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ORNITHOLOGIE/273: Stoßjäger und Puderdunen - Graureiher (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 1/2013

Vögel an Gewässern
Stoßjäger und Puderdunen: Graureiher

von Anita Schäffer



Der kontrastreich gezeichnete Graureiher hat einige Superlative zu bieten: Er ist der größte, häufigste und am weitesten verbreitete Reiher in Europa. Dabei besiedelt er verschiedenste Lebensräume, sofern seichte Gewässer zur Nahrungssuche vorhanden sind, bis hin zu Teichen oder Fließgewässern in Stadtparks. Seit den 1970er Jahren steht der früher auch als Fischfeind betrachtete Graureiher weitgehend unter Schutz, sodass die Vögel vielerorts lohnenswerte Einblicke in das Verhalten bei der Nahrungssuche oder in den Kolonien zur Brutzeit gestatten.

© H.-J. Fünfstück, Kleinweil, 18.1.2010

Die "grauen" Reiher sind tatsächlich sehr kontrastreich gefärbt. Typisch ist der s-förmig zurückgebogene Hals.
Webseite des Fotografen: www.5erls-naturfotos.de
© H.-J. Fünfstück, Kleinweil, 18.1.2010

Wie der Name vermuten lässt, ist der Graureiher überwiegend grau gefärbt mit grauweißem Hals und dunkler grauem Rücken. Die Flügel sind zweifarbig grau und schwarzblau. Im Kontrast dazu steht ein überwiegend weißer Kopf mit breitem schwarzem Augenstreif. Ebenfalls schwarz sind die langen Schopffedern und die Halszeichnung. Bei älteren Graureihern sind die Kontraste häufig deutlicher ausgebildet. Die Farbe von Schnabel und Beinen reicht von grünlich bis graugelb. Das typische Flugbild mit s-förmig zurückgebogenem Hals und lang über den Schwanz ragenden Beinen unterscheidet den Graureiher sowie die meisten anderen Reiherarten von anderen Schreitvögeln wie Störchen oder Kranichen. Auch im Stehen ist der Hals meist "eingezogen", beim Abheben, bei der Jagd und sichernd sieht man Graureiher mit gestrecktem Hals. Weitere typische Merkmale von Reihern sind lange Beine und ein dolchartiger Schnabel, wobei die Beine bei Tagreihern, von denen neben dem Graureiher selten noch Purpur- und zunehmend Silberreiher in Deutschland zu beobachten sind, länger sind als die von Nachtreihern oder Dommeln.

Häufig wurde der Graureiher auch Fischreiher genannt, ein Hinweis auf die bevorzugte Nahrung. Tatsächlich fressen die Vögel hauptsächlich Fische von 10 bis 20 cm, maximal bis 30 cm Größe, daneben aber auch Kleinsäuger (Mäuse), Amphibien und Reptilien, je nach Jahreszeit auch Wirbellose. Eier oder Jungvögel erweitern den Speisezettel nur selten.

Die Nahrungsgründe des Graureihers liegen in seichtem Wasser, das er durchschreiten kann. Hierzu zählen verschiedene Gewässertypen wie Teiche, Seen und Altarme mit flachen Ufern, Sümpfe und Feuchtwiesen, Gräben und Fließgewässer. Diese Lebensraumbedingungen findet der Graureiher in Europa hauptsächlich im Flachland. An Küsten fischen Graureiher auch in Salz- und Brackwasser. Die drei langen Vorderzehen sind weit gespreizt, sodass die Vögel in weichem Untergrund nicht einsinken. Tiefere Gewässer, steile Ufer und zu dichte Vegetation im Wasser werden gemieden. In günstigen Mäusejahren oder kalten Wintern, wenn Gewässer zugefroren sind, weichen Graureiher zur Jagd auf Wiesen und Felder aus.

Je nach Vorkommensgebiet finden sich unter den Graureihern Standvögel, Teilzieher und Zugvögel, die die kalte Jahreszeit in wärmeren Gefilden verbringen. Die in Deutschland lebenden Graureiher überwintern hier zum großen Teil, hinzu kommen aber auch viele Wintergäste aus kälteren Regionen Europas. Schneereiche Winter können zu weiteren Ausweichbewegungen veranlassen, einzelne Graureiher ziehen sogar bis südlich der Sahara. Der Zug findet meist nachts statt. Graureiher fliegen mit stetigem, langsamem Flügelschlag; die Flügelspannweite beträgt bis zu 175 cm. Gelegentlich sind heiser krächzende Flugrufe wie "kräikch" zu vernehmen.

Sehr selten schwimmen Graureiher. Meist landen sie auf festem Boden und schreiten dann langsam ins Wasser. Um ihr Gefieder wasserabweisend zu machen, verwenden Reiher anstatt Fett aus der Bürzeldrüse, die bei ihnen nur klein ist, sogenannte Puderdunen. Diese ständig nachwachsenden, feinen Federn sitzen an mehreren Stellen, zum Beispiel an der Brust und Leiste. Sie sind sehr fetthaltig und zerfallen leicht zu Pulver, das der Vogel mit dem Kopf über den Körper verteilt. Puderdunen sind außer bei Reihern noch von Papageien bekannt.

Nester hoch oben

Graureiher brüten in Kolonien. Vor über hundert Jahren galt eine Kolonie mit 1000 Nestern als groß, heute sind in Deutschland 150 Brutpaare an einem Standort schon viel. Als Koloniestandorte eignen sich hohe Bäume an Gewässern oder auf Inseln in der Nähe von geeigneten Nahrungsflächen, Kolonien liegen mitunter aber auch weit von Gewässern entfernt. Zur Nahrungssuche fliegen Graureiher mitunter bis zu 20 Kilometer weit. Die Nester liegen meist hoch im Kronenbereich und eng beieinander. Kolonien werden jedes Jahr wieder aufgesucht und können über Jahrzehnte bestehen. Gelegentlich zu beobachtende einzelne Brutpaare könnten Hinweise auf neu entstehende Kolonien sein.

Die Graureihermännchen kehren als Erste in die Brutgebiete zurück. Zur Brutzeit ist der Schnabel auffällig orange gefärbt. Zuerst werden die stabilsten, höchsten Horste wieder besetzt und wenn nötig ausgebaut. Lautstark verteidigen die Männchen ihr Nest und versuchen, für diese Brutsaison ein Weibchen anzulocken. Reiher in ihrer ersten Brutsaison müssen häufig neue Nester am Rand der Kolonie bauen. Dazu bringt das Männchen größere Äste und kleinere Zweige, die vom Weibchen zu einem lockeren Nest verbaut werden. Das Innere wird mit dünnen Reisern, Wurzeln, Stroh, Haaren und Federn gepolstert. Zwischen März und Juni legt das Weibchen drei bis fünf Eier, die von beiden Eltern etwa 25 Tage lang bebrütet werden. Während der nächsten Wochen bringen die Altvögel Futter, das sie im Nest wieder hervorwürgen. Bevor die Jungen mit etwa 50 Tagen flugfähig sind, haben sie schon zahlreiche Ausflüge in die Nestumgebung unternommen und klettern auch jetzt noch oft ins Nest zurück. Erst im Alter von acht Wochen fliegen sie endgültig aus. Junge Graureiher sind extrem gefährdet, etwa zwei Drittel werden nicht älter als sechs Monate. Bei Nahrungsengpässen kann die direkte Konkurrenz unter Nestlingen derselben Brut sehr ausgeprägt sein, sodass unter Umständen nur ein Junges überlebt.

Flügge Graureiher schließen sich oft zu Gruppen zusammen und wandern relativ schnell bis über 100 Kilometer vom Geburtsstandort ab.

Bestand und Gefährdungen

Der Graureiher ist in ganz Europa und Asien mit Ausnahme der Hochgebirge, Tundren, Wüsten und Steppen verbreitet. Von den 210000 bis 290000 für Europa geschätzten Brutpaaren leben etwa 27000 bis 28000 in Deutschland.

Seit Mitte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1940 waren die Bestände der Graureiher in ganz Europa rückläufig. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges stiegen die Zahlen zunächst an. Die Bestandsrückgänge der folgenden Jahrzehnte waren jedoch drastisch, die Gründe hierfür lagen hauptsächlich in der intensiven direkten Verfolgung als Fischfeind, die zum Abschuss der Vögel in der Kolonie führte. Erst seit Beginn der 1970er Jahre ist der Graureiher eine weitgehend geschützte Art, die in Deutschland zwar nach wie vor dem Jagdrecht unterliegt, aber ganzjährig geschont ist; eine Ausnahme bildet Bayern, hier dürfen Graureiher für sechs Wochen im Herbst unter besonderen Auflagen bejagt werden. So wurden hier zwischen 2008 und 2010 durchschnittlich 5210 Graureiher pro Jahr geschossen - das sind circa 1000 Vögel mehr, als der Brutbestand 2008 betrug.

Obwohl die Bestände des Graureihers einen anhaltend positiven Trend aufweisen, wird die Art in der Roten Liste Hessens als "gefährdet" und in Bayern auf der Vorwarnliste bedrohter Arten geführt, da Störungen in den Kolonien und Jagd als hohe Risikofaktoren einzustufen sind.

Natürliche Feinde der Graureiher sind Nesträuber in den Kolonien, wie Marder, neuerdings sicher auch der Waschbär, Möwen oder Rabenvögel, aber auch Seeadler, Uhu und Habicht, die vor allem auf junge Reiher Jagd machen. Besonders kalte Winter können sich ebenfalls negativ auf die Bestände auswirken.


Informationen zum Thema:

Bauer H-G, Bezzel E, Fiedler W 2005:
Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas
Aula-Verlag, Wiebelsheim.

Fünfstück H-J, Ebert A, Weiß I 2010:
Taschenlexikon der Vögel Deutschlands
Quelle und Meyer Verlag, Wiebelsheim.

www.bund-naturschutz.de/fakten/arten-biotopschutz/arten/graureiher.html
www.bfn.de/natursport/info/sportinfoPHP/infosanzeigen.php?z=Tierart&code=d23&lang=de
www.dda-web.de


Beobachtungstipps zum Graureiher

Auffälligstes Merkmal: hell- und dunkelgrauer Schreitvogel mit weißem Kopf, dunklem Augenstreif und dunklen Reiherfedern, Flügel zweifarbig grau-schwarzblau, lange Beine, dolchartiger Schnabel
Wann: ganzjährig
Wo: an seichten Gewässern aller Art, auf Wiesen und Feldern
Was: Nahrungssuche, Kolonieverhalten, Körperpflege, Wintergäste


Blitzschnelle Reaktion

Der Graureiher gilt als Stoßjäger. Die meiste Zeit der Nahrungssuche verbringt er damit, bewegungslos im seichten Wasser oder auf Wiesen oder Feldern zu stehen und geeigneter Beute aufzulauern. Der Hals ist dabei schräg vorwärts gerichtet. Hat er Fisch, Frosch oder Maus erspäht, holt er blitzschnell mit dem Kopf nach rückwärts aus, um dann kräftig mit dem dolchartigen Schnabel zuzustoßen. Widerhakenbesetzte Schnabelleisten helfen, die Beute festzuhalten. Kleine Beutetiere werden ganz verschluckt, größere zerteilt. Um haarige Beute leichter schlucken zu können, werden die Tiere manchmal mehrmals wieder hochgewürgt, bevor der Graureiher sie ganz herunterschluckt. Unverdauliche Nahrungsreste speien die Vögel in Form von Gewöllen wieder aus. Im Gegensatz zu denen von Eulen enthalten Graureihergewölle fast immer Fischgräten.
In der Regel gehen Reiher alleine auf Jagd und können ihre Jagdgründe auch vehement verteidigen, vor allem in der Brutzeit. Während der kalten Jahreszeit sind jedoch häufig auch mehrere Reiher in kurzen Abständen entlang von Gewässern zu beobachten.
Fischereiwirtschaftlich fällt der Graureiher als Konkurrent nicht ins Gewicht. Graureiher fressen zahlreiche Weißfischarten, die wirtschaftlich unbedeutend sind. Die meisten kommerziellen Fischgewässer sind für die Jagdtechnik der Vögel zudem ungeeignet. Gegebenenfalls lassen sich Graureiher leicht durch am Uferrand gespannte Drähte daran hindern, ins Wasser zu schreiten, ansonsten haben sich über die Fischteiche gespannte Netze zum Abhalten der Vögel bewährt.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 2/2013
60. Jahrgang, Februar 2013, S. 49-51
mit freundlicher Genehmigung des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,95 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In-
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2013