Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → PHYSIK

GESCHICHTE/020: Die Seebecksche Lochsirene (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 12 vom 3. Juli 2007

Die Seebecksche Lochsirene
Wissenschaftler als Namensgeber in der Geschichte der TU Dresden (4)

Von Peter Paufler


Wenn er auch oft mit seinem Vater Thomas Johann Seebeck (dem Jenaer Arzt und Entdecker des thermoelektrischen Effekts) verwechselt wird, so hat sich doch der Sohn August Seebeck (1805 bis 1849) als Physiker und nicht zuletzt als Direktor der Technischen Bildungsanstalt Dresden (1842-1849) eigene Meriten erworben. Nach dem Studium der Mathematik und Naturwissenschaften an der Berliner Universität (1824-1828) und einer Periode von Lehrtätigkeiten an verschiedenen Berliner Lehranstalten wurde er 1842 zum Professor für Physik und Mechanische Naturlehre an die Technische Bildungsanstalt Dresden berufen. Neben der noch näher zu besprechenden Sirene für die Forschung entwickelte Seebeck auch neue Lehrpläne für Physik und Pläne für die Vergrößerung der Sammlungen und der Bibliothek der Bildungsanstalt insgesamt.

Zu jener Zeit konnten sich die physikalischen Grundlagen der Musik besonderer Aufmerksamkeit seitens der Forschung wie auch der Öffentlichkeit erfreuen. Instrumente waren daher gefragt, bei denen die Tonqualität auf einfache Weise quantitativ erfassbar ist. Eine Reihe von Fragen, die heute zum gesicherten Lehrinhalt des Physikunterrichts der Schule zählen, waren damals Gegenstand intensiver Forschung, und Seebeck hat mit Hilfe einer von ihm konstruierten Sirene wichtige Beiträge zu den Grundlagen der physikalischen Akustik geliefert. Dazu gehören zum Beispiel die Gesetzmäßigkeiten bei der Reflexion des Schalls an einer Wand, der Definition des Tones und des Klanges sowie der Entstehung und Wahrnehmung von Obertönen. Zugleich hat er damit den Brückenschlag zur Physiologie des Hörens befördert, denn von der Zuordnung von Amplituden, Frequenzen und Phasen zu den Hörempfindungen Tonstärke, Tonhöhe und Klangfarbe profitierten ebenso nachfolgende medizinische Studien. Namentlich Hermann von Helmholtz hebt in seiner "Lehre von den Tonempfindungen" (1862) die Seebeck-Sirene als praktikables Vehikel hervor, Tönen unmittelbar Frequenzen zuzuordnen. Mit Georg Simon Ohm geriet Seebeck in einen Disput über die Zerlegung von Klängen in Töne und über die Entstehung und Wahrnehmung von Obertönen, der erst später durch v. Helmholtz aufgeklärt wurde.

Übrigens verdanken wir August Seebeck während seiner Dresdner Zeit auch Pionierarbeiten zu einem anderen Problem zwischen Physik und Medizin, nämlich der Physiologie des Farbsehens.

Die Lochsirene von Seebeck bestand ursprünglich aus einer rotierenden Scheibe von 30 bis 40 cm Durchmesser, mit eingeschlagenen Löchern von etwa 4 mm Durchmesser, die untereinander den gleichen Abstand haben, aber in verschiedener Anzahl auf einem Kreis um den Scheibenmittelpunkt liegen. Durch ein Röhrchen, dessen Mündung, etwas enger ist als der Durchmesser eines Loches und das dicht an die Ebene der Scheibe gebracht wird, fließt ein Luftstrom gegen die Lochreihe. Dadurch wird ein Ton erzeugt, dessen Frequenz gleich der Anzahl der Löcher ist, die während einer Sekunde die Mündung des Röhrchens passieren. Durch Veränderung dieser Frequenz (entweder durch die Scheibendrehzahl, bei Seebeck sechs bis 12 Umdrehungen pro Sekunde, oder durch die Löcheranzahl, ursprünglich 12 bis 120) kann das Ohr des Beobachters den Sirenenton mit einem Ton unbekannter Natur abgleichen und so dessen physikalische Kenngrößen bestimmen. Seebeck selbst war sehr überrascht, dass er Tondifferenzen von einer Schwingungsperiode auf 1200 Schwingungen noch zu erkennen in der Lage war. Zur Analyse des menschlichen Ton-Wahrnehmungsprozesses konstruierte er eine Doppelsirene aus zwei Scheiben auf gemeinsamer Achse, zwischen die der Kopf des Probanden gesteckt werden konnte.

Als Beispiel für Seebecks bekannte Versuche, die zunächst im Physik-Labor in der Rüstkammer am Jüdenhof, ab 1846 dann aber im unter seinem Direktorat entstandenen Neubau am Antonsplatz ausgeführt wurden, sei folgender erwähnt. Eine Lochreihe wird von entgegengesetzten Seiten her angeblasen, und zwar so, dass, wenn eine Röhre sich vor einem Loch befindet, die andere dem folgenden gegenübersteht. Bläst man nur mit jeweils einer Röhre, erzeugt jede für sich den gleichen Ton. Wird aber mit beiden Röhren gleichzeitig geblasen, so verschwindet der Ton, er wird durch Interferenz ausgelöscht!

Weiter untersuchte er erstmals die Bedingungen, unter denen Interferenz möglich ist und formulierte Kriterien, die heute als Kohärenzbedingungen bekannt sind. Beispielsweise können Schallwellen noch einander auslöschen, wenn sie von nicht zu weit entfernten Quellen ausgesandt werden. Ihn trieb dabei weniger das Bedürfnis nach Ruhe an als vielmehr das nach einem Grundverständnis der Schallwellen.

Zwei Lochreihen, von denen die eine doppelt so viele Löcher hat, unterscheiden sich durch eine Oktave. Seiner Aufmerksamkeit war es auch nicht entgangen, dass den Sirenentönen Obertöne beigemischt sind, die er auf der Grundlage der damals noch jungen mathematischen Methode der Fourier-Zerlegung von periodischen Funktionen interpretierte. Werden die Löcher entlang des Kreises nicht regelmäßig, sondern zufällig verteilt, ergibt sich kein Ton, sondern ein Geräusch. Falls die Abstände nur wenig um einen Mittelwert schwanken, dominiert ein Ton, wenn auch nicht sehr prägnant.

Als Seebeck 1849 an einer Pockenerkrankung starb, verlor die Technische Bildungsanstalt einen kreativen Forscher, Lehrer und Leiter, dessen Sirenenklänge noch Generationen nach ihm faszinieren sollten.


*


Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 18. Jg., Nr. 12 vom 03.07.2007, S. 7
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Tel.: 0351/463-328 82, Fax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juli 2007