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ELEKTROTECHNIK/206: Unterwegs mit den Elektroingenieuren - Im Reich der Sauberkeit (RUBIN)


RUBIN - Wissenschaftsmagazin Ausgabe 2/2014
Ruhr-Universität Bochum

Unterwegs mit den Elektroingenieuren Im Reich der Sauberkeit

Wo winzige elektronische Bauteile produziert werden, ist jedes Schmutzteilchen ein Störenfried. Wer im Reinraum forscht, braucht deshalb Disziplin.

von Julia Weiler



Weiße und blaue Overalls hängen in Reih und Glied von der Stange. In einem Regal, in dem jedes Fach mit einem Namen beschriftet ist, sind mehrere Paar Schuhe akkurat einsortiert. Reinigungstücher sind das einzige, was auf einer niedrigen Metallbank steht. Hier gibt es keine unnütz herumliegenden Gegenstände. Im schmalen Ankleidezimmer des Reinraums ist alles an seinem Platz. Die Metallbank trennt den schlauchförmigen Raum in eine saubere und eine noch sauberere Welt. Wir sind kurz davor, uns an einen Ort zu begeben, an dem jedes noch so kleine Schmutzteilchen Bedeutung hat.

In 14 Laboren stellt das Team um Prof. Dr. Ulrich Kunze winzige elektronische Bauteile her. Immer mit dem Ziel: noch kleiner, noch effizienter, noch günstiger. Wo ist die Grenze? Was passiert an der Grenze? Forscherinnen und Forscher am Lehrstuhl Werkstoffe und Nanoelektronik produzieren Chips, optimieren die dafür benötigten Verfahren und messen, was ihre Bauteile können. Die Strukturen, mit denen sie sich befassen, sind teils weniger als 100 Nanometer groß. Jedes Schmutzteilchen - eine Hautschuppe, ein Staubkorn, ein Lidschattenpartikel - ist im Vergleich dazu wie ein Felsbrocken. Landet es auf der winzigen Kontaktfläche eines Mikrochips, ist dieser nicht mehr zu gebrauchen. Disziplin ist gefragt, um die Störenfriede aus dem Reinraum fernzuhalten.

Dr. Liudmila Znajdova achtet darauf, dass alle, die den Reinraum betreten, sich an die Regeln halten. Natürlich auch wir. Bevor wir in den Laboren fotografieren und mit den Mitarbeitern sprechen dürfen, müssen wir einige Vorbereitungen treffen. Wir verstauen unsere Haare unter einem dünnen Netz, wie man es aus Großküchen kennt, und verstecken Mund und Nase hinter einem Mundschutz. Dann lassen wir uns auf der Metallbank nieder, und ziehen einen duschhaubenartigen Plastikschutz über einen Schuh. Den verpackten Fuß schwenken wir auf die andere Seite, darauf achtend, dass unser zweiter Fuß in der Luft schweben bleibt, bis wir auch ihn mit einem Plastiküberzug geschützt haben. Vor einem Spiegel schubsen wir sorgfältig alle Härchen unter das Haarnetz, die bislang Reißaus genommen haben.

"Die Quelle allen Übels im Reinraum ist der Mensch", hatte Professor Kunze uns zuvor gesagt. "Er verliert Härchen und Hautschuppen, wirbelt Partikel durch seine Bewegungen auf, atmet Teilchen aus." Ohne Menschen findet sich in einem Liter Luft im saubersten Labor des Reinraumtrakts gerade einmal ein einziges Partikel von einem Mikrometer Größe. Halten sich Personen dort auf, steigt die Zahl für diese Partikelgröße schnell um den Faktor tausend. "Die Leute, die hier arbeiten, haben sich angewöhnt, morgens zu duschen, keine Deos und Parfums zu benutzen und sich nicht zu schminken", erzählt Liudmila Znajdova. Alles, um Schmutzteilchen aus den Laboren fernzuhalten. Für Raucher gilt außerdem: Die letzte Zigarette muss mindestens zwei Stunden zurückliegen, sonst atmen sie Millionen von Teilchen aus.

Auch wir wollen so wenig Dreck wie möglich in die reine Welt hineintragen, also folgen wir allen Anweisungen von Liudmila Znajdova ganz genau. Unsere restliche Kleidung für die Tour - Overall und Kopfhaube - befreien wir aus luftdichten Plastikverpackungen. Eine spezielle Reinraum-Wäscherei hat sie auf diese Weise angeliefert. Wir stülpen die Kopfhaube über, die nur einen kleinen Teil des Gesichts ausspart, und optimieren die Position des Mundschutzes mit einem speziellen Kniff. Dann vollführen wir einen Turnakt, um in den hellblauen Overall zu schlüpfen, ohne dass die Hosenbeine den Boden berühren. Zuletzt lassen wir noch unsere Hände in engen Latexhandschuhen verschwinden.

Nach all den Vorbereitungen sind wir neugierig und können es kaum erwarten, einen Blick hinter die Kulissen zu erhaschen. Aber so schnell geht es nicht. In den Reinraum gelangen nur gereinigte Gegenstände. Liudmila Znajdova wischt Kamera, Objektive, Stativ und Aufnahmegerät sorgfältig mit Isopropanoltüchern ab. Zum Glück sind wir komplett elektronisch ausgestattet, denn es wäre undenkbar, einen Block und einen Bleistift mitzunehmen. Herkömmliches Papier ist eine Schmutzschleuder, hatte Ulrich Kunze uns verraten. In den Reinraum darf sein Team nur speziell gefertigte Laborbücher mitnehmen. Stückpreis: zwölf Euro.

Endlich ist es soweit! Wir betreten die Schleuse zum Reinraumtrakt und warten, bis die Tür, durch die wir eingetreten sind, ins Schloss gefallen ist. Ein grünes Licht signalisiert uns, dass wir nun die zweite Tür öffnen dürfen. Das Dröhnen der Luftfilteranlagen schlägt uns entgegen. Auf einer klebrigen Fußmatte machen wir ein paar Trippelschritte und lassen so auch den letzten Dreck von unseren Füßen hinter uns.


Was wir über die Chip-Herstellung am Lehrstuhl Werkstoffe und Nanoelektronik erfahren haben, lesen Sie unter:
http://rubin.rub.de/de/chips-aus-dem-rub-labor.


Der Artikel kann als PDF-Datei mit Bildern heruntergeladen werden unter:
http://rubin.rub.de/sites/default/files/rubin/DE-2014/15-reinraum/rubin_2014_2_reinraum.pdf

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Quelle:
RUBIN - Wissenschaftsmagazin, Ausgabe 2/2014, S. 16-17
Herausgeber: Rektorat der Ruhr-Universität Bochum
in Verbindung mit dem Dezernat Hochschulkommunikation
(Abteilung Wissenschaftskommunikation) der Ruhr-Universität Bochum
Anschrift: Dezernat Hochschulkommunikation,
Abteilung Wissenschaftskommunikation
Ruhr-Universität Bochum, 44780 Bochum
Telefon: 0234/32-25528, Fax: 0234/32-14136
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Januar 2015


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