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ORNITHOLOGIE/114: Wohnungsnot ändert Fortpflanzungsverhalten bei Blaumeisen (idw)


Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V. - 05.03.2009

Wohnungsnot ändert Fortpflanzungsverhalten bei Blaumeisen

Erfolglose Weibchen, die keine Nistplätze finden, legen ihre Eier - einem Kuckuck gleich - in fremde Nester


Bei erhöhtem Konkurrenzkampf um seltene Nistplätze investieren weibliche Blaumeisen mehr in ihre Brut. Sie verbringen mehr Zeit mit der Jungenfütterung und produzieren mehr männliche Nachkommen in ihren Gelegen. Dies haben die Verhaltensökologen Alain Jacot, Mihai Valcu and Bart Kempenaers vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen in einer Langzeitstudie herausgefunden (Animal Behavior, Online-Vorabveröffentlichung 4. März 2009)

Was geschieht, wenn die Nachfrage nach einer Nisthöhle das Angebot der verfügbaren Brutplätze übersteigt? Das Prinzip von Angebot und Nachfrage stellt sich auch in der Natur, und die Folgen einer erhöhten Konkurrenzsituation um begrenzte Nistmöglichkeiten können weitreichend sein. Welche Individuen setzen sich durch und was geschieht mit den erfolglosen Mitkonkurrenten? Vögel, die in Nesthöhlen brüten, haben es in unseren stark bewirtschafteten Wäldern besonders schwer, müssen sie doch eine Höhle finden, die für ihre Brut geeignet scheint. Meist sind diese in abgestorbenen Bäumen oder ähnlichen Strukturen zu finden. Ist man nicht gerade ein Specht, der sich seine Höhle selbst zurechtzimmern kann, gestaltet sich eine solche Suche oftmals schwierig.

Zum Glück gibt es künstliche Nistkästen, welche beispielsweise von verschiedenen Meisen-Arten gerne angenommen werden. Genau diesen Umstand haben sich die Forscher vom Max-Planck-Institut für Ornithologie zu Nutze gemacht und in einem umgrenzten Gebiet experimentell die Anzahl der möglichen Brutplätze manipuliert. Die Forscher untersuchten eine beringte Blaumeisen-Population im Wienerwald in Österreich. Dort identifizierten sie 78 Brutpaare und teilten das Areal in Kontrollgebiete und experimentelle Gebiete ein, in welchen sie die Anzahl der ursprünglich vorhandenen Nistkästen halbierten. In diesen Gebieten war folglich der Konkurrenzkampf um die verbleibenden Kästen stärker, und man erwartete, dass sich dominante Individuen oder Paare durchsetzen würden.

Als die Paare nun die Kästen bezogen, zeigten sich deutliche Unterschiede im Fortpflanzungsverhalten: Einige erfolglose Weibchen legten - einem Kuckuck gleich - ihre Eier in fremde Blaumeisenester. Ein solches Verhalten konnte überhaupt erst zum zweiten Mal bei Blaumeisen nachgewiesen werden. Hingegen investierten erfolgreiche Weibchen in experimentellen Gebieten relativ mehr in ihre Brut als die Weibchen in den Kontrollgebieten. Und während die Männchen ihr Fütterungsverhalten nicht geändert hatten, versorgten die Weibchen ihre Nachkommen mit deutlich mehr Futter. Darüber hinaus zeigte sich auch ein Effekt im Geschlechterverhältnis: "Normalerweise erwarten wir in den Nestern ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Nestlingen", sagt Alain Jacot. "Doch in den Gebieten, in denen wir die Zahl der Nistkästen reduziert hatten, gab es mehr männliche Nachkommen, und zwar sowohl im Vergleich zur Kontrollregion als auch im Vergleich zu unseren Daten aus den vergangenen sechs Jahren."

Die Studie der Max-Planck-Forscher zeigt somit einen direkten Zusammenhang zwischen der erhöhten Konkurrenzsituation und dem Fortpflanzungsverhalten weiblicher Blaumeisen. "Diese Verhaltensweisen können durch verschiedene Mechanismen erklärt werden", erläutert Bart Kempenaers, Direktor am Max-Planck-Institut für Ornithologie: "Entweder die Weibchen, die sich durchgesetzt haben, sind selber von sehr hoher Qualität und können daher auch mehr in die Brut investieren. Oder die erhöhte Investition kann durch eine flexible Verhaltensänderung der Weibchen erklärt werden. Unter der Annahme, dass die Weibchen mit einem dominanten und somit hochattraktiven Männchen verpaart sind, sie gleichzeitig aber eine unsichere Zukunft mit geringen Nistmöglichkeiten erwartet, sollten sie vermehrt in die jetzige Brut investieren. Die Unterscheidung dieser Mechanismen ist nicht einfach und nur sorgfältige Langzeitstudien können Einblick in die Dynamik solcher Fortpflanzungsstrategien geben."

Weitere Informationen unter:
http://www.orn.mpg.de
- Max-Planck-Institut für Ornithologie

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution207


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.,
Barbara Abrell, 05.03.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2009