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UMWELTLABOR/214: Tabuthema - Abgasgeregeltes Turbograb (SB)


Was am Ende übrig bleibt: Erde zu Erde ... Asche zu Asche ...

Der abgasgeregelte Nachlaß aus dem Turbograb


Die friedliche Ruhe auf deutschen Friedhöfen täuscht. Während Grabinschriften (wie "Hier ruht unser(e) liebe(r) Vater/Mutter ...") und die vorgetragene Feierlichkeit auf Beerdigungen den zufälligen Besucher in dem Glauben lassen, tatsächlich so etwas wie letzte Ruhestätten vor sich zu haben, in denen der Verstorbene von den Hinterbliebenen liebevoll gebettet und gepflegt bis in alle Ewigkeit schlummern darf, streiten sich Institutionen und Behörden um die Verkürzung der Liegezeiten. Daß in unseren übervölkerten Städten mit dem Tod in erster Linie ein Entsorgungsproblem entsteht und daß der geliebte Leichnam für Umweltchemiker beispielsweise eine Art Sondermüll darstellt, wird gewöhnlich hinter Beileidsbekundungen und Blumenkränzen effektiv verschleiert. Von den pragmatischen Aspekten des Todes fühlt sich letztlich jeder unmittelbar betroffen und in seiner noch lebenden Existenz als potentieller Abfall in Frage gestellt, so daß dieses Thema von niemandem gerne öffentlich diskutiert wird. Dennoch gibt es neben Behörden und Umweltschützern schon ganze Berufszweige, die sich darauf spezialisiert haben. So äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung Heinrich Kettler von der Gütegemeinschaft Friedhofsysteme schon vor sieben Jahren zu diesem Thema:

"Auf vielen Friedhöfen verwesen die Leichen nur langsam, und die Ruhestätten werden mitunter knapp."
(SZ, 2. Mai 2001)

Bei einer optimalen, also vollständigen Umsetzung des organischen Materials unter dem Einfluß von Sauerstoff und Mikroorganismen muß ein durchschnittlich schwerer Körper in etwa die gleiche Menge Kohlenstoffdioxid (CO2), mehrere Kilogramm Ammoniak (NH3) und etwa eine Luftballonfüllung Schwefelwasserstoff (H2S) umgewandelt werden. Unter ungünstigen Bodenverhältnissen können aber im gewöhnlichen Erdgrab daneben auch unvollständige Umsetzungsprodukte wie Stickstoffverbindungen oder Methangase (CH4) ins Grundwasser und schließlich ins Trinkwasser gelangen. Selbst wenn es sich dabei nicht um unmittelbar giftige oder schädliche Stoffe handelt, ist wohl allein der Gedanke, sich möglicherweise mit den Verwesungsprodukten von Verstorbenen den Mund zu spülen, nicht gerade angenehm.

Auch das Gegenteil stellt ein Problem dar: So kann sich die Zersetzung, bei der vor allem körpereigene Enzyme und Bakterien das Gewebe auflösen, im Erdreich je nach Bodenbeschaffenheit auch sehr stark verlangsamen oder sogar in feuchten Böden - etwa durch hohe Grundwasserspiegel, durch Stauwasser bei lehmigem Untergrund oder saure moor- oder torfhaltige Böden - manchmal fast völlig zum Stillstand kommen. Sogenannte Wachsleichen entstehen dann. Diese werden durch veränderte Fettsubstanzen wie durch eine Wachshülle konserviert und können auch auf manchen Friedhöfen viele Jahrzehnte überdauern. Sie werden erst dann zum Problem, wenn die Grabstelle von den Hinterbliebenen nicht weiter gemietet wird, verwaist oder neu besetzt werden soll.

Wie stark Friedhofsböden tatsächlich mit Umweltschadstoffen aus Verwesungsprodukten belastet sind, ist inzwischen ein aktuelles Forschungsziel von Bodenkundlern und Umweltwissenschaftlern. Aus bodenkundlicher Sicht sind Friedhöfe immer noch eine Art Terra incognita.


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Um eine kontrolliertere Verwesung zu gewährleisten und gleichzeitig auch das Platzproblem optimal zu lösen, wurden unlängst Betonkammern vorgeschlagen, die mit schlichter Bautechnik (d.h. Entlüftungs- und Drainagesystemen) für eine raschere und gründlichere Zersetzung sorgen sollen. In der Stadt Köln, die ihre Friedhöfe demnächst mit rund 700 neuen Betongrüften bestücken will, und deren Bürger dafür berüchtigt sind, kein Blatt vor den Mund zu nehmen, hat die verläßlich beschleunigte Leichenentsorgung schon einen Spitznamen: Das "Turbograb".

Die im Boden versenkten Betongehäuse bieten vor allem einen technischen Vorteil, glauben die Hersteller. In ganz Deutschland soll es inzwischen schon etwa 15.000 dieser Spezialgräber geben, für die das Deutsche Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung (RAL) nun sogar ein Gütezeichen eingeführt hat.

So weit so gut, doch statt nach einfachen, umweltschonenden und preiswerten technischen Verwirklichungen zu forschen, wittert nun das marode Deutsche Baugewerbe für die beteiligten Firmen einen noch ungesättigten neuen Markt. Laut Süddeutscher Zeitung würden in Deutschland mit Grabkammern bisher zwar knapp fünf Millionen Mark jährlich umgesetzt, doch habe die gesamte Bestattungsbranche einen Jahresumsatz von 18 Milliarden - was auch das Grabkammergewerbe auf Wachstum spekulieren läßt. Diese Einstellung läßt vermuten, daß der neue Bauboom auf Friedhöfen möglicherweise mehr Schaden durch Bodenarbeiten und neue Materialien verursacht, die wiederum durch industrielle Verfahren hergestellt werden müssen (chemische Industrie), als daß tatsächliche Umweltvorsorge damit möglich wird.

Angesichts der Tatsache, daß den wichtigsten Faktor der neuen "Turbo"- Kammern eigentlich die Belüftung ausmacht, die durch ausreichende Luftsauerstoffzufuhr die Verwesungsprozesse beschleunigt, so sind auch andere Konzepte denkbar, die das gewährleisten. Daß solche Lösungen wie entsprechend haltbare Särge, bei denen Belüftungssysteme für eine Zufuhr von ausreichend Außenluft sorgen, sowie Filtersysteme Gerüche und Abgase abfangen oder auch nur Drainagerohre, die die Bodenverhältnisse entsprechend trocken und locker halten, nicht ebenfalls zur Sprache kommen, zeigt, daß hier wohl nicht der sorgsame Umgang mit Umweltressourcen wie Luft und Grundwasser im Vordergrund stehen, sondern das Geschäft.

Auch die Friedhofsverwaltungen haben vor allem zwei Vorteile im Blick: Da sich nach einer Bestattung der Erdboden über der Betongruft nicht - wie sonst häufig - absenkt, können die Kosten für anfallende Friedhofsarbeiten viel geringer kalkuliert werden. Und für Interessenten und ihre Angehörigen sei die verkürzte Liegezeit angenehm überschaubar. Besser gesagt läßt sich das Terrain in kürzeren Zeiträumen an mehrere Klienten "vermieten".

Während ein toter Organismus im Freien schon nach wenigen Wochen verwest ist, sollen die "kontrollierten" Umsetzungsprozesse in den dafür speziell eingerichteten "Turbograbkammern" laut Hersteller allerdings auch erst nach zwölf Jahren abgeschlossen sein. Mineralische Bestandteile wie das Knochenskelett und Zähne müssen dann immer noch "entsorgt" bzw. umgebettet werden, damit die Kammer als Einzel- oder Doppelstockgrab mindestens fünf Mal wiederverwendet werden kann, ehe sie ihre Haltbarkeit von 60 Jahren überschreitet. Auch das ist, angesichts der nötigen Mengen an Beton, Kalk und Mörtel für den Bau entsprechend stabiler Kammern doch eine recht kurze Lebensdauer.

Daß die Turbotechnik trotz verständlicher Umweltaspekte nicht jedermanns Geschmack ist, läßt sich denken. Es ist anzunehmen, daß sich derartige Grabkammern wohl kaum in allen Teilen des Landes durchsetzen lassen.

Zum einen werden Friedhöfe generell auf unproblematischen Böden angelegt, zum anderen wählten viele Menschen vor allem in Ost- und Norddeutschland, die sich mit diesen Problemen vor ihrem Ableben überhaupt auseinandersetzen würden, ohnedies eine Feuerbestattung, mit der dann auch die Entsorgung der mineralischen Bestandteile befriedigend, zeit- und platzsparend, kurzum: optimal gelöst wäre.

Wäre dann nur noch die geringfügige Atmosphärenbelastung mit etwa 60 Kilogramm CO2, 3 Kilogramm Ammoniak (NH3) sowie gut hundert Gramm Schwefelwasserstoffgas (H2S, das schon in geringen Spuren den typischen Geruch nach faulen Eiern verbreitet) für den vorbildlich geregelten Nachlaß zu bedenken.

Erstveröffentlichung Januar 2002

27. Februar 2008