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RAUMFAHRT/802: ATV-2 - Rendezvous bei 28.000 Kilometern in der Stunde (DLR)


Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - 24.02.2011

ATV-2: Rendezvous bei 28.000 Kilometern in der Stunde - Europäischer Raumtransporter "Johannes Kepler" dockte an der Internationalen Raumstation an


Nach fast acht Tagen Flug im Erdorbit erreichte das ATV-2 (Automated Transfer Vehicle) "Johannes Kepler" am 24. Februar 2011 die Internationale Raumstation ISS und dockte um 16.59 Uhr mitteleuropäischer Zeit (MEZ) am russischen Swesda-Modul an. Das Rendezvous-Manöver bei 28.000 Kilometern in der Stunde hatte in 39 Kilometern Entfernung hinter der ISS begonnen. "Alle Manöver haben reibungslos und auf Anhieb geklappt", sagte Volker Schmid vom Raumfahrtmanagement des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Voraussichtlich bis zum 4. Juni 2011 wird der Raumtransporter mit der ISS verbunden bleiben.

Rendezvous und Docking liefen in verschiedenen Phasen und über sogenannte imaginäre Haltepunkte. Das ATV befand sich zu Beginn des Andockmanövers an einem Punkt 39 Kilometer hinter und fünf Kilometer unterhalb der ISS. Begonnen hatte der Anflug zur Raumstation gegen 12.38 Uhr (MEZ). Unterstützt wurde "Johannes Kepler" dabei von mehreren Systemen: Eine Funk-Verbindung zum russischen Modul, der sogenannte Proxy-Link, war ebenso aktiv wie das relative GPS. Hierbei werden die über das satellitengestützte globale Navigationssystem gewonnenen Positionsdaten von ISS und ATV vom ATV-Bordrechner ausgewertet und verglichen. Sie dienen zur Feinjustierung der ATV-2-Position. Das russische KURS-Radar unterstützte die Navigation ab einer Entfernung von etwa 3,5 Kilometern. Auf den letzten 250 Metern zur ISS sendete ein Lasersystem Impulse an die Reflektoren des russischen Swesda-Moduls und berechnete die Lage anhand der reflektierten Signale. Auf den letzten 50 Metern navigierte das ATV-2 schließlich noch mit einem Videosystem. Insgesamt dreieinhalb Stunden dauerte das Manöver, bei dem der fast 20 Tonnen schwere Transporter mit einer Genauigkeit von fünf bis acht Zentimetern andockt.


Automatisches Andock-Manöver unter Beobachtung

Wäre das ATV dabei beispielsweise außerhalb des zulässigen Anflugkorridors (Winkel von circa 4 Grad auf den letzten 19 Metern) geflogen, hätte der Raumtransporter selbständig das Manöver abgebrochen und wäre dann zu seinem gespeicherten, vorherigen Haltepunkt zurückgeflogen. Auch das ATV-Kontrollzentrum in Toulouse hätte bei außerplanmäßigen Ereignissen eingreifen können. In der Raumstation selbst verfolgte der europäische Astronaut Paolo Nespoli das Andockmanöver. "Letztendlich kann die Besatzung der Raumstation das Rendezvous-Manöver bei Gefahr stoppen, das ATV auf den letzten Haltepunkt zurücksetzen, den Anflug wieder aufnehmen oder sogar ganz abbrechen und dabei sowohl die Kommandos des ATVs als auch des Kontrollzentrums überstimmen", erklärt Schmid. "ATV-2 würde dann wieder auf den ersten Haltepunkt in 39 Kilometer Entfernung zur ISS zurückkehren. Nach der Fehlerbehebung kann dann ein erneuter Andockversuch erfolgen."

Bereits beim Vorgänger, dem ATV "Jules Verne", hatte das Andockmanöver reibungslos funktioniert. Nach zwei Probeanflügen in 3500 und 11 Metern Entfernung, bei denen alle Kommandos durchgespielt wurden, hatte der erste europäische Raumtransporter am 3. April 2008 präzise an der Raumstation angedockt. "Das erste Rendezvous zwischen ATV und ISS verlief wesentlich sanfter als die Ankunft der Progresstransporter und Sojusraumschiffe", sagt Schmid. "Bei denen spürt die Besatzung der ISS einen leichten Ruck."


Bahnkorrektur für die Raumstation

Nach dem Andockmanöver wird der Raumtransporter nach einer gewissen Zeit in den "Schlafmodus" umgeschaltet. Von nun an übernimmt die Raumstation die elektrische Versorgung des ATVs. Später kann über den Andockadapter auch das russische Service-Modul betankt werden. Erst wenn alle Schnittstellen einwandfrei funktionieren, wird am 25. Februar 2011 das Öffnen der Luke zum Raumstransporter erlaubt. Mit Schutzbrille und Atemschutz ausgerüstet können die Astronauten dann das ATV "betreten" - bevor ein ungeschützter Zugang möglich ist, muss die Crew einen Luftsauger installieren, der eventuell herumfliegende Partikel aus der Luft filtert. Erst dann kann die ISS-Besatzung in Alltagskleidung in den Frachtraum schweben und mit dem Entladen der Fracht beginnen.

Voraussichtlich bis zum 4. Juni 2011 bleibt das ATV mit der Raumstation verbunden. Die Ankunft der Space Shuttles wird dabei nicht beeinträchtigt, da dieses an einer anderen Stelle der Raumstation andockt. In den nächsten Monaten hebt "Johannes Kepler" die ISS jedoch zunächst in neun Manövern mit seinen Triebwerken Stück für Stück um insgesamt 50 Kilometer an. Nach seiner Trennung vom russischen Swesda-Modul wird der Raumtransporter mitsamt festem und flüssigem Abfall von der Raumstation im kontrollierten Eintritt in der Erdatmosphäre verglühen.


Die Mission

Das ATV ist ein europäisches Gemeinschaftsprojekt unter Führung der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Vom ATV-Kontrollzentrum in Toulouse aus wird der Missionsbetrieb überwacht. Für die programmatische Steuerung und die Vertretung der deutschen Interessen im ISS-Programm der ESA ist das DLR Raumfahrtmanagement im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) zuständig. Die industrielle Führung des Projekts liegt bei der Astrium GmbH in Bremen. Am DLR-Standort in Lampoldshausen wurden die deutschen wiederzündbaren Oberstufentriebwerke der Ariane 5 ES getestet, die ATV-2 ins Weltall brachte. Das DLR in Oberpfaffenhofen stellt den Kommunikationsknoten für die Kommunikation der beteiligten Kontrollzentren beim ATV-Betrieb. Das DLR in Göttingen war an der Grundlagenforschung zur optimalen Anordnung der Steuerdüsen bei der ATV-Entwicklung beteiligt.

Artikel mit Bild unter:
http://www.dlr.de/DesktopDefault.aspx/tabid-1/9600_read-29302/


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Quelle:
Pressemitteilung vom 24.02.2011
Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR)
Unternehmenskommunikation, Linder Höhe, 51147 Köln
http://www.dlr.de/


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Februar 2011