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RATGEBER/287: Kinderfragen (27) Wie kommt die Haut auf den Kakao (SB)


KINDERFRAGEN 27

Wie kommt die Haut auf den Kakao?


An gekochter Milch scheiden sich oft die Gemüter. Das liegt jedoch nicht allein daran, daß gekochte Milch völlig anders schmeckt als Frischmilch, sondern sie neigt je nach Zubereitungsmethode auch dazu, sich mit einer mehr oder weniger dicken Haut zu überziehen. Und die finden manche besonders köstlich, andere können mit ihrer schleimig- zähen Konsistenz nichts anfangen und ekeln sich davor.

Woraus sich beim Milch oder Kakaokochen diese Haut entwickelt und wie sie genau entsteht, darüber scheinen sich die Experten bis heute nicht so recht einig zu sein.

Chemisch betrachtet ist Milch eine Emulsion: Winzige Fettkügelchen sind ganz fein im Wasser verteilt. In dieser milchigen Flüssigkeit sind auch eine Menge wertvoller Nährstoffe gelöst. Kohlenhydrate (Milchzucker), Vitamine (A, D, E, K, B1, B2, B6, B12 und Folsäure), Mineralstoffe (Calcium), Spurenelemente (Magnesium, Zink, Phosphor, Jod) und verschiedene Eiweiße.

Die Entstehung der Milchhaut, soweit sind sich die Experten einig, hat ausschließlich mit den Eiweißen oder Proteinen der Milch zu tun. In der Milch gibt es besonders hochwertiges Eiweiß, das alle für den Menschen unentbehrlichen (= essentiellen, d.h. nicht körpereigenen) Aminosäuren enthält, die er mit der Nahrung aufnehmen muß.

Sie enthält zwei verschiedene Arten von Proteinen: einen großen Teil Casein (80%) und einen kleineren Teil Molkenproteine (20%).

Laut einer Lehrsendung der BASF, "Der Chemie Reporter", die man als Podcast von der Internetseite [www.basf.de/podcast] herunterladen kann, reagieren diese beiden Eiweißarten unterschiedlich auf die Hitze. Danach könne Casein die Hitze gut vertragen. Das Molkeneiweiß ist hingegen um einiges sensibler. Seine Moleküle werden schon zwischen 70 und 80 Grad Celsius ziemlich unruhig. Mit steigender Hitze bewegen sie sich immer stärker, bis schließlich ihre gesamte Struktur verformt ist.

Aus wohlgeordneten spiralförmigen Molekülen entsteht laut BASF ein verworrenes Knäuel. Diese unnatürliche Veränderung nennt der Biochemiker "Denaturierung". Die verformten Moleküle verbinden sich miteinander und verklumpen. Dadurch trennen sie sich aus dem Wasser (in dem sie normalerweise gelöst vorkommen) und werden fest. Anders gesagt, das Eiweiß gerinnt. Die fest gewordenen und verklumpten Eiweißmoleküle schwimmen dann an die Oberfläche, da sie leichter als Wasser sind. Dort sammeln sie sich und bilden ein dichtes Netzwerk: die Milchhaut.

Im populärwissenschaftlichen Werk von Georg Schwedt, "Experimente rund ums Kochen, Braten, Backen, Wiley-VCH 2004" wird dieser Vorgang völlig anders beschrieben. Danach sind es globuläre Strukturen (also Kügelchen) von dimerem und monomeren ß-Lactoglobulin, die sich unter Hitzeeinwirkung auffalten (d.h. umgekehrt werden aus kugelartigen, wasserlöslichen Kugeln langgestreckte Strukturen). Diese reagieren dann mit freien Peptidketten und anderen denaturierten Lactoglobulinketten und bilden ein Aggregat, das ein wesentliches Strukturelement bzw. Netz für die Milchhaut bildet.

Beim Kochen der Milch faltet sich die globuläre Struktur des ß-Lactoglobulins auf [siehe Schwedt, "Taschenatlas der Lebensmittelchemie", 1. Auflage S.22, 1.2. D.3]. Trotzdem kommt es nicht zu einer Ausflockung der gesamten Molkenproteine. Man nimmt an, daß sich ein Komplex zwischen …-Lactalbumin, ß-Lactoglobulin und k-Casein bildet. Auf der Oberfläche kann sich jedoch infolge des Abkühlens eine dünne Schicht aus Eiweißstoffen (Albumine und Globuline mit Fettkügelchen) absetzen.
(Schwedt, "Experimente rund ums Kochen, Braten, Backen, Wiley-VCH 2004", Versuch 47 Die Milchkochhaut, S. 106)

Schon 1933 verfaßte Wilhelm Ziegelmayer ein Buch mit dem Titel "Unsere Lebensmittel und ihre Veränderung. Mit einer Darstellung der Lehre von der Kochwissenschaft." Darin wird die Häutchenbildung bei gekochter Milch auf besonders "kaseinreiche" Milch zurückgeführt, die schon bei Temperaturen von 40 - 60 Grad Celsius beginnt, sich aber von der oben beschriebenen dicken Milchhaut unterscheidet (letztere ist in Kalkwasser unlöslich). Die Erforschung der Milchhaut fand man seinerzeit sogar so spannend, daß man festzustellen versuchte, wieviel Häute ein Liter Milch bei 100 Grad Celsius hervorbringen kann.

Das bei der Erwärmung verdampfende Wasser wurde stets ersetzt. Der Gehalt an Kasein, Albumin und Globulin wurde gleichzeitig in den Häuten und in der Milch unter den Häuten gemessen. Es wurde bald festgestellt, daß es auf die Größe des Gefäßes bzw. auf die mit der Luft in Berührung kommende Milch ankommt. Jede Viertelstunde ließ sich ein Häutchen abziehen, und es kam auf diese Weise zunächst auf 15 Häutchen. Bis Haut 20 ging es dann alle 45 Minuten, bis Haut 24 alle Stunde, dann jede weitere Haut 3-6 Stunden unregelmäßig weiter. Im ganzen wurden 35 Häute von 1 l Milch abgezogen. [...] Das erste Häutchen war das fettreichste, aber eiweißärmste. Bei den nächsten sinkt der Fettgehalt, der Eiweißgehalt steigt an.
(Schwedt, "Experimente rund ums Kochen, Braten, Backen, Wiley-VCH 2004", Versuch 46 Milch zum Kochen bringen, S. 105)

Ein wenig unbefriedigend und äußerst unwissenschaftlich bleibt dabei, daß nicht die Oberfläche des Versuchsgefäßes angegeben wird. So sagt am Ende die beeindruckende Zahl von 35 Häuten nichts über den Eiweißgehalt der Milch aus.

Wer verhindern will, daß Haut entsteht, darf den Milch- oder Kakaotopf nicht sich selbst überlassen. Ständiges Umrühren (mit dem Schneebesen zum Beispiel) stört die Strukturbildung an der Oberfläche. Allerdings kommt es dann immer noch zur Hautbildung. Diese legt sich jedoch in ganz dünnen Schichten um die Gasbläschen und bildet dadurch feine "Hautbeutelchen" bzw. Schaum.

Legt sich die Milchhaut allerdings erst wie ein Deckel über die kochende Milch, kann der durch die Wärme entstehende Wasserdampf nicht mehr so einfach entweichen. Es entsteht ein Überdruck, der durch die hohe Oberflächenspannung zunächst zurückgehalten wird, so daß es lange Zeit so aussieht, als könne sie "kein Wässerchen trüben". Entsteht dann nur ein wenig mehr Druck unter der Haut, kocht sie meist unverzüglich über, und das geschieht hinterhältigerweise fast immer dann, wenn man ihr den Rücken zukehrt.

16. April 2009