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FRAGEN/001: Prof. Ralf Lehnert - "Kluge" Stromnetze übertragen Daten (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 4 vom 2. März 2010

"Kluge" Stromnetze übertragen Daten
Die Informationstechnik muss künftig jeden Haushalt erreichen - ein EU-gefördertes Forschungsprojekt an der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik

Von Monique Rust


Professor Ralf Lehnert ist Inhaber der Professur Telekommunikation an der Fakultät Elektrotechnik und Informationstechnik. Seine Professur startete als Teil eines internationalen Konsortiums im Januar 2010 ein Forschungsprojekt zur Datenübertragung über Mittel- und Niederspannungsnetze.


UJ: Für eines der Forschungsprojekte, an dem Ihre Professur als Teil eines internationalen Konsortiums beteiligt ist, hat die EU eine Fördersumme von 3,5 Millionen Euro bewilligt. Der Antrag hat sogar die bestmögliche Bewertung bei der Bewilligung erhalten. Das ist im Rahmen des aktuellen 7. EU-Forschungsrahmenprogramms bisher noch keinem TUD-Projektantrag bei den kleinen oder mittleren "Spezifischen Gezielten Forschungsprojekten" (STREP) gelungen. Worum geht es bei diesem Projekt?

PROF. RALF LEHNERT: Die Projektziele können mit drei Schlagworten umschrieben werden: Smart Grid, Automatic Meter Reading und Home Automation.


UJ: Könnten Sie die Begriffe bitte kurz erklären?

PROF. RALF LEHNERT: Momentan ist das Energieverteilnetz der Energieversorger ein reines Verteilnetz, das heißt, es wird Energie erzeugt, ins Netz eingespeist und zu den Verbrauchern transportiert. Das funktioniert gut, wenn Energie zentral in Kraftwerken erzeugt wird und keine Schwankungen auftreten. Wenn Energie aber dezentral erzeugt wird und die Leistung der Energieerzeugung schwankt, kann das problematisch sein. Das ist bei regenerativen Energiequellen (beispielsweise Photovoltaikanlagen) der Fall. Hier ist eine unmittelbare Regelung des Energieflusses nötig.

Die ganzheitliche Organisation der Stromnetze zur Erzeugung, Verteilung und Regelung von elektrischer Energie sowie der dazu nötigen Kommunikation nennt man Smart Grid.

Forschung und Neuentwicklungen auf dem Gebiet des Automatic Meter Reading (AMR) sind dringend notwendig, denn ein EU-Gesetz besagt, dass seit 1. Januar 2010 in allen Mitgliedsstaaten in jedem Neubau elektronische Stromzähler statt der bisher üblichen mechanischen eingebaut werden müssen. Diese elektronischen Zähler können dem Verbraucher regelmäßig den Zählerstand (also den Stromverbrauch) übermitteln. Das wird Automatic Meter Reading genannt.


UJ: Welchen Vorteil hat das für den Verbraucher?

PROF. RALF LEHNERT: Das schafft Transparenz auf dem Energiemarkt, weil es dem Kunden erlaubt, seinen Stromverbrauch abzurufen und so seinen Energiehaushalt zu kontrollieren. Das lohnt sich für ihn finanziell insofern, als dass er die Nutzung von elektrischen Geräten, beispielsweise der Waschmaschine, auf Tageszeiten legen kann, zu denen das Stromnetz nicht ausgelastet ist. Dadurch kann er wiederum seine Stromkosten senken.


UJ: Warum sind die elektronischen Stromzähler, die es bereits auf dem Markt gibt, dafür nicht geeignet?

PROF. RALF LEHNERT: Weil deren unterschiedliche Systeme nicht kompatibel zueinander sind. Wenn Energieversorger sich auf dem heutigen Stand der Technik also für ein Produkt eines Herstellers entscheiden und dann später Probleme feststellen, ist es entweder fast unmöglich oder ungemein teuer, das System auszutauschen. Ein Ziel des Projekts ist es deswegen, die Kommunikationstechnik der elektronischen Stromzähler zu verbessern und vor allem die Systeme zu standardisieren, also eine einheitliche Technologieplattform zu schaffen.

Das 3. unserer Projektziele, Home Automation, kennt man schon. Das sind Komfortfunktionen im Haus wie automatische Lichtschaltung oder das automatische Regulieren des Heizsystems; sie schaffen mehr Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit. Und mit "Konnex" gibt es auch schon eine standardisierte technologische Plattform dafür. Aber die Datenübertragung ist hier sehr langsam; sie beträgt nur maximal 1 kBit/s. Wir wollen das auf 100 kBit/s steigern. Damit soll es beispielsweise dem Kunden ermöglicht werden, schnell mit der Webcam im Wohnzimmer zu überprüfen, was die Katze dort gerade macht; unabhängig davon, wo auf der Welt er sich gerade aufhält.


UJ: Welchen Beitrag kann die Nachrichtentechnik - also Ihr Fachgebiet - dazu leisten?

PROF. RALF LEHNERT: Um AMR und Home Automation umzusetzen bzw. zu verbessern, muss jeder Privathaushalt per Informationstechnik erreicht werden und das Datenübertragungsnetz jeden Winkel des Hauses erreichen können. Das zu bewerkstelligen, ist unsere Aufgabe. Eine der bisherigen Schwierigkeiten beim AMR ist, dass Stromzähler in der Regel nicht nah an den Kommunikationsnetzen - sprich: am Telefonanschluss - im Haus liegen. Denn Stromzähler sind meist im Keller, der Telefonanschluss ist es in der Regel nicht. Somit kann die Telefonleitung nicht für die Datenübertragung genutzt werden. Auch Funk kann für AMR häufig nicht eingesetzt werden, denn die Funkwellen sind in der Regel zu schwach, um die dicken Kellerwände zu durchdringen.

Deswegen sollen Stromleitungen für die Datenübertragung genutzt werden. Das hat für den Energieversorger den Vorteil, dass die bereits vorhandene Infrastruktur genutzt werden kann und sich deswegen keine Lizenzkosten für ihn ergeben.

Die Datenübertragung über Stromleitungen nennt man Powerline Communications (PLC). Wir wollen ein Netz zur Schmalband-PLC schaffen.


UJ: Zumindest Breitband-PLC kennt man doch schon.

PROF. RALF LEHNERT: Stimmt, Breitband-PLC ist eine alternative Zugangsnetztechnologie und wird heutzutage schon genutzt. Innerhalb eines Hauses ist Breitband-PLC sehr erfolgreich, z.für den Internetzugang mittels WLAN mit verschiedenen Access Points und PLC als Range Extender. Aber aus vielfältigsten Gründen konnte sich Breitband-PLC als Anschlusstechnologie bisher nicht durchsetzen, z. B. wegen seiner Störanfälligkeit bzw. Störstrahlung.

Mit Schmalband-PLC hingegen bewegen wir uns in einem zugelassenen Frequenzband, wo Störungen anderer Nutzer nicht auftreten. Zudem können wir wesentlich größere Reichweiten erreichen und deshalb mit jedem Haus kommunizieren, damit sicher jeder Stromzähler erreicht werden kann. Die modernen, aus dem Mobilfunk bekannten Modulationsverfahren, z. B. OFDM, erlauben uns auch bei Schmalband-PLC Datenraten von bis zu 100 kBit/s.

Zusammenfassend kann man sagen, dass wir eine flächendeckende und standardisierte Kommunikationsinfrastruktur für Mittel- und Niederspannungsnetze schaffen wollen, die es so bisher in Europa noch nicht gibt.


UJ: Wann startet das Projekt und wie lange wird es laufen?

PROF. RALF LEHNERT: Das "Kickoff-Meeting" hat am 15. Januar 2010 stattgefunden; das Projekt hat eine Laufzeit von drei Jahren.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 21. Jg., Nr. 4 vom 02.03.2010, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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Telefon: 0351/463-328 82
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2010