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BERICHT/319: Vietnam - Agent Orange und die späten Leiden der Opfer (ZBDW)


Zeitschrift Behinderung und Dritte Welt, 2/2009

Lange nach dem Krieg ...
Agent Orange und die späten Leiden der Opfer

Von Stefan Kühner


Die während des Vietnam-Kriegs durch die US-Armee zwischen 1961 und 1969 versprühten Herbizide Agent White, Agent Blue und vor allem Agent Orange verursachen bei den Betroffenen und ihren Nachkommen bis heute schwere Behinderungen und Krankheiten. In den letzten Jahren organisierten sich die Opfer in Vietnam in einer eigenen Organisation mit dem Namen VAVA (Vietnamese Association of Victims of Agent Orange), um auf ihre Probleme aufmerksam zu machen. Sie wollen, dass ihre Leiden als Spätfolgen des Agent Orange-Einsatzes anerkannt werden und klagen gegen US-Chemieunternehmen, die diese Giftstoffe einst hergestellt haben.


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Hintergründe des Einsatzes von Agent Orange

Viele Kriege, die in den letzten 50 Jahren in den so genannten Ländern der Dritten Welt geführt wurden, fanden in den Medien der Welt kaum Aufmerksamkeit. Anders beim Vietnamkrieg, der in den 60er Jahren weltweit eine ganze Generation vor allem junger Menschen erschütterte. Er dauerte von 1964 bis 1975. Zwischen 1965 und 1973 standen bis zu 550.000 US-Soldaten in Vietnam, um gegen die kommunistisch dominierte Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (FNL - Front National de Libération) zu kämpfen, die allgemein als Vietcong bekannt ist. 1973 zogen sich die USA nach langen Friedensverhandlungen in Paris aus Vietnam zurück. Die von ihr unterstützte Regierung Südvietnams unterlag am 30. April 1975 endgültig der FNL und den Truppen aus Nordvietnam. 1976 haben sich die beiden Teile Vietnams wiedervereinigt. Obwohl sich die Wirtschaft in den letzten Jahren schnell entwickelte, ist der über 35 Jahre zurückliegende Krieg für viele Menschen noch immer nicht überwunden.

Bis heute leiden immer noch schätzungsweise drei Millionen Menschen an den Spätfolgen chemischer Kampfstoffe, die die USA zwischen 1961 und 1969 eingesetzt hat. Mit Flugzeugen und Sprühfahrzeugen versprühten sie Pflanzenvertilgungsmittel (Herbizide) über den Dschungel und über die Reisfelder.

Zu den Betroffenen gehören nicht nur Menschen, die unmittelbar mit den Chemikalien in Berührung gekommen sind, sondern auch ihre Nachkommen der zweiten und dritten Generation. Die Betroffenen bezeichnen sich selbst als Agent Orange-Opfer.

Das amerikanische Militär bezeichnete die damals eingesetzten Herbizide je nach Beschaffenheit mit den Farbcodes Weiß, Blau oder Orange. Daher rührt die Bezeichnung Agent Orange für das am häufigsten eingesetzte Gift. Es enthielt neben anderen starken Giftstoffen auch Dioxin. Unter dem Decknamen Ranch Hand wurden weite Teile des tropischen Regenwaldes in Südvietnam mehrfach mit diesen Herbiziden besprüht und anschließend mit Napalm in Brand gesteckt. Insgesamt wurden ca. 75 Millionen Liter Herbizide versprüht (Fabig 2007, Stellman 2003). Besonders betroffen waren nach 1965 die Grenzregionen zu Kambodscha und Laos sowie die Region nördlich von Ho Chi Minh Stadt / Saigon.

Ranch Hand (Erntehelfer) war ein Programm, das gleichzeitig mehrere Ziele verfolgte:

Entlaubung des Dschungels
Die Entlaubungsmittel sollten den Kämpfern der FNL die Deckung der dichten Vegetation des Dschungels nehmen, um sie anschließend durch Luftangriffe per Hubschrauber und Bodentruppen besser bekämpfen zu können.

Zerstörung der Reisernte und anderer Nahrungsquellen
Die systematische Zerstörung von Reis und Feldfrüchten gehörte zu den Hauptzielen des Chemiewaffen-Einsatzes. Betroffen waren aber auch Kokosplantagen, Bananenstauden und andere Obstbäume. Die Zerstörung der Ernte sollte die Bevölkerung und vor allem die Befreiungskämpfer in den Hunger und somit zur Aufgabe des Befreiungskampfes zwingen.

Zerstörung der Gesundheit der Menschen
Auch wenn die US Regierung und die Militärführung nicht über alle Wirkungen des Giftes auf Tiere und Menschen in der vollen Konsequenz Bescheid wussten, so nahm sie doch billigend in Kauf, dass Menschen erkrankten und damit nicht mehr in der Lage waren, zu kämpfen.

Zerstörung der Sozialstrukturen
Durch die Zerstörung der Ackerböden in Folge des Gifteinsatzes sollten die Bauern gezwungen werden, das Land zu verlassen und in die Städte bzw. die strategischen Wehrdörfer zu ziehen. Die Umsiedlung von Bauernfamilien diente dem Zweck, die traditionellen sozialen Strukturen des Dorfes aufzubrechen, in denen die Unterstützung der FNL fest verankert war.


Auswirkungen auf die Gesundheit der betroffenen Menschen

Die versprühten Herbizide waren Giftcocktails, die speziell für die gewünschte Wirkung zusammengemixt wurden. Auf diese Weise konnte das Gift die besprühten Pflanzen und die im betroffenen Ökosystem lebenden Tiere optimal zerstören. Die Kombination der Wirkungen auf die verschiedenen Organsysteme führte häufig erst nach Wochen und Monaten zum Tode. Klare Rückschlüsse auf den verursachenden Wirkstoff waren zu dieser Zeit nicht möglich. Dies lag insbesondere an der Kriegssituation sowie der schlechten oder sogar völlig fehlenden medizinischen Ausstattung in den ländlichen Gebieten. Darüber hinaus waren langfristige Auswirkungen von Dioxin auf den Menschen zu dieser Zeit noch weitgehend unerforscht.

Zu den unmittelbar auftretenden Folgen gehörten allergische Reaktionen bis zum tödlichen Schock, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Atembeschwerden und Blutungen der Schleimhäute - teilweise mit Todesfolge. Bei Schwangeren kam es durch die Giftwirkung vermehrt zu Fehlgeburten.

Wer die Gifteinsätze überlebt hatte, konnte kaum medizinische Hilfe in Anspruch nehmen. Er musste sich unter den Rahmenbedingungen des Krieges vielmehr mit Hunger, Verletzungen und mangelnder Hygiene auseinandersetzen. Neben der akuten Giftwirkung bei hohen Dosen von Dioxin treten auch langfristige Wirkungen auf, für die bereits geringe Mengen des Giftes ausreichen. Dioxine sind Krebspromotoren, d.h. sie verstärken die Wirkung von anderen krebserregenden Stoffen, indem sie die T-Helferzellen des Immunsystems lähmen. Darüber hinaus wirkt Dioxin auch primär kanzerogen, also krebserzeugend (Gallo 2007: 232).

Schon 1976 beschrieb der vietnamesische Arzt Prof. Ton That Tung in Hanoi einen Anstieg von Leberkrebs bei Menschen, die während des Krieges von Sprühaktionen betroffen waren. Er beobachtete auch eine Zunahme von Tumoren in der Gebärmutter wie z.B. Blasenmole und einen Anstieg bösartiger Missbildungen der heranwachsenden Frucht, wie z.B. Chorionepitheliom, eines sehr aggressiven Tumors (TonThat Tung 1980: 4).


Langzeitfolgen von Agent Orange

Die wohl schrecklichste Langzeitwirkung des Dioxins ist seine mutagene Wirkung: Es verändert das Erbgut. Schon 1970, also noch zu Zeiten des Giftkriegs, berichtete Prof. Ton That Tung auf einem internationalen Kongress in Paris über Chromosomenveränderungen und Missbildungen vietnamesischer Opfer durch Agent Orange. Er wies statistisch nach, dass die Missbildungsrate bei den Nachkommen der Dioxin-Opfer bis zu zehn mal höher war als bei der nicht betroffenen Bevölkerung: "Die ehemaligen Soldaten Vietnams, die aus den mit Herbiziden besprühten Zonen des Südens kommen, weisen deutliche Zeichen einer mutagenen Wirkung auf, die vom Vater übertragen wird.(...)

Was die Art der Missbildungen angeht, so ist es unbedingt erforderlich, auf die exzessiv große Häufigkeit der Gehirnschäden in Vietnam bei der 2. Generation hinzuweisen" (Ton That Tung et al. 1980:6 und 9). Doch nicht nur die Anzahl der Missbildungen war drastisch angestiegen, auch die Art der Missbildungen war extrem. Die Bilder der missgebildeten Kinder und entstellten Föten lösten Entsetzen aus. Das ganze Grauen des Herbizid-Einsatzes gelangte ab 1979 nach Europa und in die USA. Die ersten Berichte über die Langzeitauswirkungen von Agent Orange in der Bundesrepublik Deutschland beschreibt der Hamburger Arzt Karl-Rainer Fabig (verstorben) nach einem Besuch in Vietnam in einer Sonderausgabe des Vietnam Kuriers vom Februar 1980 (Fabig 1980).

Weitere erschreckende Fakten aus der medizinischen Praxis veröffentlichte die Frauenärztin und Leiterin der gynäkologischen Abteilung der Tu Du Klinik in Ho Chi Minh Stadt Dr. Nguyen Thi Ngoc Phuong. Ihre Fotos von missgebildeten Föten und ihre Berichte über Gebärmutterkrebs und andere Frauenkrankheiten belegten schon Anfang der 80er Jahre die fürchterlichen Langzeitfolgen von Agent Orange.1

Eine weitere spezielle Langzeitwirkung sind die über Chromosomenschäden vermittelten Fehlgeburten. Die Rate der Fehlgeburten stieg schon während des Krieges um das Dreieinhalbfache an. 1978, also drei Jahre nach Ende des Vietnamkrieges, erreichte sie ihren höchsten Stand mit einer fast fünffach höheren Anzahl als zu Beginn des Krieges (Gallo 2007: 232 ff).

Bis heute sind die Belastungen in einigen Gebieten Vietnams nicht abgeklungen. An sogenannten Hotspots, also ehemaligen Lagerflächen von Herbizidfässern oder an Absturzstellen von Sprühflugzeugen treten immer noch extrem hohe Boden- und Wasserverseuchungen auf, die auch aktuell noch zu Neuvergiftungen führen (Viet Nam Net 2008). Besonders betroffen sind Gebiete um die Flughäfen bei Da Nang und Bien Hoa. Im nahegelegenen Bien Hung See wurden in Fischen Dioxinwerte von 15.349 ppt (parts per trillion) gemessen, Frösche wiesen 11.765 ppt auf. Der in Vietnam noch als unbedenklich geltende Wert liegt bei 1.0 ppt (Viet Nam Net 2008, MONRE 2007).


Armut und Behinderung durch Agent Orange

Betroffen von den Sprühaktionen waren neben den Soldaten, die mit dem Gift in Berührung kamen, vor allem die Bewohner in den ländlichen Gebieten Mittel- und Südvietnams. Weit über 90 Prozent der Menschen in den Dörfern arbeiteten in der Landwirtschaft. Sie ernährten sich von dem im Dorf angebauten Gemüse und Reis. Sie fingen den Fisch aus den Flüssen und Kanälen, in die das Agent Orange floss, und sie aßen die Hühner und Enten, die auf dieser Erde scharrten. Dies ist bis heute so und bis heute ist der Zusammenhang zwischen Armut, Wohnort auf dem Land und Agent Orange-Leiden besonders groß. Statistiken aus dem Jahr 2006 weisen nach, dass etwa 70 Prozent der von Agent Orange / Dioxin betroffenen Familien unterhalb der Armutsgrenze leben, 40 Prozent leben in extremer Armut (Le Quoc Trung 2006: 83). Die Armutsquote bei Agent Orange-Opfern ist somit etwa doppelt so hoch wie in der nichtbetroffenen Bevölkerung (Statusbericht Vietnam 2007: 9). Häufig ist nicht nur eine Person von den Schädigungen betroffen, sondern ganze Familien. 32 Prozent der von AO betroffenen Familien haben zwei oder drei Familienmitglieder mit von AO stammenden Erkrankungen. 90 Prozent der Betroffenen sind arbeitslos. Auch dies ist ein Grund für die hohe Armut der Betroffenen (Le Quoc Trung 2006: 83).


Typische durch Agent Orange ausgelöste Behinderungen / Fallbeispiele

Mehrere vietnamesische Quellen beschreiben detailliert die soziale und medizinische Situation von Agent Orange Opfern in Fallbeispielen.

Hier zwei Beispiele:

Familie von Frau Pham Thi Hong und Herr Huynh Cong Son. Stadt Quang Ngai, Provinz Quang Ngai (Mittelvietnam).

Frau Pham Thi Hong wurde 1954 in Dorf Duc Phong, Distrikt Mo Duc, Provinz Qunag Ngai geboren. Sie hat eine Schwester. Beide Kinder waren gesund.

Zwischen 1967 und 1972 kam Hong mehrfach mit Agent Orange in Berührung. Unmittelbar nach einer der Sprühaktionen im Jahr 1968 wurde Hongs Haut rot und heiß. Sie bekam eitrige Geschwüre. Auch heute noch bilden sich auf Hongs Haut schwarze, stark juckende Flecken, wenn es heiß ist. Außerdem klagt sie häufig über Lähmungen und Gefühllosigkeit in den Beinen. Frau Hong kehrte 1977 in die Provinzhauptstadt Quang Ngai zurück und heiratete Huynh Cong Son. 1988 wurde die erste Tochter Huynh Thi Hing Nhung geboren. 1990 hatte Hong eine Frühgeburt, 1992 wurde sie erneut schwanger, verlor aber auch dieses Kind durch eine Frühgeburt. Das erstgeborene Kind ist seit seiner Geburt sehr schwach und kränklich. Erst mit sieben Jahren konnte es laufen. Als Zehnjährige kann sie sich nur langsam vorwärts bewegen. Ihre Sprache ist langsam und verwaschen. Die Familie erhält heute eine kleine Behindertenrente und muss sparsam leben, um die Behandlungen für ihre Tochter bezahlen zu können (Indai Sajor 2006: 3).

Familie von Frau Bui Thi Nen und Herrn Bui Hong Ly. Dorf 10, Verbandsgemeinde Dich Giao, Tan Lac Distrikt, Provinz Hoa Binh (Nord-Vietnam).

Frau Nen wurde 1957 in der Gemeinde Dich Gioa geboren. Nen ist die Älteste von fünf Geschwistern. Ihr Mann Ly kam 1969 als Fahrer der FNL im Frontabschnitt zwischen Quang Tri und Tay Ninh mit Agent Orange in Berührung. Anfang 1984 hatte Frau Nen eine Fehlgeburt. Ende 1984 gebar sie einen Sohn mit Namen Bui Van Tung. Der Junge war bereits bei der Geburt behindert. Alle Finger seiner Hand waren gleich lang, seine Füße hatten jeweils sechs Zehen, ein Bein war verkürzt. Seine Entwicklung verlief sehr langsam. Mit sechzehn Jahren war er lediglich 1,30 Meter groß. 1987 schenkte Frau Nen einem zweiten Kind das Leben. Es ist geistig behindert. Das dritte Kind der Familie wurde 1989 geboren. Das Mädchen Bui Thi Tuyen erkrankte kurz nach der Geburt. Ihre Beine und Arme wiesen nach und nach immer stärkere Missbildungen auf. Sie "vertrockneten" - wie der Originaltext beschreibt (Indai Sajor 2006: 80).

Zu den typischen Behinderungen durch Agent Orange zählen unter anderem:

Deformationen des Körpers:
- Fehlende Nase, Ohren, Augen
- Lippenspalte, Lippen-Kiefer-Gaumenspalte
- Strukturasymmetrie des Gesichts
- Fehlendes Zwerchfell
- Fehlen der Unterarme
- Fehlstellungen der Beine
- Polidactylie (Vielfingrigkeit)
- Kleinwüchsigkeit

Deformationen des Hirns und Rückenmarks
- Anencephalie
- Spinal Bifida
- Hydrocephalie
- Lähmungen
- Spasmen

Krebserkrankungen, allgemeine Krankheitssyndrome
- Leberkrebs
- Hirntumore
- Krebserkrankungen der weiblichen Geschlechtsorgane
- Blasenmole
- Immuninsuffizienzen

(Quellen: Ton That Tung et al. 1980, Puong 2008, Thi Ngoc Phuong, ehemalige Leiterin der gynäkologischen Abteilung der Tu Du Klinik in Ho Chi Minh Stadt, in persönlichen Gesprächen mit dem Autor in Karlsruhe (1984) und in Ho Chi Minh Stadt (1988).)

Besonders signifikant hoch sind Geburtsdefekte bei Frauen, die Agent Orange ausgesetzt waren.


Quelle: Nguyen Thi
Ngoc Phuong 2008: 2

Personen mit
Agent Orange
Exposition
Personen ohne
Agent Orange
Exposition
Untersuchte Familien
von Kriegsveteranen
28.817   

19.076     

Zahl der Familien
mit Geburtsfehlern
1.604   
  (5,69%)
356     
 (1,87%)
Zahl der erfassten Kinder
in diesen Familien
77.816   

 61.043      

Zahl der Kinder
mit Geburtsdefekten
2.296   
  (2,95%)
452     
 (0,74%)


Staatliche Untersuchungen zu Agent Orange, Dekontaminierungsvorhaben...

Seit ca. 30 Jahren arbeiten staatliche Instanzen in Vietnam daran, die Folgen von Agent Orange für Mensch und Umwelt systematisch zu untersuchen. Bereits 1980 wurde ein staatliches Komitee zur Untersuchung der Auswirkungen von Herbiziden eingerichtet. 1999 wurde das National Steering Committee on Overcoming Consequences of Toxic Chemicals gegründet, das diese Untersuchungen fortsetzt und eng mit Wissenschaftlern aus aller Welt - auch Experten aus den USA - zusammenarbeitet. Dieses Komitee führte zwischen 1999 und 2005 insgesamt 22 Forschungsprojekte und Studien durch, um die Auswirkungen von Agent Orange in Vietnam zu untersuchen. Etwa drei Millionen US-Dollar wurden hierfür ausgegeben. Zurzeit führt das Verteidigungsministerium Vietnams ein Projekt durch, um die oben bereits erwähnten Hotspots bei den ehemaligen US-Flughäfen Da Nang und Bien Hoa zu dekontaminieren. 60.000 Kubikmeter verseuchte Erde werden unter Beton und wasserundurchlässigen Lehmböden vergraben. Die Arbeiten sollen bis Ende 2008 abgeschlossen sein. Das kostet etwa drei Millionen US-Dollar (Viet Nam Net 2008). Um die wichtigsten bekannten Hotspots zu reinigen, sind nach Einschätzung internationaler Experten allerdings kurzfristig ca. 45 Millionen Dollar erforderlich.


... und öffentliche Hilfe für die Opfer

Seit einigen Jahren erfasst die vietnamesische Regierung systematisch die Agent Orange Opfer, um sie mit einer Opferrente zu unterstützen. Ende 2006 waren über 200.000 Opfer registriert. Die Betroffenen und ihre Kinder erhalten monatliche Renten zwischen 185.000 VND (Vietnamesische Dong) und 385.000 VND. Umgerechnet sind dies 10 bis 20 US$ - etwa ein Fünftel eines durchschnittlichen Monatslohns in Vietnam. Diese Hilfe ist gemessen an der Zahl der Unterstützten und der Höhe der Rente zwar noch unzureichend; für die beschränkten Möglichkeiten in Vietnam ist sie dennoch eine große Herausforderung. Zirka 45 Millionen US$ wendet die Regierung für diese Hilfe auf. Neben der staatlichen Hilfe finanzieren nichtstaatliche Organisationen wie die Vietnamese Association of Victims of Agent Orange (VAVA), der Vietnam Fund for Agent Orange Victims und andere vietnamesische Hilfsorganisationen Pflegestationen und Heime für die Opfer (MONRE 2007).

Eine breite Berichterstattung und große Aufmerksamkeit in den Medien unterstützen seit einigen Jahren zunehmend die Arbeit der staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen. Sowohl das staatliche Fernsehen als auch lokale Zeitungen und Internet-Dienste berichten über Benefizveranstaltungen und fordern die Bürger auf, Geld zu spenden. Auch englischsprachige Internet-Zeitungen berichten oft über das Thema Agent Orange Opfer (z.B. http://www.nhandan.com.vn/english/, http:// vietnamnews.vnagency.com.vn, http://www. thanhniennews.com).2 Besonders stark berichten die vietnamesischen Medien über Benefizaktionen zugunsten der Betroffenen. Zahlreiche Reportagen stellen Betroffene vor und berichten über ihre Behinderungen sowie die Fürsorge ihrer Angehörigen, die sie pflegen und unterstützen. Den Berichten ist aber auch zu entnehmen, dass viele Agent Orange-Opfer trotz ihrer körperlichen Handicaps eine Berufsausbildung in staatlichen Einrichtungen und Rehabilitationszentren in- und ausländischer Organisationen (USA, Japan, Australien, Europa) absolvieren, um ihren Lebensunterhalt zumindest teilweise zu bestreiten. Bemerkenswert ist, dass alle Berichte sehr sachlich gehalten und darauf ausgerichtet sind, positive Zeichen zu setzen und Menschen mit Behinderung zu ermuntern, ihre Zukunft zu gestalten.


Die Selbstorganisation der Betroffenen

Die bittere Armut Vietnams in den 80er und 90er Jahren hatte Auswirkungen auf die Leiden der Agent Orange Opfer. Sie gehörten zu den Ärmsten der Armen. Die ,Pflege' erfolgte in den Familien. Diese hatten aber so gut wie keine medizinischen und technischen Mittel, um schwer körperlich und geistig behinderten Kindern und Jugendlichen das Leben zu erleichtern. Auch die Möglichkeiten von Krankenhäusern und Kliniken in Vietnam waren enorm eingeschränkt. Sie waren völlig unzureichend ausgerüstet und erhielten auch kaum oder keine internationale Hilfe. Das Leiden der Agent Orange-Opfer wurde mit wenigen Ausnahmen in der Weltöffentlichkeit bis weit in die 90er Jahre totgeschwiegen.

Die Solidaritätsbewegung geht heute in starkem Maße von Vietnam selbst aus. 1998 entstand unter dem Schirm des vietnamesischen Roten Kreuzes das Komitee zur Unterstützung der Agent Orange-Opfer. Im Juli 2004 etablierte sich dann die VAVA. Diese Organisation hat heute in nahezu allen großen Städten und Provinzen lokale Komitees. Sie vertritt die Interessen der Betroffenen und organisiert Benefizveranstaltungen, um Geld für die Opfer zu sammeln. Die vietnamesische Regierung unterstützt die Arbeit der VAVA finanziell und politisch. Die weltweit am stärksten wahrgenommene Aktion der VAVA ist eine Klage, die vietnamesische Agent Orange Opfer gegen die amerikanischen Chemieunternehmen führen, die einst die Herbizide hergestellt und damit riesige Gewinne erwirtschaftet haben. Die Klage richtet sich gegen Dow Chemical Co, Monsanto Co und 35 andere Unternehmen.


Agent Orange-Opfer kämpfen für Gerechtigkeit und Schadenersatz

Mit ihrer Klage kämpfen die Agent Orange-Opfer aus Vietnam für Schadenersatz und vor allem für Gerechtigkeit für alle, die durch Agent Orange geschädigt wurden. Die Verfahren zogen sich über fünf Jahren hinweg durch alle Instanzen.

Ende Februar 2009 hat der Oberste Gerichtshof der USA die letztinstanzliche Eingabe der Agent Orange Opfer ohne Kommentar zurückgewiesen, ohne dass überhaupt ein Hauptverfahren eröffnet wurde.

Die endgültige juristische Niederlage vom Februar 2009 ist ein schwerer Rückschlag für die vietnamesischen Opfer, die bis heute an den Folgen von Agent Orange leiden. Die erneute Brüskierung der Opfer durch die US-Rechtssprechung bringt diese aber nicht zum Schweigen. Auch wenn die juristischen Verfahren keinen Erfolg gebracht haben, so haben sie doch weltweit die Aufmerksamkeit auf die Problematik der Agent Orange-Opfer gelenkt. Der weltweite Protest und die Solidaritätsbeweise aus aller Welt sind nach wie vor vorhanden.


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Zitat eines Betroffenen: "Mein Name ist Hai Tam (...) Ich möchte betonen, dass ich nur eines unter vielen tausend Opfern bin (...) Ich bin mehrmals direkt von diesem Gift getroffen worden. Es war eine milchige Flüssigkeit. Sie traf mich insgesamt sechs Mal, und zwar so, dass ich am ganzen Körper völlig nass war. Ich und die vielen, die ebenfalls direkt getroffen wurden, bekamen nach diesen Einsätzen zunächst rot unterlaufene Augen, einige wurden ohnmächtig. Die Flugzeuge kamen immer nur morgens von Sonnenaufgang bis etwa neun Uhr. Sie versprühten das Gift aus etwa hundert Metern Höhe. Viele von uns, die sich nicht gleich in Sicherheit bringen konnten, erlitten Verbrennungen, die Kehle trocknete ihnen aus, die Zunge brannte und die Lippen sprangen auf. Sie erbrachen Blut und starben nach kurzer Zeit (...)"
Auszug aus dem Film. Hai Tam erzählt. Film von Günter Giesenfeld von 1978 Erhältlich als DVD. Anfragen an den Autor oder FG-Vietnam@t-online.de]


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Anmerkungen:

1 Dr. Phuong ist bis heute eine der bekanntesten Fürsprecherinnen der Agent Orange-Opfer. Zuletzt im Mai 2008 war sie Berichterstatterin in einer Anhörung vor dem Unterausschuss Subcommittee of Asia, Pacific and the Global Environment des US Repräsentantenhauses. (Nguyen Thi Ngoc Phuong 2008)

2 Über 70 Berichte mit dem Themenbezug Agent Orange finden sich zwischen Januar und Oktober 2008 auf der letztgenannten Seite. Noch umfangreicher ist die Berichterstattung bei Viet Nam News.



Literatur:

FABIG, K.-R. (2007): Dioxin eine neue Rechnung.
In: Anita Fabig, Kathrin Otte (Hrsg.): Umwelt,
Macht und Medizin. Kassel: Jenior Verlag

FABIG, K.-R. (1980): Giftkrieg der USA in Vietnam.
Düsseldorf: Vietnam-Kurier extra,
Herausgegeben von Freundschaftsgesellschaft Vietnam

GALLO, W. (2007): Die unmittelbaren Wirkungen des Giftkrieges in
Vietnam auf Menschen und Umwelt und ihre Fortwirkung als Altlast.
In: Anita Fabig, Kathrin Otte (Hrsg.): Umwelt, Macht und Medizin. Kassel: Jenior Verlag

LE Q. T. / TRAN, M. H.. (2006): Da CAM, Viet Nam.
Hanoi: News Agency Publishing House (Hrsg)

MONRE (Ministry of Natural Resources and Environment of Vietnam)
(2007): Facts Sheet on Herbicides in Vietnam.
Hanoi: Office of National Steering Committee 33

NGUYEN, T. N. P. (2008): Vietnam.
Über http://www.vietnamembassy-usa.org/docs/phu051508.pdf

SAJOR, I./TUYET, L.T.N. (2006): Agent Orange: Impact of Chemical
Warfare on the Reproductive Rights of Women and Men in Vietnam.
Asian Center for Women's Human Rights (Ascent), Quezon City Philippines

SCHECTER, A./QUYNH, H. T./PAVUK, M./PÄPKE, O./MALISCH, R./CONSTABLE, J. D. (2003):
Food as a Source of Dioxin Exposure in the Residents of Bien Hoa City, Vietnam.
Journal of Occupational and Environmental Medicine 45(8): 781-788

STATUSBERICHT VIETNAM (2006): Vietnam - Europäische Gemeinschaft
Strategiepapier für den Zeitraum 2007 bis 2013.
Über http://www.delvnm.ec.europa.eu/eu_vn_relations/ development_coo/VIETNAM_DS_2007_2013_DE.pdf [18.12.2008]

STELLMAN, J. M./STELLMAN, S.D./CHRISTIAN, R./WEBER, T./TOMSALLO, C. (2003):
The extend and patterns of usage of Agent Orange
and other herbicides in Vietnam. Nature 422: 681-687

TON, T. T. (1980): Giftkrieg der USA in Vietnam. Düsseldorf:
Vietnam-Kurier extra, herausgegeben von Freundschaftsgesellschaft Vietnam

TON, T. T. (1980): Das Problem der mutagenen Effekte bei der
zweiten Generation nach der Einwirkung von Pflanzengiften.
Düsseldorf: Vietnam-Kurier extra, herausgegeben von Freundschaftsgesellschaft Vietnam

VIET NAM NET (2008): AO Pollutes Ground Water, 23.06.2008, Hanoi.
Über http://english.vietnamnet.vn/social/2008/06/790008/



Weitere Literaturhinweise und Materialien:

FREUNDSCHAFTSGESELLSCHAFT VIETNAM (2007): Düsseldorf

FLYER AGENT ORANGE: http://www.fg-vietnam.de/FlyerDioxin-3.pdf

HALBERSTAM, DAVID (1965): Vietnam oder wird der Dschungel entlaubt.
Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag

JAEGGI, PETER (2000): Als mein Kind geboren wurde war ich sehr traurig.
Basel: Lenos Verlag

NGUYEN KHAC VIEN (1999): Vietnam eine lange Geschichte.
Hanoi: Verlag The Gioi und Freundschaftsgesellschaft Vietnam,
Düsseldorf, Ausführliche Darstellung der Geschichte Vietnams

STORIES OF AGENT ORANGE VICTIMS IN VIETNAM (2004):
The Gioi Verlag, Hanoi. 50 Fallbeispiele von Dioxin Opfern und ihren Familien

VICTIMS OF AGENT ORANGE / DIOXIN IN VIETNAM - THE EXPECTATIONS, Hanoi, 2006,
Tagungsband der Internationalen Konferenz vom 16. - 17. März 2006 in Hanoi.
Mit ausführlichen Fachvorträgen zu den neuen Forschungen
http://www.ffrd.org/AO/CGFED.pdf#search=%22%22Da%20Cam%22%20%22The%20 gioi%22%20publish%22

VIETNAM-AUSSCHUSS BEIM ASK DER DDR (1969): Herbizide in Vietnam, Berlin.
Eine erste ausführliche Beschreibung der ökologischen Folgen von Agent Orange


Abstract: The herbicides Agent White, Agent Blue and in particular Agent Orange, which were used by the American Forces during the Vietnam war between 1961 and 1969, have resulted in serious disability and illness to those directly affected and their progeny. In recent years this group of people has come together in the organisation VAVA (Vietnamese Association of Victims of Agent Orange) in order that there is greater awareness about their situation and problems. The want that their suffering and longterm suffering which have been caused by Agent Orange are recognised and that claims can be lodged against the US Chemical companies that produced these poisonous substances.

Résumé: Les herbicides Agent White, Agent Blue et surtout Agent Orange répandus par l'armée américaine entre 1961 et 1969 pendant la guerre du Vietnam causent pour les victimes et leurs descendants aujourd'hui encore de graves handicaps et maladies. Ces dernières années les victimes vietnamiennes se sont rassemblées en une organisation du nom de VAVA (Vietnamese Association of Victims of Agent Orange), pour attirer l'attention sur leurs problèmes. Ils veulent que leurs souffrances suite à l'utilisation de l'Agent Orange soient reconnues et accusent les entreprises chimiques américaines qui ont à l'époque produit ces substances toxiques.

Resumen: Los herbicidas Agent White, Agent Blue y sobre todo Agent Orange, que fueron usados por las fuerzas armadas de los Estados Unidos en la guerra de Vietnam entre 1961 y 1969, causan hasta hoy discapacidades y enfermedades graves. En los ultimos años se unieron las víctimas de Vietnam en una organización propia con el nombre VAVA (Vietnamese Association of Victims of Agent Orange), para llamar la atención sobre sus problemas. Ellos exigen el reconocimiento de su sufrimiento como consecuencias tardías del uso de Agent Orange y demandan a las compañías químicas estadounidenses, que han producidos estos productos tóxicos.

Autor: Stefan Kühner ist stellvertretender Vorsitzender
der Freundschaftsgesellschaft Vietnam.
Anschrift: Koblenzer Str. 7, 76199 Karlsruhe, Stefan-Kuehner@gmx.de


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Quelle:
Zeitschrift Behinderung und Dritte Welt
Journal for Disability and International Development
Schwerpunktthema: Bürgerkriege/Kriege überleben, Teil 2
Ausgabe 2/2009, S. 16-23
Anschrift: Wandastr. 9, 45136 Essen
Telefon: 0201/17 88 963, Fax: 0201/17 89 026
E-Mail: gabi.weigt@t-online.de
Internet: www.zbdw.de

Die Zeitschrift Behinderung und Dritte Welt ist eine
Publikation des Forums Behinderung und Internationale
Entwicklung.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2009