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RATGEBER/249: Kinderfragen (24) Wie Nilpferde "Blut" schwitzen (SB)


KINDERFRAGEN 24

Können Nilpferde Blut schwitzen?

Nilpferdschweiß - Sonnenschutz mit eingebautem Deo


Beim Besuch im Zoo sieht man ihn sehr selten, den dunkelrot gefärbten Nilpferdschweiß. Denn damit Eltern und Wärter nicht von entsetzten Kinderfragen überschüttet werden, warum das Nilpferd ein "Aua" hat und blutet oder gezielter, woran es sich denn verletzt habe, werden Nilpferde in deutschen Tiergärten täglich frisch geduscht und blitzeblank gescheuert. Und so wird das blutige Transpirationsproblem der Nilpferde hierzulande glatt vergessen, wenn es nicht hin und wieder in Tiersendungen einmal angesprochen würde.

Dabei war das Phänomen schon in der Antike bekannt, das den Tieren den Mythos einbrachte, sie schwitzten Blut.

Dennoch ist es sonderbar, daß sich so viele Jahre niemand diesem seltsamen und vermeintlich unhygienischen und anrüchigen Thema gewidmet hat, zumal der Austritt von Blut aus der Körperoberfläche normalerweise Ärzte und Veterinärmediziner in Alarmstimmung versetzt und keineswegs als natürliche Absonderung betrachtet wird.

Blut ist nicht nur eine höchst infektiöse Flüssigkeit, auch ihr Symbolcharakter ruft gewöhnlich sofort eine ganze Phalanx von Wissenschaftlern auf den Plan, um den roten Lebenssaft zu analysieren und ihn gegebenenfalls als Tomatensaft oder dergleichen zu entlarven, wenn irgendwo sonst aus belebten oder unbelebten Oberflächen (z.B. Heiligenbildern, ect.) kleine Mengen einer blutähnlichen Flüssigkeit austreten, von Nilpferden einmal ganz abgesehen.

Es dauerte jedoch viele Jahre, bis das Geheimnis um den blutigen Schweiß schließlich von japanischen Forschern der pharmazeutischen Fakultät der Universität in Kyoto gelöst wurde.

Diese fanden heraus, daß es sich bei den gefärbten Sekreten keineswegs um Blut, nicht einmal um typischen Schweiß, sondern um eine Mischung aus farbigen Pigmenten handelt. Was sofort eine ganze Reihe von Spekulationen nach sich zog, wofür der selten gefärbte Saft wohl gut sei. Funktionen wie UV-Strahlenfilter und Sonnenschutz, Regulierung der Körpertemperatur, aber auch eine antibiotische Wirkung will man in den neu gefundenen Stoffen entdeckt haben.

Die Forscher haben für ihre Untersuchungen Abstriche der Substanz von den Köpfen und Rücken zweier Nilpferde im Zoo von Tokio genommen. In weiterer Folge wurde die Substanz auf ihre chemische Zusammensetzung untersucht und so zwei verschiedene Pigmente identifiziert. Alles weitere sind Vermutungen, die wohl schon von potentiellen, lukrativen naturheilkundlichen Anwendungen aus Nilpferdschweiß getragen werden:

Diese Verbindungen geben Nilpferden ihre rötliche Erscheinung, sind die japanischen Forscher überzeugt. Sie glauben, daß die zwei Substanzen als Stoffwechselprodukt von Aminosäuren, die Proteine produzieren, anfallen. Durch die Isolation der Chemikalien haben die Forscher die These überprüft, dass der "Schweiß" eine Funktion als Sonnenschutz und Antibiotikum übernimmt."
(Pressetext.de 27. Mai 2004)

Zwar wurde durchaus getestet, wieviel vom Spektrum der Sonne durch diese Pigmente absorbiert werden kann, wobei die Forscher herausfanden, daß beide Pigmente ultraviolette Strahlung reflektieren. Doch möglicherweise ist dies auch ein zufälliges Zusammentreffen von Eigenschaften, die für die Nilpferde keine überlebenswichtige Bedeutung besitzen.

Das rote Pigment soll sogar antibiotische Eigenschaften besitzen. Es verhindert das Wachstum der Krankheitserreger Pseudomonas aeruginosa und Klebsiella pneumoniae, was genau genommen keine antibiotische, aber eine bakteriostatische Wirkung ist, so daß die Nilpferde zumindest vor diesen Bakterien geschützt sind. Nilpferdschweiß dürfte danach nicht stinken, enthält er quasi sein eigenes Deodorant. Darüber kann man allerdings auch geteilter Ansicht sein.

Daß ein Austritt von Flüssigkeit und der damit verbundene Verdunstungseffekt die Körpertemperatur senken kann, ist ein bekanntes Phänomen. Daß aber äußerlich ausgeschwitzte Substanzen eine Körpertemperatur regulierende Wirkung besitzen, dürfte nicht nur schwer nachzuweisen sein, sondern ist für sich genommen sehr unwahrscheinlich. Vielmehr reicht die Temperaturwahrnehmung der Tiere, wie bei jedem anderen Lebewesen auch, das die Möglichkeit zur Transpiration besitzt, um entsprechende Stoffwechsel- oder Körperfunktionen über Nervenimpulse anzuregen.

Wissenschaftler und Medien stellten die neuen Erkenntnisse jedoch zunächst so dar, als habe man im Schweiß der Nilpferde eine Art Wundermittel gegen Hitze und die gefährlich wachsende Sonneneinstrahlung gefunden, darüber hinaus ein wirksames Mittel zur Wunddesinfektion, und all das mit einer mystischen Aura afrikanischer Naturheilkraft umgeben:

Zusätzlich reguliert die Substanz die Körpertemperatur. Diese dreifache Funktion der Pigmente ist sehr nützlich für die Tiere, die in Zentralafrika und im Niltal leben. Sie verbringen sehr viel Zeit in der Sonne und zahlreiche Kämpfe untereinander machen sie anfällig für Wundinfektionen. Die Nilpferde produzieren mehr von den Pigmenten wenn sie am trockenen Land sind. Weiter können sie den blutroten Schimmer einige Stunden speichern, bevor sie ihren Glanz verlieren.
(Pressetext.de 27. Mai 2004)

Man fragt sich allerdings, warum Nilpferde in deutschen Zoos, trotz dieser plausibel klingenden Erkenntnisse immer noch geduscht und geschrubbt werden. Beraubt man sie hiernach doch um einen ganz wesentlichen Hautschutzmantel. Daß die Tiere die unnatürliche Behandlung hierzulande überstehen, ohne krank zu werden, könnte zum einen an der geringeren Sonnenintensität in unseren Breiten liegen. Es könnte aber auch die gesamte wissenschaftliche Hypothese vom gesunden Nilpferdschweiß in Frage stellen.

18. Juli 2008