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ORNITHOLOGIE/122: Stecknadeln im Sumpf - Auf der Suche nach Zwergschnepfen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2009

Stecknadeln im Sumpf - Auf der Suche nach Zwergschnepfen

Von Jens Hering und Dieter Kronbach


Eine kleine, sonst kaum wahrgenommene Limikole hat es in die Schlagzeilen geschafft. Zur 141. Jahresversammlung der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft sorgte die Zwergschnepfe für Aufsehen. Nicht am Exkursionstag in einer versumpften Wiese am Stadtrand, sondern in der Posterausstellung wurde eifrig nach dieser Vogelart gesucht. Wie im feuchten Freiland verharrte der Tarnkünstler - hier auf Papier, versteckt zwischen Schilf und Rohrkolben. Zum Glück gab es auf dem trockenen Poster ein Gitternetz mit Koordinaten, das dem Betrachter die Suche erleichtern sollte. Aber auch dieses Hilfsmittel versagte nicht selten und der Vogel blieb weiter in seinem Versteck. Schließlich rettete den Verzweifelten eine Lupe. Nun endlich war die Zwergschnepfe verraten.


In Südwestsachsen, im Raum Chemnitz, läuft mittlerweile schon im dritten Jahrzehnt ein Zwergschnepfen-Beringungsprogramm. Zu Buche stehen aktuell 988 Beringungen und 391 eigene Kontrollfänge. Das heißt, dass sich bis heute nirgendwo anders im gesamten Verbreitungsgebiet dieser Limikolenart mehr Vögel zu wissenschaftlichen Zwecken in Menschenhand befanden. Entsprechend groß ist der Wissenszuwachs, vor allem auch hinsichtlich des Auffindens der im Rast- und Überwinterungsgebiet versteckt lebenden Zwergschnepfe.


Tarnfärbung kombiniert mit kryptischem Verhalten

In den uns bekannten Tageseinständen ist die Zwergschnepfe nahezu unsichtbar. Sie beherrscht die Tarnung mittels Somatolyse (wörtlich: Auflösung des Körpers) wie keine andere Limikole: Die Schnepfe fällt bei Störungen am Rastplatz sofort in geduckter Haltung in einen Ruhezustand und vertraut auf ihre Tarnfärbung. Sofern der Vogel im Wasser sitzend überrascht wurde, wird oft sogar noch der Schnabel tief eingetaucht. Die Kombination von Verschmelzung mit der natürlichen Umgebung und kryptischem Verhalten scheint ein ausreichender Schutz vor möglichen Beutegreifern zu sein.


In Augenhöhe ohne Schutz

Trotz der anscheinend perfekten Tarnung wird die Zwergschnepfe hin und wieder von Raubsäugern erbeutet. Uns liegen eine Reihe von Rissfunden und determiniert Trittspuren vor, die Fuchs und Hauskatze als hauptsächliche Fressfeinde erkennen lassen. Für eine erfolgreiche Jagd sprechen ein ausgeprägter Geruchssinn und dass die Tarnung der Schnepfen in Augenhöhe nahezu aufgehoben und der an sich kontrastreich gefärbte Vogel gut zu sehen ist.

Für den Feldornithologen ist dagegen die Suche nach der sich drückenden Zwergschnepfe fast aussichtslos. Schon wenige Zentimeter über dem Vogel reichen für eine gestaltauflösende Wirkung aus. Musterung und Farbton lassen den Vogel unsichtbar werden. Ausschlaggebend sind besonders die goldfarbenen Längsstreifen auf der Oberseite, die oft der unmittelbar umgebenden Vegetation gleichen. Dies sind in unserem Untersuchungsgebiet vor allem dürre Halme oder Blattteile von Rohrglanzgras, Schilfröhricht, Rohrkolben sowie verschiedenen Seggen- und Binsenarten. Aber auch die gelblichen Raps- und Getreidestoppeln bieten einen farblichen Schutz.


Verräterische Spuren

Auf Grund dieser Anpassung finden nur Artspezialisten die Zwergschnepfe, bevor sie aus der dichten Vegetation auffliegt. Entscheidende Hinweise für die Anwesenheit des Vogels sind dabei frische Kotstellen, Trittsiegel, Schnabeleinstiche oder Mauserfedern. Sind derartige Spuren gefunden, bedarf es höchster Konzentration. Schließlich findet das geschulte Auge die am Boden hockende Schnepfe, und nicht selten gelingt dann der Fang mit einem Handgriff. Für uns ist es immer wieder faszinierend, in die verborgene Welt dieser kleinen Limikole einzutauchen und deren Geheimnisse zu lüften. Schon Karl Kliebe, der Pionier der Zwergschnepfenforschung, beschreibt deren einnehmendes Wesen. Es wäre durchaus wünschenswert, dass sich das "Schnepfenfieber", das kurzzeitig die Teilnehmer der letzten DO-G-Tagung befiel, rasch verbreitet. Es gibt noch so viele offene Fragen, die wir allein nicht lösen können.


Literatur zum Thema:

Dittberner, H. & W. Dittberner (1990): Rastplatzökologie und -ethologie der Zwergschnepfe zur Heimzugzeit. Falke 37: 176-181.

Hering, J. & D. Kronbach (2001): Die Zwergschnepfe als Beute von Greifvogel- und Eulenarten, Fuchs und Hauskatze. Ornithol. Mitt. 53: 214-216.

Hering, J. & D. Kronbach (2007): Die Häufigkeit der Zwergschnepfe Lymnocryptes minimus als Durchzügler und Wintergast in Südwest-Sachsen. Limicola 21: 257-286.

Kliebe, K. (1971): Der Durchzug der Zwergschnepfe - Lymnocryptes minimus - im Amöneburger Becken bei Marburg/L. und seine Beeinflussung durch landschaftliche Veränderungen. Luscinia 41: 129-142.

Kliebe, K. (2001): Beobachtungen zum Fluchtverhalten und weitere Erkenntnisse zur Mauser bei der Zwergschnepfe. Ornithol. Mitt. 53: 172-180.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 4/2009
56. Jahrgang, April 2009, S. 154-155
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2009