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RATGEBER/203: Nur ein alkoholischer Wein ist ein gesunder Wein (SB)



Schluß mit dem Gerücht, ...

...nur ein alkoholischer Rotwein ist ein guter Rotwein.

Auch alkoholfreie Weine schützen die Gefäße

Die weitverbreitete Ansicht, daß ein mäßiger, aber regelmäßiger Genuß von Rotwein gut für Herz und Blutgefäße sei, hat sich vor allem unter den Weinliebhabern sehr schnell herumgesprochen. Sie ist bis heute eine willkommene Rechtfertigung für den abendlichen Genuß eines Glases Rot- oder auch Weißweins. Denn der wird einem leicht von moralischen Anwürfen der derzeit aktuellen Gesundheitspolitik vergällt. Regelmäßiges Trinken sei das erste Anzeichen für Alkoholismus.

Rückführen läßt sich die zweifelhafte Hypothese weinseeliger Gesundheit auf die in Frankreich (wie auch in anderen mediterranen Ländern) auffällig niedrige Rate an koronaren Herzerkrankungen oder Herzinfarkten, die man als "Französisches Paradoxon" bezeichnet hat. Als Erklärung für diese Erscheinung wurde sehr schnell und unvermittelt ein Zusammenhang zu dem vergleichsweise mit anderen Ländern hohen Weinkonsum hergestellt. Man hätte gleichfalls auch den stärkeren Konsum von Milchprodukten und Käse bzw. Stangenweißbrot als mögliche Ursachen der geringen Anfälligkeit für koronare Herzleiden verstehen oder eine spezifische genetische Disposition des Volksstammes zugrunde legen können.

Statt dessen mußten in den Trauben Stoffe gefunden werden, denen man den gesundheitsfördernden Effekt zuschreiben konnte. Gesagt, getan: Man fand Farb- und Gerbstoffe (Anthocyane und Flavonoide) sowie pflanzliche Abwehrstoffe (Phytoalexine), die beim Keltern zum Teil in den Wein übergehen (und u.a. seine schöne Farbe bewirken). Im menschlichen Körper sollen diese Stoffe der Arteriosklerose und damit koronaren Herzerkrankungen vorbeugen helfen, indem sie den Anteil von Lipoproteinen hoher Dichte (HDL) im Blut erhöhen. Diese Lipoproteinkomplexe transportieren Cholesterol zur Leber und senken auf diese Weise den Cholesterolspiegel im Blut.

Es soll Hinweise geben, daß bei Rotweintrinkern das Apoprotein A1, ein Bestandteil des "guten" HDL, vermehrt gebildet wird. Ebenso wird dem Alkohol selbst - in mäßigen Mengen allerdings - eine günstige Wirkung auf den HDL-Spiegel zugesprochen.

Zusätzlich nimmt man an, daß die genannten Inhaltsstoffe des Rotweins auch die Zusammenballung von Blutplättchen (Thrombocyten) und dadurch die Bildung von Blutgerinnseln (Thromben) hemmen. Schließlich wirkt Wein bekanntermaßen gefäßerweiternd, möglicherweise wegen seines Gehalts an Salicylsäure und Histamin. Letzteres wird außerdem nur langsam abgebaut, weil der Alkohol ein im Magen vorkommendes histaminabbauendes Enzym hemmt.

Das kann allerdings auch dazu führen, daß Histamin (wegen des verzögerten Abbaus) in Mengen aufgenommen wird, die zu Unwohlsein, Juckreiz, Hautrötungen, Tränenfluß und anderen Reaktionen führen können. Aus diesem Grund bemühen sich die Winzer für gewöhnlich durch sorgfältige Hygienemaßnahmen, den Histamingehalt bzw. die histaminproduzierenden Mikroorganismen in den Weinen niedrig zu halten.

Am 13. April 2007 gab nun die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie auf ihrer 73. Jahrestagung in Mannheim bekannt, auch alkoholfreier Wein schütze die Gefäße:

Sie weisen eine ebenso günstige Wirkung auf bestimmte weiße Blutkörperchen auf, die zur Entstehung von Atherosklerose beitragen, wie kleine Mengen Rotwein, Bier oder Weingeist. Das berichteten heute Dr. Armin Imhof und seine Kollegen vom Universitätsklinikum Ulm auf der 73. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie in Mannheim. Einige frühere Untersuchungen hatten den Schluss nahe gelegt, dass die gefäßschützende Wirkung von Wein oder Bier auf den darin enthaltenen Alkohol zurückzuführen sei.
(idw, 13. April 2007)

Es handelt sich hierbei offenbar um die argumentativen und wissenschaftlichen Auswüchse eines langgehegten Clinches zwischen Weinliebhabern und Antialkoholikerverbänden. Letztere würden die Hypothese, der Alkohol besäße eine direkt positive Wirkung auf die Blutfettwerte und eine indirekt positive Wirkung auf die Verklumpung der Blutplättchen, am liebsten ganz widerlegen.

Das gelingt jedoch nicht. Vielmehr sind die Forscher um Dr. Imhof auf eine weitere Wirkung des Weines gestoßen, die unabhängig vom Alkoholgehalt auftritt, und die wohl auch die Anwesenheit von Alkohol nicht einschränken dürfte.

Die Forscher um Dr. Imhof hatten bei insgesamt 42 Testspersonen den Einfluß unterschiedlicher Getränke auf die Monozyten gemessen, eine bestimmte Gruppe weißer Blutkörperchen. Konzentrieren sich viele Monozyten in der Gefäßwand, ist das ein frühes Anzeichen für die Entstehung von Arterienverkalkung.
(idw, 13. April 2007)

Die untersuchten Personen konsumierten drei Wochen lang entweder eine 12,5-prozentige Äthanollösung oder Rotwein oder die alkoholfreien Varianten, d.h. alkoholfreien Rotwein oder reines Wasser trinken. In allen Gruppen - mit der Ausnahme der Wasserkonsumenten - ließ sich eine Hemmung des Eindringens von Monozyten in die Gefäßwand feststellen.

Sowohl der mäßige Konsum alkoholischer Getränke als auch der alkoholfreier Kelterprodukte habe demnach einen gewissen schützenden Effekt auf das Herz-Kreislaufsystem, folgern die Forscher. Man könnte die Studie allerdings auch so interpretieren, daß schon die Trauben in der Gesamtheit ihrer Inhaltsstoffe und deren Abbauprodukte (organische Säuren und Alkohole) positiv auf den menschlichen Organismus wirken. Einen Einzelstoff daraus zu isolieren, der dann das menschliche Koronarsystem stabilisieren soll, wäre vermutlich ebenso kontraproduktiv wie auf den Genuß eines Glases köstlichen Rebensafts und so auf Entspannung und Wohlbehagen zu verzichten, die mit keiner Tablette zu ersetzen sind.

Und was ist mit Bier?

Tatsächlich konnte die Studie die gleichen Effekte auch bei dem Genuß von Gerstensaft mit oder ohne Alkohol verzeichnen, was die oben genannte Schlußfolgerung stützt, denn der Biertrinker tut mehr für sein Wohlbefinden und seine Gesundheit, wenn er bei dem von ihm bevorzugten Getränk bleibt, als der Gesundheit zuliebe auf Wein umzusteigen. Doch finden sich im Vollbier ohne Frage ebenso viele gesundheitsfördernde Stoffe wie im Wein, z.B. Gerbstoffe, Anthocyanogene (50-70 mg/l), Catechine (10-12 mg/l), Tannoide (10-40 mg/l), Humulone (1-4 mg/l), Lupolone (1-3 mg/l), Isohumulone (13-48 mg/l), organische Säuren wie Pyruvat (50-70 mg/l), Citrat (170-220 mg/l), Malat (30-100 mg/l) und Lactat (30-100 mg/l), und schließlich die gesamten Vitamine des B-Komplexes wie B1, B2, B6, Panthothensäure, Folsäure und Nicotinsäure.

Die hier dokumentierte chemische Gesundheit ist ebensowenig an das Vorkommen von Alkohol gebunden wie beim Rotwein. Dennoch ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit immer das Getränk am bekömmlichsten und auch am gesundheitsförderndsten, das dem Konsumenten den größten Genuß verschafft - mit oder ohne Alkohol.

17. April 2007