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ASTRO/199: Supernovae 1987A - Teil 2 (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/12 - August 2012
Zeitschrift für Astronomie

Supernova 1987A
Teil 2: Eine ausgefallene Lösung für eine ausgefallene Sternexplosion

Von Christian Wolf



Lange Zeit hatte die Fachwelt über die Ursache der Sternexplosion vor 25 Jahren in der Großen Magellanschen Wolke gestritten. Ein unkonventioneller Denkansatz eines Doktoranden war zunächst auf taube Ohren gestoßen - bis 1993 eine Supernova in M81 mit ähnlich ungewöhnlichen Signaturen explodierte wie SN 1987A. Inzwischen haben auch Folgeaufnahmen mit dem Hubble-Teleskop die neue Theorie bestätigt.

Die Supernova 1987A war eine harte Nuss. Der Vergleich von Archivdaten mit UV-Aufnahmen des International Ultraviolet Explorer (IUE) hatte ergeben, dass der am Ort der Supernova zuvor existierende Blaue Überriese verschwunden sein musste. Nach klassischer Vorstellung war aber ein Blauer Überriese ein junger Stern, der bekannten Sternentwicklungstheorien zufolge in diesem Stadium noch gar nicht explodieren sollte.

Die Spektren von SN 1987A enthielten aber sowohl Linien von Wasserstoff als auch solche schwererer Elemente, wie sie bei Fusionsprozessen im Sternzentrum und während der Phase des Schalenbrennens in entwickelten Riesensternen wie den Roten Überriesen entstehen. Wenn solche Sterne den dafür erforderlichen massereichen Eisenkern gebildet hatten, sollten sie in einer Kernkollaps-Supernova explodieren.

Das äußere Erscheinungsbild dieser Supernova mit den herkömmlichen Theorien in Verbindung zu bringen, schien zunächst unlösbar wie die Quadratur des Kreises. Viele Theoretiker hatten verschiedene Lösungsansätze vorgeschlagen, wobei sie teilweise die Grundlagen der damals bekannten Sternphysik ignorierten. Nahezu willkürlich hatten sie ihre Modellannahmen abgeändert, um Ergebnisse zu erhalten, mit welchen sich die Beobachtungen von SN 1987A erklären ließen.

Auf einer Konferenz in Fairfax bei Washington, D. im Herbst 1987 war ein noch unbekannter Doktorand vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), Philipp Podsiadlowski, mit seiner Kritik an den abenteuerlichen Überlegungen in die Szene geplatzt, hatte aber keine eigene Alternative angeboten. Denn die Erklärung, die er und Paul Joss, sein Doktorvater, ausgearbeitet hatten, bedurfte noch Verbesserungen und war noch nicht reif für die Öffentlichkeit.


Ein neuer Denkansatz
Ihr Denkansatz schien eigentlich ganz wegweisend: In der Supernova war anscheinend die falsche Sorte Stern explodiert. Was aber, so fragten sie, hat das äußere Erscheinungsbild eines Sterns überhaupt mit der Explosion zu tun? Denn die Ursache für die Explosion liegt schließlich nicht in der ausgedehnten, leichten Hülle eines Roten Überriesen, sondern im Kollaps seines schweren Eisenkerns. Die rote Überriesenhülle ist also nur eine Begleiterscheinung, die von außen her gestört werden könnte.

Aber wie? Vielleicht durch einen Doppelstern? Was geschieht, wenn der alternde Stern beginnt, sich aufzublähen? In einem engen Doppelsystem mit einem zweiten Überriesen wird die Hülle des sich aufblähenden Sterns schon bald in den Anziehungsbereich des Partners geraten. Nur bei einem sehr weit auseinander liegenden Paar oder einem Einzelstern kann die Hülle des Riesen in ferner Distanz vom massereichen Kern schweben, ohne das Gleichgewicht zu verlieren. In einem engen Paar dagegen wird die expandierende Hülle auf den Partner überfließen, sobald sie das so genannte Roche-Volumen ausfüllt (siehe Grafik S. 44/45 der Druckausgabe).

Ließen sich damit die Beobachtungen von SN 1987A erklären? In einem Doppelsternsystem mit enger Bahn hat die Hülle nicht ausreichend Platz, als dass sie sich weit ausdehnen könnte. Da der Stern aber weiterhin Energie produziert und seine Leuchtkraft unverändert groß ist, wird die kleinere, auf das Roche-Volumen der Bahn beschränkte Hülle entsprechend stärker aufgeheizt. Sie nimmt eine höhere Temperatur und damit eine Farbe aus dem kurzwelligeren Bereich des Spektrums an, die bis ins Blaue reichen kann. Inzwischen wächst im Innern der Eisenkern während des Schalenbrennens, bis die Eigengravitation Überhand gewinnt, er deshalb kollabiert und als Supernova explodiert. Es sollte also Überriesen geben, deren äußeres Gewand trotz Alterung in blauem Licht erstrahlt!

Doch ein glaubwürdiges Modell muss alle Befunde der Beobachtung erklären und nicht nur einige, wie dieses es tat. Etwa ließ sich damit nicht die ungewöhnliche Lichtkurve erklären, die kein Plateauprofil zeigte, sondern deren Helligkeit bis zum Maximum langsam anstieg. Weshalb trat die Energie der Explosion nur mit zehnfacher Verzögerung aus den Trümmerwolken aus?

Massearme, weit aufgeblähte Hüllen von Roten Überriesen sollten in der Explosion mit Leichtigkeit davongeblasen werden, so dass die Strahlungsenergie der Supernova rasch austreten kann und die Lichtkurve schnell ihr Maximum erreicht. Ein gewöhnlicher Blauer Überriese hätte im Gegensatz dazu eine kompakte Hülle, die schwer auf der Explosionsstoßwelle im Sterninneren lastet und nur langsam durchsichtig wird. Das würde zwar auf die Lichtkurve passen, jedoch existiert der Eisenkern, der zum Kollaps führt, noch gar nicht. Beim in der Roche-Zone blau gebliebenen Überriesen im Doppelsternsystem hätte sich die Hülle wiederum vor der Explosion ausgedünnt, da sie zum Teil auf den Partner übergegangen war. Daher hätte die Supernova schnell aufleuchten sollen, bevor sie ihr Maximum über einige Zeit hielt, bis sie wieder abklang. Doch dies hatte SN 1987A nicht getan.

Podsiadlowski und Joss publizierten ihre Doppelsternsupernova als rein theoretische Möglichkeit, doch eine endgültige Erklärung für SN 1987A fehlte noch immer. Etwas bedauerlich, denn ihr Modell machte sogar eine überprüfbare Vorhersage: Sobald sich die Explosionswolke nach etwa einem Jahr verzog, sollte der überlebende Partner, selbst ein Blauer Überriese, wieder sichtbar werden. Dennoch: Eine raffinierte Antwort, aber auf die falsche Frage.

Die Astrophysik begann, mit sich zu hadern. Da war die erste Supernova seit Erfindung des Fernrohrs explodiert, die genauer untersucht wurde, und nichts passte mehr zusammen. Allerdings war die Supernova auch eindeutig von einer seltenen Art, da ihre Lichtkurve so markant von allen bekannten Fällen abwich. Einige Forscher zogen nun den grundlegenden Mechanismus der Explosion in Zweifel. Andere erdachten weitere Szenarien mit Doppelsternen, welche in den Augen ihrer Kritiker aber den Nachteil hatten, dass sie fast beliebige Supernova-Eigenschaften ermöglichten. Dagegen ähnelten sich die meisten beobachteten Sternexplosionen doch sehr. Stan Woosley aus Santa Cruz, dessen Modell mit willkürlich reduzierter Konvektion Podsiadlowski kritisiert hatte, beendete die Diskussion 1988 mit dem Urteil, dass sich SN 1987A grundsätzlich nicht mit einem Doppelsternsystem erklären ließe. Der MIT-Doktorand erhielt über Jahre hinweg keine Gelegenheit mehr, auf Supernova-Konferenzen vorzutragen.


Ein alter Bekannter taucht auf

Inzwischen geisterte wieder der geheimnisvolle Fleck durch die Debatten. Eine US-amerikanische und eine britisch-australische Forschergruppe hatte in Speckle-Beobachtungen rund ein und zwei Monate nach Aufleuchten der Supernova nur wenige Millibogensekunden neben ihr einen hellen Lichtfleck aufgespürt. Da diese Methode jedoch gewisse Unsicherheiten barg, hielten Kritiker die Erscheinung für einen Beugungseffekt. Die Gruppe um Nisenson von der Harvard University verlor bald darauf ihre Forschungsgelder.

Es gab jedoch noch ein französisches Team, das eine hochauflösende SpeckleKamera auf die Supernova richtete: Almas Chalabaev vom Observatoire de HauteProvence und seine Kollegen verfolgten die Supernova im mittleren infraroten Spektralbereich mit dem 3,6-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte (ESO) auf La Silla in Chile. Ihre Daten zeigten den Fleck bis zum August 1987, ein knappes halbes Jahr nach der Explosion. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Fleck eine drittel Bogensekunde von der Supernova entfernt, in 17.000 Astronomischen Einheiten(AE) projiziertem Abstand.

Alle bekannten Sichtungen sprachen somit dafür, dass sich der geheimnisvolle Fleck seit der Explosion mit 100 AE pro Tag von der Supernova entfernte. Dies entsprach einer Geschwindigkeit von mehr als der Hälfte der Lichtgeschwindigkeit. Schoss denn tatsächlich eine heiß leuchtende, relativistische Materiewolke aus der Supernova heraus? Wenn es sich dabei um einen Materieausstrom von einem Pol der Supernova - also einen Jet - handeln sollte, müsste es von dem gegenüberliegenden Pol einen Gegenjet geben. Doch war von letzterem keine Spur zu sehen. Wenn allerdings die Polachse der Supernova gegen die Himmelsebene geneigt war, dann würde sich der eine Jet zu uns hin bewegen, der andere sich von uns entfernen. Dabei müsste der von uns weg gerichtete auf Grund relativistischer Effekte schwächer erscheinen als der auf uns hinweisende; somit könnte der eine Jet einfach im Rauschen der Aufnahmen untergegangen sein. Doch relativistische Jets in Supernovae? Ein abenteuerlicher Vorschlag in der Szene der ausgehenden 1980er Jahre! Denn zur damaligen Zeit waren solche Jets nur von extrem massereichen Objekten wie etwa Quasaren, den Kernen aktiver Galaxien, bekannt.


Wo steckt der Neutronenstern?

Noch ein weiteres Rätsel galt es zu lösen: Der Neutronenstern, der in einer Kernkollaps-Supernova entsteht, sollte sich irgendwie bemerkbar machen.

An den Magnetfeldpolen des Neutronensterns beschleunigte Elektronen emittieren elektromagnetische Strahlung in verschiedenen Wellenlängenbereichen. Die Strahlung verlässt den Stern als Lichtkegel entlang der Magnetfeldachse. Zudem rotieren diese kompakten Objekte von nur wenigen Kilometern Ausdehnung mit einer Frequenz von wenigen Millisekunden bis einigen Sekunden, wobei die Frequenz mit zunehmendem Alter abnimmt. Da in der Regel Rotations- und Magnetfeldachse gegeneinander geneigt sind, überstreicht der Lichtkegel je nach relativer Orientierung der Achsen die Sichtlinie zum Beobachter wie das Leuchtfeuer eines Leuchtturms. So sollte sich auch der in der Supernova 1987A entstandene Neutronenstern als Pulsar im Millisekundentakt bemerkbar machen. Doch warum war der noch nicht entdeckt? War vielleicht gar ein Schwarzes Loch entstanden?

Anfang 1989 berichtete ein Team um John Middleditch aus Los Alamos über eine Beobachtung mit einer Hochfrequenzkamera vom Vier-Meter-Teleskop auf dem Cerro Tololo in Chile. Die Astronomen sahen ein Objekt am Ort der Supernova, das mit einer Periode von knapp 2000 Hertz zwischen 18 und 19 mag Helligkeit schwankte. Visuelle Synchrotronstrahlung von einem knapp zwei Jahre alten Pulsar! Das Signal ähnelte jenem des Pulsars im Krebsnebel, dessen Frequenz zwar nur bei 30 Hertz liegt, der aber auch fast 1000 Jahre alt ist. Die Lichtkurve war exakt sinusförmig.

Noch aufregender war die Entdeckung, dass die Signalphase bei SN 1987A mit einer Periode von acht Stunden minimal schwankte. Dies deutete auf ein Doppelsternsystem hin. Der Pulsar schien einen Begleiter von einigen Jupitermassen auf einer Bahn mit acht Stunden Umlaufzeit zu besitzen. Damit lag der Bahnradius beim Durchmesser der Sonne - also innerhalb des Sternradius des früheren Riesensterns. Der vermutete Begleiter musste also schon vor der Explosion innerhalb der Hülle des Riesen dessen Kern umlaufen haben. Da er durch Reibung an der Hülle gebremst wurde und daher seine Bahn um den Kern immer enger geworden sein musste, dürfte er aber erst nicht allzu lange vor der Supernova-Explosion in den Riesen eingetaucht sein.

Am MIT nahm Philipp Podsiadlowski diese Beobachtung wie vom Schlag getroffen zur Kenntnis. Er war gerade dabei, seine Doktorarbeit fertig zu stellen, ließ aber sofort alles stehen und liegen. Eine Sternverschmelzung?! Podsiadlowski erlebte einen Heureka-Effekt. Innerhalb von einer Woche hatte er Computersimulationen gerechnet und eine neue Publikation geschrieben. Mit einem Mal schien die Lösung für SN 1987A gefunden. Unpassend war nur die Masse des Begleiters. Denn die simulierte Verschmelzung lieferte nur dann ein sinnvolles Ergebnis, wenn der Begleiter ebenfalls ein massereicher Stern war und nicht etwa ein Brauner Zwerg.

Noch ahnte niemand, dass Middleditch die Pulsfrequenz von 2000 Hertz ein Jahr später wiederfinden würde, allerdings bei Beobachtungen des Pulsars im Krebsnebel. Ein elektronisches Störsignal eines neben der Kamera stehenden Videomonitors! Damit waren weder der Pulsar 1987A noch sein Begleiter echt. Middleditch behielt zwar seinen Job, hatte aber seine Reputation ruiniert. - Tatsächlich ließ sich bis heute kein Pulsar am Ort von SN7A ausmachen, weder direkt noch indirekt durch den Widerschein an der ihn umgebenden Materie.


Sternverschmelzung als Lösung

Entscheidend war jedoch die Idee der Sternverschmelzung. Podsiadlowski errechnete folgendes Szenario: In einem Doppelsternsystem verschmilzt ein alternder Überriese mit einem weniger entwickelten Begleiter - zusammen bringen beide rund 25 Sonnenmassen auf die Waage. Das Ereignis liegt 20.000 Jahre vor dem endgültigen Kernkollaps und der Supernova. Zum Zeitpunkt der Verschmelzung hat einer der beiden Riesensterne das Heliumbrennen im Kern gerade beendet und begonnen, sich infolge des Schalenbrennens aufzublähen. Dabei bilden die beiden Sterne eine gemeinsame Hülle, innerhalb derer die zwei Sternkerne ihre Bahn um den gemeinsamen Schwerpunkt fortsetzen. Die Reibung der Hülle bremst aber die Kerne auf ihrer Bahn, so dass diese sich immer mehr verengt. Schließlich stürzen die beiden Sternkerne in den gemeinsamen Schwerpunkt, wo sie miteinander verschmelzen (siehe Grafik). Dieses Ereignis erzeugt einen neuen Stern mit verändertem Erscheinungsbild:

• Der Tumult der Verschmelzung schleudert ungewöhnlich viel Helium und s-Prozess-Elemente in die Hülle, wie beobachtet.

• Das Helium erhöht die Transparenz der Hülle und schaltet die Konvektion ab, wodurch die Hülle zusammenschrumpft. Der neue Überriese sollte blau erscheinen, wie beobachtet. Gleichzeitig wird dem Kern frischer Brennstoff zugeführt, so dass die Fusion im Zentrum noch einmal aufflammen kann. Dadurch wird das Leben des Sterns ein wenig verlängert, doch Kollaps und Supernova stehen kurz bevor.

• Der Drehimpuls der Doppelsternbahn bleibt bei der Verschmelzung erhalten und geht in die Rotation des neu gebildeten Einzelsterns über. Daher rotiert dieser nun extrem schnell, und zwar knapp unterhalb jener Geschwindigkeit, die ihn auseinanderreißen würde. Der Stern ist an den Polen deutlich abgeplattet, und seine Explosion erfolgt asymmetrisch. Die Strahlung der Trümmerwolken ist daher hoch polarisiert, wie beobachtet.

• Aus der Verschmelzung war ein Stern mit einer massereichen und kompakten Hülle hervorgegangen, die das Austreten der bei der Explosion frei gewordenen Strahlungsenergie behindert. Dadurch erreicht die Lichtkurve ihr Maximum später als erwartet, wie beobachtet.

Diesmal passten alle Puzzleteile zusammen. Philipp Podsiadlowski, Paul Joss und Saul Rappaport vom MIT versuchten, ihre Ergebnisse zu publizieren. Das renommierte Journal »Nature« lehnte die Veröffentlichung ab - auf Empfehlung eines anonymen Gutachters aus dem Kreis der Supernova-Forscher. Letztlich brachten die drei ihren Artikel im europäischen Journal »Astronomy & Astrophysics« unter, für amerikanische Autoren eine Verzweiflungstat, die damals als Rezept galt, um unbeachtet zu bleiben.

Podsiadlowski fehlten nach Abschluss seiner Promotion sowohl Anerkennung als auch ein Netzwerk förderwilliger Professoren. Zunächst weltweit ohne Aussichten auf eine Assistentenstelle kam er letztlich doch noch weiter: Der britische Altmeister und spätere Astronomer Royal, Sir Martin Rees, ein enger Weggefährte Stephen Hawkings, nahm ihn an der University of Cambridge unter die Fittiche.

Lange geschah nichts Neues, bis 1993 die Supernova 1993J in der Galaxie M 81 explodierte. Ihr Vorläuferstern war ein gelb-oranger Überriese vom Spektraltyp K. Sie begründete mit ihren seltsamen Eigenschaften den seltenen Kernkollaps-Typ IIb. Bilder vom Weltraumteleskop Hubble und Spektren vom Zehn-Meter-Teleskop Keck auf Hawaii zeigten, dass der Vorläuferstern ein Doppelsystem war. Der orange K-Riese war explodiert, doch sein Begleiter, ein Blauer Überriese, zeigte sich wieder, nachdem sich die Trümmerwolken verzogen hatten. SN 1993J passte damit genau auf die Vorhersage des ersten Modells von Podsiadlowski und Joss.

Der Fall beeindruckte sogar Stan Woosley aus Santa Cruz, der Doppelsterne als Ursprung für Supernovae zuvor strikt abgelehnt hatte. Auf einer Konferenz in China im späteren Jahresverlauf vollzog Woosley einen 180-Grad-Schwenk, hielt den ersten Artikel von Podsiadlowski und Joss in die Höhe und erklärte: »Das müssen Sie lesen, um SN 1993J zu verstehen.«

Zum zehnten Jahrestag der Supernova wurde in La Serena, einem chilenischen Seebad nahe des Cerro Tololo Observatoriums, eine Konferenz abgehalten. Neun Jahre nach seinem Vortragsbann durfte Podsiadlowski erstmals wieder auf einer Supernova-Konferenz vortragen, eingeladen von den Veranstaltern, um die Entwicklung des Vorläufersterns von SN 1987A zu erklären. In einer Debatte sollten beide Seiten die Gelegenheit erhalten, alle ihre Argumente vorzubringen; Richard McCray von der University of Colorado in Boulder fungierte als Schiedsrichter. Als Woosley vortrug, gab selbst er Podsiadlowski Recht und erklärte seinen eigenen Ansatz als untauglich. Die Konferenz schloss damit, das Verschmelzungsmodell zum Konsens zu erklären.


Eine Sternverschmelzung als Ursache für SN 1987A

Umkreisen sich zwei massereiche Riesensterne in einem engen Doppelsternsystem, so beeinflusst die gegenseitige Schwerkraft ihre stellare Entwicklung. Die Bereiche, in welchen Materie allein der Schwerkraft einer der beiden Sterne unterworfen ist, bilden dabei das so genannte Roche-Volumen. Bläht sich die Hülle des weiter entwickelten Sterns auf dem Weg zum Roten Überriesen auf, ist deren Ausdehnung durch sein Roche-Volumen begrenzt. Sobald sie bestrebt ist, sich darüber hinaus auszudehnen, wird sie durch den anderen Stern abgesaugt. Fließt ausreichend Material über, bildet sich eine beide Sternkerne gleichsam umschließende Hülle heraus.
Die sich innerhalb der gemeinsamen Hülle weiterhin umkreisenden Sternkerne verlieren auf Grund der Reibung mit dem Hüllenmaterial an Drehimpuls und nähern sich einander immer weiter an. Die Hülle dehnt sich durch die frei werdende Reibungswärme aus. Schließlich werden die beiden Sternkerne auf ihrer Bahn so langsam, dass sie aufeinander stürzen und miteinander verschmelzen. Dabei wird ein Teil der Hülle in äquatorialer Ebene in die Umgebung abgegeben, ein weiterer Teil in Form zweier Ringe abgestoßen, die entlang eines bipolaren Doppelkegels abdriften.
Der neu entstandene Stern erstrahlt auf Grund seiner veränderten Zusammensetzung als Blauer Überriese, in diesem Fall für weitere 20.000 Jahre, bis er als Supernova 1987A explodiert. Einem gewöhnlichen, noch jungen blauen Überriesenstern sieht er dabei zum Verwechseln ähnlich.
Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.


Neue Einblicke

Eine weitere wichtige Entwicklung stützte diesen Konsens: Dem mit fehlerhafter Optik gestarteten Weltraumteleskop Hubble war im Dezember 1993 bei einer ersten Wartungsmission eine Korrekturlinse eingebaut worden, mit der es endlich die angestrebte Bildschärfe erreichte. Nun zeigte sich die engste Umgebung um die Supernova von ihrer schärfsten Seite: Eine die Supernova umgebende Gaswolke trat nun deutlich als Mehrfachring hervor, dessen Entstehung auf die Sternverschmelzung vor 20.000 Jahren zurückgeht. Dabei war die gemeinsame, abgeflachte Sternhülle durch die Reibung der in ihr umlaufenden und gebremsten Sternkerne aufgeheizt worden. Ein Teil der Hülle wurde durch die freigesetzte Wärme in äquatorialer Richtung abgestoßen. Ein weiterer Teil wurde vom heftigen Sternwind des neugebildeten Blauen Überriesen in Form zweier Ringe abgegeben, die entlang eines bipolaren Doppelkegels abdrifteten. Diese drei Ringe ließen sich in Computersimulationen erst ein weiteres Jahrzehnt später nachbilden - von Thomas Morris, einem Doktoranden Podsiadlowskis (siehe Bild S. Grafik S.45 und Bildserie der Druckausgabe).

Im Jahr 1999 meldete sich Nisenson mit einer neuen Untersuchung des geheimnisvollen Flecks zurück. Verbesserte Rechenleistung der Computer und neue Algorithmen zur Auswertung der problematischen Speckle-Bilder reduzierten Rauschen und Artefakte. Die alte Auswerteprozedur war nicht geeignet, da sie nur fehlerfrei funktionierte, wenn das Bildfeld mehr als doppelt so groß war wie das Seeing-Scheibchen. Tatsächlich war das Feld wegen der hohen Vergrößerung aber nur halb so groß. Verschwand nun der Fleck mit der neuen Auswertungsmethode?

Mitnichten. Das Rauschen sank, der Fleck trat umso klarer hervor, und dann war noch etwas zu sehen: ein schwacher Fleck auf der gegenüberliegenden Seite. Vielleicht waren die beiden Strukturen Jet und Gegenjet eines polaren Materieausstoßes. Falls ja, dann erforderte die Orientierung eine relativistische Raumgeschwindigkeit von 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit. Heute kennen wir relativistische polare Jets nur bei einer besonders seltenen Sorte von Kernkollaps-Supernovae, wo sie aber schneller als 99 Prozent der Lichtgeschwindigkeit sind. Solche Ereignisse sind jedoch so selten, dass wir noch nie eines in unserer kosmischen Nähe beobachtet haben. Der erdnächste Fall wurde 1998 in mehr als einer Milliarde Lichtjahren Entfernung gesichtet, der fernste Fall solcher Gamma-Ray-Bursts liegt bei einer Rotverschiebung von z = 9.

Die Entstehung dieser gewaltigsten Detonationen im All ist noch nicht verstanden. Sie verlangen nach einem rasend schnell rotierenden Stern, der seine Hülle bereits komplett verloren hat. Blicken wir direkt in den polaren Jet, der aus dem Kollaps des nackten Metallkerns schießt, so sehen wir den Burst, weiter nichts. Schoss aus dem Kern der Supernova 1987A ein ähnlich schneller Jet? Wurde er nur durch die noch vorhandene, schwere Hülle des Sterns auf 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit gebremst? Auch bei den Gamma-Ray-Bursts entstand eine aktive Debatte mit zwei Lagern, die noch bis heute andauert: Woosley favorisierte zunächst Einzelsterne und Podsiadlowski Verschmelzungen von Doppelsternen. Ein Déjà-vu?

Die Geheimnisse der Supernova 1987A zu lüften, war eine lange Geschichte. Sie hat die Astrophysiker weit aus vertrautem Terrain herausgezwungen, da es sich um ein ungewöhnliches Ausnahmeobjekt handelte. Was aber bleibt von den Roten Überriesen als kanonische Vorläufer der meisten Kernkollaps-Supernovae? Hier halfen das Weltraumteleskop Hubble und das VLT der ESO, indem sie viele nahe Galaxien hochauflösend abbildeten. Trat in einer von ihnen später eine typische Kernkollaps-Supernova auf, schaute man in die Archive und fand den Vorläuferstern - durchweg Rote Überriesen von 8 bis 20 Sonnenmassen in einer Verteilung, wie sie die Theorie der Sternentwicklung vorhersagte (siehe Bildserie S. 46 Druckausgabe).

Trotzdem bleiben Supernovae noch teilweise unverstanden, denn ihre Simulation verlangt nach enormer Rechenleistung. Turbulenz in drei Dimensionen, Neutrino-Wechselwirkungen und kernphysikalische Zustandsübergänge mit nur ungenau bekannten Parametern, ein Zusammenwirken verschiedenster Effekte auf allen denkbaren Skalen - nichts für zarte Gemüter. Was uns auch heute noch fehlt, sind detaillierte Beobachtungen einer gewöhnlichen Supernova aus der Nähe. Warten auf Beteigeuze?


Christian Wolf promovierte am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Seit zehn Jahren forscht er in Oxford über die Entwicklung von Galaxien sowie über Supernovae und Gammastrahlenblitze.


Literaturhinweise

Wolf, C.: Supernova 1987A, Teil 1: Wie eine Sternexplosion vor 25 Jahren die Fachwelt aufwirbelte. In Sterne und Weltraum 7/2012, S. 34-39
Podsiadlowski, P., et al.: A merger model for SN 1987A. In: Astronomy & Astrophysics, 227, L9 - L12, 1990

Weblinks zum Thema finden Sie unter
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1155888

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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WiS in Sterne und Weltraum
Das WiS-Material »Supernovae und ihre Überreste« nimmt Bezug auf den Beitrag »Die Supernova 1987a« auf S. 42. Anhand des berühmtesten Supernova-Überrests, dem Krebsnebel Messier1, werden Supernova-Explosionen behandelt und es wird gezeigt, dass die Physik dieser makrokosmischen Ereignisse auf die kleinsten Bausteine der Materie zurückgeht. (ID-Nummer: 1051528)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 43:
In den Jahren nach der Supernova-Explosion 1987A zeigten sich in deren Umgebung drei rötliche, ringförmige Materiestrukturen; ein heller kleinerer Lichtkranz und zwei weiter ausgedehnte, blassere Ringe, die aus der Perspektive wie eine gestauchte Acht anmuten. Das Material entstammt dem Vorgängerstern von SN 1987A, einem ungewöhnlichen Blauen Überriesen, wie er bei einer Sternverschmelzung 20 Jahre vor der Explosion entstanden ist.

Abb. S. 46 oben:
Die mit dem Hubble Space Telescope (HST) in den Jahren 1994, 2001 und 2004 aufgenommenen Bilder zeigen den die eigentliche Supernova im Zentrum umgebenden äquatorialen Materiering, der sich bereits 20.000 Jahre vor der Explosion während der Sternverschmelzung ablöste. Die sich ausbreitende Explosionswolke erleuchtet ihn nach und nach immer stärker.

Abb. S. 46 unten:
Die mit dem Very Large Telescope (VLT) und dem New Technology Telescope (NTT) der ESO aufgenommenen Bilder zeigen die Region um die Supernova SN8bk vor, kurz nach und nach Abklingen der Sternexplosion. Auf diese Weise ließ sich als Vorgängerstern von SN8bk ein Roter Überriese ausmachen, der im linken Bild deutlich zu sehen, im rechten Bild aber verschwunden ist (siehe Pfeil). Im mittleren Bild leuchtet er als die Supernova hell auf.

Abb. S. 47:
Ein Video aus HST-Aufnahmen zeigt die Entwicklung des Materierings.

© 2012 Christian Wolf, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/12 - August 2012, Seite 42 - 47
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2012