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RATGEBER/269: Cumarin in Zimt - Weihnachtsgebäck soll das Blut verdünnen (SB)


Wie giftig sind Zimtsterne wirklich?

Und Verbraucherkontrolle über vermeintlich gesunde oder giftige Inhaltsstoffe in Weihnachtsspezereien


Immer wieder dann, wenn die Adventszeit ins Haus steht, hören wir die wahrsten Wunderdinge über Spezereien wie Ingwer, Zimt u.a. ultimative Zutaten für die Weihnachtsbäckerei, als müsse das allgemein übliche Schlemmen auch noch wissenschaftlich gerechtfertigt werden: Auf einmal macht Schokolade nicht nur dick, man betont vielmehr ihren Gehalt an Polyphenolen, das sind sogenannte sekundäre Inhaltsstoffe, die u.a. auch in Rotwein und roten Schalenfrüchten, aber auch im grünen Tee vorkommen und mit dem "französischen Paradoxon" in Verbindung gebracht werden. Letzteres ist die fast sprichwörtliche Gesundheit der mediterranen Bevölkerung in Bezug auf Herz und Kreislauf, die angeblich auf die besonders polyphenolhaltige und wenig fette Ernährung zurückgeführt werden könne.

Was Zimt angeht, so konnte man auch darüber jedes Jahr erneut lesen, wie ausgesprochen gesund er sei und daß er sogar Diabetikern hilft, den Blutzucker zu kontrollieren. So hörte man erstmals vor einigen Jahren in der Sendung Forschung aktuell im Deutschlandfunk:

Zimt kann den Blutzuckerspiegel senken

Das berichten amerikanische Forscher in der Fachzeitschrift Diabetes Care. In einer Studie gaben die Forscher 60 Testpersonen mit Diabetes vom Typ II mehrere Gramm Zimt, nach 40 Tagen war der Blutzuckerspiegel dieser Personen um 20% niedriger als bei Diabetikern, die keinen Zimt einnahmen. Auch der Fettanteil und die Cholesterinmenge im Blut nahmen ab, berichten die Forscher. Bei einigen Diabetikern verschwanden sogar die Krankheitssymptome. Diese kehrten jedoch zurück, nachdem die Zimttherapie eingestellt wurde. Offenbar haben bestimmte Wirkstoffe aus dem Zimt eine ähnliche Wirkung wie Insulin, so die Wissenschaftler.
(Deutschlandfunk, 26. November 2003, 16.35 forschung aktuell, Kurzmeldungen)

Ohne den wirkenden Bestandteil im Zimt näher zu spezifizieren, wurden auch noch zwei Jahre später (in denen man offensichtlich immer noch keine näheren Kenntnisse über Ursache und Wirkung gewonnen hatte) Teilnehmer für eine Studie gesucht, in der man feststellen wollte, inwieweit Zimt tatsächlich bei Diabetes Typ II helfen könne:

Ernährungsstudie an der Universität Hannover untersucht Wirkung von Zimt bei Typ-2-Diabetes

Das Institut für Lebensmittelwissenschaft der Universität Hannover testet in einer Studie unter der Leitung von Prof. Andreas Hahn in Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover den Einfluss von Zimt auf den Blutzuckerspiegel und die Blutfettwerte bei Typ-2-Diabetikern. Daher sucht das Institut weitere Studienteilnehmer mit Diabetes mellitus Typ 2, die ihren erhöhten Blutzucker nicht mit Insulin, sondern mit Diät oder Tabletten behandeln. [...]

Die Studie beginnt im April 2005 und endet im August 2005 (tägliche Einnahme von zwei Kapseln über vier Monate).
(idw, 9. Februar 2005)

Allerdings wurde dieser Trend nicht fortgeführt. Über postive Testergebnisse wurde nie öffentlich berichtet und eher dazu geraten, die Sache mit dem Zimt nicht so ernst zu nehmen, da er zu schwer zu dosieren sei, um damit eine wirklich kontrollierte Steuerung des Blutzuckerspiegels zu erreichen.

Im Gegenteil wird Zimt schon seit 2006 regelrecht verteufelt. Verbraucher wurden sogar von der Gesundheitsbehörde geraten, den Verzehr von zimthaltigen Lebensmitteln einzuschränken. Wörtlich hieß es hierzu:

Dazu haben am Mittwoch die Verbraucherschutzministerien mehrerer Bundesländer aufgerufen. Das gelte vor allem für Kleinkinder. Hintergrund ist der im Zimt vorkommende Aromastoff Cumarin, der bei übermäßigem und längerem Konsum zu Leberschäden führen kann, wie es in ähnlich lautenden Mitteilungen etwa aus Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hieß.
(Associated Press, 18. Oktober 2006)

Nach Auskunft des Bundesverbraucherministeriums sei der Schritt mit allen Ministerien, dem Bundesinstitut für Risikobewertung und auch Herstellern abgesprochen.

Berlin (Deutschland), 22.10.2006 - Länder und Bund haben sich vergangene Woche auf eine Verzehrsempfehlung für zimthaltige Lebensmittel geeinigt. Grundlage dafür ist ein Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR). Darin wird das Risiko bewertet, das von dem im Zimt enthaltenen, gesundheitsschädigenden Cumarin ausgeht. So heißt es dort: "Verbraucher sollten beim Verzehr von Zimt zurückhaltend sein. Insbesondere Kleinkinder sollten Zimtgebäck deshalb in der Vorweihnachtszeit nur in Maßen verzehren."

Cumarin ist im im Handel erhältlichen Cassia-Zimt enthalten. (Der nur selten erhältliche Ceylon-Zimt enthält deutlich weniger Cumarin.) [...] Nach Angaben des BfR kann Cumarin schon in relativ kleinen Mengen zu Leberschädigungen führen. Bei Versuchen mit Ratten und Mäusen erwiesen sich hohe Konzentrationen außerdem als krebserregend.

Ein erwachsener Mensch überschreite bei üblichen Essgewohnheiten die täglich akzeptable Menge von Cumarin zwar nicht, teilten die Behörden mit Blick auf Erkenntnisse der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit mit. Anders könne das aber bei Kleinkindern aussehen, bei denen die unbedenkliche Aufnahmemenge wegen des geringeren Körpergewichts durchaus überschritten werden könne. (Bundesinstitut für Risikobewertung, 22. Oktober 2006)

So rät etwa der Düsseldorfer Verbraucherschutzminister Eckhard Uhlenberg (CDU) dazu, dass Kinder unter fünf Jahren insbesondere Zimtsterne, Milchreis mit Zimt und ähnliche Lebensmittel nur einmal pro Woche verzehren sollten. Dabei sei es egal, ob solche Lebensmittel industriell oder im Haushalt hergestellt worden seien. Sein Ministerium sei mit den Herstellern im Gespräch, "um kurzfristige Minimierungen durch Rezepturumstellungen zu erreichen".
(AP, 18. Oktober 2006)

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) forderte sogar die Offenlegung aller Ergebnisse der Lebensmittelbehörden zu Cumarin-Gehalten in Lebensmitteln. "So lange dies nicht geschieht, kann man Verbrauchern nur empfehlen, den Verzehr von Zimtprodukten deutlich einzuschränken", betonte vzbv-Chefin Edda Müller. Da Cumarin aber ein natürlicher Inhaltsstoff ist, der zu den ätherischen Ölen gezählt werden kann und in vielen Pflanzen vorkommt (beispielsweise Waldmeister, Steinklee, Tonka-Bohnen), fragt man sich doch, warum jetzt so ein Gewese um diesen Stoff gemacht wird, den die vzbv-Chefin sogar als Skandal bezeichnete (und damit ihren fachlichen Unverstand offenbarte):

Sie sprach von einem Skandal, weil die Lebensmittelindustrie wissentlich hoch belasteten Zimt für die Herstellung des diesjährigen Weihnachtsgebäcks verwendet habe. "Wer sich so verhält, darf sich über Umsatzeinbrüche, im Weihnachtsgeschäft nicht wundern", betonte Müller.
(Associated Press, 18. Oktober 2006)

Müller betrachtet das Cumarin demnach wie einen Umweltschadstoff. Cumarin ist jedoch ein Naturstoff, der in vielen Pflanzen vorkommt und häufig erst durch Reifung bzw. Fäulnisprozesse freigesetzt wird. Schon lange warnte man vor dem hohen Cumaringehalt im Waldmeister, weil er bei Verwendung in der beliebten Maibowle bei einigen empfindlichen Menschen Kopfschmerzen verursachen kann.

Sehr viel höher als in dem bekannten Kraut kann der Gehalt von Cumarin jedoch auch nicht im Zimt sein, selbst wenn es sich um Cassia-Zimt handelt, in dem sehr viel mehr Cumarin enthalten ist als im Ceylon- Zimt, so daß die ganze Aufregung über Zimtgebäck recht hergeholt scheint, zumal es seit Jahrhunderten ohne Schaden an Kind und Kegel von denselben verzehrt wird.

Das Chemische Landes- und Staatliche Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) in Münster hat Messungen zum Cumarin-Gehalt in Zimt und Zimtgebäck durchgeführt. Die Cumarin-Gehalte variierten zwischen 22,0 und 76,8 mg/kg in Zimtgebäck (13 Proben verschiedener Hersteller) und überschritten somit den zurzeit geltenden Höchstgehalt der Aromenverordnung von 2 mg/kg Lebensmittel erheblich. In ebenfalls analysiertem Zimtpulver (5 verschiedene Proben) fanden sich Gehalte zwischen 2,3 und 3,3 g/kg Gewürz. Bei einer Verwendung von Zimt mit diesen Gehalten (üblicherweise verwendete Rezeptur von 1-2 % Zimt in der Teigmasse) erklären sich die im Zimtgebäck gemessenen Cumarin-Gehalte überschlägig sehr gut. Die hohen Gehalte deuten darauf hin, dass Cassia-Zimt und nicht Ceylon-Zimt verwendet wurde.
(Gesundheitliche Bewertung des BfR Nr. 043/2006 vom 16. Juni 2006)

Cumarin selbst wirkt im Körper auch nur in höheren Dosen und zwar als Blutgerinnungsmittel. Aus diesem Grund wurden von der Struktur des Naturstoffs heutige Blutgerinnungshemmer wie Warfarin und Phenprocoumon chemisch abgeleitet und als Arzneimittel produziert, weil Cumarin allein gar nicht wirksam genug war. Cumarin wird aber auch als Duftstoff in kosmetischen Mitteln und durchaus auch noch als Wirkstoff in Arzneimitteln verwendet.

Die Entwicklung dieser Medikamente geht auf eine Zufallsbeobachtung zurück: 1922 verendeten in den USA und in Kanada viele Kühe an inneren Blutungen, nachdem sie verfaulten Klee gefressen hatten. Jahrelang ging man dem Phänomen auf den Grund. Dann wurde eine Substanz, die beim Verfaulen von Heu entsteht, als Ursache dingfest gemacht. Größere Mengen davon heben die Gerinnungsfähigkeit des Blutes völlig auf, was zu den beobachteten Blutungen führt. Medizinern kam die Idee, daß sie sich - vorsichtig dosiert - als Medikament eignen könnten. Seit den 40er Jahren wurden dann Abwandlungen davon, die Cumarinderivate, tatsächlich bei Patienten als Schutz gegen Blutgerinnsel eingesetzt; sie konnten seither viele Herzinfarkte und Schlaganfälle verhindern. Nur in sehr hoher Dosierung kann es wie bei den Kühen als echtes Gift wirken (Cumarinderivate werden daher auch u.a. als Rattengift kommerziell vertrieben).

Auch daß Cumarin in hoher Dosierung im Tierversuch zur Tumorbildung geführt haben soll, ist seit längerem bekannt, läßt aber keine direkten Rückschlüsse auf seine Wirkung am Menschen zu, zumal neuere wissenschaftliche Ergebnisse den bisher vermuteten genotoxischen Wirkmechanismus ausschließen sollen.

Neuere wissenschaftliche Ergebnisse deuten darauf hin, dass hierbei kein genotoxischer Wirkmechanismus vorliegt, welcher lange Zeit vermutet wurde. Die Europäische Kommission hat daraufhin einen Entwurf zur Änderung der Aromenrichtlinie vorgelegt, wonach vorgesehen ist, die bestehenden Einschränkungen für Cumarin aufzuheben.
(Gesundheitliche Bewertung des BfR Nr. 043/2006 vom 16. Juni 2006)

Bei den Versuchen mit Typ 2 Diabetikern, die täglich mindestens zwei Kapseln hochdosierten Cassia-Zimt (mit empfohlenen täglichen Aufnahmemengen im Gramm-Bereich) als Nahrungsergänzung einnehmen sollten, war von solchen Gefahren und gesundheitlichen Risiken allerdings nicht die Rede. Und seit dem letzten Bericht der BfR wurden auch keine neuen Grenzwerte oder Skandalmeldungen veröffentlicht. 2006 waren (allerdings noch nicht einmal in Weihnachts-Gebäck, sondern anderen getesteten Lebensmitteln (wie Milchreis mit Zimt)) die geltenden Höchstgehalte der europäischen Aromenrichtlinie von 2 Milligramm pro Kilogramm Lebensmittel erheblich überschritten worden, was darauf hindeutete, daß hier von der Lebensmittelindustrie Cassia- Zimt verarbeitet worden war, der im Vergleich zu Ceylon-Zimt sehr hohe Cumarin-Gehalte aufweist. Da der TDI-Wert aufgrund der bisher nicht bestätigten cancerogenen und lebertoxischen Wirkung für Kinder sehr niedrig angesetzt wurde, wirkten die Untersuchungsergebnisse bedrohlich.

Man kann aber davon ausgehen, daß immer wieder zur Weihnachtszeit nur deshalb so viel Lärm um nichts gemacht wird, weil die äußerst aufwendige Zimternte, die durch das mühsame Abschälen der Rinde des Zimtbaumes eingebracht wird, durch zunehmende Dürre und Hitze wesentlich karger ausfällt. Daher muß zunehmend auch der als Gewürzdroge qualitativ geringerwertige Cassia-Zimt eingesetzt werden, wobei darüber hinaus die rare Naturdroge sogar vorzugsweise pharmazeutischen Zwecken zugeführt werden soll. Das erklärt u.a. auch, warum Erkenntnisse vom Juni 2006 immer nur zur Weihnachtszeit aufgetischt werden, obwohl sich diesbezüglich (z.B. durch geringere Zimtdosierung in Gebäck u. dgl.) schon einiges geändert haben kann.

Lassen Sie sich und Ihren Kindern also Weihnachten samt Zimtsternen und Lebkuchen weiterhin schmecken, es könnten vielleicht überhaupt die letzten gewesen sein!

Erstveröffentlichung 8. November 2006
neue, aktualisierte Fassung

23. Dezember 2008