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UMWELTLABOR/281: Unbarmherzig, unbedacht - Kreidestimmen der Regierung (Teil 1) (SB)


Neuer Gesetzesentwurf ermöglicht in Deutschland mehr Fracking als jemals zuvor ... 1. Teil



Nach der augenblicklichen Gesetzeslage ist eine umstrittene Fördermethode in Deutschland immer noch ganz ohne große Umweltauflagen möglich: Fracking. Ein jüngeres Beispiel dafür, über das der Schattenblick berichtete, sind die vorbereitenden Stimulations-Aktivitäten in "Barth 11", mit denen das deutsch-kanadische Unternehmen Central European Petroleum (CEP) am 16. Juni 2014 in Saal (Mecklenburg - Vorpommern) begonnen hat. [1] Hier wird bereits nach über drei Jahren Ruhepause wieder nach Erdöl gebohrt. Von diesem Bohrplatz aus sollen zehn sogenannte abgelenkte Bohrungen betreiben werden, bei denen sich der Bohrkopf zunächst bis in eine Tiefe von 2.700 Meter in das Gestein fräst und dann weiter in einer Horizontalstrecke von 1.000 Metern, von denen sich laut einer Modellrechnung horizontale und vertikalen Risse bis zu 70 Metern ausbreiten könnten. Im Juni hatte das Unternehmen bereits erstmals 150 Kubikmeter (150.000 Liter) von einer mit Wasser, Sand und Chemikalien vermengten Flüssigkeit (CleanStim ® [2]) in das Bohrloch gepumpt, um das Gestein aufzubrechen. Dies wird gemeinhin als "Fracking" bezeichnet.

Der CEP-Pressesprecher bezeichnet dieses Verfahren als "hydraulische Stimulation", um das Vorhaben bei der Bohrung Barth 11 von "gewöhnlicher Schiefergasförderung" abzugrenzen. Ihr Hauptargument: Die Erdöllagerstätte in der Boddenlandschaft liegt nicht im Schiefergestein, sondern im Zechsteinkarbonat. Das ändert allerdings nichts an den Begleiterscheinungen, die das hydraulische Aufbrechen von geeigneten Gesteinsschichten und die ökonomische Nutzung der dort eingeschlossenen, fossilen Energieträger mit sich bringt. Läuft alles nach Plan, werden nach der 10. Bohrung insgesamt 1.500.000 Liter Frackingfluid in den Untergrund "injiziert" worden sein, unter eine Landschaft, die 800 Meter vom Naturschutzgebiet Barther Bodden entfernt und in der Mitte von zahlreichen weiteren FFH-Gebieten liegt, wie das Barther Stadtholz, das Hohe Ufer zwischen Ahrenshoop und Wustrow, die Halbinseln Zingst u.a.m.

Ein geplantes Fracking-Gesetz, das dieses Vorhaben in der Nähe des Nationalparks Vorpommersche Boddenlandschaft hätte verhindern können, lag längere Zeit aufgrund regierungsinterner Unstimmigkeiten auf Eis. Inzwischen wurde es zu einem neuen Gesetzesentwurfkompromiß umformuliert und am 20. November 2014 vom Bundesumweltministerium vorgestellt. Wie von vielen Kritikern und einigen Umweltverbänden bereits im Vorfeld befürchtet, hat dieser neue Entwurf mit einem Verbot der umstrittenen und extrem umweltgefährdenden Technologie überhaupt nichts mehr gemein, mehr denn je wurde der Vorschlag zu einem Fracking-Ermöglichungsgesetz daraus. [3] Nur wenige Zugeständnisse sollen den Widerstand der Öffentlichkeit abdeckeln, die vor allem um das Trinkwasser besorgt ist.

Frackingvorhaben in Naturschutz- und Trinkwasserschutzgebieten sowie im Einzugsbereich von Talsperren und Seen, die für die Trinkwasserversorgung von Bedeutung sind, sollen deshalb strikt verboten werden. Auch würden bei dieser Art der Gas- und Ölgewinnung umwelttoxische Substanzen ausgeschlossen werden. Doch das ist auch schon alles und darüber hinaus noch eine Frage der Auslegung. Denn Fracking ohne Chemie ist ein Widerspruch in sich. [4]

Das von Bundesumweltministerin Barbara Hendricks befürwortete Gesetzesmodell steckt im Grunde nur noch die Grenzbereiche ab, in denen in Zukunft durchaus ohne Einschränkung gefrackt werden könnte: unterhalb von 3.000 Metern nämlich. Obwohl die meisten Lagerstätten in Deutschland oberhalb von 3.000 Meter vorkommen, bedeutet das noch lange nicht, daß Fracking damit ausgeschlossen wäre: In Ausnahmefällen, über die ein Gremium aus sechs Experten entscheiden wird, wird kommerzielles Fracking durchaus auch in diesen Lagen noch genehmigt werden. Nach einem positiven Votum der Kommission oder nachdem die Experten entsprechende Empfehlungen oder Auflagen an die zuständigen Genehmigungsbehörden der Länder abgegeben haben, gilt eine Ablehnung als unwahrscheinlich, hieß es. [5]

Probebohrungen wären ohnehin von dieser Regelung ausgenommen, obgleich auch für Probebohrungen und sogenannte Fördertests, um die Ergiebigkeit der Lagerstätte zu testen, bereits Fracking, bzw. die "hydraulische Stimulierung" des vorhandenen Erdöls, zum Einsatz kommen muß. Sollte dieses Gesetz verabschiedet werden, heißt das, mit Ausnahme einiger Landschaftsgebiete und unter bestimmten Wasserschutz-Auflagen könnte auch in Deutschland in Zukunft mehr gefrackt werden, als je zuvor.


Was heißt das für das Wasser?

Der in Barth 11 eingesetzte Fracking-Juice (Frackingsaft), wie der Hersteller Halliburton seine Stimulations-Fluide bezeichnet, erfülle beispielsweise alle Auflagen, die an ein "sauberes Fracking" gestellt werden. Er soll zwar nicht "zum menschlichen Verzehr" bestimmt, aber doch völlig untoxisch sein, wie auf den Kanistern ausgewiesen wird. Halliburton hat nach eigenen Angaben sämtliche toxischen Stoffe entnommen und sie mit entsprechend wirksamen Produkten ersetzt, die u.a. in der Lebensmittelindustrie verwendet werden. Zum Beweis wurden einige Top-Manager des Konzerns dazu verpflichtet, die Mixtur (CleanStim ®) öffentlich zu sich zu nehmen, die man zu Werbezwecken in Champagnerflaschen abgefüllt hatte und auch den interessierten Schaulustigen anbot. Den säuerlichen Minen nach zu urteilen [6], war den Akteuren die Mischung aus Gelbildnern, Quervernetzern, Tensiden und dem allergienauslösenden Brecher Hemicellulase vielleicht doch nicht ganz so sympathisch, wie sie es darstellen wollten. Vielleicht gab es dem einen oder anderen doch zu denken, welche chemischen Zusätze in industriell gefertigten Lebensmitteln an der Tagesordnung sind. Das klingt gar nicht gut: Enthalten sind darin 0,35 Prozent Natrium-Carboxymethyl-Cellulose (als Lebensmittelzusatz E466 zugelassen), ein Waschmittelzusatz, Bindemittel, Verdicker und Bohrhilfsmittel bei Erdölbohrungen, 0,02 Prozent Schwefelsäure (als Lebensmittelzusatz E513 in geringen Konzentrationen zugelassen), das in höheren Konzentrationen extrem ätzend wirkt, Aluminiumsulfat (als Lebensmittelzusatz E520 in geringen Konzentrationen zugelassen), das mit zahlreichen Befindlichkeitsstörungen und als Krankheitsauslöser für die Alzheimer Krankheit in Zusammenhang gebracht wird, Isopropanol (kein Lebensmittelzusatz!), das bekanntlich narkotisch, toxisch, haut- und schleimhautreizend ist, und schließlich Hemicellulase, die im Verdacht steht, allergisches Asthma auszulösen. Wie gesundheitsschädlich diese Stoffe für Mensch und Tier sind, ist einzig eine Frage der Konzentration.

Für Bernd Ebeling von der BI Uelzen [7], mit dem der Schattenblick anläßlich einer Kundgebung vor dem Bohrloch Barth 11 in Saal am 24. Mai 2014 sprach, sind solche oder noch weniger toxische Substanzen nur Politik. Denn ganz gleich wieviel Umwelttauglichkeit auch immer einem Verfahren bescheinigt wird, jedes Fracking bringt das Verpressen von mindestens 150 Kubikmeter Frack-Flüssigkeit in den Untergrund mit sich, damit Öl und Gas gelöst werden inklusive dem im Untergrund enthaltenen Lagerstättenwasser, und das sei das eigentliche Problem. Während die verpreßten Chemikalien nach kurzer Zeit gar nicht mehr nachweisbar seien, sei das hochtoxische Lagerstättenwasser - eine schwerwiegende Umweltverschmutzung, die sich nicht verhindern läßt - die eigentliche Gefahr für die Umwelt. Es gäbe somit gar kein sauberes Fracking.

Der Bundestagsabgeordnete Andreas Mattfeldt (CDU) aus Niedersachsen, ein Bundesland, das durch das Fracken in Sandgestein (Tight-Gas) bereits seit Jahren im Sinne des Wortes gebeutelt ist, sieht diesbezüglich keine Verbesserung in dem neuen Gesetzentwurf zum Fracking. Das Problem des Lagerstättenwassers würde hierin überhaupt nicht berücksichtigt. Es fehle auch ein Verbot, mit dem das anschließende Verpressen dieses hochtoxischen Gemisches verhindert würde. Anders gesagt, die gängige Praxis, das giftige Brauchwasser aus dem Förderprozeß im Erdreich oder Boden künstlich zu verklappen, die Bernd Ebeling und die BI Uelzen in Niedersachsen bekämpfen, wäre nach wie vor möglich. Allein in Niedersachsen gibt es etwa 50 Versenkbohrungen für Lagerstättenwasser aus der Gas- und Ölförderung. Millionen Kubikmeter Lagerstättenwasser wurden und werden in Tiefen zwischen 300 und 1.100 Metern Tiefe "entsorgt". Mit dem Regenwasser könnten diese Frackingrückstände auch irgendwann ins Grundwasser ausgewaschen werden.

Lagerstättenwasser ist ein natürlicher Bestandteil in Erdöllagerstätten und wird mit dem Öl und Gas aus dem Untergrund gefördert. Je nach Förderstelle und Gesteinsbeschaffenheit können in diesem Lagerstättenwasser neben stark salzhaltigen Lösungen, Kohlenwasserstoffen wie Benzol, Toluol, Ethylbenzol und Xylol (kurz BTEX), auch andere Stoffe wie Quecksilber, Blei oder je nach Gesteinsformation auch natürlich vorkommende, schwach radioaktive Stoffe, sogenannte NORM-Teilchen, enthalten sein. Das fällt immer an, unabhängig davon, ob gefrackt oder konventionell gefördert wird, erklärte Bernd Ebeling dem Schattenblick. [7] Die hochtoxische Flüssigkeit müßte eigentlich aufbereitet und sicher entsorgt werden, auch wenn das Kosten verursacht. Auf gar keinen Fall dürfte sie einfach in die Tiefe gepumpt werden.

Neben dieser eigentlich bereits bekannten Gefahr wird das Grundwasser - oder Wasser schlechthin - auch von weniger offensichtlichen Seiten im Zusammenhang mit Fracking bedroht. So spielt man die unkontrollierbare, aber technisch auch nicht vermeidbare Rißbildung, die sich auf die Bereiche des Bodens oder umliegende Gebäude ausdehnt (die eigentlich gar nicht gefrackt werden sollen) und die eine natürliche Reaktion des Untergrunds auf das Verpressen von Flüssigkeit ist, von Befürwortern der Förderung nach wie vor herunter. Fragen im Zusammenhang mit möglichen Kontaminationen des Grundwassers mit Kohlenwasserstoffen, die aus der Erdölförderung stammen, lassen sich daher aber auch bisher nicht pauschal negativ beantworten. Die Zusammenhänge sind hierzulande vor allem durch den frackingkritischen Dokumentarfilm "Gasland" des Filmemachers Josh Fox bekannt geworden, der aus dem Hahn fließendes "Trinkwasser" zeigt, das sich auf Grund seines Methangehaltes anzünden läßt. Über die Wege und Kavitäten, die zufällig entstehen könnten, um Gas mit Wasser zu vermischen, wird viel spekuliert. Auch natürliche Quellen des ins Wasser ausgasenden Methans werden als Gegenposition aufgestellt. Indem Fracking in der Nähe von Wasseradern verboten werden soll, will man verhindern, daß sich etwas derartiges im dichtbesiedelten Deutschland wiederholt. Ob das reicht, wird sich wohl erst in der Praxis erweisen.

Ganz neu sind Überlegungen, die die Wirkung von Frackfluiden, Lagerstättenwasser oder freiwerdenden Kohlenwasserstoffen auf die Mikrofauna im Boden und im Grundwasser haben könnte. Hier wurde im Novemberheft des US-Magazins "Microbiology today" ein Forschungsbedarf erkannt, um die Lebewesen in diesem bislang wenig untersuchten Bereich der Mikrobiologie als Bioindikatoren für aus Fracking stammende Umweltbelastungen nutzen zu können. [8] Da eben diese Mikroorganismen eine grundlegende, wenngleich noch nicht vollständig verstandene Rolle für die Filtration und Grundwasserneubildung und damit für die Qualität des Grundwassers haben, könnte hier auch durch Frackingvorhaben ein noch unbekanntes Risiko drohen, das noch in keiner Gesetzgebung berücksichtigt wurde.

Im zweiten Teil dieses Umweltlabors soll genauer auf die amerikanische Studie über die Rolle der Mikroorganismen eingegangen werden.


Anmerkungen:

[1] Lesen Sie dazu unter dem kategorischen Titel "Fracking nein danke" in
UMWELT → REPORT → BERICHT und
UMWELT → REPORT → INTERVIEW
die Beiträge BERICHT/074: Fracking nein danke - bohren, testen und zerbrechen (SB)
INTERVIEW/111: Fracking nein danke - vorbei an Mensch und Natur ... Wilfried Fischer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/112: Fracking nein danke - und alle Teile des Problems ... Jörg Irion von der Bürgerbewegung Berlin im Gespräch (SB)
INTERVIEW/128: Fracking nein danke - viele Fragen ... Hannes Luck und Fabian Czerwinski von der BI Erdöl Barth im Gespräch (SB)
INTERVIEW/141: Fracking nein danke - Schaden gewiß ..., Bernd Ebeling im Gespräch (SB)

[2] Die Zusammensetzung dieser Spezialmischung wurde hier veröffentlicht:
http://www.gegen-gasbohren.de/wp-content/uploads/2014/02/Barth11_Frac_Additiv_CleanStim.jpg
Die Rezeptur, die in Barth 11 zum Einsatz kommen soll, heißt CleanStim ®. Sie soll ausschließlich aus Stoffen komponiert sein, die u. a. in der Nahrungsmittelindustrie verwendet werden. Zwar gibt das herstellende Unternehmen Halliburton an, daß CleanStim-Frac-Fluid nicht für den menschlichen Verzehr bestimmt sei, dennoch ließen sich Halliburton-Top-Manager dabei beobachten, wie sie dieses Frac-Fluid tranken. Das Produkt enthält Gelbildner, Quervernetzer, ein Tensid und mit dem Brecher Hemicellulase z. B. einen Stoff, der allergisches Asthma auslösen kann.

[3] 2013 hatte bereits Philipp Rösler gemeinsam mit Bundesumweltminister Peter Altmaier ein vermeintlich "faktisches Moratorium" als Gesetzentwurf zum Fracking im Bundestag durchgebracht, der aber nicht vom Bundesrat genehmigt wurde. Er hätte Frackingvorhaben auf über 80 Prozent der Landesfläche theoretisch erlaubt.
https://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.htm

[4] Mehr dazu siehe NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE
UMWELTLABOR/275 bis 279, unter dem kategorischen Titel "Unbarmherzig, unbedacht"

[5] Darüber berichtete u.a. Die Welt online
http://www.welt.de/politik/deutschland/article134565759/Unionspolitiker-begehren-gegen-Fracking-Gesetz-auf.htm

[6] http://business.financialpost.com/2013/10/31/haliburton-fracking-fluid/?__lsa=5286-96ef

[7] https://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umri0141.html

[8] Lee F. Stanish, Comment, "Hydraulic fracturing: what do microbes have to do with it?", Microbiology today November 2014

1. Dezember 2014