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UMWELTLABOR/256: Pyrrolizidinalkaloide (1) Neues Gift oder alter Krimi? (SB)


Sind Gemeines Greiskraut und Jakobskreuzkraut zu Unrecht in Verruf?

Verdachtsmomente...


Alle Jahre wieder, so scheint es zumindest, geraten gemeine Feld-, Wald- und Wiesenkräuter, die viele Jahre als relativ unbedeutende oder harmlose Naturarzneimittel gesammelt und verwendet wurden, in den Verdacht, die Umwelt und ihre Lebewesen zu vergiften. Dieses Jahr ist es das Jakobskreuzkraut, das wegen verschiedener Vergiftungsvorfälle und dem Vorwurf, seine Inhaltsstoffe könnten schwere Leberschäden verursachen, in den Mittelpunkt des Interesses gerückt ist.

Neben der in der Öffentlichkeit geschürten Furcht, neue Giftpflanzen seien im Vormarsch [aktuell dazu im SB unter Umwelt\Fakten/Forschung veröffentlicht: FORSCHUNG/552: Gefährliche Giftpflanze auf dem Vormarsch (idw)], melden sich Gegenstimmen wie die des aktiven BUND- Mitglieds Diethelm Schneider, Kreisgruppe Bonn, der in seiner Stellungnahme zum Thema den Warnern vor Jakobskreuzkraut, Greiskraut u.a. pyrrolizidinalkaloidhaltigen Pflanzen unterstellt, sie suchten nur einen Vorwand, um ökologisch sinnvolle Maßnahmen wie Herbizidverbote in Frage zu stellen [siehe auch im SB unter Umwelt\Fakten/Verband VERBAND/338: BUND-Kritik an Pressemitteilung der Uni Bonn "Gefährliche Giftpflanze ..." (BUND Bonn)].

In einem Rundschreiben an die Medien bezichtigte er unlängst die Herausgeber von Pressemitteilungen, in denen Todesfälle von Pferden mit dem Verzehr von Jakobskreuzkraut in Verbindung gebracht werden, der Falschmeldung und Lüge. Auf seine Anfrage am 3. Juni an die Landwirtschaftskammer NRW über ihre Erfahrung mit Todesfällen von Pferden in diesem Zusammenhang sei ihm folgende Antwort erteilt worden:

- Im Zuständigkeitsbereich der Landwirtschaftskammer sind bisher KEINE Vergiftungsfälle bei Pferden bekannt. - Jakobskreuzkraut stellt KEIN Problem dar; allenfalls kann es zu einer Zunahme auf Weiden bei Hobby-Pferdehaltern kommen, die durch Überweidung vermehrt Trittschäden auf der Weide haben und kein vernünftiges Weidemanagement machen. Jakobskreuzkraut lässt sich aber leicht durch Ausreißen bekämpfen. In der gewerblichen Grünlandwirtschaft ist Jakobskreuzkraut bisher KEIN Problem.
(Rundschreiben per E-Mail, Diethelm Schneider, vom 5. Juni 2009)

Darüber hinaus machte er darauf aufmerksam, daß ähnlich lautende Meldungen über die Schädlichkeit von pyrrolizidinalkaloidhaltige Pflanzen seit 2006 von Dr. Helmut Wiedenfeld regelmäßig verschickt würden, die schon an 11.700 Stellen im Internet zitiert oder übernommen wurden. Auch andere Stellungnahmen wie die von NABU Münster im November 2008, hätten keine Vergiftungsfälle von Pferden im Bezirk Münster bestätigen können.

Doch was wäre der Grund für wissenschaftlich gestützte Fehlinformationen? Reine Sensationsgier, ein Mangel an besseren oder interessanteren Nachrichten oder die Absicht mit angstmachenden Meldungen von weitaus schlimmeren umweltrelevanten Tatsachen abzulenken.

Mögen auch manche Medienberichte zu pyrrolizidinalkaloidhaltigen Kräutern überspitzt und der versehentliche Verzehr der schlecht und vor allem bitter schmeckenden Pflanze bei gesundem Menschen- und Tierverstand ohnehin ausgeschlossen sein, so sind die Argumente dahinter doch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Mit den vermeintlich als einseitig entlarvten Zitationen von Wiedenfelds Veröffentlichungen hat es durchaus seine Berechtigung, denn das wird gemeinhin mit allen wissenschaftlichen Studien getan.

Als Adressat derartiger Bezichtigungen befindet sich Wiedenfeld durchaus in guter Gesellschaft. Schon das Bundesgesundheitsamt (BGA), seines Zeichens selbständige Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit und offiziell mit der Wahrnehmung überregionaler Aufgaben auf dem Gebiet der Gesundheitspflege betraut, also in diesem Rahmen für die Zulassung und das Verbot von Arzneimitteln zuständig, stand schon im Kreuzfeuer der Kritik, als es am 10. August 1988 auf einen Verdacht hin das Ruhen der Zulassung von 2500 Naturheilmitteln beschloß. Damals waren ebenfalls Inhaltsstoffe von Arzneien, die seit Jahrhunderten bewährte Pflanzen wie Huflattich, Borretsch, Pestwurz, Beinwell und Kreuzkraut enthielten, laut BGA in den Verdacht geraten, die Leber zu vergiften und Krebs auszulösen. Auch hier handelte es sich um Stoffe aus der Gruppe der Pyrrolizidinalkoloide.

Kritische Stimmen behaupteten, die Bevölkerung würde von mächtigen Interessenverbänden und Behörden systematisch um die hochwirksamen Heilkräfte und Therapiemethoden der Natur-Medizin gebracht, um den Arzneimittelmarkt mit wirksameren, aber auch schädlicheren Medikamenten zu überschwemmen. Das BGA wurde als Handlanger und williges Werkzeug der Pharma-Mafia beschimpft. Und selbst das scheint alles durchaus schlüssig, zieht man die damaligen Kritikpunkte in Betracht:

Im Schreiben des BGA an die betroffenen Hersteller stand gegen Ende der Aufzählung von zwölf bis 31 Jahre zurückliegenden und bis dahin als unerheblich gewerteten Schäden durch pyrrolizidinalkaloidhaltige Humanarzneimittel nur der lapidar anmutende Satz:

"... In jüngster Zeit ist über den Todesfall eines Neugeborenen infolge einer venooklusiven Erkrankung (Bud-Chiari-Syndrom) berichtet worden, nachdem die Mutter Huflattich-haltigen Tee während der Dauer der Schwangerschaft getrunken hatte ..."
(Roulet, M. et al, joumal of Pediatrics, 112, 433, [1988])

Nach Angaben seiner Kritiker wurde vom BGA und auch in den späteren Berichten der Medien jedoch verschwiegen, was die Wissenschaftler Roulet, Laurini, Rivier und Calame von der Universität Lausanne noch zum Fall des gestorbenen Säuglings geschrieben hatten und was durchaus die vermeintliche Todesursache "Huflattich-Tee" infrage stellen konnte:

- Die Mutter des Säuglings war drogensüchtig und nahm längere Zeit über, angeblich nur bis vor ihrer Schwangerschaft, Haschisch und halluzinogene Pilzdrogen ein. Diese Pilzdrogen wirken, so räumen die Verfasser ein, leberzerstörend.

- Die fetale und kindliche Leber ist wesentlich resistenter als die Erwachsenenleber. Seltsamerweise war die Leber der Mutter nicht geschädigt...

- Der "Huflattich-Tee" war ein Teegemisch aus zehn verschiedenen Pflanzen. Der Anteil des Huflattichs betrug dabei nur neun Prozent. Die übrigen neun beteiligten Pflanzen wurden in dem Artikel weder bezeichnet noch einer kritischen Prüfung unterzogen. Nach neuesten Meldungen ist es gar nicht sicher, ob überhaupt Huflattich im Teegemisch enthalten war.
(aus: Dokumentation von Stellungnahmen und Diskussionen zur Verabschiedung der 10. AMG-Novelle, http://www.zdn.de/novelle/buch.htm)

Nun, sollte der Verdacht, das BGA habe 2500 Arzneimittel wegen fadenscheiniger Beweise aus dem Verkehr gezogen, auf Tatsachen beruhen, dann hätte dieser "Skandal" wohl schon längst größere Wellen geschlagen. Warum er aber auch nach 20 Jahren bei geringfügigen Anlässen immer wieder an die Oberfläche schwappt und sich der Eindruck hält, es seien damals wie heute wichtige Informationen verschwiegen worden, liegt daran, daß die wissenschaftliche Beweislast so umfangreich wie widersprüchlich ist, daß es Wissenschaftlern wie Journalisten äußerst schwer fällt, einen eindeutigen Standpunkt dazu zu entwickeln.

Ausreichend Gründe also für den Schattenblick, die fraglichen Hintergründe im einzelnen näher aufzuzeigen, so daß sich der Leser selbst ein Bild machen kann.

Fortsetzung folgt.

10. Juni 2009