Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → BIOLOGIE

ORNITHOLOGIE/218: Eissturmvögel - beeindruckende Flugkünstler (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2010

Beeindruckende Flugkünstler: Eissturmvögel

Von Markus Rahaus


Stolz segelt er mit weit ausgebreiteten Schwingen entlang der Steilküste, neigt den Körper mal nach links, mal nach rechts. Dann lässt er sich wieder weit hinaus über die See tragen und schießt mit kurzen und raschen Flügelschlägen dicht über der Wasseroberfläche und den sich brechenden Wogen dahin - der Eissturmvogel. Über sieben Millionen Brutpaare - Tendenz steigend - bevölkern mittlerweile die nördliche Hemisphäre, gut die Hälfte davon den nordatlantischen Raum. Einige Dutzend dieser grau gefärbten und den Albatrossen ähnlichen Vögel nisten gar auf Helgoland. Menschliches Handeln ist für die Vögel Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite profitieren die Tiere von Fischabfällen der Fangschiffe als Nahrungsquelle, auf der anderen Seite leiden sie unter der zunehmenden Verschmutzung der Meere, besonders durch Plastikmüll.

An den Kliffkanten des Latrabjarg in den isländischen Westfjorden bestehen ausgezeichnete Möglichkeiten zur Beobachtung von Eissturmvögeln. - Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

An den Kliffkanten des Latrabjarg in den isländischen Westfjorden bestehen ausgezeichnete
Möglichkeiten zur Beobachtung von Eissturmvögeln.
Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Der Eissturmvogel aus der Familie der Sturmvögel (Procellariidae), kann bei einem Gewicht von bis zu 900 g eine Größe von gut 50 cm und eine Flügelspannweite bis zu 117 cm erreichen. Die Weibchen sind im Regelfall etwas kleiner als die Männchen. Obwohl sehr ähnlich, ist der Eissturmvogel nicht mit den Möwen, sondern eher mit den Albatrossen verwandt. Kopf, Hals und Unterseite der adulten Tiere weisen eine hellgraue Färbung auf, die Flügeloberseiten sind graublau. Der Schwanz ist gerundet, dessen Federn sind, ebenso wie der Bürzel, hellgrau. Basierend auf Gefiederfärbung und Schnabellänge wird der Eissturmvogel in drei Unterarten gegliedert. Die Nominatform, Fulmarus glacialis glacialis, lebt hochnordisch im nordatlantischen Eismeer. Der Schnabel ist kürzer und die Gefiederfärbung dunkler als bei F. g. auduboni, dessen Verbreitungsgebiet südlicher im Atlantik liegt. Für diese Unterart sind drei verschiedene Farbmorphen - hell, dunkel und intermediär - beschrieben. Die dritte Unterart, F. g. rodgersi, kommt im nördlichen Pazifik vor; auch hier treten unterschiedliche Farbmorphen auf.

Die über den Schnabel verlängerten Nasenlöcher sind namengebend für die Gattung der Röhrennasen, zu der auch der Eissturmvogel zählt. - Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Die über den Schnabel verlängerten Nasenlöcher sind namengebend für
die Gattung der Röhrennasen, zu der auch der Eissturmvogel zählt.
Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Der kurze und kräftige Schnabel des Eissturmvogels ist gelblich gefärbt und zur Nasenspitze hin dunkler. Die Nasenlöcher selbst sind wie bei allen Vertretern der Gattung Procellariiformes (Röhrennasen) röhrenartig über einen Teil des Schnabels verlängert. Diese Röhren sind Teil eines Salzausscheideorgans, denn auf hoher See und ohne Zugang zu Süßwasser können die Vögel nur Salzwasser trinken bzw. salzhaltige Nahrung zu sich nehmen. Spezielle Salzdrüsen scheiden dann das überschüssige Salz ab, das in Form einer hochkonzentrierten Lösung über eben diesen Röhrengang abfließt und durch die Nasenlöcher ausgeschieden wird.



Zwischen Arktis und Südfrankreich

Der Lebensraum dieser Vögel ist sehr weitläufig. Entlang der nordamerikanischen Atlantikküste sind diverse Kolonien bekannt, weitere auf Neufundland und Labrador, im arktischen Kanada, aber auch an Europas Küsten, wie in Irland, Schottland, den Niederlanden sowie den skandinavischen Ländern. Auffällig ist, dass in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Eissturmvögel insgesamt stetig zugenommen hat. Der Weltbestand wird heute auf bis zu sieben Millionen Brutpaare geschätzt, gut die Hälfte davon entfällt auf die nordatlantische Population. Europas größter Eissturmvogelbestand befindet sich auf Island mit bis zu zwei Millionen Brutpaaren.

Landeanflug in Brutkolonie. Im Gegenlicht ist die Bänderung der Füße sehr gut zu erkennen. - Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Landeanflug in Brutkolonie. Im Gegenlicht ist die Bänderung der Füße
sehr gut zu erkennen.
Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Auch auf der deutschen Hochseeinsel Helgoland wurden bereits 1961 die ersten Eissturmvögel der Unterart F. g. auduboni gesichtet, der erste Bruterfolg ist für 1972 belegt. Seitdem nimmt ihre Zahl dort stetig zu und erreichte im Jahr 2005 den bisherigen Höchststand mit 121 Brutpaaren, deren Nistplätze sich über den Lummenfelsen, die Nordklippe und Lange Anna verteilen. Seitdem pendelt die Zahl der auf Helgoland brütenden Eissturmvögel zwischen 85 und 100 Brutpaaren.



Gefahr durch Plastikmüll

Eissturmvögel ernähren sich von kleinen Fischen, Schnecken, Krebsen und Krill. Auch Quallen, Aas oder Fischabfälle werden gerne auf den Speisezettel gesetzt. Die Vögel picken die Nahrung entweder direkt von der Wasseroberfläche oder erbeuten diese während kurzer Tauchgänge, bei denen sie bis zu vier Meter tief tauchen können. Auf der Oberfläche treibenden Fisch wird mit dem kräftigen Schnabel der Bauch aufgerissen, um an die begehrten Innereien zu gelangen.

Leider geschieht es immer wieder, dass die Vögel statt verwertbarer Nahrung im Wasser treibende Plastikstücke verschlingen. Traurige Realität ist, dass die Meere durch Plastikmüll stark verschmutzt sind, wobei der Anteil industriellen Mülls geringer ist als der von Endverbrauchern. Eine Studie von 2003 bis 2007 zum Thema zeigte, dass sich bei 93 % der untersuchten verendeten Eissturmvögel durchschnittlich 26 Plastikstücke im Magen befanden. Aber auch durch andere Umweltgifte, die sich u.über die Nahrungskette verbreiten, droht Gefahr. Dichlordiphenyldichlorethan als Abbauprodukt des früher häufig eingesetzten Insektizids DDT sowie kanzerogene polychlorierte Biphenyle und deren Derivate wurden mittlerweile mehrfach und in teilweise bedenklicher Konzentration im Körper und in den Eiern diverser Seevögel einschließlich des Eissturmvogels nachgewiesen. Obwohl nicht bestandskritisch, sind diese Befunde durchaus als besorgniserregend zu werten.



Ausbreitung nach Süden

Früher waren Eissturmvögel ausschließlich hochnordische Vögel, die Gebiete bis an die grönländische Packeisgrenze besiedelten. In den vergangenen hundert Jahren hat sich die Art immer weiter nach Süden ausgebreitet, sodass es nun auch Kolonien in der französischen Bretagne und in der Normandie gibt. Der Erfolg und die immer weitere Ausbreitung dieser Art in Europa lassen sich ansatzweise aus einem komplexen Geflecht ökologischer und ökonomischer Beziehungen herausfiltern. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der kommerzielle Fischfang durch den Menschen. Vorteilhaft erwies sich zunächst die starke Zunahme der Beutefische wie Sandaal oder Sprotte, da durch den Wegfang von Hering, Makrele und Kabeljau die Zahl der Raubfeinde und Nahrungskonkurrenten abnahm. Auf der anderen Seite hätte sich die dann folgende Zunahme der industriellen Fischerei auf eben den Sandaal auch für den Eissturmvogel als ebenso nachteilig erweisen können, wie dies für viele andere Seevogelarten der Fall war und ist. Jedoch scheinen hier zwei Mechanismen gegengesteuert zu haben: zunächst der Umstand, dass Eissturmvögel, anders als z.Alkenvögel, Schwankungen im Bestand ihrer Beutefische durch ihren deutlich höheren Flugradius kompensieren können. Zum anderen zog der Eissturmvogel einen Vorteil aus der Praxis der heutigen Fischerei, den als wertlos erachteten Beifang vielfach schlicht wieder über Bord zu werfen. Für Eissturmvögel - sie scheinen einen "Riecher" für diese Fangschiffe zu haben - stellt der derart entsorgte "Abfall" eine reichhaltige und kontinuierliche Nahrungsquelle dar. Darüber hinaus gibt es Anzeichen, dass Eissturmvögel aus den ebenfalls wachsenden Kolonien Nordamerikas über den Nordatlantik nach Europa gewandert sind und auch auf diese Weise die hiesige Population vergrößert haben.



Eissturmvögel beobachten

Eissturmvögel sind typische Hochseevögel. Die Tiere verbringen die meiste Zeit auf und über dem offenen Meer und kommen nur zur Brutzeit an Land. Während dieser Periode sind die isländischen Westfjorde ein empfehlenswerter Ort, um Eissturmvögel zu beobachten. Hier finden sich vielerorts entlang der Küstenlinie unzählige, zumeist lockere Brutkolonien unterschiedlicher Größe.

Kleine Streitereien werden zwischen Eissturmvögeln lautstark ausgetragen. - Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Kleine Streitereien werden zwischen Eissturmvögeln lautstark ausgetragen.
Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Die Westfjorde liegen im Nordwesten Islands und zählen zu den rauesten Regionen dieser Insel. Von oben betrachtet hat dieser Landstrich die Form einer vielfingrigen Hand, mit fast 70 Fjorden, die tief ins Landesinnere einschneiden. Gewaltige Gebirge mit schroffen Steilküsten erheben sich aus dem Blau des Wassers in die Höhe. Hier, an zahllosen unzugänglichen Stellen brüten die Eissturmvögel. Der Latrabjarg - einer der größten Vogelfelsen Nordeuropas am südwestlichen Zipfel der Westerfjorde - gehört zu den lohnenswertesten Zielen auf der Suche nach Eissturmvögeln. Über eine Länge von gut 14 km fällt die Steilküste des Latrabjarg zwischen 40 und 450 m nahezu senkrecht in die Tiefe. An diesem Brutfelsen, in denen die Eissturmvögel die oberen Etagen beziehen, teilen sie sich die Plätze mit anderen Arten, wie Dreizehenmöwe, Papageitaucher, Tordalk, Trottel- und Dickschnabellumme.

Eissturmvögel sind im Regelfall monogam, Paare bleiben ein Leben lang zusammen. Im Alter von sechs Jahren werden Eissturmvögel geschlechtsreif, brüten aber gewöhnlich erst mit durchschnittlich neun Jahren. Der Brutzyklus beginnt im Laufe des März, wenn die Vögel in die Gebiete der Brutfelsen zurückkehren, aber noch nicht an Land gehen. Die Balz erfolgt auf dem Wasser. Haben sich zwei Partner gefunden, bleiben die Männchen immer in der Nähe der Auserwählten.

Zwei Eissturmvögel im Brutfelsen. - Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Zwei Eissturmvögel im Brutfelsen.
Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Für die Eiablage im Mai nutzen die Vögel nackte Felsvorsprünge oder kleine Höhlungen als Nistplatz, die sie bisweilen mit Gras auspolstern. Das Gelege besteht aus einem einzigen Ei, das von beiden Elterntieren abwechselnd über einen Zeitraum von 49 bis 53 Tagen bebrütet wird. Anschließend wird das Jungtier zunächst dauerhaft von einem der Eltern beaufsichtigt und gewärmt. Gefüttert wird es von beiden Elternteilen. In dieser Phase geben die Tiere sehr reizvolle Fotomotive ab - doch Vorsicht: Eisturmvögel können sich sehr effektiv einer Bedrohung erwehren. Sowohl Alt- wie auch die Jungvögel sind in der Lage, eine sehr klebrige und ölartige Magenflüssigkeit zielgenau auf einen Störenfried zu spucken. Andere Vögel sind - im Gegensatz zum Eissturmvogel selbst - kaum in der Lage, dieses Öl wieder aus ihrem Gefieder zu entfernen und gehen meist zugrunde. Auch für einen übereifrigen menschlichen Beobachter ist dies eine Erfahrung der besonderen Art.

Im Alter von etwa 50 Tagen verlassen die Jungen das Nest, nachdem sich zuvor bereits die Elterntiere wieder auf die nordatlantische Hochsee zurückgezogen und ihren Nachwuchs sich selbst überlassen haben. Das Jungtier stürzt sich von den Felsen ins Meer und treibt flugunfähig auf der Wasseroberfläche, bis das Gefieder vollständig herangewachsen ist und der Vogel flugfähig wird. In der Zwischenzeit ernährt sich das Tier sowohl von Plankton als auch von den eigenen Fettvorräten.

Die Natur des Nistplatzes bringt es mit sich, dass die dünnschaligen Eier schnell zerbrechen oder beschädigt werden können. So geht ein großer Teil der Eier eines Brutjahres verloren. Das Weibchen legt bei Verlust des Geleges kein neues Ei. Doch die insgesamt hohe Lebenserwartung der Vögel - Männchen werden bis zu 34 Jahre alt, Weibchen sogar noch älter - und die damit verbundene Zahl an möglichen Brutzyklen tragen dazu bei, die Verluste pro Jahr auf längere Sicht auszugleichen und die Gesamtpopulation wachsen zu lassen. Somit bestehen für Vogelfreunde gute Chancen, auch im nächsten Jahr Eissturmvögel und ihre beeindruckende Flugkunst beobachten zu können.

Die Steilküste des Latrabjarg - Europas größtem Vogelfelsen im Süden der isländischen Westfjorde. - Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Die Steilküste des Latrabjarg - Europas größtem Vogelfelsen im Süden der isländischen Westfjorde.
Foto: © Markus Rahaus, Westfjorde/Island, Mai 2010

Literatur zum Thema:

Dierschke J, Dierschke V, Hüppop K, Hüppop O, Jachmann F (in Druck): Artkapitel in: Die Vogelwelt der Insel Helgoland.

Dierschke J u. a. 1990-2009: Artabschnitte aus: Ornithologische Jahresberichte für Helgoland.

Burg TM, Lomax J, Almond R, Brooke Mde L, Amos W 2003: Unravelling dispersal patterns in an expanding population of a highly mobile seabird, the northern fulmar (Fulmarus glacialis). Proc R Soc Lond B 270: 979-984.

Franeker van JA, Meijboom A, de Jong M, Verdaat H 2009: Fulmar litter EcoQO monitoring in the Netherlands 1979-2007 in relation to EU directive 2000/59/EC on port reception facilities. IMARES Report C032/09.

Jörundsdottir H, Löfstrand K, Svavarsson J, Bignert A, Berman A 2010: Organochlorine compounds and their metabolites in seven Icelandic seabird species - a comparative study. Environ Sci Technol 44: 3252-3259.

Schofield P 2007: Albatrosses, petrels and shearwaters of the world. Princeton University Press, Princeton.

Skinner KM 1998: Oil-spitting in fulmars: an example of chemical defense in birds? EN 570: Chemical Ecology.


Dr. Markus Rahaus hat an der Ruhr-Universität Bochum Biologie studiert und später an der Privaten Universität Witten/Herdecke habilitiert. Heute lebt und arbeitet er in Cuxhaven und beschäftigt sich intensiv mit der Biologie und Fotografie von Seevögeln.


*


Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 10/2010
57. Jahrgang, Oktober 2010, S. 411-417
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2010