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FORSCHUNG/663: Homogen oder entmischt? Shampoos und Plastik unter Spannung (FZ Jülich)


Forschungszentrum Jülich - 6. Januar 2009

Homogen oder entmischt? Shampoos und Plastik unter Spannung

Jülicher Forscher untersucht physikalische Grundlagen des Fließverhaltens komplexer Flüssigkeiten


Jülich, 6. Januar 2010 - Alltägliche Produkte wie Shampoos und Plastik bestehen aus höchst komplexen Zutaten, etwa Polymeren und langkettigen Molekülen. Daraus eine stabile Mischung zu schaffen, erfordert abgestimmte Rezepte. Zu hoher Druck oder zu starkes Rühren bei der Produktion trennen oftmals Flüssigkeiten wieder aus der Mischung ab. Dabei spielen die Scherkräfte an den Behälterwänden eine große Rolle. Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich und der französischen Hochschule "École normale supérieure de Lyon" haben erstmals experimentell nachweisen können, wie ein mikroskopischer "Gleitprozess" zu stabileren Flüssigkeiten führt. Mit diesen Erkenntnissen, die in der renommierten Fachzeitschrift "Physical Review Letters" veröffentlicht wurden, kann jetzt das Fließverhalten von komplexen Flüssigkeiten besser vorhergesagt werden.

"Die Beschaffenheit der Wände spielt eine wichtige Rolle, um das Fließverhalten komplexer Flüssigkeiten günstig zu gestalten", erläutert Dr. Pavlik Lettinga, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Jülicher Institut für Festkörperforschung. Starke Scherkräfte verursachen Spannung in der Flüssigkeit, etwa weil ineinander verzahnte Polymerketten aneinander reiben. Zwei Phänomene können der Spannung entgegenwirken: einerseits die Entmischung der Flüssigkeit in unterschiedlich dickflüssige Schichten, andererseits ein Gleiten der Flüssigkeit über ausreichend glatte Gefäßwände. "Es ist uns erstmals experimentell gelungen, anschaulich zu zeigen, wie diese beiden Phänomene miteinander konkurrieren", so Lettinga. "Ein besseres physikalisches Verständnis dieses Zusammenhangs könnte hilfreich für die Optimierung industrieller Prozesse sein, etwa bei der Kunststoffherstellung."

Die Forscher aus Jülich und Lyon nutzten für ihre Experimente so genannte Scherzellen, die aus zwei ineinandersteckenden Zylindern bestehen. Zwischen die rotierenden Wände des Zylinders brachten sie eine Tensid-Wasser-Mischung, die einem Shampoo ähnelt. Um die mikroskopischen Vorgänge in der Flüssigkeit zu verstehen, verfolgten die Forscher kontinuierlich die Fließgeschwindigkeit der Suspension an verschiedenen Positionen zwischen den Wänden mit Hilfe eines Ultraschallmessgeräts.

Oberhalb einer gewissen Fließgeschwindigkeit trennte sich die Suspension in zwei Schichten unterschiedlicher Viskosität auf, die mit verschiedener Geschwindigkeit fließen. Dies konnten die Forscher verhindern, indem sie die Wände der Scherzelle glätteten. Sie sahen, dass dann bei der genau gleichen Fließgeschwindigkeit wie zuvor die Suspension gewissermaßen über die glatten Wände gleiten kann. Gleichzeitig wiesen die Forscher durch Kraftmessungen nach, dass sich dabei die Spannung in der Flüssigkeit abbaut, die durch den Scherfluss verursacht wird. Wenn das Gleiten durch raue Wände schwieriger wird, findet der Spannungsabbau stattdessen durch die Auftrennung der Flüssigkeit statt. Dieser Zusammenhang zwischen beiden Prozessen war bisher nur vermutet worden und birgt Verbesserungspotenzial für die Herstellung von Kunststoffen und Emulsionen.

Originalveröffentlichung:
Competition between Shear Banding and Wall Slip in Wormlike Micelles
M. P. Lettinga und S. Manneville
Phys. Rev. Lett. 103, 248302 (2009)
DOI: 10.1103/PhysRevLett.103.248302


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Physiker des Forschungszentrums Jülich und der Universität Lyon beobachteten bei Experimenten mit so genannten Scherzellen, dass bei starken Scherkräften die Entmischung komplexer Flüssigkeiten damit konkurriert, dass die Flüssigkeit an der Gefäßwand entlanggleitet. Dieses Gleiten passiert bevorzugt bei glatten Gefäßwänden. Die Forscher konnten nachweisen, dass beim Gleiten ein lokaler Spannungsabbau in der Nähe der Wände stattfindet. Ein besseres Verständnis des Zusammenhangs von Scherbandbildung und Gleiten könnte hilfreich für die Optimierung industrieller Prozessbedingungen sein.
Foto: ENS Lyon Foto: Forschungszentrum Jülich

Links:
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IFF-7 am Institut für Festkörperforschung:
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École normale supérieure de Lyon:
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Quelle:
Pressemitteilung vom 6. Januar 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Januar 2010