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WERKSTOFFE/437: Interview - Biomaterialien aus den Meerestiefen (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 20. Juli 2009

INTERVIEW
Biomaterialien aus den Meerestiefen


Im Interview erklärt Peter Fratzl, Direktor am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam-Golm, warum sich Biophysiker die Natur zum Vorbild nehmen. Der Wissenschaftler, Pionier auf dem Gebiet biomimetischer Werkstoffe, versucht beispielsweise zu verstehen, warum Knochen und Holz so extrem stabil und gleichzeitig verformbar sind.


FRAGE: Herr Professor Peter Fratzl, im Wissenschaftszug "Expedition Zukunft" stellen Sie das Skelett eines Glasschwamms aus. Was ist das für ein Tier und was interessiert Sie daran?

FRATZL: Glasschwämme leben in der Tiefsee. Dieser Schwamm "züchtet" im Inneren des Skeletts zwei Krebse und lebt mit ihnen in Symbiose. Was uns an diesem eigentümlichen Lebewesen interessiert, ist der Umstand, dass sein Skelett, das aus Glas besteht, im Großen und Ganzen unzerbrechlich ist. Wir wollen wissen, wie man aus Glas so hervorragende Dinge bauen kann.

FRAGE: Glas ist normalerweise brüchig. Im Skelett des Glasschwamms wird es jedoch elastisch. Wie kann das Tier die Eigenschaften des Materials derartig verändern?

FRATZL: Das ist genau die Frage, die uns interessiert. Die Sprödigkeit von Glas führt normalerweise dazu, dass aufgrund eines Kratzers in der Oberfläche bereits die ganze Struktur durchbricht. Deshalb kann man Glas auch schneiden. Das Skelett des Glasschwamms besteht aus Mikro- oder Nanopanzerglas. Ganz dünne Glasschichten sind durch noch viel dünnere, nanometerdicke Proteinschichten miteinander verbunden.

FRAGE: Wie sehen die hierarchischen Strukturen im Aufbau des Glases aus?

FRATZL: Hierarchisch bedeutet, dass man je nach Vergrößerung, eine ganz andere Architektur erkennen kann. Das beginnt bereits im ganz Kleinen, im Glas selbst, bei kleinen Nanokügelchen, aus denen das Glas besteht. Sie müssen ja bedenken, dass das Glas bei Raumtemperatur oder bei tieferen Temperaturen entstanden ist und nicht durch Schmelze. Diese kleinen Glaskügelchen werden zusammengefügt zu Schichten - und diese Schichten ergeben dann, wenn sie konzentrisch angeordnet sind, Fasern. Mit diesen Fasern kann der Schwamm wie ein Architekt Gebäude, im Sinne eines Skeletts, zusammenfügen. Mit den hierarchischen Strukturen haben sie bestimmte Konstruktionsprinzipien in der Natur gefunden. Kleine, regelmäßige Formen werden zu größeren zusammengesetzt.

FRAGE: Ist diese Bauweise ein universelles Prinzip in der Natur? Gibt es weitere Beispiele?

FRATZL: Es ist tatsächlich so, dass die Natur praktisch immer über hierarchische Prinzipien baut. Und dieses Prinzip ist allgegenwärtig. Ein Beispiel, das wir alle kennen, ist unser eigenes Skelett. Der Knochen ist hierarchisch aufgebaut. Er besteht aus kleinen Partikeln, die zu Fasern zusammengefügt sind. Diese wiederum ergeben Schichten. Auf diese Weise ist unser Knochen verhältnismäßig bruchresistent. Aber auch Pflanzen und viele andere Lebewesen sind über hierarchische Prinzipien aufgebaut.

FRAGE: Haltbares, biegsames, elastisches Glas. Das braucht man auch für Zukunftstechnologien. Stichwort: Glasfaser. Lassen sich mit der Bauweise des Glasschwamms heute schon Glasfasern herstellen?

FRATZL: Jetzt haben wir zwar das Grundprinzip verstanden, wie man aus Glasfasern hervorragende Materialien machen kann, die sowohl Licht leiten, ohne es zu brechen. Das "Herstellungsverfahren", das der Glasschwamm verwendet, nachzustellen, ist allerdings alles andere als einfach. Unter anderem dauert er zu lange für unsere typischen technischen Prozesse. Hier ist noch einiges an Forschungsarbeit notwendig, bevor unsere Erkenntnisse in eine technische Realisierung münden.

FRAGE: Welche weiteren Forschungsfragen ergeben sich aus ihren Ergebnissen?

FRATZL: Die Natur verwendet das hierarchische Bauprinzip dazu, um aus einfachen und günstigen Grundstoffen hervorragende Materialien zu konstruieren. Für uns stellt sich jetzt die prinzipielle Frage, wie wir dieses Bauprinzip in die Technik übertragen können, um aus Materialien, die die Natur selbst gar nicht verwendet, Materialien mit völlig neuen Eigenschaften zu konstruieren. Also die Frage: Können wir durch Strukturierung, indem wir Materialien porös oder nanoporös machen, indem wir es in Fasern und Schichten zusammenfügen, die Eigenschaften massiv verändern.

Ich danke für das Gespräch!

Mit Peter Fratzl sprach Uwe Springfeld


Weitere Informationen erhalten Sie von:
Prof. Dr. Peter Fratzl
Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung, Potsdam-Golm
E-Mail: gabbe@mpikg.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 20. Juli 2009
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2009