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KOMMENTAR/086: Nanofood (1) Ab morgen gibt es Synthobrei ... (SB)


... und keiner merkt's:

Lecker, gesund und nährstoffrein -
so soll die Nahrung der Zukunft sein!


Lebensmitteldesign wird gemeinhin als seltsame Ausgeburt einer übersättigten Gesellschaft dargestellt, in der normale Nahrungsmittel für die Verwöhnten unserer vermeintlich übersättigten Gesellschaft keine Kaufanreize mehr bieten. Blaue, grüne und lilafarbene Liköre, Instanttees in teeuntypischen Geschmacksrichtungen, wie Apfelstrudel und Schokoladeneis oder Kaugummi, das beispielsweise intensiver nach grünem Apfel schmeckt als ein normal am Baum gewachsenes Frucht gehören inzwischen schon zum Standardsortiment jedes Supermarkts, sind also für die meisten im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten erschwinglich.

Noch vor wenigen Jahren gehörten solche Dinge zu den Unvorstellbarkeiten, die einem nur an einem 35. Mai und im Schlaraffenland begegnen können, wie es in dem Kinderroman von Erich Kästner "Der 35. Mai oder Konrad reitet in die Südsee" geschrieben steht. In dieser recht skurrilen Geschichte, die schon 1932 ein fassungsloses wenn auch fasziniertes Köpfeschütteln auslöste, bekommen Konrad und sein Onkel, der Apotheker Ringelhuth, auf ihrer Reise Einblick in die Gepflogenheiten des Schlaraffenlands, in dem Faulheit das oberste Gebot ist. Hier konnte man erstmals der Idee begegnen, daß der "kräftezehrende" anstrengende Akt der Nahrungsaufnahme durch Schlucken entsprechend farbiger Dragees eingespart werden kann, die dem Dicksten und Faulsten der Schlaraffen, dem Präsidenten wohlgemerkt, den vollen geschmacklichen Genuß suggerieren und auch noch ausreichend Kalorien enthalten. Der Tablettenschlucker spart und gewinnt dadurch chemische Energie in Form von Körperfett.

Daß die Tabletten auf die gewünschte Weise wirken, ist eine besondere Eigenart des magischen Schlaraffenlandes, das jeden Wunsch seiner Bewohner wie von Zauberhand erfüllt, solange diese das Mindestgewicht von 200 Pfund nicht unterschreiten...

Nano statt Nahrung

Tatsächlich sind Zaubertabletten, die quasi aus nichts gemacht werden und doch alles enthalten, der geheime Traum heutiger Lebensmittelchemiker, und das aus gutem Grund. Zunehmend schlechte Ernten und keine Aussicht auf eine agrartechnische Lösung für das Hungerproblem oder Veränderungen, die uns durch die Klimaerwärmung und andere globale Umweltprobleme wie schwindende Wasserressourcen, ausgelaugte Böden, eine ausgedünnte Ozonschicht und dadurch verstärkte Einflüsse der Weltraumstrahlung (um nur ein paar Beispiele zu nennen) geradezu aufgezwungen werden, lassen Nahrungsmittelsurrogate unausweichlich werden. Daß diese nicht überwiegend aus pflanzlichen oder tierischen Agrarprodukten, sondern aus lebensmittelfremden Rohstoffen gewonnen werden müssen, versteht sich im Grunde von selbst. Die Stoffe die dafür in Frage kommen, stammen aus dem Bereich der anorganischen oder organischen Chemie, werden also letztlich aus unverdaulichen Rohstoffen wie Erdöl, Steinen, Mineralien oder pflanzlichen, nachwachsenden Abfallprodukten wie Stroh oder Holzabrieb gewonnen. Das klingt alles nicht sehr lecker und der chemische Grundgeschmack muß demzufolge mit künstlichen Geschmacksstoffen überlagert werden, die für die Akzeptanz des Surrogats besser, stärker und für den Verbraucher befriedigender sein sollten, als natürliche Aromen.

HighTech-Geschmackserzeugnisse oder besonders attraktive Lebensmittelfarben sind somit als Abfall- oder Nebenprodukte einer Forschung zu verstehen, die sich aus der Entwicklung synthetischer Lebensmittel oder von Ersatzstoffen generiert. Von diesen lebensmittelchemischen Forschungsaktivitäten bekommen die wenigsten Verbraucher etwas mit, es sei denn, sie würden die Veränderungen der Rezepturen auf den Packungen verfolgen, und das ist selten der Fall (einer österreichischen Umfrage von 1000 Verbrauchern zufolge können nur 26 Prozent überhaupt etwas mit der Zutatenliste anfangen, obwohl insgesamt 93 Prozent den Abdruck der Inhaltsstoffe für unverzichtbar hielten).

Würde man genau analysieren, was man eigentlich ißt, dann könnte man feststellen, daß sich schleichend immer mehr unverdauliche Füllstoffe in der Nahrung breit machen (siehe hierzu auch INNOVATIONEN/097: Lebensmittelchemie - Recycling von Backwaren? (SB) oder RATGEBER/228: Chemie oder Butter auf Brot? (SB)).

Tatsächlich gibt es heute Fertigbackmischungen für die Bäckerzunft, die zum großen Teil aus Zeolith oder Kieselgur bestehen, das ist genaugenommen künstlich hergestellter hochporöser "Nano-Sand" oder auch natürlich vorkommende Diathomeenerde (die Siliciumskelette winzig kleiner Tierchen und Kieselalgen aus der Urzeit) und dient als Träger für besonders empfindliche oder flüssige Backzutaten. Ätherische Öle (Aromen) können z.B. in solche Träger eingelagert und mit dem Trockenbackgut leicht vermengt werden. Erst durch das Erhitzen im Ofen geben die Zeolithe ihre Inhaltsstoffe allmählich frei.

Auch petrochemische Fette, die die Darmwand nicht passieren können und somit nur den satten und gaumenschmeichlerischen Eindruck von Sahne oder Butter vermitteln, ohne Kalorien zu liefern, sind z.B. in Diätmargarine u.a. Diät- oder Schlankheitsprodukten in manchen Ländern schon längst gang und gäbe und kommen dann z.B. als Kartoffelchips auch zu uns. Dabei wird der Nährstoffersatz als erstrebenswerte Möglichkeit verkauft, ohne Reue und ohne Fettansatz hemmungslos zu schlemmen. Nebenwirkungen wie Durchfall oder einen fettigen Ausfluß gemeinsam mit bekannten, unangenehmen Verdauungsstörungen werden meist verschwiegen bzw. mit anderen chemischen oder pharmakologischen Zusätzen entsprechend in ihrer Wirkung gemäßigt.

Einen noch subtileren Ansatz, künstliche Lebensmittelsurrogate zu schaffen, bietet die Nanotechnologie. Was sich hinter dem überwiegend positiv besetzten Begriff "Nano" verbirgt, ist ohnehin kaum vorstellbar, zumal es den überaus unzulänglichen Zugriffsbereich menschlicher Wahrnehmungsorgane verläßt.

Was heißt eigentlich "Nano"?

Im Zusammenhang mit Lebensmitteln soll man darunter gemeinhin den Anspruch verstehen, bessere oder gesündere Produkte zu entwerfen, die wie konventionelle Nahrungsmittel aussehen und schmecken, nur nicht dick machen und essentielle Nahrungsmittelzusatzstoffe in höherer Konzentration enthalten, als in den gewohnten Produkten. Was mit Lebensmitteln durch die Nanotechnologie tatsächlich geschieht, wird auf diese Weise ausnahmslos verschleiert.

Schon die ausgesprochen schwammige und aussagelose Vorsilbe "nano-" bietet sich hierfür an und alle greifen darauf zurück. So gehört Nanotechnologie in der Chemie-, Elektronik-, Textil-, Medizin- und Werkstoffindustrie inzwischen schon zum Standardvokabular. Dort kommen sogenannte "Nanomaterialien" als künstlich kleingehaltene Partikel bekannter Makrostoffe wie Kohlenstoff, Silber oder Kunststoffmaterialen zum Einsatz, die in dem mikroskopisch kleinen Größenordnungsbereich von Nano (alles, was etwa 500mal kleiner als der Durchmesser eines Haares ist) neue physikalische Eigenschaften bereitstellen sollen. Ausgesprochen kratzfeste Lacke, UV-blockende Titandioxid-Sonnencremes oder der immer wieder zitierte Lotuseffekt, sich selbstreinigender Oberflächen sind die Ergebnisse, die dem Menschen den Alltag erleichtern sollen.

Nano kommt genau genommen von dem griechischen Wort "nannos" (= Zwerg) und ist die mathematische Vorsilbe für 10 hoch -9 (= ein Millardstel). Diese immer noch recht unpräzise Vorstellung, die nur einen sehr "feinen" Bereich einer Rechengröße (Gramm, Quadratmillimeter, Kubikmillimeter usw.) spezifiziert, soll einen Zugriff auf den atomaren Bereich und damit eine besonders hohe Präzision der dafür verwendeten Verfahrenstechnik suggerieren. Tatsächlich ließe sich unter dieser Vorgabe auch jeder Feinstaub unterhalb einer bestimmten Korngröße als Nanopulver bezeichnen.

Was dann den negativ besetzten Begriff Feinstaub vom Nanopulver unterscheidet, ist die subtile Bedeutung, die den beiden Begriffen gewissermaßen von den Medien angehängt wurde: Feinstaub ist, wie wir alle wissen, äußerst schädlich und schlecht für die Gesundheit. "Nano" hingegen ist gut!!! Zumindest soll der Verbraucher davon überzeugt werden.

Das gleiche vermittelt sich natürlich auch bei der Verwendung von Begriffen wie Nano-Nahrung oder neudeutsch: "Nanofood". Darunter versteht man Lebensmittel, die künstliche Zusätze enthalten, die mittels sogenannter Nanocontainer in den Körper gelangen.

So wurden in der Berliner Umweltzeitung, Oktober/November 2006, "Der Rabe Ralf" und in dem online Magazine scienzz.magazine vom 5. Januar 2008 Artikel von Marion Busch zu diesem Thema veröffentlicht, die beide den folgenden gleichlautenden Absatz enthielten:

Zusätze, die angeblich gesundheitsfördernd sind, enthält so genanntes Functional Food [Lebensmittel mit zusätzlichen, z.B. verdauungsfördernden oder pharmakologischen Funktionen, Anm. d. Schattenblick-Red.] schon lange. Der Transport der Substanzen durch Nanocontainer erhöht nach einem Bericht der Zeitschrift European Food Research and Technology deren "Löslichkeit und Bioverfügbarkeit", bringt sie "an den richtigen Ort im Körper und schützt sie während der Verarbeitung und Lagerung". So gibt es Produkte, die ihre Nanobestandteile genau in dem Organ freisetzen, in dem sie wirken sollen.
(Der Rabe Ralf, 17. Jahrgang, Oktober/November 06)

Letztere sind zwischen zehn und hundert Nanometer kleine Transportmolekülcluster, meist spezielle Fettmoleküle, Lipide oder andere poröse Träger, die den fraglichen Stoff erst am Zielort im Organismus freigeben sollen. Sie müssen dann chemisch so beschaffen sein, daß sie in dem chemischen Milieu oder den physikalischen Gegebenheiten rund um den Zielort zerfallen. Auch kompliziertere biochemische Vorgänge sind denkbar. Es kann aber auch nur ein simpler Träger sein, der seinen Inhalt auf der Zunge freisetzt, weil er einen Schmelzpunkt von 35 Grad Celsius hat und im Mundraum zergeht.

Nanoernährung ist Mangelernährung

Mit der oben erwähnten Zielrichtung, Nanofood als Mittel gegen Nährstoffknappheit zu verstehen, lassen sich solch seltsame Verpackungsformen der Lebensmitteltechnologie überhaupt erst begreifen. So lassen sich bestimmte Mikronährstoffe, die man normalerweise in hoher Dosierung zu sich nimmt (z.B. Vitamine), weil sie der Körper sehr schnell metabolisiert bzw. abbaut, durch entsprechende Abschirmung nur noch in geringen Mengen einsetzen, wenn sie quasi dem Zielrezeptor direkt übergeben werden.

Die ersten derartigen Versuchsballons zu diesem Thema sind schon auf dem Markt erhältlich. So heißt es in der Zeitschrift WOZ unter dem Titel Nanofood - Zwergenfutter von Benno Vogel:

In Israel verkauft die Firma Shemen ein Rapsöl mit Phytosterolen - pflanzlichen Stoffen, die im Darm die Aufnahme von Cholesterin hemmen. Damit die Phytosterole an ihren Wirkungsort gelangen, sind sie in Nanocontainer verpackt, die Mund und Magen unbeschadet überstehen, unter den Bedingungen im Darm dann aber ihren Inhalt entlassen.

Bereits im Magen öffnen sich wiederum die Nanocontainer des australischen Konzerns George Weston Foods. Er stellt ein Brot mit Thunfischöl her. Indem die Nanocontainer das Fischöl erst im Magen entlassen, bringen sie die gesunden Omega-3-Fettsäuren an den richtigen Ort und verhindern gleichzeitig, dass das Brot nach Fisch schmeckt.
(WOZ vom 08.06.2006)

Auch Nanonahrungsmittel auf Feinstaub- pardon Nanopulvergröße zertrümmerter Mineralien gibt es schon:

Die deutsche Firma Neosino setzt auf ein anderes nanotechnisches Verfahren, das für die Lebensmittelhersteller von Interesse ist: die Zerkleinerung von Inhaltsstoffen. Neosino zermahlt Mineralstoffe wie Silizium, Magnesium und Kalzium auf eine Partikelgrösse von wenigen Nanometern und erzielt so nach eigenen Angaben den Effekt, dass die Mineralien vom Körper rasch aufgenommen werden und das allgemeine Wohlbefinden verbessern.
(WOZ vom 08.06.2006)

Ob die damit einhergehenden Versprechen der Herstellers, dadurch werde sich das allgemeine Wohlbefinden verbessern, auch auf den Mineralanteil zurückgehen oder andere Zusatzstoffe, läßt sich bisher jedoch nicht wissenschaftlich belegen.

Weitere Beispiele, wie sich durch Erhöhung der Bioverfügbarkeit Nahrungsmittel herstellen lassen, die mit wesentlich weniger Rohmaterial nur noch die "Grundversorgung" sicherstellen, finden sich in dem neuen Buch von Marita Vollborn und Vlad D. Georgescu, "Die Joghurt-Lüge - Die unappetitlichen Geschäfte der Lebensmittelindustrie". Darin wird zum Beispiel geschildert, daß die Bioverfügbarkeit von Calcium aus Milch und Milchprodukten bei nur 30 Prozent liegt. 70 Prozent des Calciumgehalts von Milchprodukten stehen dem Körper gar nicht zur Verfügung. Mit Calcium als Nahrungsmittelzusatzstoff oder chemischem Milchsurrogat, zusätzlich mit entsprechenden Nanorezeptoren ausgestattet, könnte man den Milchverbrauch insgesamt wesentlich reduzieren.

Die generelle Umsetzung dieser Vorstellung würde allerdings die genaue Kenntnis über den Metabolismus und die Funktionen sämtlicher Nährstoffe voraussetzen. Das ist bisher unmöglich, zumal nicht einmal alle Micronährstoffe erforscht sind. Nicht einmal von relativ gut untersuchten körpereigenen Stoffen wie Insulin sind derzeit sämtliche Wirkungsbereiche bekannt.

So würde bei einem gesteuerten Einsatz von Nährstoffen durch Nanocontainer mit größter Wahrscheinlichkeit eine Mangelversorgung an anderen Stellen in Kauf genommen. Auf diesem Wege, d.h. gewissermaßen über unfreiwillige Feldversuche mittels zugelassener Lebensmittel, könnte eine entsprechende Forschung dann weitere Erkenntnisse über auftretende Mangelerscheinungen gewinnen, um die fraglichen Lebensmittel mit weiteren Zusatzstoffen nachzurüsten.

Lebensmittel schon längst nano-unterwandert

Marion Busch zufolge muß man vermuten, daß dies alles längst über subversive Wege geschieht: "Nach einem Bericht der Monde diplomatique von März 2006 wird die Entwicklung und Vermarktung der Nanotechnik weitgehend unter Ausschluß der Öffentlichkeit diskutiert." und weiter schreibt sie:

Nach Angaben der National Nanotechnology Initiative in den USA wurden 2005 weltweit 9 Milliarden Dollar in die Nanoforschung und industrielle Anwendung von Nanotechnik investiert. Große Lebensmittelkonzerne erhoffen sich vor diesem Hintergrund ein gutes Geschäft mit Nanofood.
(sienzz.magazin 5. Jan. 2008)

Kein Wunder also, daß auch die Konzerne der Lebensmittelindustrie längst ihre Forschung vorantreiben, denn Nanotechnik läßt nicht nur Rohstoffe einsparen, auch die Herstellungskosten können durch Einsparen von Wasser, Energie oder Hilfsstoffen mit effizienteren nanogestützten Methoden gesenkt werden:

Unilever zum Beispiel will Glaces [Speiseeis, Anm. d. Schattenblickred.] entwickeln, die bis zu zehnmal weniger Fett enthalten. Cargill investiert in die Herstellung von nanotechnisch aufgepeppten Getränken. Nestlé finanziert Nanoforschung an den Universitäten Graz und Freiburg im Üechtland, die sich mit Molkereiprodukten beschäftigt. BASF wiederum stellt Vitamine und andere Zusatzstoffe in Nanoform her, sodass die Substanzen vom menschlichen Körper leichter aufgenommen werden können.
(WOZ vom 08.06.2006)

Daß sich der Notstand gut vermarkten läßt, zeigt auch die in der "Joghurt-Lüge" abgedruckte Prognose eines 20-Milliarden-Dollar-Marktes für die Nanofood-Schlüsseltechnologie bis 2010:

... - von vergleichsweise mageren 2,6 Milliarden im Jahr 2003 über sieben Milliarden für 2006. 1,13 Billionen Euro sollen es für die gesamte Nanotechnologie sein, mit der etwa 4000 Firmen und Forschungseinrichtungen befasst sind. Mehr als 200 Unternehmen weltweit arbeiten derzeit an Nanofood, vor allem in den USA, in Japan und China, aber zunehmend auch in Europa. Die Großen der Branche wie HJ Heinz, Nestlé, Hershey Foods, Unilever und Keystone gehören zu den Pionieren; Chemiefirmen wie Degussa, Henkel und Bayer haben sich längst als deren Partner etabliert. Als erster Industriekonzern errichtete Kraft im Jahr 1999 ein Labor für Nanofood - mittlerweile befasst sich das ebenfalls von Kraft ins Leben gerufene Konsortium NanoteK, an dem 15 Universitäten und nationale Forschungseinrichtungen der USA beteiligt sind, mit der Entwicklung von nanotechnologischen Verfahren für die Lebensmittelbranche.
(16. August 2006 Vorabdruck, Teil 2, Die Joghurt-Lüge)

Die neue Technik wird jetzt schon marktschreierisch an den Mann gebracht, wobei man die gesundheitlichen Vorteile betont und mit spielerischen Ideen Interesse wecken will. Ob aber das Konzept: "Alles was Nano ist, ist gut!" mit den vermeintlichen HighTech- Produkten, die derzeit entwickelt werden, auch aufgeht, bleibt fraglich.

So schreibt Benno Vogel in einem kritischen Beitrag über das "Zwergenfutter", die Forscher des US-Lebensmittelkonzerns Kraft Foods arbeiteten an einem Milchdrink, bei dem der Verbraucher durch Stärke des Schüttelns darüber entscheiden könne, ob der Drink nach Mango oder Erdbeere schmecken soll.

Der US-amerikanische Nahrungsmittelkonzern Mars hat hingegen ein Verfahren patentieren lassen, durch das winzigste Titandioxidpartikel, die auf der Schokoladenoberfläche aufgebracht werden, die typische Patina aus einer helleren Fettmodifikation, die bei unsachgemäßer Lagerung über Erwärmung und Abkühlen hervorgerufen wird, verhindern (nebenbei bemerkt wurde in Bezug auf die äußerlich angewendete Sonnencreme mit Nanoteilchen aus Titanoxid im Tierversuch schon längst eine cancerogene Wirkung nachgewiesen, was aber die Zulassung dieser Sonnencreme nicht verhindert hat, da die Hersteller von Sonnencremes mit nanoskaligem Titandioxid eine Aufnahme über die Haut abstreiten. Umfangreiche elektronenmikroskopische Untersuchungen hätten keine Kontamination nachweisen können).

In einem Interview im Delta-Radio sprach Patricia Cameron vom BUND von einer Art Nano-Multi-Geschmack-Pizza, die sich entweder in eine "Margherita", eine "Prosciutto e funghi" oder eine "Quattro stagioni" verwandeln kann - je nachdem, ob sie in der Mikrowelle bei 400, 800 oder 1600 Watt erhitzt wird. Möglich würde dies durch spezielle Nanokapseln, die jeweils unterschiedliche Geschmacks- und Farbstoffe enthalten und ihre Fracht erst im speziell auf sie zugeschnittenen Temperaturbereich freigeben.

Mit der gleichen Technik, d.h. mit nanoverpackten, chemischen Indikatoren versehene Milch, ist ebenfalls längst im Gespräch, die sich in ein unappetitliches rot oder blau verfärben soll, sobald sie sauer oder schimmelig wird.

Schon heute auf dem Markt ist eine Innovation des Unternehmens OilFresh. Es ersann eine Nanomethode, derer sich Restaurants bedienen, um Burger und Pommes zu frittieren. Nanoskalige Keramik(!)partikel lassen das Frittieröl vom Essen abperlen - die Speise saugt sich nicht mehr mit Fett voll. Zudem heizt die Nanokeramik dem Frittiergut tüchtig ein: Es wird viel schneller gar.
(16. August 2006 Vorabdruck, Teil 2, Die Joghurt-Lüge)

Ähnlich muß man sich wohl auch den als kaltes Erfrischungsgetränk bereits auf dem Markt erhältlichen grünen Liptons Tee vorstellen, in dem ausschließlich Teegeschmack in Nanocontainern enthalten ist, die diesen erst auf der Zunge freisetzen und weiter nichts (ohne Kalorien).

"Nano"tisch, praktisch, gut und unaufhaltbar...

Verbraucher sollen durch die Akzeptanz solcher scheinbar harmlosen Produkte lernen, dabei nicht an die unverdauliche Nanochemie zu denken, die dabei einfach mitverschluckt wird, sondern nur an die technischen oder gesundheitlichen Vorteile. Das wird noch dadurch unterstützt, daß für Nanotechnologie bzw. Nanomaterialien keine spezielle Kennzeichnungspflicht besteht. Man wird also nicht durch die Vorsilbe "nano-" auf diese Besonderheit der Zutaten hingewiesen.

So lassen sich Lebensmittel gezielter überwachen:

Biochips und Biosensoren werden eine raschere und genauere Analyse erlauben und das Zentrum von Qualitätsprozessen bilden. So können sie innerhalb kürzester Zeit Verunreinigungen (Schimmelspuren, Pflanzenschutzmittel, Krankheitskeime et cetera) oder genetisches Fremdmaterial identifizieren.
(16. August 2006 Vorabdruck, Teil 2, Die Joghurt-Lüge)

Gleichzeitig wäre es aber auch möglich, mit Hilfe der Nanotechnologie weniger hochwertige Nahrungsmittel weit über ihr Verfallsdatum hinaus zu verwenden, ohne daß der Verbraucher etwas merkt, denn Geschmack, Konsistenz und Optik lassen sich manipulieren:

Beispiel Geschmack: Unerwünschte Geschmacksstoffe können mithilfe von Nanopartikeln umhüllt werden, sodass sie beim Verzehr nicht mehr wahrgenommen werden ("Geschmacksmaskierung"). Andere, erwünschte Geschmacksstoffe können so "verpackt" werden, dass sie sich nacheinander oder erst nach einer bestimmten Garmethode entfalten.
(16. August 2006 Vorabdruck, Teil 2. Die Joghurt-Lüge)

Und das alles neben dem schon erwähnten ökonomischen Qualitäten der Nanotechnologie.

Daß die Lebensmittelwissenschaften an der Nanoforschung zunehmend interessiert sind und daß sich der Einzug von Nanofood auf unserem Speiseplan nicht mehr aufhalten lassen wird, zeigen die hohen Auszeichnungen, die für Erfolge auf diesem Gebiet vergeben werden.

Schon 2005 wurde die österreichische Chemikerin Liliana De Campo mit dem Forschungspreis des Landes Steiermark für Nanowissenschaften und Nanotechnolgien geehrt, weil ihre Dissertation über den Einsatz von Monoglyzeriden in der Nahrung als Transporter für Aromastoffe, Vitamine und Proteine die Fachwelt in Begeisterung versetzte.

Sie hat gewissermaßen mit ihrer Arbeit die Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die oben beschriebenen Vorstellungen und Visionen nun tatsächlich auch umgesetzt werden können:

Monoglyzeride von Speisefettsäuren sind eine spezielle Art von Fetten, die in der Lebensmittelindustrie seit Langem als Emulgatoren zum Einsatz kommen. Sie können zwei nicht mischbare Flüssigkeiten, zum Beispiel Wasser und Öl, miteinander verbinden. In Kombination mit Wasser bilden diese Fette von selbst nanostrukturierte Flüssigkristalle, die De Campo im Rahmen ihrer Arbeit noch weiter zerkleinert hat, um die innere Nanostruktur manipulieren zu können und um herauszufinden, welche neuen Fähigkeiten die veränderten Strukturen aufweisen. Mit Röntgen- Kleinwinkel-Kameras, die an der Abteilung für Physikalische Chemie der Universität Graz für die Nanoforschung optimiert wurden, konnte De Campo beobachten, dass sich die inneren Nanostrukturen, abhängig von bestimmten äußeren Bedingungen, spontan immer gleich bilden. So bewirkt das Aufheizen der Tröpfchen eine Verengung der Wasserkanälchen im Inneren, wodurch eingelagerte Moleküle hinausgedrückt werden können. Umgesetzt in die Praxis, wäre es also möglich, durch Erhitzen von Speisen eine kontrollierte Freisetzung bestimmter vorher zugesetzter Stoffe, wie etwa Aromen, Vitamine oder Proteine, zu erreichen - ...
(16. August 2006 Vorabdruck, Teil 2, Die Joghurt-Lüge)

Zumindest die Multifunktionspizza und die calciumreduzierte Milch wären danach kein Hirngespinst mehr.

Wo bleibt der Nanomüll?

Nur sehr wenige scheinen sich zu fragen, was der menschliche Organismus mit all dem zusätzlichen Ballast an Nanocontainern und sonstigem Nanomüll anfangen soll, den er durch die neue funktionelle Nahrung zu sich nimmt. Selbst wenn die erwähnten Behälter aus künstlichen Fetten, Lipiden, Polymeren oder anderen Nanostrukturen nicht verdaulich sind, d.h. im Organismus nicht in den Energiestoffwechsel eingehen oder als Fett oder Vorrat gespeichert werden, nimmt man sie mit der Nahrung auf. Aufgrund ihrer geringen Größe und ihrer Funktion als Transportmittel läßt sich per se nicht verhindern, daß sie in das Blutsystem oder selbst ins Gehirn eindringen können. Die Untersuchungen über mögliche Folgen und Nebenwirkungen hierzu sind praktisch nicht vorhanden.

Der ehemalige Altbundes- und Industriekanzler Schröder hatte seinerzeit eine Patentlösung und Losung für dieses Problem ausgegeben, die er sogar zur "Chefsache" erklärte: "Bei wissenschaftlichen Innovationen soll nicht immer erst über Risiken nachgedacht werden, sondern primär an den potentiellen Nutzen, der in ihnen steckt." Mit diesem Grundsatz hatte er der nach Expertenmeinung ohnehin viel zu kurz greifenden Technologiefolgenabschätzung die geringen finanziellen Mittel weiter gekürzt.

Inzwischen mehren sich aber unübersehbare Hinweise, auf die wir im nächsten KOMMENTAR ausführlich eingehen werden.

10. Januar 2008