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ASTRO/087: Kosmisches Ballett (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 1/2007

Astrophysik - Kosmisches Ballett
Zeitreise mit PROMISE - ein bahnbrechendes Experiment

Von Thomas Vogt


Bei der Entstehung von Sternen und Planeten, aber auch bei der Bildung Schwarzer Löcher im Zentrum von Galaxien, spielt ein außergewöhnlicher magnetischer Effekt eine entscheidende Rolle. Dieses Phänomen konnte nun erstmals in einem Laborexperiment nachgewiesen werden. Das Experiment gelang einem Team aus Wissenschaftlern des Astrophysikalischen Instituts in Potsdam (AIP) und des Forschungszentrums Dresden-Rossendorf (FZD) - gefördert aus Mitteln des Paktes für Forschung und Innovation.


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Wer kennt sie nicht, die Aufnahmen von Schwarzen Löchern, die alles um sich herum verschlingen und nichts aus ihrer Mitte entkommen lassen. Und wer hätte nicht - zumindest ungefähr - das Bild unseres Sonnensystems vor Augen: mit der Sonne im Zentrum und darum herum die Planeten, die auf regelmäßigen Bahnen unser Zentralgestirn umkreisen. Wir begeben uns nun auf eine Zeitreise an die Anfänge des uns bekannten Weltalls vor 13 Milliarden Jahren. Damals gab es weder Sterne noch Galaxien. Seitdem hat sich der Kosmos gewaltig ausgedehnt. Sein stofflicher Inhalt hat sich durch die Schwerkraft zu Sternen, Planeten, Sonnensystemen, Schwarzen Löchern und anderen kosmischen Formen zusammengeballt. Unsere Sonne entstand, als eine rotierende interstellare Wolke mit den Ausmaßen mehrerer Lichtjahre in sich zusammenstürzte. Jeder Kubikkilometer der Ursprungswolke findet sich heute auf weniger als einen Kubikmillimeter zusammengepresst. Doch wie konnte es zu solchen Ereignissen kommen? Aus physikalischer Sicht gibt es gewichtige Gründe gegen den Kollaps der kosmischen Wolken; einer davon: Wenn sich die Mutterwolke dreht, wirken Fliehkräfte auf ihre Bestandteile, also Kräfte, die die heißen Gase und den Sternenstaub eher auseinander treiben, statt die Materie im Zentrum zu versammeln. Tatsächlich befinden sich im Weltall wie bei einem kosmischen Ballett alle Objekte in Bewegung: die Planeten drehen sich, die Sterne rotieren, und auch das Material, aus dem Sterne und Planeten hervorgegangen sind, hat sich gedreht. Es besaß Drehimpuls, wie der Physiker sagt.

Bei der Entstehung von Planeten - aber auch von ganzen Galaxien - bilden sich aus den interstellaren Wolken durch die Drehbewegung um eine zentrale Achse herum im Laufe der Jahrmillionen abgeflachte Körper aus Sternengas und Staub, sogenannte Akkretionsscheiben. Damit aus diesen Scheiben kompakte Gebilde wie Sterne oder gar Schwarze Löcher werden können, müssen Staub und Sternengas in ihrer Drehbewegung stark gebremst werden. "Tatsächlich ist in Akkretionsscheiben genau dies zu beobachten", sagt Prof. Günther Rüdiger vom Astrophysikalischen Institut Potsdam. "Während nur einer Million Jahren - aus kosmischer Sicht ist das ein kurzer Augenblick - wandert der Drehimpuls an den äußeren Rand der Scheibe und die Masse ins Zentrum." Anders ausgedrückt: Der kosmische Kreisel aus Staub und Sternengas wird zügig abgebremst, und die Feststoffe ballen sich im Zentrum der Struktur.

Die Verlagerung des Drehimpulses und die daraus folgende Änderung der Drehgeschwindigkeit macht sich übrigens auch eine Eiskunstläuferin zunutze: Sie versetzt sich in Drehung, indem sie sich zunächst mit ausgestrecktem Bein um die eigene Achse dreht. Dann winkelt sie das ausgestreckte Bein langsam in Richtung Körper an - überträgt also den Drehimpuls nach innen - und dreht sich schneller. Wenn sie ihre Drehgeschwindigkeit wieder bremsen möchte, streckt sie ihr Bein wieder langsam aus - der Drehimpuls wandert nach außen, ihre Drehgeschwindigkeit sinkt. Ein starkes Abbremsen gelingt ihr nur, indem sie Reibung erzeugt, etwa indem sie die Kufen ihrer Schlittschuhe kräftig ins Eis drückt.

"Auch im Kosmos kann ein starker Bremsvorgang eigentlich nur durch starke Reibung verursacht werden", sagt Rüdiger und präzisiert: "Nur durch enorme turbulente Reibung!" Die Reibungswärme wird übrigens abgestrahlt und erzeugt so die gewaltige Leuchtkraft von Quasaren, Röntgensternen oder im Zentrum von Galaxien. Soweit die Theorie. Woher aber die Turbulenz kommt, dank derer die Materie ihren Drehimpuls verlieren kann, ist eine der großen Fragen der Astrophysik. Nach den bisherigen physikalischen Vorstellungen sollten die kreisrunden Akkretionsscheiben nämlich turbulenz- und mithin fast reibungsfrei sein. Doch die Fachwelt zog diese Lehrbuchmeinung zunehmend in Zweifel und vermutete als kosmische Bremser turbulente Magnetfelder. Verglichen mit der Schwerkraft spielen magnetische Kräfte zwar eine untergeordnete Rolle. Für den Bremseffekt in Akkretionsscheiben könnten sie aber ausschlaggebend sein. "Simulationsrechnungen mehrerer Forschergruppen haben gezeigt, dass magnetische Turbulenzen in Akkretionsscheiben Bremswirkung erzielen", so Rüdiger.

Die Lösung besteht in der sogenannten Magnetorotationsinstabilität, deren Bedeutung für die Astrophysik 1991 von den Wissenschaftlern Balbus und Hawley theoretisch vorausgesagt wurde. Sie konnten mathematisch zeigen, dass stabile Akkretionsscheiben durch Magnetfelder destabilisiert werden können. Erst durch diesen Prozess wird Massenkonzentration in Sternen und Schwarzen Löchern überhaupt möglich. Allein es fehlte der experimentelle Beweis. Um diesen bemühen sich seit Jahren Wissenschaftler weltweit. Auch Prof. Rüdiger und Dr. Rainer Hollerbach von der Universität Leeds entwickelten die Idee und die theoretischen Grundlagen für ein Experiment. Damit wandten sie sich an ihre Kollegen im Forschungszentrum Dresden- Rossendorf. "Dort ist eine große Kompetenz bei der Durchführung von magnetohydrodynamischen Experimenten vorhanden", sagt Rüdiger. "Aber das Risiko des Scheiterns war groß. Schließlich hat noch kein Labor weltweit diesen Beweis erbracht."

Rüdiger und seine Kollegen in Dresden-Rossendorf stellten einen gemeinsamen Antrag auf finanzielle Förderung ihres Experiments durch Mittel des Paktes für Forschung und Innovation und erhielten - in der Förderlinie risikoreiche Forschung - den Zuschlag. So konnten sie ihr Experiment mit dem vielversprechenden Namen PROMISE durchführen. PROMISE steht dabei für Potsdam ROssendorf Magnetic InStability Experiment. Der Clou: Bei dem Experiment werden zwei sich überlagernde Magnetfelder erzeugt, die ordentlich für Turbulenzen sorgen.

Der Versuchsaufbau verblüfft durch einfache Komponenten wie etwa ein Abwasserrohr aus dem Baumarkt. Um das Rohr wickelten die Physiker eine Stromspule zur Erzeugung eines Magnetfeldes entlang der senkrechten Hauptachse. In das Rohr montierten sie - mit Abstand - zwei Kupferzylinder, deren Drehgeschwindigkeit sich unabhängig voneinander einstellen lässt. Der äußere Zylinder ist doppelt so groß wie der innere. In dem dazwischen liegenden Spalt wird ein Flüssigmetall durch unterschiedliche Drehzahlen von Innen- und Außenzylinder in eine rotierende Bewegung versetzt. Beträgt die Drehzahl des Außenzylinders mehr als ein Viertel derjenigen des Innenzylinders, ist die Strömung stabil, weist also keine Turbulenzen auf. "Nachweisbar war dies nur durch einen weiteren Trick", sagt Dr. Gunter Gerbeth vom Institut für Sicherheitsforschung des Forschungszentrums Dresden-Rossendorf. "Der Blick durch das undurchsichtige Flüssigmetall gelang nur mit Hilfe zusätzlicher Ultraschall-Geschwindigkeitssensoren."

Zu ihrer großen Freude beobachteten die Forscher im Verlauf des Experiments, dass die hydrodynamisch stabile Strömung unter dem Einfluss eines extern angelegten, schraubenförmigen Magnetfeldes wie erhofft destabilisiert, also turbulent wurde. Die rotierende Flüssigkeit wurde dadurch abgebremst - die Magnetorotationsinstabilität und ihr Bremseffekt waren im Laborexperiment damit nachgewiesen. "So kam es, dass entgegen der sonst üblichen Forschungsdynamik zuerst die Theorie existierte, die dann durch ein Experiment bestätigt wurde, und nicht umgekehrt", resümiert Rüdiger. "Außerdem freue ich mich, dass ich als Astronom auch einmal die Entwicklung in der Experimentalphysik voranbringen konnte."


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Kosmisches Ballett: Die Kollision zweier Spiralgalaxien vor wenigen hundert Millionen Jahren führt zur Geburt Milliarden neuer Sterne überwiegend in blau strahlenden Bereichen der Antennen-Galaxie NGC 4038-4039. Das Wasserstoffgas leuchtet rosa, die Zentren der Augangsgalaxien schimmern organe.

Schematische Darstellung des PROMISE-Experiments. Zwei sich überlagernde Magnetfelder führen zur Magnetorotationsinstabilität im rotierenden Flüssigmetall (grau). Das axiale Magnetfeld wird durch Ströme in der Spule (gelb) erzeugt, das azimutale Feld durch Ströme im axialen Kupferrohr (braun).

Das vielversprechende Experiment und seine Väter von links): Dr. Rainer Hollerbach (University of Leeds), Prof. Dr. Günther Rüdiger (AIP) und Dr. Gunter Gerbeth (FZD)


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 1/2007, S. 8-9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2007