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RATGEBER/274: Hoher Preis für schönes Haar - Blasenkrebs (SB)


Hoher Preis für schönes Haar - Blasenkrebs


Daß häufiges Haarefärben nicht unbedingt gut für die Kopfhaut und die Gesundheit ist, kann man sich an zehn Fingern abzählen. Da Farbstoffe, die das Haar dauerhaft färben, auch eine feste Verbindung zum Haar, d.h. seinem strukturgebenden Eiweiß Keratin, eingehen müssen, können sie theoretisch auch eine Affinität zu anderen Proteinen entwickeln, und hier möglicherweise außer der Hornhaut und Haut auch bewegliche Eiweiße und Enzyme befallen und in ihrer natürlichen Funktion behindern.

Natürlich leidet auch das Haar selbst unter der Behandlung, da jedem Färbemittel ein Bleichmittel (H2O2) vorgeschaltet wird, das für eine möglichst gleichmäßige Tönung zunächst sämtliche Farbe aus den Haaren zieht, wobei der Haarschaft rauh und porös wird. Die neue Farbe dringt dann in die aufgerauhte Oberfläche besonders gut und dauerhaft ein und eine mit Silikon angereicherte Spülung am Ende der Behandlung sorgt dafür, daß der verloren gegangene Glanz durch eine Art Lack- oder Kunststoffschicht optisch ersetzt wird. Da sich dieser künstliche Glanz jedoch langsam wieder abblättert, muß die Behandlung in immer kürzeren Abständen wiederholt werden, wenn man sich nicht mit der rauhen, struppigen Wahrheit konfrontieren möchte.

Daß aber Haarefärben geradzu "gefährlich" ist, wurde schon vor einigen Jahren in der Zeitschrift Ökotest veröffentlicht. Das Verbrauchermagazin hatte die Inhaltsstoffe von je 20 Rot- und Brauntönern untersuchen lassen, mit dem Ergebnis: ungenügend in sämtlichen Fällen. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, hatte man in allen Produkten sogenannte aromatische Amine gefunden, von denen viele als krebserregend gelten.

Unter anderem werde in den meisten Haarfarben das giftige 2,5-Toluylendiamin eingesetzt. Von der Chemikalie sei bekannt, daß sie das Erbgut von Bakterien verändere und bei Ratten ungeborenen Nachwuchs schädigen könne.
(Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2004)

Ganz neu ist die Warnung nicht. Auch schon in der Zeit davor wurde der Verdacht geäußert, daß häufiges Haarefärben gesundheitsschädlich ist. Darüber, daß aromatische Amine wie Aniline oder Toluidine für einen Teil der jährlich rund 15.000 Blasenkrebsfälle in Deutschland verantwortlich sind, sollen sich die meisten Experten inzwischen einig sein. Als besonders gefährlich gelte neben dem beruflichen Kontakt mit Anilin-Farben auch das Rauchen. Die Abgase von Zigaretten enthalten ebenfalls aromatische Amine.

Aromatische Aniline sind fettlöslich und dringen daher über Haut und Haar in den Organismus ein. Da sich die Abbaustoffe im Urin anreichern, muß vor allem die Blase die höchste Konzentration an diesen Giften aushalten. So lag der Verdacht auf der Hand, daß sich ein Drittel der Frauen sowie ein Zehntel der Männer, die sich in den westlichen Industrienationen die Haare regelmäßig färben, einer Gefahr durch diese Chemikalien aussetzen. Da Jugendliche immer früher anfangen, ihre Haare zu stylen und dabei auch gerne den natürlichen Farbton verändern, haben sich inzwischen die Prozentzahlen gefährdeter Mitmenschen statistisch um ein Vielfaches erhöht.

Schon vor drei Jahren wurde aus dem vermuteten Zusammenhang Blasenkrebs durch Haarfärbemittel eine Statistik im umgekehrten Sinne ausgewertet. In einer vor drei Jahren in der Fachzeitschrift International Journal of Cancer (Bd. 94, S. 905, 2001) erschienenen Studie waren die Haarfärbegewohnheiten von 900 Blasenkrebspatienten untersucht und mit 900 gesunden Studien-Teilnehmern verglichen worden.

Bereits nach einem Jahr monatlichen Haarefärbens verdoppeln danach Frauen ihr Blasenkrebs-Risiko. Nach mehr als 15 Jahren liegt die Gefahr statistisch gesehen dreimal so hoch. Zehn Jahre im Friseurberuf steigern das Risiko sogar auf den fünffachen Wert. Dies gilt laut der US-Studie allerdings nur für sogenannte dauerhafte Färbemittel.

Natürlich streiten Hersteller wie die Firma Schwarzkopf-Henkel jede konkrete Gefährdung ab. So behauptete die PR-Managerin Gesine Arend- Heidbrinck seinerzeit in der Süddeutschen Zeitung:

Es ist wissenschaftlich nicht gerechtfertigt, unspezifisch die ganze Stoffgruppe der aromatischen Amine anzugreifen.
(Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2004)

Auch der Pharmaexperte und Toxikologe Martin Theisohn von der Universität Köln gab zu bedenken, daß der Nachweis aromatischer Amine in Haarfärbemitteln alleine nicht ausreiche. Nicht alle Einzelsubstanzen seien krebserregend, zudem sei die Menge zu berücksichtigen.

Das Geschäft mit den modischen Haarfärbemitteln ist für die gesamte chemische Industrie und gleichwohl auch für die Pharmaindustrie, die an den Folgeschäden verdient, zu verlockend, und Jugendliche wiederum zu schnell bereit, jeden modischen Trend, den die Werbung anbietet, mitzumachen, als daß von diesem für das schlichte Überleben vollkommen unnötigen Artikel abgesehen werden könnte.

Ein Umdenken wird wohl noch so lange auf sich warten lassen, wie künstlich gefärbtes Haar als Statussymbol gilt, das für das Erreichen von Nahzielen, etwa die eigene Attraktivität auf das andere Geschlecht zu erhöhen, unabdingbar ist. Denn für junge Menschen liegt die Krebsgefahr, die sich meist erst nach einer Latenzzeit von 15 bis 20 Jahren bemerkbar macht, in einer Altersstufe, die für sie jetzt noch keine Realität besitzt.

22. Januar 2009