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ORNITHOLOGIE/207: Hormone beeinflussen die Geschwindigkeit des Lebens von Singvögeln (idw)


Max-Planck-Institut für Ornithologie - 17.06.2010

Lebe schnell und gefährlich - Hormone beeinflussen die Geschwindigkeit des Lebens von Singvögeln


Menschen, Fische und Vögel haben in ihrem Blut die gleichen Hormone mit ähnlichen Funktionen. Ein Team von internationalen Wissenschaftlern um Michaela Hau vom Max-Planck-Institut für Ornithologie hat nun herausgefunden, dass die Lebensgeschwindigkeit mit der unterschiedlichen Konzentration des Stresshormons Kortikosteron und des Fortpflanzungshormons Testosteron im Blut der Vögel zusammenhängt. Die Hormone steuern, ob die Tiere eher in die Fortpflanzung investieren, also in die Anzahl der Eier, oder in ihre Langlebigkeit, etwa durch die Flucht vor Raubfeinden. (Online-Veröffentlichung, Proceedings of the Royal Society of London B, 16. Juni 2010)

Die Hormone Kortikosteron und Testosteron spielen bei Vögeln eine große Rolle bei der Fortpflanzung und in Stresssituationen. So steigt beispielsweise die Kortikosteron-Konzentration im Blut rapide, wenn ein Fressfeind in der Nähe auftaucht. Der Organismus bereitet sich dann auf die Flucht oder einen Kampf vor. Das Hormon Testosteron steuert das hingegen das Balz- und Territorialverhalten. Unbekannt war bisher, warum sich so unterschiedliche Mengen der Hormone, oft um das Zehnfache erhöht, bei verschiedenen Vogelarten finden.

"Seit 2002 vermuten meine Kollegen Bob Ricklefs und Martin Wikelski, dass den Lebensgeschwindigkeiten von Tieren bestimmte interne Steuerungsprozesse wie hormonelle Ursachen zugrunde liegen", sagt Michaela Hau. So legt etwa eine Kohlmeise bis zu zwölf Eier pro Brutversuch, lebt aber nur wenige Jahre - diese Art lebt "schnell". Der gleich große Fleckenbrustwaldwächter dagegen, eine Vogelart des panamesischen Regenwaldes, legt nur zwei Eier pro Versuch, kann aber über 18 Jahre alt werden - er lebt "langsam".

Für die aktuelle Studie untersuchten die Wissenschaftler die Hormonkonzentrationen von 24 Singvogelarten in Nord- und Mittelamerika während der Fortpflanzungszeit. Den soeben gefangenen männlichen Tieren entnahmen die Forscher etwas Blut aus der Flügelvene. Nach 30 Minuten baten sie erneut zur Blutspende und ließen die Tiere anschließend frei. Da die Kortikosteron-Ausschüttung erst nach drei Minuten nachweisbar ist, erhielten sie so Werte aus einer stressfreien und einer Gefahrensituation.

Mit den Daten über jährliche Überlebensraten, Dauer der jährlichen Fortpflanzungsphase und Körpergröße jeder Art, die Co-Autor Jeff Brawn von der Universität von Illinois in die Studie aufnahm, fanden die Forscher heraus, dass, wenn man vom Einfluss der Körpergröße auf Kortikosteronwerte absieht, langlebige Vogelarten nach der Stressphase eine größere Menge Stresshormon in ihrem Blut hatten als kurzlebige Arten. "Diese Ergebnisse legen nahe, dass die vermehrte Ausschüttung von Kortikosteron während gefährlicher Situationen Prozesse unterstützt, die das Überleben sichern", sagt Michaela Hau.

Die Testosteronwerte hingegen waren höher in Arten aus nördlicheren Gebieten mit kurzer Brutsaison, die stark in die zeitlich limitierte Fortpflanzungsphase investieren müssen - die "schnelllebigen" Vögel. "Ich hätte nicht erwartet, dass wir die große Variation in den Blutwerten mit der Lebensweise der Arten in Zusammenhang bringen können. Die Ergebnisse haben weitreichende Bedeutung für das Verständnis der Evolution von Hormonen und von Regelprozessen, die eine Anpassung der Lebensgeschichte an Umweltbedingungen ermöglichen", so Michaela Hau. Das Forscherteam möchte diese Ergebnisse nun mit den Befunden anderer Kollegen zusammenbringen, um den Zusammenhang zwischen Immunfunktion, Energiestoffwechsel und Lebensgeschichte zu untersuchen.


Originalveröffentlichung:
Michaela Hau, Robert E. Ricklefs, Martin Wikelski, Kelly A. Lee and Jeffrey D. Brawn
Corticosterone, testosterone and life-history strategies of birds
Proc.R.Soc. B, Online-Publikation 16. Juni 2010
DOI: 10.1098/rspb.2010.0673

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Abb. Ein Fleckenbrustwaldwächter (Hylophylax n. naevioides) legt nur zwei Eier pro Versuch, kann aber 18 Jahre alt werden.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Ornithologie, Leonore Apitz, 17.06.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2010