Ruhr-Universität Bochum - 19.09.2016
Tauben können Englisch lernen
Tauben können englische Wörter von Nicht-Wörtern unterscheiden. Das berichten Forscher der Universität Otago, Neuseeland, und der Ruhr-Universität Bochum in der Zeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences. Die Tiere treffen die Unterscheidung anhand der Buchstabenkombinationen; sie wenden die gleichen Regeln an wie Menschen.
"Diese enorme kognitive Leistung der Tauben offenbart, dass es kein
Privileg von Primaten - oder gar nur des Menschen - ist, orthografische
Regeln zu beherrschen", sagt Prof. Dr. Dr. h. c. Onur Güntürkün, einer der
Autoren der Studie. "Selbst Tiere mit kleinen Gehirnen können diese
Leistung vollbringen."
Die Wissenschaftler zeigten Tauben auf einem Monitor englische Wörter aus vier Buchstaben, zum Beispiel "DONE", und gleich lange Nicht-Wörter, etwa "DNOE". Sie trainierten die Tiere mittels Futterbelohnung, auf das Wort zu picken, wenn es sich um einen existierenden Begriff handelte. Bei Nicht-Wörtern mussten sie auf ein Symbol neben dem Wort picken.
Nach und nach lernten die vier Tauben zwischen 26 und 58 Wörtern, die sie von 8.000 Nicht-Wörtern unterscheiden konnten.
Dann kam der eigentliche Test. Um zu prüfen, ob die Tauben die Wörter einfach nur auswendig gelernt hatten oder ob sie sich orthografische Regeln angeeignet hatten, zeigten die Forscher den Vögeln neue Wörter und Nicht-Wörter. Tatsächlich schnitten die Tauben in dem Test besser ab, als durch reinen Zufall zu erwarten wäre.
Eine detaillierte Analyse ergab, dass die Vögel zwei Regeln anwandten. Erstens hatten sie die statistische Wahrscheinlichkeit gelernt, mit der bestimmte Zweierkombinationen von Buchstaben im Englischen auftauchen. Das Wort DONE hat drei solcher Bigramme: DO, ON und NE. Diese Kombinationen kommen im Englischen häufiger vor als die Bigramme des Nicht-Wortes DNOE.
Zweitens konnten die Tauben die sogenannte Lewenstein-Distanz ziemlich präzise schätzen. Die Lewenstein-Distanz zwischen zwei Zeichenketten bezeichnet die kleinstmögliche Anzahl von Einfüge-, Lösch- und Ersetz-Operationen, die man durchführen muss, um eine Zeichenfolge in eine andere umzuwandeln. Der Begriff geht auf den russischen Wissenschaftler Wladimir Lewenstein zurück. Auch Menschen nutzen unbewusst diese beiden Regeln für die Orthografie.
"Tauben und Menschen haben extrem unterschiedliche Gehirne und lernen trotzdem auf äußerst ähnliche Art und Weise orthografische Regeln", erklärt Güntürkün, Leiter der Bochumer Arbeitseinheit Biopsychologie. "Diese Erkenntnisse zeigen, dass sich bei Vögeln und Säugetieren im Laufe einer 300 Millionen Jahre währenden parallelen Evolution sehr ähnliche kognitive Leistungen herausgebildet haben - unabhängig von Hirnstrukturen."
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft förderte Onur Güntürküns Arbeiten für die Studie durch den SFB 874. Weitere Unterstützung kam von der University of Otago, Department of Psychology, in Form einer Forschungsförderung an Michael Colombo.
Originalveröffentlichung
Damian Scarf, Karoline Boy, Anelisie Über Reinert, Jack Devine, Onur
Güntürkün, Michael Colombo:
Orthographic Processing in Pigeons (Columba livia),
in: PNAS, 2016,
DOI: 10.1073/pnas.1607870113
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung stehen unter: http://idw-online.de/de/institution2
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Ruhr-Universität Bochum, Dr. Julia Weiler, 19.09.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2016
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