Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

UMWELTLABOR/236: Formaldehyd (2) Gefahr gebannt... (SB)


Wer hat Angst vor Formaldehyd? - Aberglaube und Gegenmittel (Teil 2)

Formaldehyd ist ein ubiquitär vorkommendes Naturprodukt


Formaldehyd ist eine farblose und bei Zimmertemperatur gasförmige Substanz mit stechendem Geruch. Dieser entsteht dadurch, daß das Aldehyd mit dem Luftsauerstoff automatisch zu Ameisensäure weiteroxidiert. Diese Reaktion, die im übrigen an allen Oberflächen stattfindet, auch an Membranen, ist der Grund für die außerordentlichen, desinfizierenden Eigenschaften des Stoffes. Selbst Schimmel und andere Pilze können die Perforation ihrer Außenmembran durch Ameisensäure und die nachfolgende Austrocknung nicht überleben.

Formaldehyd gehört zu der natürlichen Biochemie unseres Planeten

Seit die Erde besteht, wird ständig Formaldehyd erzeugt und in die Luft abgegeben (u.a. bei photochemischen Vorgängen in den Pflanzen und als Zwischenprodukt beim Stoffwechsel des Menschen). Es ließe sich daher aus der normalen Umgebungsluft (mit oder ohne Preßspanmobiliar, Holzpuzzle o.a. in Verruf gekommenen, "formaldehydverseuchten" Gegenständen) selbst mit drastischsten Maßnahmen oder Verboten gar nicht entfernen. Und den Menschen hat es offenbar bisher nicht in seiner Entwicklung gestört.

Der umstrittene Stoff kommt in vielen Pflanzen, in Obst und Gemüsen und natürlich im Holz vor. Allein ein einzelner Apfel enthält schon bis zu 7 mg (entsprechend 22 mg/kg) davon.

Formaldehyd bildet sich außerdem bei unvollständigen Verbrennungen und ist somit ein Bestandteil der Verbrennungsgase, die von Kraftfahrzeugen, Heizungen, Gasherden und Zigaretten ausgehen. Die weitaus größten Mengen an Formaldehyd gelangten früher außerdem durch Kraftfahrzeuge ohne Katalysator in die Umwelt. Dafür sind die Höchstwerte aus einer stärker formaldehydbelasteten Zeit vor etwa 20 Jahren in der Luft relativ gering. Sie betrugen:

- über den Meeren 0,005 ppm
- in ländlichen Gebieten bis 0,012 ppm
- in deutschen Städten mit normalem Verkehr bis 0,016 ppm
- in deutschen Städten bei starkem Verkehr bis 0,056 ppm


(ppm = "parts per million", d.h. 1 ppm entspricht einem Teil Formaldehyd in einer Million Teile Luft).


Höchstwerte

Solche Werte liegen weit unter den Konzentrationen, in denen Formaldehyd für den Menschen wahrnehmbar wird. Beim Einatmen des reinen Stoffes reizt es Augen und Nase auf sehr unangenehme Weise. Die untere Grenze, ab der diese Reizungen bemerkt werden, liegt etwa bei 0,3 ppm, einem Wert, der noch nicht als gesundheitlich bedenklich gilt. Formaldehyd enthält daher schon in sich selbst eine spürbare Warnung, denn ehe man sich einer gesundheitlich bedenklichen Konzentration aussetzt, hält man es gar nicht mehr aus.

In der Bundesrepublik gelten allerdings schon seit den 70er Jahren strengste Vorschriften für den Umgang mit dem konzentrierten Reizstoff. So dürfen seit 1971 die maximal zulässige Arbeitsplatzkonzentration, der sogenannte MAK-Wert für Formaldehyd 1 ppm nicht überschreiten. Das entspricht 1 Kubikzentimeter Formaldehyd auf 1000 Liter Luft.

Für Wohn- und Aufenthaltsräume empfiehlt das Bundesgesundheitsamt seit 1977 einen oberen Grenzwert von 0,1 ppm Formaldehyd. Dieser Grenzwert stelle laut BGA sicher, "daß selbst minimale Schadstoffmengen trotz langer Einwirkung nicht zu gesundheitlichen Risiken führen".

Aufgrund seines schlechten Rufs gehört Formaldehyd zu den toxikologisch mit am besten untersuchten Chemikalien. So weiß man beispielsweise, wenn in einem schlechtgelüfteten, kleinen Raum von etwa 30 Kubikzentimeter fünf Zigaretten geraucht werden, daß man dadurch allein eine Formaldehydkonzentration von bereits 0,23 ppm erreicht. Dies ist mehr als das Doppelte des oben genannten Grenzwertes von 0,1 ppm.

Trotz der mit Sicherheit unangenehm reizenden Begleiterscheinungen des konzentrierten Reinstoffs, konnten seine kanzerogenen Eigenschaften nie vollständig bestätigt werden.

Die Angst und die Unsicherheit vor Formaldehyd hat sich auch nach 30 Jahren immer noch gehalten. Selbst bei der Kennzeichnung von Produkten, die früher Formaldehyd enthielten, wird inzwischen speziell darauf hingewiesen, daß in diesen Mitteln garantiert kein Formaldehyd mehr enthalten ist.

In den Krankenhäusern muß es allerdings wieder vermehrt zur Desinfektion eingesetzt werden, denn durch die zunehmende Resistenzentwicklung von Krankenhauskeimen, greift man bei der Desinfektion von Räumen, Oberflächen und Geräten auf Altbewährtes zurück.

Doch kaum einer ahnt, daß die Zuckerindustrie nie aufgehört hat, das Bakterienwachstum bei der Saftgewinnung ausgerechnet mit diesem umstrittenen Stoff zu unterdrücken. Was der Verbraucher nicht weiß, schadet ihm offenbar auch nicht?

Bei der Handhabung des Stoffes ist allerdings Vorsicht geboten. Bringt man im Reagenzglas etwas Formalin mit dem Eiweiß eines ungekochten Hühnereis zusammen, so gerinnt es zu einer festen Masse. Formaldehyd härtet bzw. denaturiert Eiweißstoffe, deshalb verwendet man es auch in der Gerberei zum Härten des Sohlenleders gleichzeitig als Konservierzusatz zur Gerbungsflüssigkeit und in der Zoologie zum Härten von Weichtierpräparaten wie Schnecken, Muscheln usw. Abgesehen davon, daß man es ohnehin nicht fertigbringen würde, einen Schluck aus der Flasche zu nehmen, wäre es hiernach auch nicht ratsam, denn es würde zur Verätzung der Schleimhäute führen.

Seine Fähigkeit, Leim und Gelatine nahezu unlöslich zu machen, führte zu seiner Anwendung in der Textil- und Druckindustrie als Imprägniermittel für Stoffe, sowie als Fixiermittel für Leim und Kleister. Außerdem erhöht Formaldehyd die Farbechtheit von Textilien. In der Metallindustrie findet man den Stoff als Korrosions-Inhibitor und als Hilfsmittel bei der Verspiegelung sowie Elektroplattierung. Es gibt somit kaum einen industriellen Zweig, in dem man nicht mit Formaldehyd in Berührung kommt und kaum einen Haushalt, der frei von formaldehydhaltigen Produkten wäre.

Das macht es nicht gerade leicht, ausgerechnet Krebserkrankungen mit diesem ohnedies ubiquitär vorhandenen Stoff in Verbindung zu bringen. Es sei denn, man mache ohnehin diesen kleinsten aller Aldehyde zum Generalauslöser aller Tumorerkrankungen, denn jeder Mensch ist im Laufe seines Lebens Formaldehyd ausgesetzt, selbst wenn er nur einmal einen Apfel gegessen hat.

Gesundheitliche Beeinträchtigungen, die durch das Einatmen des ätzenden, gasförmigen Stoffes entstehen, sind allerdings ernst zu nehmen, und daher müssen bei der industriellen Verarbeitung obengenannter Produkte anfallende formaldehydhaltige Lösungen wie die Umgebungsluft laufend überprüft werden.


Mögliche Gegenmaßnahmen

Da Formaldehyd ein natürliches Stoffwechselprodukt ist, lassen sich durchaus Möglichkeiten denken, seinen Gehalt in der Umgebungsluft zu reduzieren. Bestimmte Zimmerpflanzen wie Aloe barbadensis (ein Liliengewächs) können schon bis zu 90 Prozent des Formaldehyds in der Raumluft abbauen. Aloe wird nur noch vom Schwertfarn übertroffen, der wie alle Farngewächse nicht so leicht zu pflegen ist.

Efeu, Efeutute, Chrysanthemen, Arecapalmen, Grünlilien und Zwergdattelpalmen eignen sich ebenfalls als grüne Luftfilter und bauen darüber hinaus je nach Vorliebe in mehr oder weniger starkem Maße auch Kohlenmonoxid, Benzol, Nikotin, Xylol und Toluol ab. Eine Fensterbank mit Gewächsen dieser Art sollte ausreichen, die Raumluft von ausdampfenden Chemikalien aus Leder und Holz zu befreien und die Angst vor Vergiftung dämpfen. Schließlich ist auch Angst ein nicht zu unterschätzender Faktor bei der Tumorentstehung.

31. Oktober 2008