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KOMMENTAR/079: Putzmittel im Hundefutter (SB)


Streckungsmittel im Tierfutter - Vorbote einer globalen Entwicklung

Ersatzstoffe und frisierte Lebensmittel sind auf dem Vormarsch

Melamin und Cyanursäure im Tierfutter



Mit der skurrilen Science-fiction Idee, alle organischen Abfälle, einschließlich tierischer und menschlicher Kadaver, in einzelne Bausteine zu zerlegen und wieder der Nahrungsmittelproduktion zuzuführen, weil die Nahrungsvorräte, d.h. frische Lebensmittel, nicht mehr für die wachsende Weltbevölkerung reichen, sind die meisten von uns spätestens seit dem Film "Soilent Green" bestens vertraut. Was seinerzeit kritische Denkanstöße liefern sollte durch die Darstellung auf die Spitze getriebener, gruseliger Recyclingmethoden ist allerdings zumindest für das Tierfutter inzwischen bittere Wahrheit geworden.

Spätestens, seitdem vor einem Monat das neue Recherchebuch von dem bekannten, einstigen Spiegel-Journalisten Hans-Ulrich Grimm "Katzen würden Mäuse kaufen" mit dem Untertitel "Schwarzbuch Tierfutter" erschienen ist, wissen wir, daß so ziemlich alles, was Menschen eklig finden, Hunde wie andere Tiere aber als freßbar betrachten, durchaus schon zu Tierfutter verarbeitet worden ist. Immer wieder käme es vor, daß Schlachtabfälle und verdorbenes Fleisch als Tiermehl im Futter landen, sagte Grimm am 10. April 2007 zur Einführung seines Buches im Deutschlandradio Kultur.

... Wenn Grimm bei seinen Recherchen nicht weiterkam, weil sich die Auskunftsfreude der Branche in Grenzen hielt, dann zitiert er aus deren internen Anweisungen und Standardwerken wie der "Klinischen Diätik für Kleintiere". Darin steht, dass Tiere "auch Dinge fressen, die für den Menschen unappetitlich sind", darunter "Erbrochenes, Abfall und sogar Kot und Kadaver".
(DLF, 15. Mai 2007)

Hundebesitzer wissen ein Lied davon zu singen, was so mancher Vierbeiner als "lecker" oder "verzehrenswert" betrachtet, wenn sie bei ihrem Liebling durchsetzen müssen, die tote Scholle am Strand oder den halbverwesten Hasen im Feld nicht ganz aufzufressen, geschweige denn andere organische Reste unbestimmter Herkunft am Wegesrand. Allerdings glaubten wohl die meisten von uns bisher, daß die sauber abgepackten Hundefuttertüten oder die mit Gewinnerschleifen von Tiershows im Label versehenen Tierfutterdosen reines, gutes Qualitätsfutter enthalten, das den Liebling nicht nur mit wertvollen Rohstoffen, sondern auch noch mit den für sein Alter, sein Gewicht oder seine Rasse wichtigen und notwendigen Nährstoffen, Mineralien und Vitaminen versorgt. Die Angaben von vermeintlich hochwertigen Rohproteinanteilen, Mineralstoffen, Fett u. dgl., mit denen sich die bunten Labels so fachmännisch schmücken, sagen allerdings nichts darüber aus, woher die Proteine stammen und ob die Futtermischung, die laut Grimm zudem mit "allerlei chemischen Tricks" versehen werden muß, damit selbst Tiere sie überhaupt als etwas Eßbares wahrnehmen, ihre Analysenwerte aus Fleischabfällen, Aschen oder einem Stück frischen Fleisch gewonnen hat. Mit chemischen Tricks und Geschmacksverstärkern kann auch der feinste Geruchssinn fehlgeleitet werden. Und das sollte auch dem zweibeinigen Verbraucher zu denken geben.

Was nämlich bei der Tiernahrung möglich ist, gilt auch für Lebensmittel. Ohne Geschmacksmanipulationen durch Geschmacksverstärker und künstliche Aromen geht es kaum noch. Manche an künstliche Düfte gewöhnte Kinder lehnen inzwischen sogar schon frische Erdbeeren als "viel zu fade" im Geschmack ab und verweigern die Nahrungsaufnahme, wenn es sich denn nicht um die gesunden, synthetischen "Fruchtdesserts mit naturidentischem Geschmack" handelt.

Was das aufgemotzte Lebensmittelabfallrecycling angeht - und es gibt auch dafür in der Lebensmittelbranche zahlreiche schreckliche Beispiele (siehe hierzu auch KOMMENTAR/066: Über das Geheimnis zarter, weißer Hühnerbrüstchen) -, so kann man sagen, was man will, zumindest hat man es dabei immer noch mit tierischen Proteinen, d.h. verdaulicher Nahrung zu tun.

Die Grenze zu rein synthetischer Nahrung bzw. zu vorgetäuschter Nahrung ohne jeglichen Nährwert ist jedoch sehr dünn. Eine vage Ahnung von dem, was möglich wäre oder vielleicht sogar angestrebt wird, liefern vor allem jene stolz angepriesenen Nahrungssurrogate der Diätmittelhersteller, die unverdauliche Fette und Zellulose als Gleitmittel und Magenfüller sowie in sogenannte Zeolithe eingebrachte Geschmacksstoffe für teures Geld verkaufen. Zeolithe oder auch Kieselgur sind sehr gute Absorbentien, d.h. es handelt sich hierbei letztlich um die Kieselsäureskelette kleinster Urtierchen (Diatomeen), die z.B. als Ablagerungen aus dem Meer oder bestimmten Bodenschichten gefunden werden. Genau genommen und rein chemisch ist es allerdings nichts anderes als besonders poröser Sand, d.h. kleinste Kiesel mit einer besonders großen Oberfläche, was ihn ausgesprochen saugfähig und zu einem hervorragenden Trägermaterial für andere Stoffe macht.

Was in Diätprodukten noch erwünscht sein mag, wird jedoch inzwischen auch in der normalen Lebensmittelproduktion als Ersatz- und Austauschstoff zunehmend gang und gäbe, unter dem Vorwand, auch hier Kalorienmengen oder Fettstatistiken in einem besseren, vermeintlich gesünderen Licht erscheinen zu lassen. Jedem kritischen Betrachter drängt sich allerdings der Schluß auf, daß die preiswerten Surrogate möglicherweise auch über den aufkommenden Mangel hinwegtäuschen helfen.

Wen wundert es da noch, wenn sogar die Hersteller von einzelnen Zusatznährstoffen (wie Weizengluten für die Spaghetti-Industrie) mal in den chemischen Zauberkasten greifen, um die eigenen Produkte aufzuwerten, zumal nicht nur die Nährwerte in den Agrarprodukten durch die zunehmend ausgelaugten Böden sinken (d.h. der Glutengehalt im einzelnen Weizenkorn), sondern zahlreiche Mißernten oder schlechte Erträge durch die sich ändernden Umweltbedingungen einfach gar nicht mehr die nötigen Mengen an Agrarrohstoffen zur Verfügung stellen. Solange diese Substanzen keine unangenehmen Nebenwirkungen besitzen, merkt niemand etwas von der Manipulation, zumal die Analysewerte gerade durch diese Zusätze in einem besonders guten Licht erscheinen.

Pech allerdings für den Hersteller wie die verarbeitende Lebensmittelindustrie, wenn dabei Fehler unterlaufen, die auf solche betrügerischen Machenschaften aufmerksam machen, wobei es letztlich wie in dem kürzlich durch die Medien bekanntgewordenen Skandal zweier chinesischer Produzenten immer diejenigen am meisten trifft, die am wenigsten mit der ganzen Affäre zu tun haben. So hieß es in einer Pressemitteilung der Nachrichtenagentur Reuters schon am 3. April, die amerikanische Food and Drug Administration habe die Einfuhr von Weizengluten der Firma Xuzhou Anying Biologic Technology Development Company Ltd. gestoppt.

The FDA said wheat gluten supplied by the company to Menu Foods was found to contain melamine, a chemical used in plastics and fertilizers. Menu Foods has recalled 60 million cans and pouches of "cuts-and-gravy" style wet pet food sold under various brands after the deaths of 14 cats and dogs.
(Reuters, 3. April 2007)

14 Tiere waren an Tierfutter gestorben, in dem das Gluten dieser Firma verarbeitet worden war. Im Futter will man schließlich Melamin gefunden haben, ein Stoff, der, weiterverarbeitet zu Harz in hochglänzenden Autolacken, in Kunstharzen, in sogenannten Aminoplasten, in vielen Gebrauchsgegenständen aus Kunststoff und schließlich als Abrasivteilchen (Scheuerteilchen) in Scheuer- und Putzmitteln herkömmlicher Hersteller nichts Ungewöhnliches ist, aber in Hundefutter schlicht nichts zu suchen hat.

Was aber hat Melamin im Hundefutter zu suchen?

Melamin wird technisch aus nichts anderem als Harnstoff gewonnen, wobei sich Harnstoff NH2-CO-NH2 zu einem Sechsring (chemisch einem 1,3,5-Triazin) schließt. Wenn man bedenkt, daß sich Harnstoff aus beinahe allen Exkrementen und organischen Abfällen gewinnen läßt, die von proteinhaltigen Lebewesen stammen, dann bekommt das Ganze an dieser Stelle schon einen leicht makabren, soilent-grünen Beigeschmack. Allerdings ist Harnstoff, abgesehen von seiner Funktion als Düngemittel, sogar ein ganz legaler Zusatz für Futtermittel, um den Stickstoffanteil zu erhöhen und keineswegs schädlich. Mensch und Tier haben, sofern sie gesund sind, ausreichend Möglichkeiten in ihrem Metabolismus, mit Harnstoff fertigzuwerden.

Melamin eignet sich allerdings nicht nur mit seinem im Vergleich zu Harnstoff noch höheren Stickstoffanteil von 60 Prozent dazu, Stickstoff zu ergänzen, es täuscht bei einer bestimmten Probe auf Proteine (der sogenannten Weender Analyse) einen wesentlich höheren Proteingehalt und damit z.B. im Gluten ebenfalls eine höhere Qualität vor als eigentlich vorhanden.

Da Melamin im tierischen Organismus auch wieder zu Harnstoff abgebaut werden kann, wird es laut Veterinär Dr. Manfred Stein erst ab einer unüblich hohen Konzentration für den tierischen Organismus schädlich, d.h. wenn soviel Melamin ausgeschieden werden muß, daß es in der Blase auskristallisiert und Blasensteine verursacht. Gestorben wäre daran aber bisher noch kein Tier.

Anders gesagt, die chemische Substanz Melamin wurde vermutlich schon jahrelang Pflanzeneiweißstoffen wie Gluten (Weizen) oder Reisproteinen beigemischt, ohne daß es jemandem aufgefallen oder ein Tier zu Schaden gekommen wäre.

Die Todesfälle an Haustieren in Amerika sollen auf einen zweiten Stoff in dem Tierfutter zurückgehen, der vermutlich absichtlich beigefügt wurde, um wiederum den Proteinersatzstoff Melamin zu strecken.

Bisher spekuliert man darüber, daß dieser Stoff, die Cyanursäure, wegen ihrer großen Ähnlichkeit zu Melamin ausgesucht worden ist, weil nicht mehr ausreichend Melamin zum Vortäuschen von Protein zur Verfügung stand. Offenbar wußte man nicht, daß dies fatale Folgen vor allem für den Endverbraucher haben würde. Schließlich kann der Hersteller nicht unbedingt vorausahnen, zu was sein Gluten letztlich verarbeitet wird, Tierfutter oder Spaghetti.

Cyanursäure gleicht Melamin (chemisch eigentlich Cyanursäure-amid) von der chemischen Struktur her wie ein Zwilling dem anderen, bei dem aber alle aus dem Ring herausragenden Aminogruppen durch OH-Gruppen ersetzt worden sind. Man kann z.B. Melamin auch unter bestimmten Voraussetzungen gewinnen, indem man Cyanursäure in Ammoniak kocht. Soweit gingen die chinesischen Pflanzeneiweißhersteller allerdings nicht. Sie ergänzten ganz einfach die fehlende Menge Melamin mit Cyanursäure (die allerdings nur noch die Hälfte an Stickstoff enthält).

Cyanursäure ist zwar ein Reizstoff, der u.a. zur Schwimmbaddesinfektion verwendet wird, wäre aber für sich genommen ebenfalls kein ausgesprochenes Gift. Gemeinsam mit Melamin entsteht daraus dann ein tödliches Gemisch, was fatalerweise erst durch diese Futtermittelverfälschung entdeckt wurde.

Wie diese beiden Stoffe genau zusammenwirken, wußte man zunächst nicht. Die betroffenen Tiere zeigen die bekannten Symptome von Nierenversagen. D.h. sie reagieren mit vermehrtem Wasserbedarf und entsprechend starkem Wasserlassen, das dann wieder nachläßt, bis zum vollständigen Nierenversagen. Der Symptomkomplex trifft aber auch noch für eine Anzahl weiterer Erkrankungen zu (z.B. Diabetes oder Leptospirosa-Infektionen), so daß im Verdachtsfall das Hinzuziehen eines kompetenten Tierarztes für eine sachliche und umfassende Diagnose unerläßlich bleibt. Spekulationen oder vorschnelle Panik aufgrund eines Verdachts auf Vergiftung könnten ebenso fatale Folgen haben wie unterlassene Hilfsmaßnahmen.

Ab einem gewissen Punkt der Vergiftung ist die Niere allerdings so geschädigt, daß es für das Haustier meist keine Rettung mehr gibt, denn die sehr teure künstliche Dialyse, die als einzige und letzte Rettung bei Nierenversagen das Mittel der Wahl wäre, ist in der Tiermedizin gar nicht vorgesehen.

In einem Bericht der amerikanischen University of Guelph in der von ihr veröffentlichten "Science Daily" vom 3. Mai 2007 konnte man dann schließlich auch eine mögliche Erklärung dafür finden, warum Cyanursäure und Melamin gemeinsam mit den Todesfällen in Verbindung gebracht werden dürfen. Wissenschaftler hatten aus dem Urin der erkrankten bzw. verstorbenen Tiere Kristallspuren isoliert, die sie mit synthetisch hergestellten Kristallen verglichen, die wiederum im Labor aus Cyanursäure und Melamin produziert worden waren. Tatsächlich handelte es sich um die gleichen Stoffe, was den Verdacht erhärtet, daß diese beiden Stoffe zusammen in den Pflanzenproteinen der betroffenen chinesischen Firmen verwendet worden sind.

Daß sich Cyanursäure aus Melamin abspaltet, wäre zwar theoretisch ebenfalls möglich, allerdings nur in starken Säuren oder beim Erhitzen über 200 bis 300 Grad Celsius, was in diesem Fall wohl kaum unbemerkt geblieben wäre.

Im tierischen Organismus reagieren die beiden Substanzen vermutlich unter Auskristallisation miteinander, wobei sie die Kanälchen in den Nieren verstopfen, was dann mit den beschriebenen fatalen und vermutlich irreversiblen Folgen für das Tier endet, wenn man bedenkt, daß Melamin chemisch durch Polykondensation mit Formaldehyd zu den sogenannten Melaminharzen (Kunstoffpolymeren) große dauerhafte Moleküle bildet. Tritt hier die Cyanursäure beispielsweise an die Stelle des Formaldehyds, dann lassen sich die Polymere im tierischen Organismus nicht mehr auflösen.

Man kann daher die Panik durchaus verstehen, als NDR info am 10. Mai den Verdacht äußerte, es sei möglicherweise auch mit Chemikalien verseuchtes Katzen- und Hundefutter nach Deutschland gelangt. In den USA steht der Futtermitterhersteller Menu-foods, der 60 Millionen Dosen zurückrufen mußte, inzwischen kurz vor der Pleite, obwohl er selbst eigentlich zu den Betrogenen gehört. Die Möglichkeit, daß Gluten oder Reisprotein der chinesischen Hersteller auch in der nordamerikanischen oder europäischen Lebensmittelindustrie gelandet sein könnte, wurde allerdings bisher immer verneint. Doch gründet sich diese Aussage nicht auf Analysen. Laut NDR info:

... sind in Deutschland die Bundesländer für die Überwachung von Futter- und Lebensmitteln zuständig. Nach Auskunft der Ministerien werden bislang keine Produkte auf Melamin getestet.
(Norddeutscher Rundfunk 10. Mai 2007/RC)

Neben der Angst vor einer langen und schmerzhaften Krankheit gehört Gift zu den Dingen, vor denen sich der Mensch am meisten fürchtet. Gerade diese Angst und Panik wird durch die Medien geschürt, während sie die sehr viel schwerwiegenderen Probleme, die die Zukunft der Menschheit betreffen, gewöhnlich doch lieber verschleiern und verharmlosen.

Man könnte meinen, daß mithilfe der Sorge und der Angst um des Menschen besten Freund zum einen gerade von den eigentlich gravierenderen Schwierigkeiten wie massiven Umweltveränderungen abgelenkt werden soll. Zum anderen gewöhnt sich der Mensch durch die Wiederholung solcher Fälle und durch die garantiert nicht ausbleibende Erleichterung, daß er und sein eigener Liebling nur mit dem Schreck davon gekommen sind, ganz allmählich an den Recyclinggedanken, ohne daß es ihm bewußt wird. Und schließlich schmeckt die schlichte Gemüsesuppe, selbst aufgebrüht aus der Tüte, oder der leckere Erdbeerjoghurt mit seinem hohen Fruchtanteil (aus gefärbtem Apfeltrester mit Erdbeeraromen) dann doch gleich viel besser.

4. Juni 2007