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INTERNATIONAL/006: Pakistan - Therapiezentrum ermöglicht Kriegsversehrten eine Berufsausbildung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. November 2014

Pakistan: Neue Perspektiven für Kriegsversehrte - Therapiezentrum in Peshawar ermöglicht Berufsausbildung

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Etwa 2.000 Frauen wurden bereits im Paraplegischen Zentrum in Peshawar behandelt und ausgebildet
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 27. November (IPS) - Nachdem die 22-jährige Pakistanerin Shakira Bibi im August 2013 von einem Querschläger der Taliban getroffen worden war, hatte sie zunächst jede Hoffnung auf ein normales Leben aufgegeben. Für die junge Frau, die seit dem Tod ihres Mannes im Jahr 2012 allein für sich und ihre Tochter sorgen muss, brach eine Welt zusammen, als ihr die Ärzte mitteilten, dass sie für den Rest ihres Lebens bettlägerig sein würde. Doch inzwischen hat sie sich in ihrem Heimatbezirk Nord-Waziristan in den Stammesgebieten unter Bundesverwaltung (FATA) als Schneiderin und Stickerin eine neue Existenz aufgebaut.

Ihr neues Leben verdankt sie dem Paraplegischen Zentrum von Peshawar (PPC), der einzigen Organisation in Pakistan, die Physiotherapien für Menschen mit Lähmungen anbietet. Mit Hilfe des PPC hat sich Bibis körperlicher Zustand deutlich verbessert. "Vor allem freut sie sich darüber, dass sie hier im Zentrum ein Handwerk erlernen konnte", sagt ihre Mutter Zar Lakhta. "Um ihre Zukunft müssen wir uns nun keine Sorgen mehr machen."

Wie der Leiter des PPC, Syed Muhammad Ilyas, berichtet, stürzen Querschnittslähmungen die Betroffenen und ihre Familien in eine tiefe Krise. "Hinzu kommt, dass etwa 80 Prozent unserer Patienten die einzigen Ernährer ihrer Familien sind. Mehr als 90 Prozent leben unterhalb der Armutsgrenze, mit einem täglichen Einkommen von weniger als zwei US-Dollar."

Arbeiten zu können, ist für Querschnittsgelähmte ebenso wichtig wie die Physiotherapie, die ihnen helfen kann, ihre Gliedmaßen teils wieder gebrauchen. "Deswegen haben wir Experten geholt, die den Patienten Schneidern, IT-Kenntnisse, Glasmalerei und Sticken beibringen", sagt Ilyas.

Die meisten Familien müssen zwischen 100 und 400 Kilometer weit fahren, um zu dem Zentrum zu gelangen - ein Aufwand, der sich lohnt. Das PPC bietet nicht nur Berufsausbildungen, sondern Einzel- und Gruppenberatungen an. Im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungsprogramms sollen die Patienten ihre Würde und Selbstachtung wiederfinden und auf ein selbständiges Leben nach der Entlassung aus dem Zentrum vorbereitet werden.

Von dem Engagement der Helfer konnte auch der 40-jährige Muhammad Shahid profitieren, der sich 2008 im Distrikt Swat in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa eine Rückenverletzung zuzog. "Nach einer Operation in einem staatlichen Krankenhaus kam ich in das Zentrum, wo ich Sticken lernte", berichtet er. "Inzwischen arbeite ich zu Hause und verdiene etwa 300 Dollar im Monat. Damit kann ich auch meine beiden Söhne und meine Tochter ernähren und zur Schule schicken. Wenn das PPC nicht gewesen wäre, hätte meine Familie verhungern müssen."


Zentrum von IKRK gegründet

Das Zentrum wurde 1979 vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) gegründet, um Verletzte des Krieges der Sowjetarmee in Afghanistan (1979-1989) kostenfrei zu behandeln. Später übernahmen die Behörden von Khyber Pakhtunkhwa die Verwaltung der Einrichtung, die seither auch den Opfern aus den lokalen Stammesgemeinschafen offensteht.

Für Tausende Menschen, die seit 2001 bei Kämpfen zwischen islamistischen Extremisten und Regierungstruppen im an Afghanistan angrenzenden Norden Pakistans ins Kreuzfeuer geraten sind, hat sich das Zentrum als Segen erwiesen.

Für Tausende Menschen, die seit 2001 bei Kämpfen zwischen islamistischen Extremisten und Regierungstruppen im an Afghanistan angrenzenden Norden Pakistans ins Kreuzfeuer geraten sind, hat sich das Zentrum als Segen erwiesen.

Dem Generaldirektor der Gesundheitsbehörde von Khyber Pakhtunkhwa, Waheed Burki, zufolge wurden allein seit 2005 mehr als 40.000 Menschen, darunter 5.000 Angehörige der Sicherheitskräfte und 3.500 Zivilisten, getötet, weitere 10.000 Menschen verletzt. Etwa 90 Prozent der Patienten des PPC hätten Kriegsverletzungen erlitten, sagt er.

Wie Amirzeb Khan, ein Physiotherapeut des Zentrums, berichtet, sind nicht alle Patienten Gewaltopfer. Einige wurden bei Verkehrsunfällen oder Stürzen verletzt. "Die meisten der Patienten sind im Alter zwischen 20 und 30 Jahren, also im produktivsten Lebensabschnitt", sagt Khan.

Fast alle jungen Patienten, von denen viele erst mit dem Schlimmsten rechnen, verlassen das Zentrum als leistungsfähige Mitglieder der Gesellschaft, die sich auch im Rollstuhl ihren Lebensunterhalt verdienen können. Diejenigen mit leichteren Verletzungen haben wieder laufen gelernt. "Ungefähr 3.000 unserer Patienten machen gute Fortschritte. Etwa zwei Drittel von ihnen sind Frauen."

In einem Land, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen nach offiziellen Angaben bei etwa 1.250 Dollar liegt, könnten sich viele Menschen eine solche Spezialbehandlung gar nicht leisten. Das PPC bietet jedoch Gratistherapien an, deren Kosten in Europa oder den USA im sechsstelligen Bereich liegen und die die soziale Kluft überbrücken, die in Pakistan Reiche von Armen trennt.

Für die Zukunft ist die Umwandlung des PPC in ein 'Exzellenzzentrum' geplant, das Patienten mit Rückenmarksverletzungen aus dem gesamten Land aufnehmen soll. Dabei hofft das PPC, dass die Patienten als Multiplikatoren ihre neuerworbenen Fähigkeiten an andere weitergeben. So wie die 24-jährige Shaheen Begum, die in dem Distrikt Hangu in Khyber Pakhtunkhwa mittlerweile ihre eigene Stickerei betreibt und ihr Können den Frauen in der Nachbarschaft weitervermittelt. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/11/pakistans-paraplegics-learning-to-stand-on-their-own-feet/

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IPS-Tagesdienst vom 27. November 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2014