglicht wiederum nochmals höhere Auflösungen, wobei interferometrische Beobachtungen aber keine direkten Abbildungen erzeugen.

[2] Der Staub in der Scheibe führt zu einer effizienten Streuung des Sternlichts in unsere Richtung, und zu seiner Polarisation, die das Team ausnutzen konnte, um eine dreidimensionale Karte zu erstellen. Für die Modellierung der Staubhülle wurden dabei Daten von ZIMPOL und NACO sowie ein Modell der Scheibe aus dem Programm RADMC-3D verwendet, das aus einem Parametersatz zur Beschreibung des Staubs eine Simulation des Strahlungstransports durch den Staub erstellt.

[3] Die erste Theorie besagt, dass der Staub der vom Wind des Hauptsterns erzeugt wird durch den Strahlungsdruck und Sternwind des Begleitsterns auf einen ringförmigen Orbit gezwungen wird. Jeder weitere Massenverlust des Hauptsterns wird dann durch diese Scheibe quasi kanalisiert und tritt so in zwei entgegengesetzten Säulen senkrecht zur Scheibe aus.

Die zweite Theorie dagegen geht davon aus, dass das meiste Material das vom Hauptstern ausgeworfen wird vom Begleiter akkretiert wird und so den Grundstein für eine Akkretionsscheibe und Jets legt. Übriggebliebenes Material wird dann von den Winden des sterbenden Sterns weggedrückt und bildet eine Gas- und Staubwolke, genauso wie das auch bei einem Einzelsternsystem geschehen würde. Die neu entstandenen Jets des Begleitsterns üben jedoch eine wesentlich größere Kraft aus als der Sternwind des Hauptsterns, und formen so das charakteristische Erscheinungsbild des bipolaren Planetarischen Nebels aus dem Staub.


Zusatzinformationen

Die hier präsentierten Forschungsergebnisse von P. Kervella, et al. erscheinen am 10. Juni 2015. "The dust disk and companion of the nearby AGB star L2 Puppis" in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics

Die beteiligten Wissenschaftler sind P. Kervella (Unidad Mixta Internacional Franco-Chilena de Astronomía, CNRS/INSU, Frankreich; Departamento de Astronomía, Universidad de Chile, Santiago de Chile; LESIA Observatoire de Paris, CNRS, UPMC; Université Paris-Diderot, Meudon, Frankreich), M. Montargès (LESIA, Frankreich; Institut de Radio-Astronomie Millimétrique, St Martin d'Hères, Frankreich), E. Lagadec (Laboratoire Lagrange, Université de Nice-Sophia Antipolis, CNRS, Observatoire de la Côte d'Azur, Nizza, Frankreich), S. T. Ridgway (National Optical Astronomy Observatories, Tucson, Arizona, USA), X. Haubois (ESO, Santiago, Chile), J. H. Girard (ESO, Chile), K. Ohnaka (Instituto de Astronomía, Universidad Católica del Norte, Antofagasta, Chile), G. Perrin (LESIA, France) und A. Gallenne (Universidad de Concepción, Departamento de Astronomía, Concepción, Chile).

Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation durch 16 Länder: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist einer der Hauptpartner bei ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das European Extremely Large Telescope (E-ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.


Weitere Informationen unter:

http://www.eso.org/public/germany/news/eso1523/?nolang
- Webversion der Pressemitteilung mit einem Video

http://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso1523/eso1523a.pdf
- Fachartikel

http://www.eso.org/public/teles-instr/vlt/vlt-instr/sphere/
- Weitere Informationen über SPHERE

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie, ESO Science Outreach Network
(Dr. Carolin Liefke), 10.06.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2015

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