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FORSCHUNG/928: Lieber längs als quer - Wie Proteine sich während der Zellteilung fortbewegen (idw)


Universität Bayreuth - 21.08.2014

Lieber längs als quer: Wie Proteine sich während der Zellteilung fortbewegen



Eine Forschungsgruppe um Prof. Dr. Matthias Weiss an der Universität Bayreuth berichtet in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins "Current Biology" über neue biophysikalische Erkenntnisse zum Prozess der Zellteilung.

Die Zellen von Menschen, Tieren und Pflanzen vermehren sich durch Zellteilung. Damit aus einer Zelle zwei genetisch gleiche Tochterzellen entstehen können, muss sich der Zellkern teilen. Zu diesem Zweck bildet sich in der Zelle eine spindelförmige Struktur aus, an deren Enden sich jeweils ein Zentrosom befindet. Von beiden Zentrosomen gehen röhrenförmige Fasern - die so genannten Mikrotubuli - zur Mitte der Spindel aus, wo sich das Erbmaterial der Zelle befindet. Die gedachte horizontale Linie zwischen beiden Zentrosomen wird dabei als Spindelachse bezeichnet. Das Erbmaterial besteht zu diesem Zeitpunkt aus zwei genetisch identischen Schwesterchromatiden. Diese werden mittels der Mikrotubuli entlang der Spindelachse in entgegengesetzte Richtungen gezogen. So ist gewährleistet, dass jede der beiden neuen Tochterzellen das gleiche Erbmaterial enthält wie die Ausgangszelle.

Grafische Darstellung: © Prof. Dr. Matthias Weiss, Universität Bayreuth

Schema der Spindel vor dem Mikroskopiebild einer sich teilenden Zelle (grau). Chromatiden sind gelb-orange, Mikrotubuli grün, die Spindelachse weiß und eine der vertikalen Achsen rot dargestellt.
Grafische Darstellung: © Prof. Dr. Matthias Weiss, Universität Bayreuth

Bevor die Zellteilung einsetzt, ist das Nukleoplasma - der flüssige Inhalt des Zellkerns - durch die Hülle des Zellkerns nach außen abgeschirmt. Außerhalb der Kernhülle, im Zwischenraum zwischen dem Kern und der Außenhaut der Zelle, befindet sich das Zytoplasma. Am Anfang der Zellteilung bricht die Kernhülle auf, so dass Nukleoplasma und Zytoplasma ein zusammenhängendes Fluid bilden, in dem sich die Spindel entwickelt. In dieser komplexen Flüssigkeit bewegen sich verschiedenartigste Proteine zufällig in alle Richtungen. Es handelt sich, physikalisch gesprochen, um Diffusionsbewegungen.


Spektroskopische Untersuchungen zeigen eine deutliche Bewegungsanomalie

Die Forschungsgruppe um Prof. Dr. Matthias Weiss, der an der Universität Bayreuth einen Lehrstuhl für Experimentalphysik leitet, hat das Bewegungsverhalten von Proteinen im Bereich der Spindel erstmals genauer analysiert. Das Ergebnis: Proteine diffundieren in dem aus Nukleoplasma und Zytoplasma gebildeten Fluid nicht gleichmäßig in alle Richtungen, sondern bevorzugen Bewegungen entlang der Spindelachse und der Mikrotubuli. Hingegen scheinen sie längere Wege, die quer über die Mikrotubuli führen, zu scheuen. Während Proteine sich also innerhalb der Spindel entlang der Mikrotubuli frei bewegen können, fällt ihnen ein Ausbruch aus dem 'Spindelgefängnis' erheblich schwerer; denn dafür müssten sie eine Vielzahl von Mikrotubuli überschreiten. Proteine, die an organisatorischen Prozessen innerhalb der Spindel beteiligt sind, können infolge dieses Diffusionsverhaltens längere Zeit in der Spindel 'eingesperrt' bleiben, haben aber 'Freigang' in den Strukturen der Spindel.

Eine Postdoktorandin und eine Master-Studentin aus der Forschungsgruppe um Prof. Weiss haben diese Erkenntnisse in aufwändigen Experimenten mit Hilfe der Fluoreszenzkorrelations-Spektroskopie zutage gefördert. Diese technologisch hochsensitive Methode wurde genutzt, um zu bestimmen, wie sich einzelne Moleküle von grün-fluoreszierendem Protein (GFP) im Bereich der Spindel bewegen. Die GFP-Moleküle haben einen Durchmesser von rund 1,5 Nanometern und sind daher prototypisch für die meisten Proteine der Zelle. Eine bevorzugte Diffusion entlang der Spindelachse ließ sich aber nicht nur bei diesen relativ kleinen Molekülen beobachten. Größere Partikel - nämlich fluoreszierende Dextranmoleküle mit einem rund zehnfach größeren Durchmesser - verhielten sich ähnlich. Auch größere molekulare Strukturen oder sogar kleine Fragmente von Zellorganellen zeigen mithin eine Präferenz für Bewegungen entlang der Spindelachse und der Mikrotubuli.

"Die Moleküle, deren Bewegungsverhalten wir sichtbar machen konnten, repräsentieren hinsichtlich ihrer Größenordnung die Gesamtheit der Proteine, die in der Spindel oder in ihrer Umgebung diffundieren", erklärt Prof. Weiss. "In allen Fällen handelt es sich um Makromoleküle, und sie alle sind entlang der Spindelachse viel bewegungsfreudiger als in den beiden vertikalen Richtungen, die von der Spindelachse wegführen."


Zwei biophysikalische Erklärungen

Wie ist diese experimentelle Beobachtung zu erklären? In "Current Biology" führen die Mitglieder der Forschungsgruppe zwei Ursachen an, die aus ihrer Sicht bei der Proteindiffusion vermutlich zusammenwirken: Im Innern der Spindel bewegen sich zahlreiche Molekülkomplexe, die den Prozess der Zellteilung in Gang setzen und am Laufen halten. Die dabei umgesetzte Stoffwechsel-Energie scheint die Zellflüssigkeit entlang der Spindelachse und der Mikrotubuli zu fluidisieren und somit weniger zähflüssig zu machen. Dadurch erhalten Diffusionsbewegungen entlang der Spindelachse einen "Extra-Schub". Bewegungen, die quer dazu in der Vertikalen verlaufen, fehlt dagegen dieses zusätzliche antreibende Moment. Das Fluid erweist sich in beiden vertikalen Richtungen als erheblich zähflüssiger.

Eine weitere Ursache liegt wahrscheinlich in der horizontalen Ausrichtung der zahlreichen Mikrotubuli, die wie Greifarme von den Zentrosomen in die Mitte der Spindel führen. Sie bilden eine Struktur, die Diffusionsbewegungen entlang der Spindelachse unterstützt, aber gegenläufige Bewegungen behindert. In ähnlicher Weise läuft Regenwasser von einem Wellblechdach leichter in Richtung der vorgegebenen Rinnen ab; Fließbewegungen, die quer zu dieser Struktur verlaufen, werden hingegen erschwert.


"Ein geschickter Kunstgriff der Natur"

"Die Anomalie im Diffusionsverhalten ist ein geschickter Kunstgriff der Natur, der darauf hinwirkt, dass wichtige Makromoleküle nicht kurzfristig aus der Spindel herausdriften und verlorengehen", meint Prof. Weiss. "Das Material, das für den Aufbau der Spindel und für die Entstehung genetisch gleicher Tochterzellen benötigt wird, bleibt somit über längere Zeit beisammen. Organisations- und Transportprozesse werden durch horizontale Diffusionsbewegungen unterstützt, so dass ein fehlerfreier Zellteilungsprozess viel wahrscheinlicher ist, als wenn sich der Bewegungsdrang der Proteine in alle Richtungen gleich stark entfalten würde."

Veröffentlichung:
Nisha Pawar, Claudia Donth, and Matthias Weiss,
Anisotropic Diffusion of Macromolecules in the Contiguous Nucleocytoplasmic Fluid during Eukaryotic Cell Division,
Current Biology 24, 1-4, August 18, 2014 - DOI: 10.1016/j.cub.2014.06.072

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bayreuth, Christian Wißler, 21.08.2014
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. August 2014