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RATGEBER/219: Schluß mit dem Gerücht - Chlor bewirke Haarausfall (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

daß Schwimmen in gechlortem Wasser auf Dauer eine Glatze erzeugt

- eine Haarkur ist es dennoch nicht


Ein Artikel in der New York Times vom 9. Oktober 2007 brachte wieder einmal eine Urangst der Menschen ins Gespräch, nämlich den Verlust der eigenen Haarpracht. Männer sind davon mehr betroffen als Frauen und deshalb auch besonders ansprechbar bzw. sensibilisiert auf potentiellen Haarverlust, was nur gerecht ist, da sich Frauen ohnehin schon genug graue Haare um Äußerlichkeiten wie Frisur, Figur und Falten machen, selbst wenn sie behaupten, "sie nähmen das ganz gelassen und würden sich keinen Deut um ihr Erscheinungsbild scheren" (warum, zum Teufel, betonen sie das dann so?). Einmal abgesehen von dem hormonbedingten Haarausfall, der absolut jeden (auch viele Frauen) ab einem gewissen Alter betrifft und an dem sich auch partout nichts ändern läßt, glauben viele Männer, sie könnten ihr Haar retten, indem sie es besonders kurz tragen, keine Hüte oder Mützen aufsetzen, den Kopf viel in die Sonne halten, sich nur selten die Haare waschen, sich nicht föhnen oder beim Schlafen auf dem Bauch liegen, so daß es am Hinterkopf nicht so sehr abnutzt... . Solche Verhaltensmaßnahmen sind reine Verzweiflungsreaktionen, die nur dann von Erfolg gekrönt sind, wenn man ohnehin zu den wenigen Auserwählten gehört, deren Testosteronhaushalt auch im zunehmenden Alter stabil bleibt und nicht den unerwünschten Abwurf des Haarkleides einleitet.

Ein Gerücht, von dem manch ein Nichtbetroffener, Unsensiblisierter vielleicht nicht einmal gehört hat, das sich aber offenbar hartnäckig unter vielen Menschen hält, ist die Behauptung, daß das Schwimmen in gechlortem Wasser dem Haarwuchs nicht zuträglich sei und das Ausfallen der Haare fördern könne. Vielleicht wurde es von Bademeistern in die Welt gesetzt, die mit der Reinigung der Wasserfilter in einem Schwimmbad betraut sind. Die ekelhafte Masse von Haaren, die sich dort täglich in den Sieben ansammelt, könnte schon den Eindruck vermitteln, daß der Mensch ausschließlich im Schwimmbad Haare läßt und den Schluß nahelegen, daß dies vielleicht etwas mit dem starken Chlorgehalt des Wassers zu tun hat.

Nun, in einem Salz- oder Solebecken, sieht es, ehrlich gesagt, auch nicht anders aus und auch in den modernen, mit Ozon geklärten Badeanstalten verlieren die Besucher Haare. Das ist nichts Besonderes, weil jeder Mensch pro Tag etwa 100 seiner alten Haare abstößt, während gleichzeitig eine etwa gleiche Anzahl von neuen Folikeln (Haarstammzellen) mit der Produktion von Haaren beginnen. Darüber hinaus sind in derselben Zeit 90 bis 95 Prozent aller Haarfolikel damit beschäftigt, Haare wachsen zu lassen. Ein Stück neues Haar schiebt sich ständig aus dem Kopf heraus und verlängert das alte um einen Zentimeter pro Monat. Auf diese Weise wird das Haar irgendwann zu schwer für den Folikel und wird dann abgestoßen. Der Haarverlust fällt normalerweise nicht so auf, weil die ausgefallenen Haare von den anderen Haaren eine zeitlang mechanisch festgehalten werden. Erst wenn man z.B. die nassen Haare auskämmt, oder Wasser durch das Haar spült, rutschen sie gnadenlos mit heraus.

Deshalb hält sich beispielsweise auch das Gerücht, man könne den Haarausfall stoppen, indem man sich nicht so oft die Haare wäscht. Dafür aber den Alpdruck sozialer Ächtung auf sich zu nehmen, indem man einen fettigen, struppigen Haarfilz heranzüchtet, bleibt als mögliche Lösung des Problems dahingestellt. Warm ist so eine Kopfbedeckung allemal.

Doch zurück zum Chlor im Schwimmbad. Laut Anahad O'Connor (der Autor des NY-Times-Artikels) sei es wissenschaftlich erwiesen, daß Chlor zwar einige unangenehme Wirkungen auf Haut und Haar besitzt, Haarausfall gehöre jedoch nicht dazu. Wörtlich hieß es:

One of several studies on the topic was published in 2000 in the journal Dermatology.

In that study, a team of researchers examined 67 professional swimmers and 54 nonswimmers. The researchers found that 61 percent of the swimmers showed signs of hair discoloration, compared with none of the nonswimmers.
(NYT, 9. Oktober 2007)

Die auffälligste Schädigung des Haars ist der Bleicheffekt, den wir allgemein aus der Chlorbleiche kennen, mit der beispielsweise früher Papier, das von seinem Rohstoff Cellulose einen eher beigen oder eierschalenfarbenen Ton besitzt, blütenweiß entfärbt wurde.

Haar wird durch das Chlor oberflächlich geschädigt, Chlor dringt in den Haarschacht ein und entfärbt das darin enthaltene Pigment, indem es dieses aufbricht. Etwa das gleiche geschieht auch mit einer anderen Chemikalie, mit der man seine Haare gewöhnlich blondiert. Nur sind bei wasserstoffperoxidhaltigen Haarfärbemitteln Einwirkzeit und angestrebtes Ergebnis vorgegeben. Die Schädigung läßt sich somit in gewissen Grenzen halten.

Beim Schwimmen in chlorhaltigem Wasser verstärkt sich der Effekt, je nachdem, wie oft der Vorgang wiederholt wird, wie lange man im Wasser bleibt, ob man das gechlorte Haar anschließend auswäscht oder in der Sonne trocknen läßt und wie stark das Haar durch chemische Behandlung oder Umweltschäden vorgeschädigt ist. Da heutzutage zum Beispiel dauergewelltes oder gefärbtes Haar gang und gäbe sind, ist es somit kaum ein Wunder, daß sich das Haar nach dem Besuch einer Badeanstalt zu seinem Nachteil verändert.

Die oben erwähnten Wissenschaftler fanden außerdem heraus, daß auch die Oberfläche der Finger- und Zehennägel der Schwimmer durch Chlor angegriffen werden. Haar wie Horn bestehen im wesentlichen aus weichem Keratin, einem Protein, das wie andere Eiweiße auch chemisch denaturiert werden kann. Chlor wirkt zunächst stark hygroskopisch, es entzieht dem Haar oder der Hornoberfläche Wasser, wobei die unterchlorige Säure entsteht. Letztere kann wie alle Säuren Proteine denaturieren, so daß die Schuppenhülle des Haares perforiert wird. Unterchlorige Säure dissoziiert (d.h. löst und spaltet sich) in Wasser in ein positives Proton (H+) und das negative Hypochlorit, das eigentlich für die Bleichwirkung des Chlors verantwortlich ist. Deshalb wird auch oft in Wasser gelöstes Natriumhypochorit (= Chlorbleichlauge) verwendet. Da Hypochlorit auch noch ein starkes Oxidationsmittel ist, Viren und Bakterien hingegen hochgradig oxdationsempfindlich sind, eignet es sich zum Chloren von Trinkwasser oder zur Schwimmbaddesinfektion genauso wie Chlorgas. In beiden Fällen entsteht als wirksames Agens eine verdünnte, aber höchst wirksame Lösung von Hypochlorit.

Bereits geringe Hypochloritkonzentrationen machen Trinkwasser nachhaltig keimfrei. Es bedarf allerdings in öffentlichen Schwimmbädern einer ziemlich starken Konzentration an Chlor, um dem regelmäßigen Versagen der Benutzer auf dem Gebiet der persönlichen Hygiene entgegenzuwirken - ungeachtet dessen, daß Chlorgas die Atmung erschweren und Augenentzündungen hervorrufen kann.

Besonders empfindliche Personen, die sich häufig in gechlorten Schwimmbecken aufhalten, z.B. Sportschwimmer, entwickeln häufig eine sogenannte Chlorakne oder trockene schuppige Haut. Warum diese Menschen auf Chlor so empfindlich reagieren, ist nicht bekannt. Tatsache ist, daß bei besonders starker Kontamination mit Chlor oder anderen chlorhaltigen Chemikalien wie Dioxinen (z.B. bei Chemieunfällen) bei allen Menschen diese Hauterscheinungen auftreten.

Kurz gesagt, Chlor oder Chlorbleichlauge, die im Schwimmbad verwendet werden, sind der äußeren Hülle des Menschen, Haut, Haar und Nägeln nicht besonders zuträglich. Die in der NY-Times veröffentlichte Erklärung, die oberflächliche Schädigung von Haut und Haar beruhe im wesentlichen auf den unnatürlichen, zusätzlichen Reibungseinflüssen des Wassers, ist daher blanker Unsinn und blendet die hautreizenden und giftigen Eigenschaften von Chlor im Wasser vollkommen aus.

Tatsache ist jedoch, daß dadurch kein zusätzlicher Haarverlust zu befürchten ist.

Darüber hinaus reichen normalerweise pH-neutrale bzw. dem pH-Wert der Haut angepaßte, medizinische Shampoos oder Haarspülungen sowie das gründliche Duschen nach dem Bad vollkommen aus, um die schädlichen Substanzen möglichst vollständig abzuspülen und ihre Wirkung auf die Haut annähernd zu neutralisieren.

23. Oktober 2007