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BIOTECHNOLOGIE/129: Der Tiefsee auf den Grund gehen - Nanotechnik aus dem Meer (JOGU Uni Mainz)


[JOGU] Nr. 209, Juli 2009
Das Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Der Tiefsee auf den Grund gehen
Nanotechnik aus dem Meer

Von Frank Erdnüss


"Der Ursprung der Lebewesen ist in der Tiefsee zu suchen", sagt Prof. Dr. Werner E. G. Müller. Speziell an den Schloten der untermeerischen Vulkane, wo das mineralreiche, aber sauerstofffreie Magma aus dem Erdinneren mit sauerstoffreichem Meerwasser in Kontakt tritt, ähneln die Verhältnisse vermutlich denen in der "Ursuppe", aus der sich vor etwa vier Milliarden Jahren das erste Leben in Form von Methan- und Schwefel-Bakterien entwickelte. Ein spannendes Biotop für die Evolutionsforschung also, aber auch andere spektakuläre Entdeckungen sind keine Seltenheit, wie Mainzer Molekularbiologen jetzt erneut belegen.

Müller beschreibt die Tiefseeforschung als eines der Zukunftsfelder der Biologie, und zwar nicht nur im biotischen sondern auch im abiotischen Bereich. Er kann sich dieses Urteil erlauben, forscht er doch seit mehr als 30 Jahren am Grund der Ozeane und der großen Binnengewässer. Der Professor am Institut für Physiologische Chemie und Pathobiochemie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gilt als einer der renommiertesten Schwammforscher weltweit. So entdeckte seine Arbeitsgruppe bereits vor über 25 Jahren, dass Tiefseeschwämme eine Substanz synthetisieren, die der Vermehrung des Herpes-Virus entgegen wirkt. Der Wirkstoff wird in antiviralen Salben verarbeitet und stellt bis heute das einzige aus Schwämmen isolierte Medikament dar. Schwämme (Porifera) sind stammesgeschichtlich sehr alte Organismen, die schon im Präkambrium (vor mehr als 550 Millionen Jahren) auftraten. Sie gelten als die "einfachsten" vielzelligen Tiere und einzelne Exemplare können 10.000 Jahre und älter werden. Ihre Größe reicht von wenigen Millimetern bis zu drei Metern. Sie leben festgewachsen am Grunde von Gewässern, meist im Meer, und filtern ihre Nahrung aus dem Wasser. Man unterscheidet Kalk- und Kieselschwämme, je nach dem, ob das stützende Skelett aus Calziumcarbonat (CaCO3) oder aus Siliziumdioxid (SiO2) aufgebaut ist. Die Tatsache, dass diese Tiergruppe schon eine halbe Milliarde Jahre auf der Erde erfolgreich überleben, macht sie für die Wissenschaft sehr interessant.

Im Rahmen des Exzellenzzentrums "Marine Biotechnologie" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) machten Müller und sein Team im Jahre 2000 die spektakuläre Entdeckung, dass die Skelette von Kieselschwämmen nicht aus reinem SiO2, sprich aus Silikatglas aufgebaut sind. Die Tiere verfestigen ihre bis zu elf Millimeter dicken Spikulae, so heißen die nadelförmigen Stützelemente, mit dem Enzym Silikatein; das Protein ist damit der formgebende Faktor des Schwammskeletts, eines wahren architektonischen Meisterwerks (Abb. 1), und hat daran einen Anteil von etwa fünf Prozent. "Zum Schmelzen dieses äußerst stabilen Biosilikatgerüsts sind mehr als 2000 °C notwendig", betont Müller, "gebildet wird es jedoch bei Normaltemperatur, das heißt bei maximal 37 °C." Die einzelnen Skelettnadeln werden dabei von einer Vielzahl konzentrischer Ringe (Dicke 5 ebildet und leiten das Licht besser als jedes andere Kunstmaterial. Es handelt sich also um eine biologisch kontrollierte Mineralisation, etwas was man bis dahin nicht für möglich gehalten hatte und was Müller als "Paradigmenwechsel" bezeichnet. Fundamentale Grundsätze der Biochemie standen fortan zur Diskussion. "Wir konnten belegen, dass ein anorganisches Polymer enzymatisch gebaut werden kann", erklärt er. Das hat weitreichende Konsequenzen für die technische Entwicklung. Zum Beispiel muss herkömmliches Fensterglas, was ja auch nichts anderes ist als amorphes Silikat, bei sehr hohen Temperaturen und entsprechend energieaufwendig hergestellt werden. "Mittlerweile sind wir in der Lage, die Biomineralisation von Silikat auch im Labor zu realisieren", freut sich Müller und ergänzt: "Natürlich wollen wir kein Fensterglas herstellen; Anwendungen sind eher in der Mikroelektronik zu suchen." Nach diesem Fund wurde begonnen, auch andere strukturierte, anorganische Stoffe in der Natur, wie etwa Muschelschalen oder Manganknollen und -krusten, neu zu untersuchen. Auch dort könnten biogene Prozesse an der Synthese beteiligt sein.

Die Manganknollen der Tiefsee hat Müller inzwischen analysiert. Zusammen mit der chinesischen Kollegin Xiaohong Wang vom National Research Center for Geoanalysis in Peking publizierte er die Ergebnisse Anfang 2009 in mehreren renommierten Zeitschriften. Einen guten Gesamtüberblick bietet der Review-Artikel im hochkarätigen Fachjournal "Trends in Biotechnology" (2009; Vol. 27(6): Seite 375ff). Müller und sein Team belegen, dass auch an der Bildung von Manganknollen in der Tiefsee Lebewesen beteiligt sind. Diese etwa faustgroßen Gebilde sind seit der Challenger-Expedition 1872-1876 bekannt. Sie liegen lose in 4.000 bis 5.000 Metern Tiefe an bestimmten Stellen am Meeresboden (Abb. 2) und haben sich über Jahrmillionen gebildet. Laut Müller wachsen die Knollen in einer Million Jahren nur um einen Millimeter. Sie bestehen zu zirka 30 Prozent aus Mangan und zu zirka 20 Prozent aus Eisen, enthalten aber noch weitere sehr seltene Elemente, an denen die Wissenschaft großes Interesse hat. Ein Beispiel dafür ist Yttrium, das für die Solarzellenproduktion benötigt wird. "Zu verstehen, wie sich die Manganknollen bilden, eröffnet eine ganze Reihe von Möglichkeiten der technischen Anwendung, vor allem auch im Nanobereich", erklärt der Experte und ergänzt: "Ausgangspunkt unserer Untersuchung war jedoch die Überlegung, wie es überhaupt zur Akkumulation der Metalle in den Knollen kommen kann, wo doch die Konzentration von Mangan und Eisen im Meerwasser weit unter einem Prozent liegt."

Dazu sind die Knollen zunächst von chinesischen Geochemikern um Xiaohong Wang in Bezug auf ihren Mineralgehalt genau analysiert worden. Anschließend wurden die Proben dann von Müllers Arbeitsgruppe unter die Lupe genommen. Die Mainzer fanden darin Ketten aus prokaryotischen Bakterien, die sich teilweise in Teilung befanden, als sie eingebettet wurden. Damit muss es sich um lebende Organismen gehandelt haben, die durch die Oxidation von Mangan ihren Energiebedarf deckten, schlussfolgerten sie. Im 4 °C kalten und sauerstoffreichen Milieu am Meeresboden hilft ihnen dabei eine spezielle Oberflächenstruktur, die für viele Bakterien typisch ist. Diese von Experten als S-Layers bezeichneten kleinen Erhebungen auf der Zelloberfläche (etwa 20 Nanometer groß) fand man ebenfalls in den Manganknollen. Ihnen wird einerseits eine Schutzfunktion zugeschrieben, andererseits erleichtern sie aber auch die Anlagerung verschiedener Substanzen, wie etwa Mangan. Somit lösten die Einzeller scheinbar die Anreicherung der Metalle aus, sie fungierten als "Bio-Keime". Nachdem dann die ersten Lagen Mangan abgelagert sind, scheint sich der Prozess zu verselbständigen. Müller spricht hier vom Phänomen der Autokatalyse, das bis heute noch nicht völlig verstanden sei.

Autokatalyse spielt auch bei einem weiteren Biomineralisationsprozess eine Rolle, den Müller mit seinem Team untersucht hat. Bei Tiefseekrusten, auch Mangan- oder Kobaltkrusten genannt (Abb. 4) sind die "Bio-Keime" keine Bakterien, sondern kleine, einzellige Grünalgen, die sogenannten Coccolithen. Als photosynthetisch aktive Organismen leben sie in den oberen, lichtdurchfluteten Schichten der Meere, wohingegen sich die Tiefseekrusten in 800 bis 2.400 Metern Tiefe befinden. Die mit einer Schale aus Calziumcarbonat umgebenen Pflanzen sitzen zu tausenden zusammen und bilden in Flachwasserbereichen sozusagen schwere "Kalksteine". Wenn sie absterben, sinken sie nach unten, wobei es zu einer chemische Umwandlung kommt: das Calziumcarbonat wird durch Manganoxid aus dem Meerwasser ersetzt, die Steine zerfallen und es bilden sich die Mangankrusten am Gipfel der Basaltberge. Da es sich bei den Krusten um bedeutende Rohstoffvorkommen handelt - laut Müller lagert sicherlich mehr Mangan am Ozeanboden als irgendwo an Land in einer Mine - wird der Abbau zukünftig kommerziell durchgeführt. "Die Besitzverhältnisse sind in den internationalen Gewässern jedoch noch recht strittig", meint der Experte.

Ob nun beim enzymatisch katalysierten Aufbau des Schwammskeletts, bei der durch lebende Bakterien induzierten Bildung von Manganknollen oder bei der Entstehung von Mangankrusten mithilfe einer toten organischen Matrix, stets geht es um Biomineralisation. Dieser Prozess ist sowohl für die Medizin als auch für die Nanotechnologie höchst interessant. Bereits heute züchtet Müllers 30-köpfiges Team in Mainz Bakterien, die Mangan aus dünner Lösung extrahieren können. Das dafür entscheidende Bakterien-Gen haben die Mainzer ebenfalls identifiziert. Desweiteren wird im Mainzer Labor gerade mit Coccolithen der chemische Austausch von Calziumcarbonat durch Manganoxid erprobt. Ziel ist es, die Biomineralisation auch für andere Elemente vollständig zu kontrollieren. Mit Hilfe der speziellen Mikroorganismen wäre es dann möglich, gezielt seltene Elemente aus dem Meerwasser zu gewinnen, obwohl sie dort nur in extrem geringen Konzentrationen vorkommen. "Für Anwendungen in der Nanotechnologie könnte man spezielle Muster beziehungsweise Strukturen kreieren und dreidimensionale Transistoren herstellen", schwärmt Müller. Darüber hinaus könnten die S-Layers für die Erzeugung von Nanostrukturen auf Oberflächen nützlich sein, die dann ähnlich wie der bekannte Lotus-Effekt wirken. Die Bedeutung dieser molekularbiologischen Forschung zeigt sich auch daran, dass Müllers Arbeitsgruppe an verschiedenen interdisziplinären Projekten beteiligt ist, wie etwa den Mainzer Forschungszentren "Erdsystemwissenschaften" und "Materialwissenschaften" sowie der in der Universitätsmedizin angesiedelten Forschergruppe "BiomaTiCS" (Biomaterials, Tissues and Cells in Surgery). Zahlreiche internationale Kontakte bestehen ebenfalls, außer nach China zum Beispiel nach Österreich, wo Müller mit Prof. Uwe B. Sleytr aus Wien zusammenarbeitet, der die S-Layers entdeckte. Die Forschungsgelder dazu kommen nicht nur von der Johannes Gutenberg-Universität, dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), sondern auch von der Europäischen Union (EU).


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. 1: Seitenansicht eines Tiefsee-Schwammes. Dieser wird gebildet aus einem anorganischen Skelett aus Silikat, das mit Protein verfestigt ist.

Abb. 2: Kategorien der Biomineralisation. (a) Haupttypen der Tiefseemineralien; (b-1) Knollen, (c-1) Krusten und (d-1) Schwämme. (b-2 / c-2) Bei der biochemisch-chemisch induzierten Biomineralisation lagern sich die anorganischen Mineralien auf organischen Oberflächen (oT) ab. Beispiele: Knollen und Krusten. (d-2) Beim Vorgang der enzymatischchemischen Biomineralisation wird die Ablagerung und Formbildung der Minerale durch Enzyme bestimmt. Beispiel: Bildung des Silikatskeletts bei Schwämmen durch das Enzym Silikatein (Sil) aus anorganischen Bausteinen, dem monomeren Silikat (s).

Abb. 3: Das Sammeln von Schwämmen

Abb. 4: Bildung von Kobalt-reichen Krusten. Die Krusten werden an der Grenzschicht zwischen der oberen sauerstoffarmen Zone und der unteren sauerstoffreichen Zone gebildet. Letztere Wasserzufuhr wird gespeist aus dem Pazifischen Tiefseewasser (PDW) und dem Arktischen Boden-Wasser (AABW). In der rechten Hälfte ist der Austausch von CaCO3 durch Mangan-Oxide (Mn(IV) in Coccolithen dargestellt. Diese Grünalgen bilden die "Bio-Keime" für die Krustenbildung. [JOGU]


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Quelle:
[JOGU] - Magazin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Nr. 209, Juli 2009, Seite 22-24
Herausgeber: Der Präsident der Johannes Gutenberg-Universität Mainz,
Univ.-Prof. Dr. Georg Krausch
Tel.: 06131/39-223 69, -205 93; Fax: 06131/39-241 39
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Die Zeitschrift erscheint viermal im Jahr.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2009