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INTERVIEW/036: Experimentierhalle SHELL - zur Jagd auf die Axionen ...    Prof. Dr. Dieter Horns im Gespräch, Teil 1 (SB)



Beim Interview - Foto: © 2019 by Schattenblick

Prof. Dr. Dieter Horns
Foto: © 2019 by Schattenblick

Galaxien verhalten sich so, als gäbe es neben der sichtbaren noch eine unsichtbare Materie. Deren Existenz vermutete schon 1933 der Schweizer Astronom Fritz Zwicky nach der Beobachtung von Galaxien in einem Galaxienhaufen und nannte sie Dunkle Materie. In den 1970er Jahren waren es die US-Astronomin Vera Rubin und andere, die feststellten, daß die äußeren Sterne der sich drehenden Spiralgalaxien eine so hohe Geschwindigkeit besitzen, daß sie eigentlich davonfliegen müßten, würden sie nicht durch die Massenanziehungskraft einer Dunklen Materie an die Drehbewegung der Galaxien gebunden. Weitere Phänomene sind inzwischen dazugekommen, so daß die Dunkle Materie, die ausschließlich über ihre Gravitationswirkung auf sichtbare Materie zu erkennen ist, fester Bestandteil des heutigen physikalischen Weltbilds wurde. Nur rund fünf Prozent des Universums sind sichtbar, 25 Prozent werden der Dunklen Materie zugeordnet und 70 Prozent der Dunklen Energie.

Auf dem Campus Bahrenfeld in Hamburg versuchen gleich mehrere Forschungsgruppen, die Existenz der Dunklen Materie nachzuweisen. Dazu wurden am 8. Juli 2019 in der Experimentierhalle SHELL zwei neuartige Experimente des Exzellenzclusters Quantum Universe der Universität Hamburg feierlich eingeweiht, MADMAX und BRASS. Letzteres wird von dem Physiker Prof. Dr. Dieter Horns vom Institut für Experimentalphysik wissenschaftlich geleitet.

Mit BRASS soll die Theorie überprüft werden, daß die angenommene Dunkle Materie mindestens teilweise aus Axionen besteht. Wie wir berichteten (siehe unten), baut Horns dazu eine Parabolschüssel auf, bestückt sie mit handelsüblichen Permanentmagneten und installiert in 4,80 Metern Entfernung hochsensible Empfänger. Sie sollen nicht die Axionen selbst registrieren, denen eine rund eine Milliarde Mal geringere Masse als Elektronen zugesprochen wird, sondern Photonen, Lichtteilchen, die der Theorie nach entstehen müßten, wenn Axionen auf eine Parabolschüssel mit einem Magnetfeld treffen. Man weiß allerdings nicht, in welchem Frequenzbereich das stattfinden wird, und stochert gewissermaßen im Nebel - wobei selbst der Nebel noch mehr Anhaltspunkte zur Orientierung liefert als die Dunkle Materie. Das Besondere an BRASS (Broadband Radiometric Axion Searches) ist die Möglichkeit, mit einer einzigen Messung einen breiten Spektralbereich abzudecken, das heißt, den Nebel an ganz vielen Stellen gleichzeitig anzustechen.

Im Anschluß an die Eröffnung der Experimentierhalle SHELL stellte sich Prof. Dr. Horns dem Schattenblick für einige Nachfragen zur Verfügung.

Schattenblick (SB): Kam die Idee zu dem BRASS-Experiment ursprünglich von Ihnen?

Prof. Dr. Dieter Horns (DH): Die Idee, überhaupt in dieser Art und Weise nach Dunkler Materie zu suchen, hatten wir zusammen mit den Kollegen vom DESY und vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn entworfen. Dazu haben wir 2012 eine Veröffentlichung geschrieben. Damals war die Idee etwas komplett Neues, an diese Nachweismethode hatte zuvor niemand gedacht. Inzwischen gibt es mehrere Experimente, die mit so einem Reflektor nach Dunkler Materie suchen. Aber wie das so ist, eine Idee vorzustellen ist nur ein kleiner Schritt. Jetzt haben wir 2019 und endlich diesen Aufbau. Das war schon ein ziemlich langer Weg, um auch die Institutionen davon zu überzeugen, mehr Geld in die Hand zu nehmen. Man muß klar sagen, letztendlich hat uns das die Exzellenz-Cluster-Initiative ermöglicht.

SB: Im Vergleich mit Parabolschüsseln, wie sie von der Radioastronomie her bekannt sind, ist die Schüssel von BRASS ziemlich klein.

DH: Ja, auch vom Kostenvolumen her ist BRASS kein sehr großes Experiment. Zudem ist es nicht das einzige, wir führen hier noch weitere Laborexperimente durch. Ich habe hier drei Laborräume, in denen unter anderem Dunkle-Materie-Suchexperimente und interferometrische Experimente laufen. BRASS ist somit eine von mehreren Aktivitäten.

SB: Was ist das teuerste daran?

DH: Der Spiegel hat etwa 100.000 Euro gekostet. Doch jede Komponente des Spiegels werden wir weiterverwenden können. Das ist nicht etwas für nur einen Aufbau. Wir können den Spiegel vergrößern und ihn am Ende sogar als Radioteleskop verwenden. Das ist vielleicht eine etwas verrückt klingende Idee, aber so etwas Wertvolles werfe ich ja nicht weg. Der Empfänger, den wir zusammen mit den Forschern aus Bonn bauen, kostet etwa 200.000 Euro. Da wir davon unterschiedliche Varianten brauchen werden, werden sie das meiste Geld in Anspruch nehmen.

Die Empfänger sind hochempfindliche Geräte, die mit flüssigem Helium gekühlt werden. Das ist erforderlich, damit sie so wenig thermisches Rauschen wie möglich messen. Die sollen ja nur unsere Signale registrieren, auch im höherfrequenten Bereich. Wir fangen jetzt bei 1020 Gigahertz an, dann gehen wir auf ungefähr 1040, dann auf 1080 und schließlich auf über 10100 Gigahertz. Jeder dieser Empfänger kostet ähnlich viel Geld. Wenn man in all diesen Frequenzbereichen suchen will, geht da das meiste Geld da hinein. Demgegenüber sind die Magnete gar nicht so teuer.


2,50 Meter große Parabolschüssel, davor ein Hinweisschild 'Bitte nicht anfassen - Please do not touch' - Foto: © 2019 by Schattenblick

Der Spiegel des Experiments BRASS reflektiert kaum im sichtbaren Bereich, aber sehr gut in einem Spektrum, in dem sich Axionen aufhalten sollen.
Foto: © 2019 by Schattenblick

SB: Kommen die Axionen, nach denen Sie suchen, aus dem Weltraum?

DH: Dunkle Materie ist überall, und wenn sie aus Axionen besteht, dann existieren diese überall, auch in diesem Raum. In jedem Kubikzentimeter wären dann ungefähr 1014 Axione.

SB: Kann man sich diese so wie Neutrinos vorstellen, die feste Materie durchdringen können?

DH: Im Prinzip wie die niederenergetischen Neutrinos. Die höherenergetischen Neutrinos hingegen kommen nicht mehr durch die Erde durch, sie werden in ihr gestreut. Wobei Axione noch weniger und in einer anderen Art und Weise wechselwirken als Neutrinos. Axione sind immer da.

Sehen Sie, es ist ganz interessant, wenn man darüber nachdenkt, daß sich Erde und Sonne, also das ganze Sonnensystem, mit einer Geschwindigkeit von 220 Kilometern pro Sekunde um das galaktische Zentrum herumbewegen. Die Erde wiederum bewegt sich um die Sonne, was bedeutet, daß gerade jetzt, wo wir hier miteinander sprechen, im Monat Juli, wir uns mit der Erde in derselben Richtung bewegen. Dann addieren sich diese 30 Kilometer pro Sekunde von der Erde zu den 220 Kilometern pro Sekunde von der Sonne. Wir bewegen uns also rund zehn Prozent schneller als im Winter. Anfang Dezember wären wir dann ungefähr 30 Kilometer pro Sekunde langsamer.

Das führt zu interessanten Effekten, denn die Dunkle Materie bewegt sich nicht auf einem kreisförmigen Orbit um das galaktische Zentrum, sondern sie bewegt sich zwar auch um das Zentrum, aber ungeordnet in alle möglichen Richtungen. Vor diesem Hintergrund variiert unsere durchschnittliche Bewegungsgeschwindigkeit im Halbjahresintervall. Das heißt, unser Signal variiert in derselben Weise und wird sich ein ganz klein wenig in der Frequenz verschieben.

SB: Ist das dann wichtig für den Nachweis?

DH: Ja, das ist sehr wichtig für den Nachweis. Weil, wenn wir später tatsächlich irgendwann anfangen, Signalkandidaten zu messen, wir damit zeigen können, daß es sich wirklich um Dunkle Materie handelt. Denn es gibt keine anderen Untergrundsignale, die diesen Effekt bewirken könnten. Das ist einer der Gründe, warum wir wissen, daß wir eine sehr genaue Frequenzauflösung brauchen. Nur so können wir den Unterschied messen. Der macht bei 100 Gigahertz vielleicht etwas im zweistelligen Kilohertzbereich aus. Diese sehr kleine Frequenzverschiebung ist aber meßbar und als Unterscheidung von anderen möglichen Untergrundsignalen wichtig.

SB: Im Jahr 2012 wurde die Entdeckung des Higgs-Bosons bekanntgegeben. An dem Nachweis hatte ein Supercomputer jahrelang gearbeitet, um aus einer ungeheuer großen Datenmenge ein einziges Ereignis von extrem kurzer Zeit herauszufiltern. Wird für den Nachweis von Axionen auch so ein Supercomputer benötigt?

DH: Nein, die Datenmengen, die im LHC [Anm. der SB-Red.: Large Hadron Collider] für das Higgs-Boson erzeugt wurden, waren immens. Wir erzeugen mit unserem Experiment zwar auch große Datenmengen, aber die sind nicht so groß. Wir haben über das Computing noch gar nicht viel nachgedacht, weil wir davon ausgehen, daß die Computer in der Zeit, in der wir die Experimente entwickeln, immer besser werden. Bei uns kommen vielleicht rund sechzehn Gigabyte pro Sekunde zustande, die wir speichern müssen. Wir werden aber nicht alles abspeichern, sondern die Daten akkumulieren, das heißt, wir addieren unsere Signale auf, um das Rauschen zu unterdrücken. Das Rauschen ist eine zufällige Fluktuation in beide Richtungen, aber ein echtes Signal sollte sich positiv immer weiter aufaddieren.

Natürlich arbeiten auch wir mit parallelisiertem Computing, weil wir sehr große Datenmengen gleichzeitig verarbeiten müssen. Das tatsächliche Datenaufsammeln am Ende ist gar nicht so schwierig. Wir bieten sogar ein Experiment im Praktikum an. Da können die Studenten dann selbst mit einer ähnlichen Methode nach Dunkler Materie suchen und die Daten aufzeichnen. Das läuft auf vielleicht ein halbes Gigabyte pro Sekunde hinaus. Die können fast schon an einem herkömmlichen PC ausgewertet werden.

SB: Es wird angenommen, daß hinter dem Higgs-Boson ein Higgs-Feld existiert. Man nimmt also bereits ein Feld im Raum an, das alles durchdringt. Würden die Axionen dem gleichen Feld entspringen, oder nimmt man an, daß es noch ein weiteres Feld im Hintergrund gibt?

DH: Das wäre ein weiteres Feld. Das Higgs-Feld ist ja eines, das wir schon seit den 60er Jahren als Erklärung für verschiedene Effekte erwarten, auf die wir in der Teilchenphysik treffen. Aber es hat ein paar Gemeinsamkeiten mit dem Axionfeld, und zwar handelt es sich bei beiden Elementarteilchen um sogenannte skalare Teilchen. Eine skalare Größe ist einfach nur eine Zahl wie eins, zwei, drei. Eine vektorielle Größe dagegen sind mindestens drei Zahlen, mit denen ich eine Richtung im Raum vorschreiben kann. Ein Skalar hat dagegen einfach nur eine Größe, keine Ausrichtung.

SB: Es hat keine Dimension?

DH: Genau, es hat die Dimension Null, wenn man so will. Das Higgs-Boson ist ein solches skalares Teilchen, es hat den Spin 0. Spin stellt man sich als eine Art Eigendrehimpuls eines Teilchens vor. Das Axion ist auch ein Teilchen mit dem Spin 0. Das hat also eine sehr ähnliche Eigenschaft. Eine weitere Eigenschaft ist ebenfalls gleich: Das Higgs-Feld ist ein Feld, das es überall im Universum gibt und dafür sorgt, daß die Teilchen Masse erhalten. Wenn Axione Dunkle Materie sind, sind sie auch als Feld oder als Anregung des Feldes überall vorhanden, wenngleich in unterschiedlicher Stärke. Das Higgs-Feld ist dagegen überall gleich stark. Aber die Energiedichte des Axionfelds ist unterschiedlich, je nachdem, wo ich bin. Innerhalb der Galaxie ist die Energiedichte wesentlich höher als außerhalb. In einem Galaxienhaufen ist sie ebenfalls relativ hoch.

SB: Worauf gründet sich das Modell, daß es unterschiedliche Gewichtungen gibt, mit mehr Dunkler Materie in den Galaxien?

DH: Ganz einfach aus den Beobachtungen. Wenn ich die Geschwindigkeit unserer Sonne messe, dann weiß ich, daß ich eine gewisse Gravitationskraft brauche, um sie auf dieser Bahn bei dieser Geschwindigkeit zu halten. Ungefähr die Hälfte der Gravitation kann ich durch die Materie, die ich in unserer Galaxie kenne, also Sterne, Staub, Gas, etc., erklären Die andere Hälfte muß ich mir irgendwie anders erklären. Je weiter ich mich von dem Zentrum der Galaxie entferne, desto mehr von der Dunklen Materie brauche ich, weil die andere sichtbare Materie dann in ihrer Dichte abfällt. Und wenn ich einen Galaxienhaufen betrachte, dann sehe ich, daß sich die Galaxien darin mit ein-, zweitausend Kilometern pro Sekunde bewegen. Wenn ich aber die Galaxien zähle und schaue, wie viele davon da sind, und jede Galaxie hat rund 1011 Sonnenmassen, dann fehlt mir ungefähr ein Faktor 200. Das heißt, ich brauche 200mal mehr Dunkle Materie, um die Gravitationskraft zu erzeugen, um die Galaxien in diesem Galaxienhaufen zu halten.

SB: Noch einmal nachgefragt: In dem riesigen Leerraum zwischen den Galaxien oder Galaxienhaufen gibt es keine sichtbare Materie, die sich gravitativ verhalten könnte - könnte da nicht auch Dunkle Materie vorhanden sein, ohne daß man sie erkennt?

DH: Die muß sogar da sein.

SB: Aber nicht in der gleichen Dichte?

DH: In einer geringeren Dichte. Wir wissen, was die mittlere Dichte im ganzen Universum ist. Wir kennen die sichtbare Materie und errechnen daraus, daß die Dunkle Materie im Mittel um den Faktor fünf dichter ist.

(wird fortgesetzt)


Eingang des Experimentierraums BRASS - Foto: © 2019 by Schattenblick

Dunkle Materie im Visier
Foto: © 2019 by Schattenblick

Bisher sind zur Einweihung der Experimentierhalle SHELL auf dem Campus Bahrenfeld in Hamburg am 8. Juli 2019 im Schattenblick unter
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16. Juli 2019


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