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MELDUNG/083: UN-Ausschuss gegen Folter fordert gesetzgeberische Massnahmen (zwischengeschlecht.org)


Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter! - Pressemitteilung vom 14. August 2015

UN-Ausschuss gegen Folter verurteilt Intersex-Genitalverstümmelungen, fordert gesetzgeberische Massnahmen


Zwischengeschlecht.org begrüsst aufs herzlichste die heute am 14.08.2015 veröffentlichten, historischen "Abschliessenden Bemerkungen" des UN-Ausschusses gegen Folter an die Schweiz.

Wir anerkennen besonders, dass der Ausschuss explizit "gesetzgeberische, administrative und weitere Massnahmen" fordert, sowohl zur Beendigung dieser Praxis, wie auch zur Gewährleistung von Wiedergutmachung und Entschädigung, und sich dabei explizit auf die Empfehlungen der Nationalen Ethikkommission (NEK-CNE) bezieht (welche die Notwendigkeit gesetzgeberischer Überprüfung inklusive Haftung, Strafrecht und Verjährungsfristen unterstreichen) sowie auf die jüngsten Empfehlungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes an die Schweiz (welche IGM als "schädliche Praxis" klassifizieren und ebenfalls gesetzgeberische Massnahmen fordern).

Und wir freuen uns sehr, dass der Ausschuss weiter ausdrücklich eine Untersuchung und Aufarbeitung der bisherigen, auch in Schweizer Kinderspitälern nach wie vor andauernden Praxis fordert (bisher hat erst das Kinderspital Zürich eine historische Aufarbeitung eingeleitet, bisher ohne staatliche Förderung), sowie last but not least angemessene psychosoziale Unterstützung für Eltern und Betoffene statt nicht-eingewilligter, verstümmelnder Genitaloperationen an wehrlosen Kindern.

Nun sind Bundesrat und Parlament gefordert, endlich mit dem Herumlavieren aufzuhören, und - in Absprache mit den Betroffenen und ihren Organisationen - rasch angemessene gesetzgeberische Massnahmen an die Hand zu nehmen, wie sie die Nationale Ethikkommission schon 2012 forderte.

Der Kampf von Intersex-Menschen und ihren Organisationen für "körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung" und um die Eliminierung von IGM-Praktiken ist leider noch lange nicht zu Ende. Die Abschliessenden Bemerkungen des UN-Ausschusses gegen Folter sind jedoch ein wichtiger und hochwillkommener Schritt dazu - und ein Zeichen der Hoffnung für Intersex-Kinder überall!


Inoffizielle Übersetzung

(PDF, französisch, zu Intersex S. 7, Abs. 20) siehe [1]

Intersex-Menschen

20. Das Komitee begrüsst den Entscheid des Bundesrates, Ende 2015 zu den Empfehlungen Stellung zu nehmen, welche die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin bezüglich nicht notwendiger und manchmal irreversibler chirurgischer Eingriffe gemacht hat, die an Intersex-Menschen (Menschen mit Variationen der Geschlechtsanatomie) ohne die wirksame und informierte Einwilligung der betroffenen Personen, durchgeführt werden. Jedoch stellt das Komitee mit Besorgnis fest, dass diese Eingriffe, die physisches und psychisches Leiden verursachen, noch zu keinerlei Untersuchung, Sanktion oder Wiedergutmachung führten (Art. 2, 12, 14 und 16).

Das Komitee empfiehlt der Staatspartei angesichts des anstehenden Beschlusses des Bundesrates:

a) gesetzgeberische, administrative und andere notwendige Massnahmen zu ergreifen, um die Einhaltung der körperlichen Unversehrtheit von Intersex-Menschen zu gewährleisten, und sicherzustellen, dass niemand während seiner Kindheit medizinischen oder chirurgischen Behandlungen unterzogen wird, die zum Ziel haben, das Geschlecht eines Kindes festzulegen, die keinerlei medizinische Dringlichkeit darstellen, wie dies auch von der Nationalen Ethikkommission im Bereich Humanmedizin und dem Komitee für die Rechte des Kindes (CRC/C/CHECO/2-4, par. 43 b)) empfohlen wurde;

b) ein kostenloses psychosoziales Beratungs- und Begleitungsangebot zu gewährleisten für betroffene Personen und deren Eltern sowie diese über die Möglichkeit zu informieren, jegliche Entscheidungen betreffend nicht notwendigen Behandlungen aufzuschieben, bis sich die betroffene Person selber dazu äussern kann;

c) eine Untersuchung über Fälle von medizinischen oder chirurgischen Behandlungen durchzuführen, welche Intersex-Menschen erdulden mussten, ohne ihre wirksame Einwilligung gegeben zu haben, und gesetzgeberische Massnahmen zu ergreifen, um Wiedergutmachung für alle Opfer zu gewährleisten, inklusive angemessene Entschädigung.


Die internationale Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen mit "atypischen" körperlichen Geschlechtsmerkmalen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".

Betroffene sollen später selber darüber entscheiden, ob sie Operationen wollen oder nicht, und wenn ja, welche.


Anmerkung:
[1] http://tbinternet.ohchr.org/Treaties/CAT/Shared%20Documents/CHE/CAT_C_CHE_CO_7_21385_F.pdf

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Quelle:
Pressemitteilung vom 14. August 2015
Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
E-Mail: presse_at_zwischengeschlecht.info
Internet: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2015

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