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UMWELTLABOR/297: Moorbrand - Schadstoffkontaminationen ungemessen ... (SB)


Schwere Kanonen der Firma Krupp in einer militärisch befestigten Versuchsanlage, die 1876 in dem Moorgebiet gebaut worden war. -Quelle: 'Deutschland als Weltmacht - vierzig Jahre Deutsches Reich', Herausgeber: Kaiser Wilhelm Dank, Verein der Soldatenfreunde; Verlag: Kameradschaft, Berlin W. 35, Urheber der Aufnahme unbekannt [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Geschichtskontaminiert.
Seit 1877 wurden hier Geschütze und Kanonen jeglicher Art und Kaliber untersucht, erprobt, vorgestellt und eingeschossen.
Quelle: 'Deutschland als Weltmacht - vierzig Jahre Deutsches Reich', Herausgeber: Kaiser Wilhelm Dank, Verein der Soldatenfreunde; Verlag: Kameradschaft, Berlin W. 35, Urheber der Aufnahme unbekannt [gemeinfrei], via Wikimedia Commons

Ausgelöst durch eine Raketenübung des Bundeswehr-Kampfhubschraubers "Tiger" am 3. September schwelt bis heute im Naturschutzgebiet "Tinner Dose-Sprakeler Heide" ein Moorbrand, dessen Ende trotz mancher Entwarnungen noch nicht abzusehen ist. Laut NDR konnte er sich auf den durch die monatelange Dürre ausgetrockneten Flächen bis auf zwölf Quadratkilometer ausbreiten. Zwar wurde der Katastrophenalarm unlängst wieder aufgehoben, und ab dem 1. Oktober sollen auch die zivilen Kräfte (Feuerwehr und Technischer Hilfsdienst) abgezogen und von Angehörigen der Bundeswehr ersetzt werden, doch die Entspannung hat zumeist kosmetischen Charakter. Der Schwelbrand ist noch nicht gelöscht. Der Rauch, der im 100 km entfernten Bremen gesehen werden konnte und dessen Brandgeruch selbst im etwa 200 Kilometer entfernten Hamburg registriert wurde, ist nur schwächer geworden. An vielen Stellen schwelen Glutnester unterirdisch weiter.

Daß nach einer langen Trockenphase, die bekanntlich immer mit erhöhter Brandgefahr verbunden ist, überhaupt eine solche Übung anberaumt worden war, hat in den letzten Wochen öffentliche Empörung ausgelöst und viele Fragen nach der korrekten Einhaltung bestehender Vorschriften und nach Regelungslücken im Brandschutz der Bundeswehr aufgeworfen. Die Suche nach Antworten und letztlich nach den Verantwortlichen ist Teil der politischen Aufarbeitung der Katastrophe, die derzeit großen Raum in den Medien einnimmt. Dagegen wird über das gesamte Ausmaß der gesundheitlichen und ökologischen Konsequenzen nur ansatzweise berichtet, etwa am 28. September im Wissenschaftsmagazin Logo des NDR. [1]

Danach machten Moore zwar nur drei Prozent der weltweiten Bodenfläche aus, sie speicherten aber doppelt so viel Kohlendioxid wie alle Wälder unserer Erde zusammen. Das würde auch erklären, warum jeder Moorbrand extrem klimarelevant ist. Denn von einem Quadratmeter Moor, der bis zu einem Meter Tiefe brennt, können 50 kg Kohlenstoff in die Luft entlassen werden, entsprechend 180 kg Kohlenstoffdioxid (CO₂), welche die Treibhauswirkung der Atmosphäre verstärken.

Vom Landkreis Emsland wurde der klimaschädliche Eintrag zunächst mit geschätzten 300.000 Tonnen CO₂, die der Moorbrand in die Atmosphäre abgegeben habe, kleingeredet. Erste vorsichtige Korrekturen durch Umweltschutzverbände wie der NABU und der BUND kamen bereits auf mehr als 500.000 Tonnen CO₂ bei einer betroffenen Fläche von acht Quadratkilometern. Das entspricht laut Felix Grützmacher, einem Experten des NABU, genau der Menge an CO₂, die jährlich von 50.000 Bundesbürgern verursacht wird. Legt man die obigen Zahlen zugrunde, erhöht sich die Rechnung allerdings auf 800.000 bis 900.000 Tonnen. Nach Angaben der aktuellen Berichterstattung des NDR sind sogar 12 Quadratkilometer Fläche verbrannt. Entsprechend müßten die Mengen an durch den Brand emittiertem CO₂ auf eine bis eineinhalb Millionen Tonnen korrigiert werden. Nach Hochrechnungen des Umweltbundesamtes werden die Folgekosten auf 80 Euro pro Tonne freigewordenes CO₂ geschätzt. Das wären mindestens 80 Millionen Euro, die der aktuelle Moorbrand Bund und Land kosten wird. Fraglich nur, inwieweit tatsächlich alle entstandenen Baustellen in diese Schätzung eingehen.

Wem will man den unwiederbringlichen Verlust von zahlreichen Arten in Rechnung stellen, die den Brand nicht überleben konnten? Dreißig verschiedene Arten von Torfmoosen, unzählige, an die speziellen Moose angepaßten Mikroorganismen und Einzeller sind ebenso vom Brand verdrängt worden wie Schmetterlinge, Libellen und Vögel, die nicht zurückkehren. Viele Insekten, Spinnentiere und kleine Reptilien konnten nicht vor der Hitze fliehen und seien verbrannt, hieß es in einer Pressemitteilung des NABU. [2]

Die "Tinner Dose" ist ein nach europäischem Recht besonders geschütztes Gebiet und bietet einer einzigartigen Artenvielfalt Lebensraum. Das 3200 ha große Naturschutzgebiet wurde 1987 auf dem Gelände des als "wehrtechnische Dienstelle 91 in Meppen (WTD 91)" bekannten, mehr als doppelt so großen Schießplatzes eingerichtet, der bereits 1876 von der Firma Alfred Krupp zur "Erprobung reichweitengesteigerter Heeres- und Marinegeschütze" erworben wurde. Seit 1877 wurden hier zunächst auf einer Fläche von 23 km x 4,5 km, die im 2. Weltkrieg auf 50 km x 6 km erweitert wurde, "Geschütze und Kanonen jeglicher Art und Kaliber untersucht, erprobt, vorgestellt und eingeschossen". [3] Seit 1957 wird die "Erprobungsstelle 91 für Waffen und Munition" von der Bundeswehr als Testgelände für Schießübungen genutzt. Sie ist mit einer Fläche von 200 Quadratkilometern heute der größte instrumentierte Schießplatz Westeuropas.

Auch die scheinbar gute Nachricht, die der Landkreis Emsland drei Wochen nach Brandbeginn im Internet veröffentlichte, daß zu keiner Zeit eine Gesundheitsgefahr für die Anwohner bestanden habe und keine Grenzwerte überschritten worden waren, reizt Betroffene zum Widerspruch. [4] Zum einen war mit den Messungen der Luftschadstoffe, auf die sich die Aussage stützt, erst zwei Wochen nach Ausbruch des Feuers begonnen worden. [5] Zum anderen bekamen viele Anwohner die Auswirkungen des beißenden Qualms direkt zu spüren. Nicht abzustreiten ist, daß durch den Brand viele bekannte Schadstoffe in die Luft gelangten - unter anderem Stickstoffoxide und Feinstaub. Mehrere Wochen wurde den Anwohnern empfohlen, Türen und Fenster geschlossen zu halten.

Die Gefährlichkeit von Feinstaub bemißt sich normalerweise nur in der Feinheit und letztlich der Lungengängigkeit der Partikel. [6] Die größten Partikel der Kategorie PM10 (PM = particulate matter) haben einen maximalen Durchmesser von 10 Mikrometer und gelten nur bedingt als schädlich. Ultrafeine PM2,5 sind mit weniger als 0,1 Mikrometer Durchmesser so klein, daß sie mechanisch in Lungenbläschen und Blutgefäße eindringen, den Blutfluß blockieren oder Flimmerhärchen lähmen können. Doch Feinstaub, der bei Bränden entsteht, kann darüber hinaus ein komplexes Gemisch aus vielen Partikeln sein, das von harmloser Erde, über Gummiabrieb bis zu gefährlichem, krebserregenden Asbest alle möglichen Substanzen enthalten kann, selbst explosive Chemikalien oder Schwermetallabrieb.

Letzteres wäre möglicherweise bei einem Moorbrand zu erwarten, der bis in einen Meter Tiefe alles röstet, verschmort und zutage fördert, was darin über die Jahre angesammelt und vergessen wurde, von Torf bis zu Munitionsresten, die - wie es in manchen Meldungen hieß - die Löscharbeiten extrem erschweren würden. [7] Zwar wird immer wieder die besondere Eigenheit von Moorbränden angesprochen, in sogenannten Glutnestern unterirdisch zu schwelen und dann aus der Tiefe wieder neu hervorzubrechen, doch inwieweit dadurch die hier eingelagerten unbekannten Schadstoffe mitgeschleppt und in die Luft geraten können, wurde offenbar nicht untersucht. Wie aus den Protokollen zu entnehmen ist, werden hier wie auch an anderen Meßstationen nur die üblichen bekannten Leitsubstanzen, wie Kohlenmonoxid, Benzol, Stickstoffdioxid, Stickstoffmonoxid, Schwefeldioxid und Ozon überprüft.

Was allein bei reinen Vegetationsbränden an unvermuteten Schadstoffen zu erwarten ist, gegen die auch die Einsatzkräfte von Feuerwehr und Technischem Hilfsdienst geschützt werden müssen, geht aus einer Dissertation von Ulrich Cimolino hervor, der sich darin mit den "Optimierungsmöglichkeiten bei der Bekämpfung von Vegetationsbränden in Deutschland" befaßt hat. [8] Im Kapitel 6.1.2. Atemschutz (Seite 122) erklärt der Brand- und Sicherheitsspezialist, daß die Menge und Gefährlichkeit der organischen Stoffe, die neben Ruß und Asche bei Vegetationsbränden freigesetzt werden, selbst von Experten meist unterschätzt wird. Cimolino rät daher generell zum Tragen von Atemschutzmasken bei der Löscharbeit und zitiert zur Abschreckung die Passage einer kanadischen Studie von 2008 [9], in der klangvolle chemische Verbindungen aufgezählt werden, die bereits normale Moor- und Waldbrände in relevanten Konzentrationen freisetzen. Alle genannten Stoffe sind direkt oder indirekt wirkende Gifte und extrem gesundheitsschädlich für Mensch und Tier: Kohlenstoffmonoxid, Formaldehyd, Acrolein, Feinstaub PM10 bis PM2,5, Benzol, CO₂, Stickoxide, PAK (Polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe), Ammoniak und Furfural. Nicht weniger giftig, aber in geringerer Konzentration freigesetzt werden darüber hinaus: Acetaldehd, 1,3-Butadien, Methan, Methanol, Styrol, Methylcyanid, Propanal, Toluol, Methylbromid, Butan-2-on, Aceton, Xylol, Phenol, Tetrahydrofuran, Methylchlorid, Methyljodid und Quecksilber.

Des Weiteren weist die Studie darauf hin, daß auch eingehaltene Grenzwerte keine Garantie dafür sind, daß Einsatzkräfte nicht gleichzeitig gesundheitsschädlichen und toxischen Konzentrationen von Formaldehyd, Acrolein, PAK (Benzo[a]pyren) und lungengängigen Feinstaubpartikeln ausgesetzt sein könnten, die gemeinhin in Bränden entstehen, aber nicht gemessen und dokumentiert werden.

Daß das Moor bei Meppen seit über 130 Jahren für die Erprobung von Munition und Sprengstoffen nicht mehr nachvollziehbarer Zusammensetzung genutzt wurde, über deren Reste man das Gras wachsen ließ, nährt den Verdacht, daß zudem zahlreiche unbekannte Faktoren den giftigen Cocktail ergänzen, der die Luft über dem Moor mit vermutlich mehr als unangenehmen Gerüchen belegt hat. Denkbare Produkte, die beim Verschwelen und Verbrennen von Schweröl, Benzin, Blei, Kupfer, Salpeter, Wolfram, Chlorkohlenwasserstoffen, Chromat möglicherweise sogar Uran wie anderen Stoffen, die alten und neueren Sprengstoffen und Munitionsresten entstammen können, gehören ebensowenig in das übliche Überwachungsschema wie Polycyclische Verbindungen, Furane oder Dioxine, die aus dieser Mixtur bei hohen Temperaturen entstehen können.

Selten wird auch der notwendige aber enorme Löschwasserverbrauch bei der ökologischen Schadensbilanz in Rechnung gestellt, der mit 5.000 Liter pro Minute die natürlichen Ressourcen des Moorgebiets belastet. Sie werden aus einem nahen Fluß über Schlauchleitungen auf das Gelände gepumpt. Der Boden soll dabei so naß werden, daß das Feuer keine Chance mehr hat, sich weiter auszubreiten, sagte der Sprecher der WTD 91 gegenüber dem NDR. Welche Mengen an den oben erwähnten Verbrennungsprodukten und Giftstoffen, die noch im Boden verblieben sind, nun auf diese Weise in Bewegung geraten und wo sie schließlich landen, wäre eine weitere Frage wert.


Die Landschaft im 80 km vom Moorbrand entfernten Sandkrug ist noch zwei Wochen nach Brandbeginn von Schwaden des Moorbrandes vernebelt. - Foto: 18.9.2018 von Jacek Ruyczka [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], vom Wikimedia Commons

Was der penetrant riechende Qualm enthielt, der in einem Umkreis von 80 km für ungewöhnlich farbenfrohe Sonnenuntergänge sorgte, ist bis heute unbekannt.
Foto: 18.9.2018 von Jacek Ruyczka [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], vom Wikimedia Commons


Anmerkungen:


[1] https://www.ndr.de/info/podcast2994.html

[2] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/fakten/ufafe040.html

[3] http://tinyurl.com/y8ncd5jb

[4] https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/osnabrueck_emsland/Moorbrand-Gefahr-fuer-Menschen-mit-Vorerkrankungen,moorbrand466.html

[5] https://katastrophenschutz.landkreis-emsland.de/moorbrand-keine-akute-gesundheitsgefaehrdung-2/
und
https://katastrophenschutz.landkreis-emsland.de/wp-content/uploads/2018/09/ABC_Zug_Leer.pdf

[6] https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/luftschadstoffe/feinstaub

[7] "Was macht die Löscharbeiten so schwierig?
Der Torf im Moor hat eine wasserabstoßende Eigenschaft, weshalb das Wasser seine volle Löschwirkung nicht entfalten kann, erklärte Brand-Experte Professor Hans-Joachim Gressmann im Gespräch bei NDR 1 Niedersachsen. Außerdem befinden sich auf dem Gelände Munitionsreste von vergangenen Schießübungen. Diese bergen eine Gefahr für die Helfer beim Löscheinsatz."
aus: https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/FAQ-Fragen-und-Antworten-zum-Moorbrand-bei-Meppen,moorbrand656.html

[8] urn:nbn:de:hbz:468-20140730-121237-9
[http://nbn-resolving.de/urn/resolver.pl?urn=urn%3Anbn%3Ade%3Ahbz%3A468-20140730-121237-9]

[9] Austin, Claire: Wildland firefighter health risks and respiratory protection, in: Studies and Research Projects - R-572, IRSSC, Quebec (Canada), 2008


1. Oktober 2018


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