Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

PHARMAZIE/070: Bluthochdruckmittel als Antidot gegen Eisenvergiftung (SB)


Nifedipin im Tierversuch gegen Eisenüberschuß wirksam


Während derzeit im indischen Bangalore an 134 Kindern mit dem vorgeschobenen Argument, durch zusätzliche Eisenzufuhr mit künstlich aufgepepptem eisenhaltigen Reis die Aufnahme von Blei aus der Umwelt zu reduzieren, Menschenversuche durchgeführt werden, mit denen letztlich die maximal mögliche Eisenbelastung des menschlichen Organismus herausgefunden wird [siehe hierzu auch: KOMMENTAR/073: Manipulation durch Nahrungsmittel - Widerstand zwecklos], arbeiten Wissenschaftler der Medizinischen Universität Innsbruck, des Universitätsklinikums Heidelberg und des European Molecular Biology Laboratory (EMBL) fieberhaft daran, ein Mittel zu finden, um überschüssiges Eisen wieder aus dem Körper zu entfernen.

Obwohl die beiden Projekte nichts miteinander zu tun haben, scheint es doch auffällig, daß Eisenüberschuß bzw. -überladung überhaupt ein Thema geworden zu sein scheint, um das man sich Sorgen machen sollte. Denn daß der vermeintliche Grund, von Eisenmangel betroffene Kinder mit hoher Eisenzufuhr vor Umweltschäden durch Blei zu schützen, in Bangalore nur vorgeschoben ist, wird offensichtlich, wenn man bedenkt, wie Kinder in den Industriestaaten, die ebenfalls häufig unter Eisenmangel leiden, vergleichsweise vor Blei geschützt werden können.

Die Frage woher der Eisenüberschuß kommen soll, der nicht künstlich erzeugt oder zugeführt wird, muß vorerst offen bleiben. Bisher war die Erscheinung der Eisenüberladung nur an Minen- und Gießereiarbeitern festgestellt worden, die sich lange in einer stark eisenhaltigen Umgebung aufhalten. So kann man u.a. in John Emsleys populärwisenschaftlichem Werk "Sonne, Sex und Schokolade - Chemie im Alltag II" unter dem Kapitel "Geheimnisvolles Element: Eisen" folgendes nachlesen:

Infolge einer Eisenüberladung kann auch das Risiko steigen, an Krebs zu erkranken. So beobachtete man bei Patienten mit transfusionsabhängiger Thalassämie und bei Arbeitern aus Eisenminen und -gießereien eine anormal hohe Krebshäufigkeit. In Rußland wurde Krebs viele Jahre lang als "Rostkrankheit" bezeichnet, vielleicht aus der Erkenntnis heraus, daß Eisen einer der auslösenden Faktoren sein kann. Bis heute ist allerdings nicht geklärt, welche Rolle Eisen bei der Krebsentstehung wirklich spielt - abgesehen von der bereits erwähnten Fähigkeit des Metalls zur Erzeugung krebsbegünstigender freier Radikale.
(Emsley, "Sonne, Sex und Schokolade - Chemie im Alltag II", Geheimnisvolles Element: Eisen, Verlag Wiley-VCH, 1999)

Wörtlich hieß es in der Pressemitteilung des Informationsdiensts Wissenschaft (idw) für das Universitätsklinikum Heidelberg:

Eisen ist als Bestandteil des Blutfarbstoffs in den roten Blutkörperchen essentiell. Ständiger Eisenüberschuss ist jedoch schädlich für die Gesundheit. Überschüssiges Eisen wird in verschiedenen Organen, vor allem der Leber, gespeichert. Dort fördert es die Bildung gefährlicher Radikale von Sauerstoffverbindungen. Irreversibles Organversagen und Tod können die Folgen sein, wenn das Eisen nicht rechtzeitig entfernt wird.
(idw, 12. Februar 2007)

Der zu hohe Eisenspiegel im Gehirn kann ebenso schädlich sein wie bei durch Blei verursachten Vergiftungen: So wurden zu hohe Eisengehalte schon im Zusammenhang mit degenerativen Erkrankungen wie Parkinson beobachtet. Hohe Konzentrationen von Eisen-Ionen im Blut können darüber hinaus zu peripheren und zentralen Lähmungen führen. Es kommt zu einem Kreislaufkollaps und Blutungen im Bereich des Darms.

D.h. zusammengefaßt: Es wird allgemein eine Kumulation von Eisen im Körper und mögliche Folgen für die Krebsenstehung befürchtet, obwohl die Konzentrationen von Mineralstoffen (und darunter auch Eisen) in der Nahrung generell rückläufig sind und der Mensch eigentlich überschüssiges Eisen recht gut ausscheiden kann.

Bei dem Innsburger Projekt, das jedoch noch nicht über die Phase der Tierversuche hinaus entwickelt wurde, konnten die Pharmazeuten eine Nebenwirkung des zur Gruppe der Calcium-Antagonisten gehörenden Blutdruckmittels Nifedipin nutzen. Im Tiermodell gelang es ihnen, damit überschüssiges, in Organen abgelagertes Eisen zu entfernen.

Die Forscher versprechen sich davon einen Ansatz für neue Behandlungsmethoden, stellen ihre Arbeit allerdings schon jetzt in der aktuellen Online-Ausgabe von "Nature Medicine" vor.

Seltsam scheint nur, daß die einzige Krankheit, bei der eine massive Entfernung von Eisen als angezeigt gilt, die sogenannte Eisenspeicherkrankheit (Hämochromatose) ist. Von dieser Erbkrankheit sind etwa nur 300 Europäer betroffenen. Das ist normalerweise für die Pharmaindustrie eine viel zu kleine Zielgruppe, als daß es ihr gemeinhin die meist recht kostspielige Initiative zur Medikamentenentwicklung wert wäre.

Außerdem gibt es schon für akute Vergiftungserscheinungen entsprechende Chelat-Antidote (Eisenfänger), die das überschüssige Eisen in einem Komplex einschließen und unwirksam machen, bis dieser insgesamt ausgeschieden wird, und das relativ nebenwirkungsfrei.

Die Wirkung des Nifedipin ist dagegen noch nicht völlig geklärt, ebenso die möglichen Nebenwirkungen und Schädigungen, die durch die Beeinflussung derart feiner Strukturen entstehen könnten: Es soll nämlich das Eisen in der Leber mobilisieren und dessen Ausscheidung erhöhen.

Günter Weiss, Innsbruck, und seine Kollegen in Heidelberg fanden nun heraus, dass Nifedipin, eine Substanz, die gewöhnlich zur Kontrolle des Blutdrucks verwendet wird, den Körper beim Umgang mit überschüssigem Eisen unterstützen kann. "Wir konnten bei Mäusen mit Eisenüberschuss beobachten, dass Nifedipin in der Leber gespeichertes Eisen mobilisiert, sowie dessen Ausscheidung in den Urin fördert", so Weiss. "Dieses Ergebnis eröffnet die Möglichkeit Nifedipin als neues Medikament bei angeborenen Eisenspeicherkrankheiten sowie bei anderen Eisenüberschuss- Störungen zu testen."
(idw, 12. Februar 2007)

Offenbar könne Nifedipin den Eisenstoffwechsel dadurch beeinflussen, daß es auf das sogenannte DMT-1 Molekül wirkt. DMT-1 transportiert Eisen durch die Zellmembran. Dieser Transport wird durch Nifedipin 10- bis 100-fach verstärkt. Der genaue Mechanismus ist bislang noch unbekannt. Sicher ist nur, daß Nifedipin Membrankanäle blockiert, die den Zufluß von Calcium in die Zellen steuern. Ob die Änderung des Calciumspiegels innerhalb der Zelle sich dann indirekt auf den Eisentransport auswirkt oder ob Nifedipin in Leber oder Niere direkt an DMT-1 bindet, muß erst noch bestimmt werden.

Die Forscher geben durchaus zu, daß noch zuviel an der neuen Wirkweise ungeklärt ist, um es schon an Menschen zu erproben:

"Wenn wir die genauen molekularen Mechanismen verstehen, die der Wirkung von Nifepidin auf den Eisentransport zu Grunde liegen, wäre dies ein großer Schritt in Richtung Therapieentwicklung, die bei Patienten angewendet werden kann", sagt Martina Muckenthaler, Professorin an der Universität Heidelberg.
(idw, 12. Februar 2007)

Andererseits könnte ein mögliches Medikament sehr schnell als Quereinsteiger lanciert werden, da viele klinische Tests schon durch seine Verwendung als Bluthochdruckmittel in der klinischen Praxis abgedeckt sind:

Nifepidin könnte zügiger in die klinische Praxis eingeführt werden als andere Substanzen, da es schon seit Jahren zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt wird. Wir kennen also bereits das Medikament und seine Nebenwirkungen.
(idw, 12. Februar 2007)

Eine durchaus mögliche massive Blutdrucksenkung könnte sich dagegen als Nebenwirkung des potentiellen Medikaments jedoch kontraproduktiv bis verheerend auswirken, was von den Forschern allerdings lapidar abgetan wird:

Ein wichtiger weiterer Schritt auf dem Weg vom Labor in die Klinik wird die gezielte pharmakologische Anpassung des Präparates sein, um den Effekt von Nifepidin auf den Eisenstoffwechsel von seiner bereits bekannten Wirkung auf den Blutdruck zu trennen.
(idw, 12. Februar 2007)

Tatsächlich gehört Nifedipin jedoch zu jenen Calcium-Antagonisten die nur in retardierter Form bzw. mit verzögerter Wirkstofffreisetzung eingenommen werden dürfen, da sich gezeigt hat, daß kurz wirkende Zubereitungen häufiger Komplikationen hervorrufen und sogar zum Tode führen können. Letzteres hängt mit der raschen Absenkung des Blutdrucks durch die schnellwirksamen Substanzen zusammen.

Wenn man bedenkt, daß die Eisenausscheidung eine Nebenwirkung des Blutdrucksenkers ist, eine pharmakologische Anpassung in der Regel aber nicht mehr und nicht weniger als eine unterschiedliche, den körperlichen Gegebenheiten angepaßten Dosierung bedeutet, dann muß wohl noch sehr viel mehr geschehen, bis eine den Eisenstoffwechsel steigernde Dosis Nifedipins nicht mehr auf den Kreislauf oder das Herz wirkt oder gar eine Bewußtlosigkeit oder massivere Schäden herbeiführt. Anders gesagt, es muß ein völlig neues Medikament entwickelt werden, für das dann auch nicht mehr die oben beschriebenen Vorteile bestehen.

Da in der Nachricht des idw am Ende außerdem das perfekte Zusammenwirken von Forschung und klinischer Praxis hochgelobt wird,

Unsere Entdeckung ist ein sehr gutes Beispiel für ein Zusammenspiel von Grundlagenforschung und Klinik, das Ergebnisse hervorbringt, die für die Medizin von Bedeutung sind und von denen letzten Endes der Patient profitiert", sagt Matthias Hentze, Vizedirektor des EMBL und Mitautor der Studie. "In der Molecular Medicine Partnership Unit (MMPU) zwischen EMBL und der Medizinischen Fakultät der Universität Heidelberg verflechten wir Molekularbiologie mit klinischer Medizin, um so ein grundlegendes Verständnis von Erkrankungen zu erreichen. Es ist daher sehr befriedigend, einen so aufregenden Fortschritt in der Medizin als Frucht der Zusammenarbeit von ehemaligen EMBL Mitarbeitern und der MMPU zu erleben."
(idw, 12. Februar 2007)

...stellt sich unmittelbar die Frage, was mit solchem Aufwand eigentlich tatsächlich bezweckt oder versteckt werden soll. Denn daß Nifedipin als Nebenwirkung Eisen freisetzt, hat man schon lange gewußt. Und mehr als das wurde bisher nicht herausgefunden.

15. Februar 2007