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UMWELTLABOR/184: Fischnotstand und ernährungspolitische Maßnahmen


Der von Fischsterben und Überfischung bedrohte Fisch soll dem Verbraucher gründlich madig gemacht werden

Der Fisch und seine natürlichen Schadstoffe


Nahrungsressourcen werden nicht nur auf dem Festland knapp. Wie man im letzten Jahr aus unterschiedlichen Quellen hören konnte, zieht die Überfischung der Weltmeere immer größere Kreise. Daneben sind steigende Temperaturen, ein steigender pH-Wert (Übersäuerung) sowie eine Verarmung der Meere an Sauerstoff weitere Faktoren, die das Überleben im Wasser für Fische immer schwerer werden läßt.

Nicht umsonst wurde die Schleie, ein Süßwasserfisch mit dem zoologischen Namen Tinca tinca, dieses Jahr zum Fisch des Jahres gekürt, denn die zur Gruppe der Karpfenfische gehörige Schleie ist wie kein anderer Fisch an ungünstige Umweltverhältnisse angepaßt. So hieß es in einer Meldung der Associated Press im Internet:

Offenbach (AP) Die Schleie ist der Fisch des Jahres 2007. [...]

Schleien sind äußerst anpassungsfähig und zeichnen sich durch ihre große Widerstandsfähigkeit gegen Sauerstoffmangel und saures Wasser aus. Bei Temperaturen von über 28 Grad stellt die Schleie die Nahrungsaufnahme ein und fährt den Sauerstoffverbrauch und den Stoffwechsel stark zurück. Bei höheren Temperaturen gräbt sie sich auch im Schlamm ein und fällt in eine Art Hitzekoma. So übersteht sie sogar ein kurzfristiges Austrocknen ihres Gewässers. Im Winter stellt sie die Nahrungssuche ein und zieht sich an die tiefen, schlammigen Stellen zurück. Die Schleie ist in der Lage, monatelang zu hungern.
(AP, 23. Oktober 2006)

Doch was allen anderen Fischen bevorsteht und sich jetzt schon tendentiell vor dem Hintergrund klimatischer und umweltbedingter Veränderungen abzeichnet, liest man dagegen weniger gern:

Studie: Umweltschäden gefährden künftige Generationen

Genf/London (dpa) - Der Raubbau an der Natur bedroht die Gesundheit [...]

Große Probleme bereite auch die Überdüngung der Meere. Der zusätzliche Stickstoff fördere den Algenwuchs so stark, dass an den Küsten sauerstoffarme "tote Zonen" entstünden. Fischsterben sei die Folge. In Zukunft werde vor allem die globale Erwärmung den Ökosystemen der Erde den größten Schaden zufügen. (dpa, 30. März 2005)

Forscher warnen vor Ausrottung der Speisefische

Stanford (pte) - Zwei verschiedene Fangquoten für den Tunfisch im Atlantik bereiten den Forschern Kopfzerbrechen. Die Annahme, dass sich die großen Blauflossen-Tunfischpopulationen im östlichen und westlichen Atlantik nicht vermischen, haben Forscher nun als völlig falsch zurückgewiesen, berichtet das Wissenschaftsmagazin Nature http://www.nature.com. Vielmehr sei es nötig, eine stabile Zahl der Tiere am Leben zu erhalten, damit die Population erhalten bleibt. Das bedeutet auch, dass eine neue und einheitliche Fischereipolitik notwendig ist.

Nach Angaben der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Atlantischen Tunfische (ICCAT) ist die westliche Population seit den 70er Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. Wie hoch die Rückgänge bei den östlichen Populationen sind, ist nicht genau geklärt. (pte, 28. April 2005)

Weiterhin wenig Kabeljau in der Nordsee

Trotz der großen Bemühungen zum Wiederaufbau des Kabeljaubestandes in der Nordsee sind noch keine Anzeichen für eine Erholung dieses Fischbestandes erkennbar. (idw, 23. August 2005)

Steigende Temperaturen verdrängen den Kabeljau in der Nordsee - Ergebnisse einer Langzeitstudie

Die starke Abnahme des Kabeljaubestandes besonders in der südlichen Nordsee wird neben der Fischerei auch von der globalen Erwärmung verursacht. Der Kabeljau legt seine Eier bei hohen Wintertemperaturen zu früh. (idw, 20. Oktober 2005)

Steigende Wassertemperatur gefährdet Fischbestände

Bremen (dpa) - Steigende Wassertemperaturen in Meeren, Flüssen und Seen gefährden nach einer Studie der Umweltorganisation WWF weltweit die Fischbestände. Der Sauerstoffgehalt vieler Gewässer nehme stark ab, heißt es in einem neuen WWF-Report. (dpa, 18. November 2005)

Zunehmender Raubbau an der Natur macht Menschen krank

Der Verlust von Fischgründen und Ackerland sei ein wichtiger Faktor für die Mangelernährung von heute weltweit 800 Millionen Menschen, betont die WHO. (dpa, 9. Dezember 2005)

Berlin (AFP) - Wissenschaftler sehen die Weltmeere durch den vom Menschen verantworteten Klimawandel in allerhöchster Gefahr und fordern ein Umdenken: Die fortschreitende Erwärmung und Versauerung der Meere bedrohten die Meeresumwelt und die durch Überfischung ohnehin schon geschwächten Fischbestände, hieß es in einem am Mittwoch in Berlin vorgestellten Sondergutachten des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). [...]

Durch die Versauerung seien zum Beispiel kalkbildende Meeresorganismen wie Korallen bedroht, stellten die Wissenschaftler fest. Diese hätten jedoch eine wichtige Funktion für die Nahrungsnetze im Meer und die globalen Stoffkreisläufe.
(AFP, 31. Mai 2006)

Man könnte die Zitatenliste noch endlos fortsetzen und beispielsweise über das langsame Sterben der Sonderfälle Thunfisch, Lachs und Wal berichten. Da etwa 15 Prozent des weltweit konsumierten Eiweißes vom Fisch stammt, ist der Mensch direkt von dieser Entwicklung betroffen, und daher gründen sich auch die politischen Bemühungen, mit Fangquoten zumindest die Überfischung in Grenzen zu halten, nicht auf Liebe zum Fisch, zum Tier oder zur Natur. Hier sind ausschließlich Interessen am Werk, die bestehende Welt(wirtschafts)ordnung und damit einhergehend die Nahrungsreserven zu sichern.

Unter diesem Gesichtswinkel beinahe entlarvend sind daher auch die aus dieser Bestandsnahme folgenden Forderungen:

Um die Nachteile für Menschen und Ökosysteme in Grenzen zu halten, müssten neue Wege beschritten werden, hieß es in dem Gutachten. So müsse die Widerstandsfähigkeit von Meeresökosystemen gegenüber höheren Wassertemperaturen und Übersauerung gestärkt werden. Nach Vorstellung des WBGU sollten mindestens 20 bis 30 Prozent der globalen Meeresfläche als Schutzgebiet ausgewiesen und die Überfischung gestoppt werden. Auch müssten Regelungen für Flüchtlinge aus gefährdeten Küstengebieten beschlossen werden, schließlich lebe jeder fünfte Mensch weniger als 30 Kilometer vom Meer entfernt.
(AFP, 31. Mai 2006)

Das heißt mit anderen Worten, von genetischen Manipulationen bis zu Sanktionen, Zwangsmaßnahmen und Notstandsgesetzen ist jedes Mittel erlaubt, das den Zweck heiligt. Und dafür, was das im einzelnen zum Einsatz unethischer Mittel heißen könnte, um selbst hungrige Küstenbewohner und nahrungsbedürftige Flüchtlinge davon abzubringen, das Meer als preiswerte Nahrungsquelle zu nutzen, gab die Universität Hohenheim Anfang dieses Jahres ein in der Tat unkonventionelles Beispiel: Man nehme die allgegenwärtige Angst des Menschen vor Schmerzen, Krankheit und Krebstod und finde eine toxische Substanz im Fisch, die sich nicht durch äußere Maßnahmen daraus fernhalten läßt.

Kurzum wurden laut einer Pressemitteilung des Informationsdienst Wissenschaft allgemein in Speisefisch sogenannte "Kritische Naturstoffe" identifiziert, die an ein altes krebserregendes und erbgutveränderndes Umweltproblem erinnern: Polybromierte Kohlenwasserstoffe.

Diese sind seit 2004 EU-weit verboten, nachdem man sogar in arktischen Zonen zweigeschlechtlich veränderte Eisbären und unfruchtbare Seevögel gefunden hatte. Nun wollen Forscher der Universität Hohenheim ähnliche Verbindungen in Speisefischen entdeckt haben, von denen sie glauben, daß der Fisch oder seine organische Nahrungsgrundlage sie produziert:

Zum Teil stehen die Chemikalien im Verdacht, krebserregend zu sein - zum Teil scheinen sie gerade erst das geschätzte Meer-Aroma bei Meeresfrüchten hervorzurufen. In Speisefischen aus Aquakulturen entdeckten Lebensmittelchemiker der Universität Hohenheim erhöhte Werte von polybromierten, organischen Substanzen. Bis 2004 wurden derartige Verbindungen künstlich produziert und als Flammschutzmittel in Produkten wie Armaturenbrettern oder Computergehäusen eingesetzt. Seit zwei Jahren sind die bedenklichsten unter ihnen EU-weit verboten. Doch die aktuellen Substanzen scheinen natürlichen Ursprungs zu sein. Dass sie oft in höheren Konzentrationen auftreten als die gerade verbotenen Schadstoffe, scheint auch eine Folge der Überfischung der Meere zu sein. [...]

So fanden die Forscher vom Institut für Lebensmittelchemie der Universität Hohenheim in Seafood aus Asien, Ozeanien und Europa verschiedene polybromierte Naturstoffe, die mit dem Vorkommen von Algen und Schwämmen in Verbindung gebracht werden konnten.
(idw, 4. Januar 2007)

Besonders erstaunt waren die Hohenheimer Wissenschaftler aber über Testergebnisse von Extrakten, wie etwa Haileberöl oder Algentabletten. Wegen ihrer hohen Konzentration an Eiweiß, Vitaminen und Omega3-Fettsäuren werden diese Nahrungsergänzungsmittel gerade gerne als Mittel gegen alle Alterserscheinungen aber besonders als Vorbeugungsmittel gegen Krebs angepriesen. Dabei wiesen vereinzelte Proben noch höhere toxische Werte auf als die am höchsten belasteten Speisefische.

Während 2005 noch jeder Deutsche laut Deutschem Fischinformationszentrum mit 14,8 Kilogramm fast acht Prozent mehr Fisch als im Vorjahr verzehrte, zumal neben zahlreichen Fleischskandalen die Ernährungsratgeber Fisch immer als den nahrhaftesten Proteinlieferanten propagierten, könne es jetzt, so wird es in der Pressemitteilung angedeutet, zu einer Trendwende kommen. Denn die Forscher fanden im Fett von Seefischen vereinzelt Gehalte von bis zu 1 mg/kg an halogenierten Naturstoffen, die mit den als Flammschutzmittel verwendeten, krebserregenden polybromierten organischen Substanzen fast identisch sind. Und das reicht durchaus, um verwöhnten Verbrauchern den Fisch gründlich zu vermiesen.

Auslöser der aktuellen Forschung waren Kontrollen des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, die bei Proben von Speisefischen aus dem Mittelmeer auf rätselhaft hohe Werte organischer Substanzen stießen. Hilfesuchend wandte sich das Überwachungsamt an den Lebensmittelchemiker der Universität Hohenheim, der nach mehreren aufwendigen Untersuchungen auf die geniale Idee kam, die Stoffe als polybromierte Substanzen natürlichen Ursprungs zu erklären. Obwohl es sich bei den vermeintlichen Naturprodukten durchaus auch um Derivate der früheren Flammenschutzmittel u.ä. handeln könnte, da diese eine sehr lange Verweildauer in der Natur besitzen und im übrigen heute noch in Meeressäugern und vielen Tieren und Menschen gefunden werden, die sich von Fisch ernähren (Inuits, Eisbären usw.), scheint die Identifizierung der neuen Schadstoffe als Naturprodukt besonders perfide. Denn das würde, um den Menschen zu schützen, massive Eingriffe in die Natur rechtfertigen:

"Einige polybromierten Naturstoffe unterscheiden sich nur um wenige Atome von den Chemikalien, die von Menschenhand gemacht wurden", sagt Prof. Dr. Walter Vetter vom Institut für Lebensmittelchemie der Universität Hohenheim. Bislang hatte allerdings niemand damit gerechnet, dass sie sich in Meeresfischen anreichern und so auf dem Teller der Verbraucher landen könnten. Denn eigentlich werden diese Substanzen nur von niederen Organismen wie Algen, Schwämmen oder Würmern produziert, um Feinde abzuschrecken.
(idw, 4. Januar 2007)

Selbst wenn Prof. Vetter mit seiner Vermutung recht hätte, dann ginge diese weitere Vergiftung der Meeresbewohner sowie die Anreicherung der toxischen Stoffe in der Nahrungskette ebenfalls auf die Veränderungen in der Umwelt zurück, die zum einen die Ernährungsgrundlage der Fische auf solche giftproduzierenden Organismen reduziert und zum anderen den Menschen wegen rückläufiger Fischbestände dazu zwingt, Fischzucht in Küstennähe zu betreiben:

Erdgeschichtlich hätten sich diese Verbindungen evolutionär im fein abgestimmten Ökosystem Meer entwickelt und wurden von der Natur bislang im Gleichgewicht der Kräfte gehalten. Auch aufgrund der Überfischung gingen jedoch immer mehr Fischproduzenten dazu über, Fische in eingezäunten Aquakulturen in Küstennähe zu züchten - also genau im Lebensraum von Meeresalgen und Schwämmen, die polybromierte Substanzen erzeugen.
(idw, 4. Januar 2007)

Prof. Vetter ist davon überzeugt, daß frei bewegliche Meeresbewohner wesentlich geringere Gehalte an halogenierten Naturstoffen aufweisen würden. Die Aquakultur kaserniere die Meeresfrüchte dagegen an Orten, wo sie den polybromierten Substanzen konstant ausgesetzt sind - so daß sie vermehrt aufgenommen und im Fettgewebe angereichert werden.

Das alles läßt sich ungestraft behaupten, weil die Übertragungswege, bzw. die Wege der Nahrungskette von Algen, Würmern oder Schwämmen zum Fisch noch gänzlich unerforscht sind. Und auf diesen unerforschten Pfaden könnte der Mensch dann auch mit entsprechenden Manipulationen eingreifen.

Um so mehr wird aber vorerst der Verdacht erhärtet, daß sich die wohlplazierten toxischen Entdeckungen nicht mehr so leicht wegbehaupten lassen und die Nachfrage an Fisch - wie gewünscht - sinken wird, selbst wenn die Wissenschaftler einlenken, daß die bromierten Verbindungen zwar auch im menschlichen Fettgewebe angereichert werden, daß davon aber "eine akute Gefährdung für den Verbraucher ausgehe, könne aber noch nicht gesagt werden":

"Dazu müssen erst umfassende toxikologische Untersuchungen erfolgen. Wir werden das im Auge behalten", bekräftigt der Hohenheimer Wissenschaftler.
(idw, 4. Januar 2007)

Da manche Forscher sich sogar zu der Behauptung hinreißen lassen, diese natürlichen Polybromverbindungen wären letztlich sogar für das jodartige Aroma, den "Meergeschmack" der Meeresfrüchte nötig, haben die Ernährungswissenschaftler quasi das gesamte Spektrum von gut zu böse in der Hand, um den Verbraucher in seinem Fischkonsum nach belieben zu manipulieren bzw. auch hier Ressourcen für eine kleine Elite von Profiteuren zu sichern, die Fisch noch zu schätzen wissen.

Was diese Entdeckungen letztlich für die Meere bedeuten, ist hingegen belanglos. Selbst wenn es gelingt durch eine abnehmende Nachfrage die Überfischung einzugrenzen, während sich derzeit nur wenige Staaten an die poltisch aufoktruierten Fangquoten halten, können doch sämtliche vom Menschen angelegte Schutzmaßnhamen nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig auch der globalen Erwärmung und Übersauerung der Meere Einhalt geboten werden kann. Und das ist äußerst fraglich.

4. Januar 2007