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RATGEBER/206: Was ist denn nun gesünder, Tee mit oder ohne Milch? (SB)


Schluß mit dem Gerücht, ...

...daß nur bitterster Tee gesund ist

Britische Wissenschaftler verteidigen ihr Nationalgetränk gegen spartanisch-deutsche Vorurteile


Es entbehrt einer gewissen Komik nicht, was da am Rande ernsthafter Lebensmittelchemie geforscht, entdeckt und wieder verworfen wird. Ausgesprochen deutlich werden dabei die Bestrebungen, wirtschaftliche Interessen mit Hilfe landestypischer Vorurteile und Vorlieben zu fördern. So ist es geradezu typisch, daß im Januar von der Berliner Charité eine vermeintlich neue Erkenntnis über den Teegenuß veröffentlicht wurde, die von Milch oder gar süßer Sahne im Tee abriet:

Wer auf die Milch im Tee verzichtet, lebt gesünder. Milch setzt den gefäßschützenden Wirkstoff Katechin außer Kraft.
(idw, 9. Januar 2007)

Dazu muß man wissen, daß diese Catechine im weitesten Sinne u.a. zu der Klasse pflanzlicher Polyphenole gehören. Fast alle Farbstoffe und Gerbstoffe aus Wein, Bier und Tee fallen unter diese Kategorie, wobei die Catechine zu den bitterschmeckenden Flavon-3-olen mit adstringierender Wirkung gehören. Sie sind für das "Zusammenziehen" der Zunge beim Teegenuß verantwortlich. Aufgrund dieser Eigenschaft bezeichnet man die Catechine oft als "Gerbstoffe", obwohl sie nicht zu den Gerbstoffen im engeren Sinne gehören.

Alle Polyphenole gelten als besonders gesund, da sie Antioxidantien sind, d.h. sehr schnell von Sauerstoff gespalten werden. Zuerst wurde man auf diese sogenannten gesundheitsfördernden "sekundären Pflanzeninhaltsstoffe" aufmerksam, als man die im Rotwein vorkommenden Polyphenole (Anthocyane und Flavonoide) in Frankreich für die dort auffällig niedrigere Rate an koronaren Herzerkrankungen (Französisches Paradoxon) verantwortlich machte. Seither glaubt man, daß alle Polyphenole, u.a. eben auch die im Tee enthaltenen, im menschlichen Körper der Arteriosklerose und damit koronaren Herzerkrankungen vorbeugen, indem sie den Anteil von Lipoproteinen hoher Dichte (HDL) im Blut erhöhen. Diese Lipoproteinkomplexe transportieren Cholesterol zur Leber und senken dadurch den Cholesterinspiegel im Blut. Nicht verschwiegen werden sollte allerdings, daß es sich hierbei um Spekulationen, Vermutungen und Behauptungen handelt, die immer noch von vielen wissenschaftlichen Stimmen angezweifelt werden.

In dem populärwissenschaftlichen Werk des WILEY-VCH Verlags unter den Herausgebern Jan Koolman, Hans Moeller und Klaus-Heinrich Röhm, "Kaffee, Käse, Karies ... Biochemie im Alltag" liest man beispielsweise auf Seite 34 zum Thema "Französisches Paradoxon":

Manche Autoren halten eher den hohen Konsum von Milchprodukten für die Ursache der geringeren Anfälligkeit der Franzosen für koronare Herzleiden.
(Kaffee, Käse Karies ... Wiley-VCH, 2003)

Das ist vor allem unter dem Aspekt interessant, daß manche Teetrinker ihrem Teeaufguß Milch oder süße Sahne hinzufügen, um die "bittere", adstringierende Wirkung der oben genannten Catechine zu vermindern und den Genuß zu vergrößern. Das Milchprotein (Casein) bindet bekanntermaßen einen Teil der Catechine und verhindert dadurch den unangenehmen Effekt auf der Zunge.

Diese Angewohnheit, sich die bittere Gesundheit gewissermaßen zu versüßen, nahmen nun die Moralapostel der Charité aufs Korn, als sie im Januar dieses Jahres grundweg behaupteten:

Berlin, 09. Januar 2007. Wer seinen Tee mit Milch trinkt, macht dessen günstige Auswirkungen auf das Blutgefäßsystem zunichte.

Das weist eine Studie der Charité - Universitätsmedizin Berlin nach, die jetzt im European Heart Journal erschienen ist. Der Genuss von Tee hat eine entspannende und erweiternde Wirkung auf die Arterien.

Untersuchungen an gesunden Probanden haben ergeben, dass dieser Effekt ausbleibt, wenn dem Getränk Milch hinzugefügt wird. Entsprechende Ergebnisse brachten auch zusätzliche Versuche an Zellkulturen. Dass sich Tee positiv auf das Gefäßsystem auswirkt, ist inzwischen gut belegt. Er kann zum Beispiel vor Gefäßverkalkung und koronarer Herzerkrankung schützen sowie antioxidative und entzündungshemmende Wirkungen haben.

"Tee hat sehr vielfältige gesundheitsfördernde Effekte", erklärt Studienleiterin Prof. Verena Stangl von der Klinik für Kardiologie und Angiologie am Campus Mitte. "Bisher war aber nicht klar, dass Milch diese Effekte beeinträchtigt."
(idw, 9. Januar 2007)

Die ausbleibende entspannende und erweiternde Wirkung wurde so überprüft, daß man Testpersonen entweder schwarzen Tee ohne Milchzusatz oder mit einer in England üblichen Dosis Milch zu trinken gab. Als Kontrolle wurde warmes Wasser verabreicht. Die vermeintliche Gefäßerweiterung wurde nun jeweils eine Stunde vor und bis zwei Stunden nach dem Verzehr am Unterarm durch Ultraschallmessungen nachgewiesen oder auch nicht.

Das Ergebnis: Nach dem Trinken von Wasser war keine Veränderung zu beobachten. Beim Genuss von Tee ohne Milch hingegen haben sich die Arterien aller Versuchsteilnehmer besser erweitert, wodurch der Blutfluss begünstigt wird. Beim Hinzufügen von Milch blieb diese Wirkung aus. Die Erklärung dazu liegt in den Proteinen der Milch: Die so genannten Kaseine sind dafür verantwortlich, dass das im Tee enthaltene Katechin nicht mehr wirkt.
(idw, 9. Januar 2007)

Daraus soll man also schließen, daß Milch zwar vermutlich koronaren Herzerkrankungen vorbeugt, mit den für den gleichen Zweck verantwortlichen Teewirkstoffen ist es dann aber des Guten zuviel: Milch verhindere die antithrombotische und antientzündliche Wirkung der Teecatechine. Dr. Mario Lorenz, der die Studie durchgeführt hat, geht sogar soweit, zu behaupten, daß Milch die ebenfalls vermeintlich erwiesene Antikrebswirkung von Tee beeinträchtigen könnte. Im Studienergebnis will er eine Erklärung dafür erkannt haben, daß in Ländern wie England, wo der Tee für gewöhnlich mit Milch getrunken wird, dessen Schutzwirkung gegen Herzerkrankung ausbleiben könnte.

"Epidemiologische Untersuchungen zeigen, dass in Asien seltener Herzerkrankungen auftreten. Dort wird traditionell viel Tee konsumiert, und zwar ohne Milch", argumentiert Dr. Lorenz.
(idw, 9. Januar 2007)

All das wird behauptet, obwohl das per Ultraschall gemessene Blutfluß- Verhalten überhaupt nicht direkt mit Catechinen, Milch oder sonstigen biochemischen Auslösern in Verbindung gebracht werden kann. Zumal man davon ausgehen muß, daß diese Substanzen garantiert nicht in den Regelmechanismus der Entspannung oder Verengung von Gefäßen direkt eingreifen. Dagegen steigert bekanntlich schon das im Tee enthaltene Coffein die Durchblutung der peripheren Gefäße. Und Coffein bzw. "Teein", so könnte man ebenfalls behaupten, gelangt aus schwarzem Tee vermutlich wesentlich schneller in die Blutbahn, als wenn es durch Milch verdünnt oder durch das Milchfett verzögert freigesetzt wird.

Auch die Catechine des Tees, die hier wirklich reichlich vorhanden sind, können nicht vollständig durch Milch bzw. Casein inaktiviert werden. So sind beispielsweise die Catechine des frischen Teeblattes auch die eigentlichen Ausgangsstoffe der Fermentationsprozesse, die den Tee erst zu dem schwarzen Teeprodukt machen, das dann exportiert und als Schwarztee gehandelt wird. Als Endprodukte der Fermentation entstehen aus dem Catechin orangerote Theaflavine und rotbraune Thearubinigene (ebenfalls noch Catechine bzw. gesund wirkende Polyphenole), die für Farbe und Geschmack des Schwarzen Tees verantwortlich sind. Anders gesagt: Solange der Tee trotz Milch noch bräunlich gefärbt ist, sind noch immer Catechine bzw. Polyphenole in der Tasse.


*


Dagegen wirken die Untersuchungen, mit denen britische Wissenschaftler der Universität Aberdeen den bitteren Angriff deutscher Kollegen auf ihren bevorzugten Teegenuß zu widerlegen suchen, eher ein bißchen schwach. Ihre kategorische Zielrichtung ist aber deutlich, wenn auch defensiv:

Tee mit Milch ist doch gesund! Milch in schwarzem Tee soll nun doch nicht den Schutzeffekt der im Tee enthaltenen Antioxidanzien hemmen.
(AP, 18. Mai 2007)

Die Aberdeener Wissenschaftler gingen dabei von der biochemischen Analyse aus, und setzten die positive Wirkung der Polyphenole dadurch unhinterfragt voraus. Sie brühten zunächst sechs verschiedene, gängige offene Teesorten auf und bestimmten deren Polyphenolgehalt.

Dann setzten sie die in diesem Punkt ergiebigste Sorte einer ziemlich kleinen unrepräsentativen Menge von 90 jungen Männern vor und analysierten anschließend den Polyphenolgehalt im Blutplasma der Probanden. Anschließend wurde der Versuch mit Milch im Tee wiederholt. Die Ergebnisse zeigten überhaupt keinen Unterschied. Was auch kein Wunder ist, denn schließlich ist das durch Casein neutralisierte oder ausgeschaltete Catechin noch in der gebundenen Form vorhanden. Ob man es in der Analyse findet oder nicht, ist nur eine Frage der chemischen Vorbereitung des Ausgangsmaterials. Dafür offenbarte sich ein anderer Effekt:

Entscheidend für die Polyphenolgehalte war, wie lange der Tee gezogen hatte - je länger, desto höher deren Konzentration.
(AP, 18. Mai 2007)

Allerdings betonten die britischen Wissenschaftler in einem Bericht der US-amerikanischen Zeitschrift "Journal of Agricultural and Food Chemistry", daß sie damit das Berliner Ergebnis nicht einmal angreifen wollen. Frei nach dem Motto, daß eine Krähe der anderen kein Auge aushackt oder Wissenschaftlerblut dicker als Wasser ist, schlagen sie den folgenden Kompromiß vor:

Schwarzer Tee enthalte jedoch sehr verschiedene Inhaltsstoffe. Vielleicht reagierten die Antioxidanzien anders mit Milch als jene Substanzen, die für den Gefäßeffekt verantwortlich sind.
(AP, 18. Mai 2007)

Dabei vergessen sie allerdings plötzlich, daß es gerade die chemische Ähnlichkeit z.B. die antioxidative Wirkung der verschiedenen Stoffe in der großen Gruppe der Polyphenole war, zu denen auch die Teeinhaltsstoffe wie Catechine, Gerbstoffe und Farbstoffe gehören, welche die Forscher dazu veranlaßt hatte, die positive Wirkung auf die Gefäße, die man von Rotwein kannte, auch auf schwarzen und grünen Tee und sogar auf Bier zu übertragen...

Und schließlich sind sich natürlich beide Forschergruppen darüber völlig einig, daß all das Widersprüchliche ihrer Ergebnisse in noch sehr viel umfassenderen Untersuchungen genauesten überprüft werden muß, was ihnen auch für die nächsten Jahre noch Arbeit und finanzielle Unterstützung sichern müßte...

1. Juni 2007