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ORNITHOLOGIE/222: Eichelhäher - Saisonehe und Vorratshaltung (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2010

Saisonehe und Vorratshaltung: Eichelhäher

Von Anita Schäffer


Obwohl eher heimlich, zählen Eichelhäher zu den allgemein bekannten Vogelarten - davon zeugen die über 60 volkstümlichen Namen, darunter z.B. Markwart, Eichelrabe oder Holzschrat. Typischerweise kommen die Vögel in strukturreichen Wäldern vor. Seit einigen Jahrzehnten sind Eichelhäher jedoch immer häufiger im Siedlungsbereich in Parks, Friedhöfen und Gärten zu beobachten und gelten mit etwa einer halben Million Brutpaare hierzulande als die häufigste Rabenvogelart. Verhaltensweisen wie das Anlegen von Vorräten oder das Einbauen imitierter Vogelstimmen in den Gesang machen das Beobachten von Eichelhähern zu einem lohnenswerten Erlebnis, sofern man genügend Geduld aufbringt und die Tiere nicht verscheucht.


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Eine leuchtend blaue Feder mit schwarzer Zeichnung auf dem Waldboden oder im Garten beweist deutlich, dass hier ein Eichelhäher zu Besuch war. Trotz seiner auffälligen Färbung, die neben dem Blau der Flügeldecken auch kontrastreiches Schwarz und Weiß an Schwanz und Flügeln aufweist, bekommt man den recht heimlichen, taubengroßen Rabenvogel jedoch nicht so leicht zu sehen. Eichelhäher bevorzugen reich strukturierte Wälder mit verschiedenen Baumarten unterschiedlichen Alters, kleinräumig dichter Strauchschicht und Lichtungen. Die Art besiedelt auch die Waldränder eintöniger Altersklassenwälder sowie Parks, Friedhöfe und Gärten, sofern genügend Deckung vorhanden ist. Zwischen den Bäumen bewegen sich die Vögel etwas schwerfällig fliegend oder von Ast zu Ast hüpfend, größere Freiflächen werden gemieden. Im Flug ist der Eichelhäher leicht an seiner rosa graubraunen Grundfärbung mit auffälligem Schwarzweiß und Blau sowie den runden Flügeln zu erkennen. Häufig folgt einem fliegenden Eichelhäher in kurzem Abstand ein Artgenosse. Eichelhäher machen jedoch meist durch ihren rätschenden Warnruf auf sich aufmerksam. Die Tatsache, dass darauf zahlreiche andere Tierarten in der Nähe ebenfalls reagieren, hat dem Eichelhäher den Beinamen "Polizist des Waldes" eingebracht. Neben dem rauen, lang gezogenen "Räätsch" des Warnrufes verfügen Eichelhäher über ein außergewöhnliches Gesangsrepertoire, wobei nicht selten imitierte Laute anderer Vogelarten einfließen, wie z. B. der Ruf des Mäusebussards. Eichelhäher singen jedoch recht leise, sodass der Beobachter nur aus nächster Nähe in diesen Genuss kommt. Dann sind auch die schwarz-weiß gestreifte Stirn des Vogels und der schwarze Bart deutlich zu erkennen. Seine Nahrung sucht der Eichelhäher hauptsächlich am Boden, wo er sich mit federnden Sprüngen fortbewegt, sowie in Büschen und Sträuchern.

Mit viel Glück kann man Eichelhäher mit ausgebreiteten Flügeln auf einem Ameisenhaufen sitzend beobachten. Die Vögel lassen sich von den Ameisen mit Ameisensäure bespritzen, die möglicherweise als Mittel gegen Parasiten wie Federmilben dient. Dieses Verhalten, das auch von anderen Vogelarten bekannt ist, wird als "Einemsen" bezeichnet.


Saisonale Einehe

Im Gegensatz zu anderen Rabenvögeln sind Eichelhäher weniger gesellig und einzeln, paarweise oder in kleinen Trupps zu beobachten. Im Frühjahr finden sich kurzzeitig größere Gruppen mit bis zu 30 Eichelhähern zusammen, die aufgeregt zwischen Zweigen umherhüpfen, dabei rufen und singen und versuchen sich von allen Seiten zu zeigen. Möglicherweise finden diese "Partys" statt um Partner zu finden, die sich dann für die kommende Saison verpaaren. Das Nest wird meist erst nach vollem Laubaustrieb gebaut, sodass der Zeitpunkt hierfür in Deutschland zwischen Mitte April und Anfang Mai verschiebbar ist. Beide Partner tragen Zweige herbei und verflechten diese, bis eine Nestmulde entsteht, die wiederum mit feineren Reisern, Gras, Moos, Haar und anderen Fasern ausgepolstert wird. Das Weibchen legt vier bis sieben pastellfarbene Eier mit feinen Sprenkeln, die es allein bebrütet. Während dieser Zeit wird es vom Männchen mit Nahrung versorgt. Brütende Eichelhäher sind sehr störungsanfällig und Nester werden schnell verlassen. Gelegentlich wird dann eine Nachbrut gestartet. Nach zwei Wochen Brutzeit schlüpfen die Jungen. Sie werden von beiden Eltern mit Insekten, deren Larven, Spinnen und anderen Wirbellosen, ältere Junge manchmal auch mit Vogelküken oder Eidechsen, gefüttert. Nachdem die Jungvögel im Alter von etwa drei Wochen ausgeflogen sind, verbleiben sie im Familienverband und erhalten noch einige Zeit von den Eltern Nahrung, wobei jetzt auch Samen verfüttert werden. Im Herbst umherziehende kleinere Trupps können aus mehreren Familien bestehen.


Vorratshaltung

Besonders berühmt sind Eichelhäher für das Anlegen von Vorräten aus überschüssiger Nahrung. Zum Nahrungsspektrum zählen je nach Verfügbarkeit hauptsächlich Eicheln und Nussfrüchte wie Bucheckern und Haselnüsse, aber auch die Samen zahlreicher anderer Baumarten, Beeren, Obst und Feldfrüchte wie z. B. Mais. Nahrung wird das ganze Jahr über im Boden vergraben, v. a. jedoch im Herbst zur Hauptreifezeit. Auf der Suche nach frischen Eicheln durchwühlen Eichelhäher mit ihrem Schnabel die Laubschicht am Boden. Bis zu zehn Stunden pro Tag verbringen die Vögel mit dem Sammeln, wobei sie gezielt in Eichenwälder fliegen oder einzelne Bäume suchen. In Schlund und Schnabel können mehrere Eicheln dann zurück ins eigene Revier transportiert werden. Mithilfe von Schnabelhieben verstecken Eichelhäher einzelne, manchmal auch zwei oder drei Eicheln im Boden, in Ritzen oder Löchern. Zur besseren Erinnerung der Plätze scheinen sich die Tiere an der Umgebung zu orientieren, Baumstämme oder große Steine, die Ränder von Lichtungen oder Baumbeständen helfen möglicherweise beim Wiederfinden der Verstecke. Obwohl Eichelhäher ihre Vorräte selbst unter einer Schneedecke noch ausmachen können, wird vermutlich nur ein geringer Anteil der tatsächlich vergrabenen Nahrung genutzt. Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge sammelt ein Eichelhäher während der Hauptsammelzeit in zehn Tagen etwa 2000 Eicheln und versteckt sie. Wie viele hiervon später gefressen werden oder keimen und als sogenannte Hähersaat zu jungen Eichenbäumen heranwachsen, bleibt ungeklärt.

Die meisten Eichelhäher in Deutschland verbleiben als Standvögel in der Nähe der Brutreviere oder des Geburtsortes. Um extrem kalter Witterung auszuweichen oder in Jahren mit großem Eichelaufkommen, sogenannte Mastjahren, bzw. bei Nahrungsmangel, kommt es gelegentlich zu Eichelhäher-Evasionen. Die Vögel weichem schlechtem Wetter aus bzw. ziehen in Gegenden, in denen reichlich Nahrung in Form von Eicheln oder Bucheckern zur Verfügung steht.


Bestandstrend, Gefährdung, Gefährdungsursachen

Die Verbreitung des Eichelhähers erstreckt sich von Europa und Teilen Nordafrikas bis nach Japan und das nördliche Indochina. Dabei sind an die 36 Unterarten bekannt. Eichelhäher besetzen große Streifgebiete ohne feste Reviergrenzen, sodass die Bestände häufig nur sehr ungenau erfasst werden können. Der Weltbestand wird von BirdLife International mit 40 bis 150 Millionen angegeben, 6 bis 13 Millionen Brutpaare davon leben in Europa. Der Brutbestand in Deutschland beträgt derzeit zwischen 440000 und 560000 Paaren und ist seit Beginn der 1990er Jahre bei geringen Schwankungen weitgehend stabil.

Das war in den Jahrzehnten davor anders: In vergangenen Jahrhunderten wurde der Eichelhäher als angeblicher Forstschädling und Nesträuber bejagt, was durch die Zahlung von Prämien bei der Vorlage der Fußpaare erlegter Eichelhäher noch gefördert war. Diese Praxis hielt sich in Teilen Mitteleuropas bis in die 1980er Jahre, die Jagd reduzierte die Bestände in einzelnen Regionen sehr stark. Nachdem ab 1920 in Deutschland die Verfolgung weiträumig eingestellt worden war, erholten sich die Bestandszahlen hier auffällig. Insgesamt gilt die Art als nicht gefährdet.


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Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Berthold P 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas.
Bestand und Gefährdung. Aula-Verlag, Wiesbaden.
www.dda-web.de
www.waldwissen.net/themen/waldbau/waldverjuengung/wuh_eichelhaeher_DE
www.mil.brandenburg.de/sixcms/media.php/4055/eichelho.pdf



Gefiederte Forstmeister

Neben Eicheln, in Deutschland hauptsächlich von Stiel- und Traubeneiche, sammeln und deponieren Eichelhäher auch die Samen von Buchen, Hasel und anderen Baumarten. Ein großer Teil der versteckten Nahrung wird von den Vögeln nicht wiedergefunden. Die Möglichkeit, dass die Früchte keimen und zu jungen Bäumen heranwachsen, ist recht groß, da Eichelhäher anscheinend nur gesunde, als Nahrung geeignete Samen vergraben. Der aufgegangene Wald wird als Hähersaat bezeichnet. Im modernen Waldbau kommt der Hähersaat eine wichtige Bedeutung zu, obwohl diese Art der Waldverjüngung ausgesprochen unsystematisch ist. Die Vorteile sind jedoch unbestritten, hierzu zählen u.erhebliche Einsparung von Pflanzkosten, Ausbreitung heimischer, Standort angepasster Baum- und Straucharten, Ausbau des Unterstandes, Schaffung von Luftruhe im Bestand (dadurch verringertes Windwurfrisiko), Bodenbedeckung (verhindert Vergrasung des Waldbodens in lichten Altbeständen), Erhöhung der Strukturvielfalt und Schaffung ökologischer Nischen.

In einigen Forstämtern, die Vielfalt im Wald durch unterschiedliche Baumarten und Strukturen anstreben, macht man sich das Verhalten der Eichelhäher Vorratsdepots anzulegen zunutze. Bei der als "geförderte Eichelhähersaat" oder "unterstützte Hähersaat" genannten Maßnahme werden den Vögeln Eicheln als Nahrung angeboten, die diese dann verstecken. Im Verlauf mehrerer Jahre werden so etliche Tausend Eicheln pro Hektar Waldboden "gesät", wodurch ein Anteil von etwa 30 % an der Gesamtverjüngung erreicht werden kann. Die Methode eignet sich auch zum Umbau eintöniger Monokulturen und ist zur Verjüngung lichter, standortfremder Kiefernwälder besonders geeignet. Das Bestücken von Futtertischen speziell für Eichelhäher wird von einigen Förstern als willkommene Gelegenheit für Umweltbildung genutzt, wenn Schulklassen oder Kindergruppen helfen dürfen die Eicheln auszubringen.



Beobachtungstipps zum Eichelhäher

Auffälligstes Merkmal: rosa graubraunes Gefieder, schwarz-weiß gestreifte Stirn, schwarzer Bart, schwarzer Schwanz mit weißem Bürzel, auffällige kobaltblaue und schwarze Zeichnung an den Flügeldecken
Wann: ganzjährig
Wo: reich strukturierte Wälder, halboffene Landschaft mit Baumgruppen, Parks, große Gärten, Friedhöfe
Was: Eichelhäherpartys im Frühjahr; Trupps mit Einzelvögeln in kurzen Abständen; Imitation anderer Vogelstimmen; Nahrungssuche, Verstecken von Nahrung



Werden Sie Eichelhäher-Pate!

Vogelfreunde, denen der Eichelhäher besonders am Herzen liegt, können ihr Engagement für die heimische Vogelwelt auch im neuen deutschen Brutvogelatlas zum Ausdruck bringen, indem sie eine Artpatenschaft übernehmen. Unter jedem Artkapitel werden im späteren Druckwerk (erscheint im Sommer 2011) namentlich bis zu fünf Spendenpaten pro Art aufgeführt, sofern diese ADEBAR mit mindestens 100,- Euro unterstützen.

Mehr zu den Vogelpatenschaften unter www.stiftungvogelmonitoring.de. Für alle, die ganz unkompliziert eine Patenschaft für "ihre" Lieblingsart übernehmen möchten: Sie überweisen eine Spende über 100,- Euro mit dem Stichwort "Lieblingsart" (z.Eichelhäher) auf folgendes Konto: Sparkasse Chemnitz, BLZ 870 500 00, Kontonr. 3 140 004 400. Eine steuerlich absetzbare Spendenbescheinigung wird Ihnen umgehend zugestellt (bitte Adresse angeben!).


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2010
57. Jahrgang, Dezember 2010, S. 489-491
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141; Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de

Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,80 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
und Ausland für 49,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2010