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UMWELTLABOR/192: Quecksilberquelle - Waldbrände auf der Südhalbkugel (SB)


Nun auch auf der Südhalbkugel - Längst vergessene Quecksilberaltlasten werden wieder in der Atmosphäre verteilt


Nachdem sich schon die Wälder Kanadas als Quecksilbersenke entpuppten, die bei der zunehmenden Waldbrandgefahr Massen des giftigen Agens in die Atmosphäre entlassen, belasten laut einer Meldung der dpa vom 1. Juli 2007 und nach Angaben von Mainzer Forschern nun auch Waldbrände auf der Südhalbkugel der Erde die Umwelt in erheblichem Maß mit Quecksilber. Brennende Biomasse setze dort zeitweilig mehr giftiges Schwermetall frei, als man es von Kohlekraftwerken und Müllverbrennung kennt.

Wie wir schon 2006 in dem Bericht NEWS/649: Schöne Grüße aus Kanada - Quecksilberdampf aus Waldbränden (SB) darstellten, hatten Ökologen von der Michigan State University in East Lansing Hochrechnungen für die nordischen Wälder in Kanada und Alaska aufgestellt. Diese Waldgebiete werden seit Beginn der industriellen Revolution mit den Abgasen der Industrieländer belastet.

Quecksilber, das teilweise auch durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe und Kohle, aus Industrieanlagen und Kraftwerken in die Atmosphäre gelangt, wurde bisher durch die Luftzirkulation in die kanadischen Wälder getragen und sammelte sich mit dem Niederschlag in den feuchten Böden Alaskas und Kanadas an. Dort verschwand es regelrecht in der Wildnis, was von Ökologen als eine Art Selbstreinigungseffekt gewertet wurde, ohne daß jedoch ein Atom oder quecksilberhaltiges Molekül wirklich abgebaut oder unschädlich gemacht worden wäre. Die Ökologin Merrit Turetsky von der Michigan State University in East Lansing machte ihre fatalistische Haltung hierzu gegenüber LiveScience deutlich:

"Peat lands have done us a real service by locking up mercury before and during the entire Industrial Age." (LiveScience, 26. August 2006)
(Schattenblick 31. August 2006)

Die Hochrechnungen hatten damals schon die schlimmsten Erwartungen übertroffen, da sich herausstellte, daß gewaltige Ansammlungen an Quecksilber in den Torfgebieten gebunden vorkommen, die jeder Zeit wieder freigesetzt werden könnten:

"We're talking about mercury that has been relatively harmless, trapped in peat for hundreds of years, rapidly being spewed back into the air," Turetsky said. "There is a massive amount of mercury stored in northern peat lands that could soon be mobilized."
(LiveScience, 26. August 2006)

Nun kommen zu dieser tickenden toxischen Zeitbombe offensichtlich auch noch bisher unberücksichtigte brandgefährdete Waldgebiete der Südhalbkugel hinzu, in denen ebenfalls Quecksilber in unvorhersagbaren Mengen lagert.

Das teilte das Mainzer Max-Planck-Institut für Chemie am Montag mit. Über entsprechende Messungen vom Flugzeug aus berichten die Wissenschaftler zusammen mit Kollegen des Instituts für Küstenforschung am GKSS-Forschungszentrum Geesthacht in den "Geophysical Research Letters" (Bd. 34, S. L08813).
(dpa, 1. Juli 2007)

Die Biomasseverbrennung ist hiernach für drei bis elf Prozent des weltweiten Quecksilberausstoßes verantwortlich, was einer Menge von 210 bis 750 Tonnen pro Jahr entspricht.

"Diese Emissionen variieren von Jahr zu Jahr und sind stark saisonabhängig", teilten die Forscher mit. Während der von August bis Oktober dauernden Verbrennungssaison setze brennende Biomasse auf der Südhalbkugel mehr Quecksilber frei als der Mensch.
(dpa, 1. Juli 2007)

Der Vergleich hinkt, da das aus Waldbränden freigesetzte Quecksilber überhaupt erst durch menschliche Initiativen dahin gelangte und die zunehmende Waldbrandgefahr gleichfalls eine Folge menschlicher Zivilisationsbestrebungen ist. Da die Wälder, Steppen und Moore durch den Klimawandel immer mehr Feuchtigkeit verlieren und zunehmend austrocknen, werden sie für spontane Feuer leichter anfällig, die sich dann in urwaldartigen Unterholz besonders schnell zu verzehrenden Bränden ausweiten, Gase (CO2, CO) entwickeln und Umweltchemikalien in die Atmosphäre entlassen. Das bestätigten auch die Mainzer Forscher:

Weltweit gehen nach Angaben der Wissenschaftler etwa drei Viertel des Quecksilbers, das in die Atmosphäre gelangt, auf menschliche Tätigkeiten zurück. Nur ein Viertel stammt aus natürlichen Quellen wie Vulkanen. Obwohl etwa 90 Prozent aller Waldbrände und Brandrodungen auf die Tropen entfallen, sei bislang nicht bekannt gewesen, welche weltweite Bedeutung diese Quecksilberquelle hat, betonen die Forscher. Zwar sei vor fünf Jahren beobachtet worden, dass bei der Verbrennung von Biomasse - etwa bei Wald- oder Savannenbränden - größere Mengen des Schwermetalls frei werden. Diese Messungen hätten sich jedoch auf die Nordhemisphäre beschränkt.
(dpa 1. Juli 2007)

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hatte schon 2005 dazu aufgerufen, den globalen Quecksilberkreislauf besser zu erforschen. Im Rahmen des europäischen Forschungsprojektes Caribic maßen die Forscher im Jahr 2005 bei Linienflügen von Frankfurt nach Chile via Brasilien erstmals die Quecksilber- und Kohlenmonoxid- Konzentrationen in gewaltigen Abluftfahnen. Die Abgase stammten aus großen Waldbränden im südlichen, östlichen und zentralen Brasilien. Für das Projekt Caribic unter Federführung der Mainzer Forscher wurde ein Lufthansa-Airbus im Frachtraum mit einem Meßcontainer ausgerüstet, der 15 empfindliche Instrumente enthält. Das Flugzeug ist weltweit unterwegs.

Quecksilber ist für Umweltschützer ein Reizthema. Das liegt an der langen Tradition von Quecksilbervergiftungen. So kreierte schon 1528 der Ulmer Arzt Johann Stocker jene Mischung, die bis auf unsere Tage von den Zahnärzten als Amalgamfüllung benutzt wird und nach früheren Schätzungen bis heute jährlich 18 Tonnen und mehr Quecksilber "in die Mäuler" stopft.

Zur selben Zeit mischte Paracelsus (1493-1541) Quecksilber in Salben, um damit die Syphilis zu therapieren. Weil bei gefährlichen Erkrankungen gewöhnlich die Meinung vorherrscht, viel hilft viel, sind die obligaten Nervenschädigungen, die wie bei Friedrich Nietzsche der späten Syphilis zugerechnet werden, in Wahrheit möglicherweise chronische Quecksilbervergiftungen oder die Kombination davon gewesen.

Auch wenn heute viele Schutzbestimmungen bestehen und manches, wie quecksilberhaltige Pflanzenschutzmittel und Holzschutzfarben, in Deutschland verboten sind, produziert die Industrie immer noch reichlich quecksilberhaltigen Abfall. Davon gelangt durchaus nur bis zu 10 Prozent in den menschlichen Organismus, wenn das Quecksilber nicht - wie im Falle der Waldbrände oder der Fischbelastung - direkt eingeatmet oder gegessen wird.

Das Umweltgift, das bereits in geringen Mengen zu Gesundheitsschäden führen und dabei Nerven, Nieren und Leber zersetzen kann, ist den neuesten Angaben zufolge inzwischen so weit verbreitet, daß Fische aus den Seen in Skandinavien und Kanada nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet sind. Typische erste Vergiftungserscheinungen durch Quecksilber machen sich als Haarausfall, Hautveränderungen oder Kopfschmerzen bemerkbar. Einiges weist sogar auf ein erhöhtes Krebsrisiko in Zusammenhang mit dem Einatmen oder Verzehr von Quecksilber hin. Darüber hinaus beeinflußt nachweislich Quecksilber das Erbgut und die Fortpflanzung. Viele Zivilisationserkrankungen könnte man also jetzt schon auf diese bisher nicht beachteten Emissionen zurückführen.

4. Juli 2007