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BERICHT/006: Die DPG stellt vor - Weltraumgravitationsforschung in spe ... (SB)


Schallwellen breiten sich in der Luft aus, indem sie diese lokal stauchen oder dehnen. Das löst in der angrenzenden Umgebung weitere Stauchungen oder Dehnungen aus, die ihrerseits den sogenannten Schalldruck weitergeben, so daß sich der Anfangsimpuls fortsetzt. Die menschlichen Stimmbänder beispielsweise sind so beschaffen, daß sie die Luft dermaßen fein modulieren können, daß das Ohr Untertöne ironischer, sarkastischer, aggressiver oder trauriger Art unterscheiden kann. Eines Tages mit ähnlicher Genauigkeit eine ganz andere Art von Wellen "hören" zu können, erhofft sich die Astronomie vom Bau des weltraumgestützten Detektors eLISA (Evolved Laser Interferometry Space Antenna). Mit diesem "Ohr" sollen Gravitationswellen erlauscht werden. So wie sich Schall in dem Medium Luft ausbreitet, sollen sich nach physikalischer Vorstellung Gravitationswellen in dem Medium "Raumzeit" ausbreiten. Womöglich bereits vor Jahrmilliarden ausgelöst, kämen sie auf der Erde als sehr, sehr feine, periodische Dehnungen oder Stauchungen der Raumzeit an.

Gravitationswellen können nicht künstlich erzeugt werden. Die Forschung will sie mittels einer Meßanordnung aufspüren, die eine Million Kilometer lang ist. Dahinter steckt die Annahme, daß sich Gravitationswellen zwar in der als leer angenommenen Raumzeit ausbreiten, aber daß sich durchaus mit einem entsprechend großen und sensiblen "Ohr" eine solche Störung ablauschen läßt. "Gravitationswellen gehen durch Sterne einfach hindurch und können sich auch im Vakuum fortpflanzen. Diese Wellen sind eine Verzerrung der Geometrie des Raums selbst", wird Roland Haas vom Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam auf der Website "Welt der Physik" der Deutschen Physikalischen Gesellschaft e.V. zitiert. [1]

Ein Widerspruch? Kann etwas, das per Definition durch Sterne einfach hindurchgeht, überhaupt von etwas aufgefangen werden, das wie die Sterne nicht "leer" ist? Das ist dann kein Widerspruch, wenn man, wie in der Physik üblich, annimmt, daß auch Sterne gewissermaßen auf Gravitationswellen reagieren, ihnen also eine Reflektionsfläche bieten, an denen sie "brechen", nur daß das noch nicht gemessen wurde. Wobei der Begriff "brechen" übertrieben wirkt angesichts des extrem schwachen Signals, bzw. umgekehrt der äußerst hohen Empfindlichkeit der Meßgeräte, mit denen Gravitationswellen detektiert werden. Zudem geht man davon aus, daß Sterne selbst ebenfalls Gravitationswellen erzeugen, wenngleich von so verschwindend geringer Stärke, daß sie weit, weit unterhalb der Meßfähigkeit des Menschen liegen.

Luftbildaufnahme des LIGO-Gebäudekomplexes, von dem zwei lange, senkrecht zueinander stehende Laserkanäle ausgehen - Foto: LIGO Laboratory, Louisiana, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

LIGO-Labor in Louisiana
Foto: LIGO Laboratory, Louisiana, freigegeben als CC BY 2.0 [https://creativecommons.org/licenses/by/2.0/] via Flickr

Wenn Physikerinnen oder Physiker von Gravitationswellen sprechen, dann werden diese für sehr massereiche Objekte bzw. Phänomene wie die Kollision zweier schwarzer Löcher, ein Zusammentreffen von schwarzem Loch und Neutronenstern, Pulsare, Supernovae oder sogar den Urknall angenommen. Erstmals wurde eine angeblich feine Veränderung der Raumzeit am 14. September 2015 mit Meßinstrumenten in den USA nachgewiesen, dem LIGO (Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium). Demnach haben sich zunächst zwei schwarze Löcher mit der 36fachen respektive 29fachen Sonnenmasse mit bis zu halber Lichtgeschwindigkeit umkreist und sind dann ineinandergestürzt, miteinander verschmolzen oder wie auch immer man sich diesen unvorstellbaren Vorgang vorstellen kann. Dabei wurden im Bruchteil einer Sekunde drei Sonnenmassen - etwa 6 x 1030 kg - in Gravitationswellenenergie umgewandelt. Diese breitete sich mit Lichtgeschwindigkeit im Universum aus und traf - zum Glück für die Erdenbewohner deutlich abgeschwächt - auch auf zwei Meßinstrumente in Hanford und Louisiana.

Das Akronym LIGO steht für Laser Interferometer Gravitation Wave Observatory (Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium). LIGO besteht aus zwei Meßanordnungen, eines im Norden der USA, in Hanford (Washington), und eines im Süden, in Livingston (Louisiana). Unter der Annahme, daß sich Gravitationswellen mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, hieß das bei einem Abstand von 3000 Kilometern, daß ein Signal diese Strecke innerhalb von maximal zehn Millisekunden (ms) zurücklegt. Das bedeutet, daß ein Signal, das innerhalb von zehn Millisekunden auf die beiden Meßapparaturen trifft, vermutlich eine Gravitationswelle ist und beispielsweise kein Erdbeben. Denn seismische Wellen breiten sich viel langsamer aus. Auch ein vorbeifahrender Lastwagen, eine Hitzeausdehnung des Meßgeräts, der Überflug eines Satelliten (oder das Niesen eines Virus ...) würden nicht jene spezifische Signalfolge ergeben, wie sie vor knapp zwei Jahren zur Mittagszeit an dem an der Beobachtung beteiligten Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Hannover erstmals entdeckt worden war.

Inzwischen wurde mit LIGO noch ein weiteres Signal eingefangen, das als Gravitationswelle gedeutet wird. Zwischen Entdeckung und ihrer Bekanntgabe vergingen jeweils einige Monate, in denen die Daten analysiert und ausgewertet wurden. Die Beteiligten wollten sichergehen, daß ihre Entdeckung der Überprüfung standhält. Damit werde die vor rund hundert Jahren von Albert Einstein aufgestellte Allgemeine Relativitätstheorie bestätigt, heißt es. Der Physiknobelpreisträger hätte sich nicht vorstellen können, daß eines Tages hochfeine Meßinstrumente wie LIGO verwirklicht werden, die seine Theorie untermauern. Dabei ist LIGO noch richtig grob verglichen mit LISA Pathfinder und eLISA.

Diese beiden Meßapparaturen wurden am 15. März 2017 von Prof. Gerhard Heinzel, Forschungsgruppenleiter am Albert-Einstein-Institut Hannover: Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, auf der Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) in Bremen vorgestellt. Der Referent hatte zusammen mit dem Direktor des Albert-Einstein-Instituts und Professor für Physik an der Leibniz Universität Hannover, Karsten Danzmann, ab dem Jahre 2001 das LISA-Pathfinder-Projekt entwickelt.


Drei per Laserstrahl verbundene Satelliten bilden ein gleichseitiges Dreieck im All. Im Hintergrund Erde, Mond und Sonne. Noch weiter 'entfernt' ein kosmisches Ereignis, das Gravitationswellen aussendet - Bild: NASA

Künstlerische Darstellung des einst von ESA und NASA konzipierten Gravitationswellendetektors LISA
Bild: NASA

Der Forschungssatellit LISA Pathfinder wurde am 3. Dezember 2015 ins All geschossen. Er kreist inzwischen etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt um den Lagrange-Punkt L1. In den sogenannten Lagrange-Punkten heben sich die Anziehungskräfte von Erde und Sonne gegenseitig auf, deswegen bilden sie attraktive Regionen für bestimmte Arten der Weltraumbeobachtung. An Bord von LISA Pathfinder befinden sich Meßinstrumente, mit denen Nachweismethoden der Gravitationswellenforschung erprobt werden sollen; es geht noch nicht darum, Gravitationswellen nachzuweisen. Die ESA zeigte sich hochzufrieden mit den bisherigen Ergebnissen, hatte doch LISA Pathfinder die vorgesehene Mindestmeßgenauigkeit um das Fünffache übertroffen, das heißt, die Störeinflüsse waren wesentlich besser abgeschirmt als erwartet. Damit war der Satellit schon in die Nähe der eigentlich erst für eLISA geplanten Meßgenauigkeit angelangt.

Dennoch dient LISA Pathfinder "nur" als Vorbereitung für eLISA, dessen Start für das Jahr 2034 anberaumt wurde und mit dem niederfrequente Gravitationswellen im Frequenzbereich von bis zu einem Hertz erfaßt werden sollen. Damit können möglicherweise Gravitationswellen nachgewiesen werden, "die als Relikte von Prozessen im frühen Universum zu deuten sind, wie etwa schwingende kosmische Strings, Phasenübergänge und das Echo des Urknalls selbst", spekuliert das DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V.). [2]

Nicht technische, sondern forschungspolitische Gründe sind für die lange Frist von 17 Jahren bis zum geplanten Start von eLISA ausschlaggebend, betont Prof. Heinzel. Man könne auch einige Jahre früher starten. Ursprünglich von dem Weltraumorganisationen ESA und NASA als Gemeinschaftsprojekt geplant, wird das Vorhaben nach dem Ausstieg der NASA vor einigen Jahren nunmehr von den Europäern, wenngleich in internationaler Kooperation mit außereuropäischen Ländern, fortgesetzt. Ein Wiedereinstieg der NASA wird nicht ausgeschlossen.

Der Gravitationswellendetektor eLISA besteht aus drei Raumsonden, die ein nahezu gleichseitiges Dreieck mit einer Seitenlänge von einer Million Kilometer bilden. Dieses Anordnung wird in etwa 50 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde im Weltall positioniert, um Schwerkrafteinflüsse so gering wie möglich zu halten. Alle drei künstlichen Satelliten kreisen auf eigenen Bahnen um die Sonne, ihre Abstände zueinander werden jedoch mit Hilfe der Laserinterferometrie ausgemessen. Der Muttersatellit schickt jeweils einen Laserstrahl zu den Tochtersatelliten. Von dort wird ein Laserstrahl zum Muttersatelliten zurückgesandt.

An Bord von eLISA befinden sich drei sogenannte Testmassen, die nirgends statisch aufgehängt sind, sondern sich im freien Fall befinden. Durchläuft nun eine Gravitationswelle diese Meßanordnung, werden die Laserstrahlen entweder gestaucht oder gedehnt. Das wirkt sich auf die frei schwebenden Testmassen aus, deren Position von den Lasern erfaßt wird.

Die Testmassen werden von Außeneinflüssen wie Sonnenwind oder Photonen abgeschirmt. Das gilt als wichtige Voraussetzung dafür, daß mit hoher Meßgenauigkeit der Einfluß von Gravitationswellen auf die Testanordnung belegt werden kann. Bereits bei LISA Pathfinder wurde der Abstand zweier Testmassen mit größerer Genauigkeit als der des Durchmessers eines Atoms gemessen.

Die Testmassen werden sich im Vakuum befinden. Die Kollision mit einem Luftmolekül (oder einem Virus!), die wie bei LISA Pathfinder vielleicht noch vereinzelt in der Vakuumkammer vorhanden waren, wäre eine Art Crescendo in den Meßaufzeichnungen, also eine massive Störung, die aus den Daten herausgerechnet werden müßte. Selbst die Eigengravitation der drei Raumsonden gilt als unzulässige Störgröße. Bei LISA Pathfinder wird dies "minutiös mit Ausgleichsgewichten für den Messraum weggetrimmt" [3].

Bei eLISA will man noch genauer messen, sehr viel genauer. Die Laserinterferometrie erlaubt eine Präzision von einem Zehntausendstel eines Protondurchmessers. Wenn das System aus einem Mutter- und zwei Tochtersatelliten positioniert ist und von einer Gravitationswelle durchquert wird, werden die Laser Abstandsänderungen der eine Million Kilometer voneinander entfernten Testmassen mit einer Genauigkeit von Bruchteilen eines Picometers (1 Picometer = 10-12 Meter bzw. 0,000000000001 m ) registrieren. Da läßt sich gut vorstellen, daß Viren ein Störfaktor sein können. Denn sie sind rund 100 Nanometer groß, das entspricht 0,00000000001 bzw. nur 10-11 Meter.

Mit den Observatorien LISA Pathfinder und eLISA wird die Astronomie nun endgültig der dunklen Seite des Universums "verfallen". Bislang hat sich die Forschung hauptsächlich mit elektromagnetischen Wellen befaßt, zu denen auch das Licht gehört. Selbst schwarze Löcher kann man nicht sehen, sondern man schließt aus dem Verhalten ihrer mutmaßlichen Umgebung auf ihre Existenz. Die Gravitationswellenforschung jedoch richtet den Schwerpunkt ihrer Aufmerksamkeit auf etwas, das nicht als elektromagnetische Welle beschrieben wird und damit auf etwas, das man nicht sieht, nämlich den mehrheitlich dunklen, glanzlosen Teil des Universums. Bis 2034 ist eine lange Zeit, doch die beruflichen Perspektiven der beteiligten Forscherinnen und Forscher sehen, im umgekehrten Verhältnis zum zukünftigen Gegenstand ihrer Untersuchungen, geradezu glänzend aus. Die Astronomie steht vor einer neuen Ära der Himmelsbeobachtung.


Die fünf Punkte liegen auf der gleichen Ebene wie der Bahnverlauf der Erde um die Sonne. L1, um den LISA Pathfinder kreist, befindet sich auf einer Geraden zwischen Erde und Sonne Bild: Cmglee, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons

Die fünf Lagrange-Punkte im Sonne-Erde-System
Bild: Cmglee, freigegeben als CC-BY-SA-3.0 [https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.en] via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] http://www.weltderphysik.de/gebiet/astro/gravitationswellen/wie-entstehen-gravitationswellen/

[2] http://www.dlr.de/rd/desktopdefault.aspx/tabid-2448/3635_read-5451/

[3] https://www.heise.de/newsticker/meldung/Suche-nach-Gravitationswellen-LISA-Pathfinder-uebertrifft-alle-Erwartungen-3228630.html


Bisher im Schattenblick unter INFOPOOL → NATURWISSENSCHAFTEN → REPORT zur DPG-Frühjahrstagung in Bremen erschienen:

BERICHT/004: Die DPG stellt vor - Verantwortung der Wissenschaft ... (SB)
BERICHT/005: Die DPG stellt vor - Endlichkeit nicht vorgesehen ... (SB)

INTERVIEW/009: Die DPG stellt vor - unzureichend treibt voran ...    Prof. Dr. Claus Lämmerzahl im Gespräch (SB)
INTERVIEW/010: Die DPG stellt vor - Schwingungen und Perspektiven ...    Prof. Dr. Klaus Fredenhagen im Gespräch (SB)
INTERVIEW/011: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 1) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/012: Die DPG stellt vor - das Mögliche auch nutzen ...    Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart im Gespräch (SB)
INTERVIEW/013: Die DPG stellt vor - die Maßstäbe prüfen ...    Martina Gebbe im Gespräch (SB)
INTERVIEW/014: Die DPG stellt vor - unbekannten Emissionen auf der Spur ...    Dr. Stefan Schmitt im Gespräch (SB)
INTERVIEW/015: Die DPG stellt vor - Zusammenschau ...    Dr. Irena Doicescu im Gespräch (SB)
INTERVIEW/016: Die DPG stellt vor - Vermächtnis der Vergleiche ...    Dipl. Ing. Stefanie Bremer im Gespräch (SB)
INTERVIEW/017: Die DPG stellt vor - fortschreitendes Verständnis (Teil 2) ...    Prof. Dr. Domenico Giulini im Gespräch (SB)
INTERVIEW/018: Die DPG stellt vor - die Sonne im Blick ...    Prof. Dr. Katja Matthes im Gespräch (SB)
INTERVIEW/019: Die DPG stellt vor - Wissenschafts- und Selbsterkenntnis ...    Prof. Dr. Hardi Peter im Gespräch (SB)
INTERVIEW/020: Die DPG stellt vor - Ursuppe der Forschung ...    Dr. Ralf König im Gespräch (SB)
INTERVIEW/021: Die DPG stellt vor - bis zum letzten Augenblick ...    Dr. Rolf König im Gespräch (SB)
INTERVIEW/022: Die DPG stellt vor - Ozon und sein doppeltes Gesicht ...    Prof. Dr. Markus Rex im Gespräch (SB)
INTERVIEW/023: Die DPG stellt vor - selbstredend ...    Prof. Dr.-Ing. Klaus Hofer im Gespräch (SB)


26. April 2017


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