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STERN/365: Neutronensterne am Rande des Kollapses (idw)


Heidelberger Institut für Theoretische Studien gGmbH - 04.12.2017

Neutronensterne am Rande des Kollapses

Neutronensterne sind die dichtesten Objekte im Universum. Ihre genauen Eigenschaften sind jedoch nicht bekannt. Mit Simulationen auf Basis aktueller Beobachtungen ist es einem Wissenschaftlerteam um den HITS-Forscher Dr. Andreas Bauswein nun gelungen, die Größe dieser Sterne genauer einzugrenzen.


Wenn ein sehr massenreicher Stern stirbt, zieht sich dessen Kern zusammen. In einer gewaltigen Supernova-Explosion werden dabei die äußeren Sternhüllen abgestoßen, zurück bleibt ein ultra-kompakter Neutronenstern. Die LIGO- und Virgo-Observatorien konnten kürzlich zum ersten Mal eine Verschmelzung zweier Neutronensterne beobachten und die Masse der verschmelzenden Sterne messen. Zusammen hatten die Neutronensterne eine Masse von 2,74 Sonnen. Anhand dieser Beobachtungsdaten konnte ein internationales Team von Wissenschaftlern aus Deutschland, Griechenland und Japan unter der Federführung von HITS-Astrophysiker Dr. Andreas Bauswein nun mit Hilfe von Computer-Simulationen die Größe von Neutronensternen eingrenzen. Die Berechnungen legen nahe, dass der Neutronensternradius mindestens 10,7 km sein müsse. Die Ergebnisse des internationalen Forschungsteams wurden jetzt im Fachjournal "Astrophysical Journal Letters" veröffentlicht.


Bild: © Andreas Bauswein, HITS

Simulation einer Neutronenstern-Verschmelzung. Oben: Der nach der Verschmelzung entstandene Stern kollabiert direkt zum Schwarzen Loch. Unten: Ein zumindest vorübergehend stabiler Stern entsteht.
Bild: © Andreas Bauswein, HITS


Der Kollaps als Indiz

Bei Neutronenstern-Kollisionen umkreisen sich erst zwei Neutronensterne, um schließlich zu verschmelzen und schlagartig einen neuen Stern mit ungefähr der doppelten Masse zu bilden. Bei diesem kosmischen Ereignis werden Gravitationswellen - Schwingungen der Raumzeit - ausgesandt, deren Stärke mit den Massen der Sterne zusammenhängt. Dies ähnelt einem ins Wasser geworfenen Stein, der Oberflächenwellen erzeugt. Je schwerer der Stein, umso höhere Wellen entstehen.

Die Wissenschaftler simulierten für die kürzlich gemessenen Massen verschiedene Verschmelzungsszenarien, um die Größe der Neutronensterne zu berechnen. Dazu verwendeten sie verschiedene Modelle von Neutronensternmaterie, sogenannte Zustandsgleichungen, die den genauen Aufbau von Neutronensternen zu erklären versuchen. Im Anschluss überprüfte das Wissenschaftlerteam, ob die berechneten Szenarien mit den Beobachtungen übereinstimmen. Die Schlussfolgerung: Alle Modelle, die zu einem Kollaps der verschmolzenen Neutronensterne führen, können ausgeschlossen werden. Denn ein Kollaps führt zur Bildung eines Schwarzen Lochs, was wiederum bedeutet, dass bei der Verschmelzung relativ wenig Licht ausgesendet wird. Verschiedene Teleskope haben jedoch am Ort der Sternenkollision ein helles Lichtsignal beobachtet, was eindeutig gegen einen Kollaps spricht.

Die Ergebnisse schließen damit eine Reihe zuvor aufgestellter Modelle von Neutronensternmaterie aus, und zwar alle Modelle, die einen Neutronensternradius kleiner als 10,7 Kilometer vorhersagen. Der innere Aufbau von Neutronensternen ist nach wie vor nicht genau bekannt. Die Radien sowie die Zusammensetzung im Inneren von Neutronensternen sind nicht nur für Astrophysiker, sondern auch für Kern- und Teilchenphysiker von besonderem Interesse. Denn der innere Aufbau der Sterne spiegelt die Eigenschaften hochdichter Kernmaterie wieder, wie sie sich in jedem Atomkern der uns bekannten Materie befindet.

Neutronensterne verraten, was die Welt im Inneren zusammenhält

Neutronensterne haben zwar eine etwas größere Masse als unsere Sonne, ihr Radius beträgt aber lediglich wenige Kilometer. Damit vereinigen die Sterne eine große Masse auf kleinstem Raum, was zu extremen Bedingungen im Innersten der Sterne führt. Diesen Bedingungen im Inneren spüren Forscher schon seit längerem nach und wollen insbesondere den Radius der Sterne besser eingrenzen, da dieser von den unbekannten Eigenschaften hochdichter Materie abhängt.

Diese aktuelle Messung sowie die neuen Berechnungen helfen Theoretikern, die Eigenschaften von hochdichter Materie in unserem Universum besser zu verstehen. Die jetzt veröffentlichte Studie stellt einen erheblichen wissenschaftlichen Fortschritt dar, da sich damit ein Teil der theoretischen Modelle ausschließen ließ. Es gibt jedoch noch eine Mehrzahl von anderen Modellen mit Neutronensternradien von mehr als 10,7 km.

Die Wissenschaftler konnten mit ihrer Arbeit jedoch auch zeigen, dass jede weitere Beobachtung einer Neutronensternverschmelzung die Messung weiter verbessert. Die LIGO- und Virgo-Observatorien haben gerade erst mit ihren Messungen begonnen, zudem wird die Empfindlichkeit der Messinstrumente in den nächsten Jahren weiter steigen und noch bessere Beobachtungsdaten liefern. "Wir gehen davon aus, dass schon bald weitere Neutronenstern-Kollisionen beobachtet werden und die Beobachtungsdaten dieser Ereignisse mehr über den inneren Aufbau der uns bekannten Materie verraten", resümiert HITS Wissenschaftler Andreas Bauswein.

Publikation:
Andreas Bauswein, Oliver Just, Hans-Thomas Janka, Nikolaos Stergioulas.
Neutron-star radius constraints from GW170817 and future detections.
https://arxiv.org/abs/1710.06843 (2017).
Astrophysical Journal Letters.
DOI: https://doi.org/10.3847/2041-8213/aa9994


Über das HITS
Das Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS) wurde 2010 von dem Physiker und SAP-Mitgründer Klaus Tschira (1940-2015) und der Klaus Tschira Stiftung als private, gemeinnützige Forschungseinrichtung ins Leben gerufen. Das HITS betreibt Grundlagenforschung in den Naturwissenschaften, der Mathematik und der Informatik. Dabei werden große, komplexe Datenmengen verarbeitet, strukturiert und analysiert und computergestützte Methoden und Software entwickelt. Die Forschungsfelder reichen von der Molekularbiologie bis zur Astrophysik. Die HITS Stiftung, eine Tochter der Klaus Tschira Stiftung, stellt die Grundfinanzierung der HITS gGmbH auf Dauer sicher. Die Mittel dafür erhält sie von der Klaus Tschira Stiftung. Gesellschafter des HITS sind neben der HITS Stiftung die Universität Heidelberg und das Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Das HITS arbeitet außerdem mit weiteren Universitäten und Forschungsinstituten sowie mit industriellen Partnern zusammen. Die wichtigsten externen Mittelgeber sind das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Europäische Union.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Heidelberger Institut für Theoretische Studien gGmbH,
Dr. Peter Saueressig, 04.12.2017
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Dezember 2017

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