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SEISMIK/051: Zahl der Erdbebenopfer könnte künftig noch steigen (Portal - Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 7-9/2008

Zahl der Erdbebenopfer könnte künftig noch steigen

Das Beben in China unterstreicht die Notwendigkeit globaler Initiativen zur Schaffung eines größeren Risikobewusstseins


Am 12. Mai dieses Jahres erschütterte ein Erdbeben mit der Stärke von 7.9 auf der Richterskala die Region um Sichuan in China. Obwohl das Zittern der Erde lediglich etwas mehr als 100 Sekunden andauerte, waren die Schäden immens. Offizielle Meldungen sprachen allein von etwa 80000 Toten und unzähligen Gebäudeeinstürzen. Portal-Redakteurin Petra Görlich befragte Prof. Dr. Jochen Zschau, gemeinsam berufener Professor der Universität Potsdam und des Helmholtz-Zentrums Potsdam - GeoForschungsZentrum, zum Ereignis.


PORTAL: Welches Ausmaß hatte das Erdbeben am 12. Mai?

ZSCHAU: Am 12. Mai des Jahres ereignete sich in der Sechuan-Provinz Chinas ein Starkbeben, das mit einer Magnitude von 7.9 eine gewaltige Erschütterungsenergie freisetzte, die mit der Energie von mehr als 200 Hiroshima-Bomben vergleichbar ist. Hunderttausende von Gebäuden hielten der Erschütterung nicht stand, sekundär ausgelöste Hangrutsche begruben ganze Dörfer unter sich, und Häuser versanken in Seen, die durch Erdrutsche aufgestaut wurden. Mit rund 80000 Todesopfern, 400000 Verletzten und fünf Millionen Menschen, die obdachlos wurden, war es die schwerste Beben-Katastrophe, die China in den letzten 30 Jahren getroffen hat. Nur das Beben von Tangchan 1976 ist mit offiziell gemeldeten 300000 Todesopfern noch schlimmer gewesen.

PORTAL: Musste mit einem Beben dieses Ausmaßes in dieser Region gerechnet werden?

ZSCHAU: Ja, unbedingt! Die betroffene Region liegt auf dem gefährlichsten Erdbebengürtel Chinas. Dieser zieht sich von Nordosten nach Südwesten quer durch das ganze Land und ist Ort vieler katastrophaler Beben in der Vergangenheit gewesen. Gar nicht weit weg vom jetzigen Katastrophenort hatte zum Beispiel 1933 ein Beben der Stärke 7.4 etwa 10000 Todesopfer gefordert. Und nur 500 Kilometer weiter nördlich kam es 1927 sogar zu einem Beben der Magnitude 8.0, bei dem mehr als 40.000 Menschen starben. Die betroffene Region ist als hochgradig erdbebengefährdet bekannt.

PORTAL: Waren die Chinesen auf jene Katastrophensituation nach Ihrer Ansicht nicht genügend vorbereitet?

ZSCHAU: Trotz der großen Erdbebengefahr in der Region war China auf jene Katastrophensituation nicht ausreichend vorbereitet. Insbesondere gab es keine ausreichenden Maßnahmen, eine solche Katastrophe beispielsweise durch erdbebensicheres Bauen zu verhindern. Die meisten Häuser, besonders in den ländlichen und kleinstädtischen Regionen, waren nicht nach den geltenden Baunormen gebaut. Denn diese Normen sind kaum älter als 15 Jahre. Eine nachträgliche Verstärkung von Gebäuden ist weit schwieriger als neue Gebäude erdbebensicher zu konstruieren und wird daher meist nicht betrieben. Hier befindet sich China leider in guter Gesellschaft mit vielen Entwicklungsregionen auf unserem Globus. Besonders schlimm ist, dass zu den nicht erdbebensicheren Gebäuden in der betroffenen Region auch viele Schulen gehört haben.

PORTAL: Inwieweit ist das Erdbeben nun auch Gegenstand Ihrer Forschungstätigkeit?

ZSCHAU: Es mag sarkastisch klingen, wenn ich sage, dass wir mit dem Beben in der Sechuan-Provinz nur "die Spitze des Eisberges" gesehen haben. Es hätte wesentlich schlimmer kommen können, wenn das Epizentrum des Bebens nicht 100 Kilometer von der Stadt Chengdu, sondern nur wenige zehner Kilometer entfernt gewesen wäre. Bedingt durch die Bevölkerungszunahme und den weltweit zu beobachtenden explosionsartigen Anstieg der Urbanisierung wird sich die Welt, und damit auch China, wenn nicht gegengesteuert wird, bald auch auf Erdbebenkatastrophen einstellen müssen, die eine Million Todesopfer fordern könnten. Potsdamer Erdbebenforscher haben daher zusammen mit Kollegen der ETH Zürich und des US Geological Surveys sowie mit Unterstützung der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) die globale Initiative Global Earthquake Model (GEM) mit dem Ziel auf den Weg gebracht, Erdbebenrisiken weltweit zu quantifizieren, zu monitoren und zu kommunizieren, um so ein größeres Risikobewusstsein zu erzeugen und bessere Voraussetzungen für risikomindernde Maßnahmen zu schaffen. China wird dabei ein wichtiger Partner sein. Ich hoffe sehr stark, dass es uns gelingen wird, dieses Land mit in die Initiative einzubinden.

Vielen Dank für das Gespräch.


Jochen Zschau ist Geophysiker an der Uni und am GFZ, wo er das Departement "Physik der Erde" leitet.


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Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 7-9/2008, Seite 23-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. August 2008